Montag, 31. Dezember 2012

Jahreswechsel

Denn tausend Jahre sind für dich
wie der Tag, der gestern vergangen ist,
wie eine Wache in der Nacht.
Von Jahr zu Jahr säst du die Menschen aus;
sie gleichen dem sprossenden Gras. (Ps 90,4f.)

Der Jahreswechsel bietet sich an, um über die Zeit und unseren Umgang mit ihr nachzudenken.

Es ist 11.47 Uhr. Eigentlich beten wir gemeinsam um 11.45 Uhr das Mittagsgebet. Einer fehlt noch. Auf ihn warten? Und wenn er dann morgen noch zwei Minuten später kommt? Ob er noch am telefonieren ist?

Am Umgang der Zeit lassen sich gut Unterschiede zwischen uns erkennen. Wahrscheinlich habe ich noch das „fünf Minuten vor der Zeit ist des Ministranten Pünktlichkeit“ von früher im Ohr. Bei Verspätungen ist mir unwohl zumute. Was mich bis jetzt nicht daran hindert, die Bahn dem Auto vorzuziehen, wo immer das möglich ist:-)

Apropos Verkehrsmittel. Im diesjährigen Weihnachtsbrief von P.Augustinus, einem Franziskaner, der seit Jahren in Afrika lebt und arbeitet, steht unter anderem folgender Reisebericht:

Unser Bus sollte um 12 Uhr abfahren. Wir warteten geduldig bis 3 Uhr und dann ging es auch bald los, natürlich zuerst zur Tankstelle. Gegen Mitternacht erreichten wir die Grenze, wo wir etwas schlaftrunken die nötigen Formalitäten am Grenzübergang erfüllten. Dann ging es weiter nach Kampala, der Hauptstadt Ugandas, die in tiefem Schlaf versunken war. Nur in der Busstation war es lebendig. Dort bekamen wir gegen 2 Uhr nachts ein spätes Abendessen. Danach ging es
weiter nach Mbarara, wo wir gegen 7:30 Uhr morgens eintrafen.

Geht doch auch, oder?

Mit Firmlingen aus der Gemeinde konnte ich an einem Tag im Dezember einige soziale Einrichtungen im Land Liechtenstein besuchen. Unsere letzte Station war AUXILIA, ein Beschäftigungsprojekt des Heilpädagogischen Zentrums für Menschen mit besonderen Bedürfnissen. In verschiedenen Arbeitsbereichen (Schlosserei, Schreinerei, Küche etc.) arbeiten dort Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen gemeinsam mit Sozialpädagogen und Arbeitsagogen. Der Leiter der Einrichtung, der uns durch die Werkstätten führt, machte einerseits deutlich, dass sich das Arbeitstempo im Gegensatz zu anderen Betrieben unterscheidet. „Mir redet zwischedurch miteinand, es goat weniger närrisch zua. Wer sind denn die Närrischa?“
Man werfe mir keine unrealistische Sozialromantik vor. Welches Arbeitstempo und -umfeld entspricht jetzt dem Menschen mehr? Dasjenige, das wir in der AUXILIA erlebten, oder eines, bei dem der Mitarbeiter nie sein Handy oder Ähnliches ausschaltet, weil er immer erreichbar sein und schnell reagieren muss? Erfreulicherweise gibt es mittlerweile Untersuchungen, welche belegen, dass in Betrieben, die ihren Mitarbeiter/inne/n flexible Arbeitszeiten ermöglichen, nicht nur die Zufriedenheit steigt, sondern auch die Produktion. Übrigens: was uns AUXILIA-Besuchern auffiel: bei einem Klingelzeichen ließen die Menschen alles liegen und stehen und begannen eine Arbeitspause. Bei einem weiteren Klingelzeichen erhoben sie sich genauso schnell von ihren Plätzen und gingen wieder an ihre Arbeitsplätze.

Vor AUILIA hatten wir im Flüchtlingsheim in Vaduz mit einem jungen Mann aus Eritrea gesprochen, der aus seiner Heimat geflüchtet war. Zwei Jahre war er unterwegs, zu Fuß, mit dem Auto, mit dem Schiff, bis er in Liechtenstein ankam. Zwei Jahre!

Dir, Ihnen gute Zeit im Neuen Jahr!

Samstag, 15. Dezember 2012

Interferenzen

„Interferenz (Physik Überlagerung von Wellen...)“, so steht es im Duden. So was gibt’s ! Ganz praktisch und mit Auswirkungen.

Samstag, 1. Dezember 12 in Schellenberg. Auf dem Dorfplatz vor der Kirche findet seit morgens um 10.00 Uhr der Weihnachtsmarkt statt. Jetzt ist es 18.00 Uhr und die Vorabendmesse in der Kirche beginnt. Und das Besondere dabei: die Geräuschkulisse von draußen dringt nicht nur irgendwie nach drinnen. Nein: das Beschallungsprogramm des Weihnachtsmarktes ist – ungewollt und ungeplant - direkt über die Lautsprecheranlage der Kirche zu hören. Diejenigen, welche drinnen den Gottesdienst mit feiern, bekommen also live Schrifttexte und Gebete und gleichzeitig über dieselben Lautsprecher mehr oder weniger erhebende Musik aus der Konserve oder ebenfalls live vom weihnachtlichen Treiben draußen geboten: „lasset uns beten“ und „Jingle bells“ gleichzeitig. Konkret wirkt diese Geräuschkulisse im Kircheninnern jedoch eher verwirrend., verstörend. Ein Mann geht nach draußen, um auf das Malheur aufmerksam zu machen. „Das war nicht zum ersten Mal“ sagt hinterher der Mesner. Und ich erinnere mich an Studienzeiten in Salzburg, als wir an den Donnerstag-Abenden zur Messe in die Seminarkirche eingeladen waren. Auch dort ertönte aus der Lautsprecheranlage bisweilen nicht nur Gottesdienstliches, sondern auch ein Radiosender – irgendwo war da etwas nicht entstört.

Sonntag, 2. Dezember 12 in Schellenberg. Vor der sonntäglichen Eucharistiefeier um 9.00 Uhr (ja, es ist früh am Morgen!) beten ab 8.30 Uhr bereits einige Menschen, vorwiegend weiblichen Geschlechts, aber nicht nur, den Rosenkranz. Auch diese bekommen heute „Zusatzprogramm“. Denn im Gottesdienst nachher werden die Erstkommunionkinder des kommenden Jahres vorgestellt werden. Während also die Menschen in den Bänken Rosenkranz beten, stellt die Religionslehrerin der Klasse, unterstützt von ihrer erwachsenen Tochter, vor dem Altar kleine Laternen auf eine bereit liegende Decke. Und die beiden haben zu tun, bis auch die Teelichter in den Laternen alle entzündet sind. Auf einer Seite vorne bereitet sich ein Mädchen den Notenständer vor, auf der anderen Seite geht ein Mädchen nach vorne und packt ihre Querflöte und Noten aus und legt sie ab. Die Kinder gehen natürlich nicht immer gemessenen Schrittes nach vorn und zurück, sondern hüpfen auch einmal von Stufe zu Stufe. In den Bänken im Kirchenschiff die unbeirrbaren Rosenkranzbeterinnen und -beter.

„Gut so!“ denke ich mir. Hat es nicht Weihnachten, das Fest, auf das wir uns in der Adventszeit, die eben an diesem Wochenende 1./2. Dezember beginnt, vorbereiten, hat es nicht Weihnachten mit Interferenz zu tun? Gott wird in Jesus Mensch und in diesem Menschen ist Gott wahrnehmbar. In die Hirtenlieder mischt sich der Engelsgesang. Das kann normale, gewohnte Abläufe schon auch durcheinander bringen. Und die Menschen, die sich auf diesen Jesus einlassen, wirklich einlassen, das sind idealerweise solche, deren „menschliche Musik“ auch besonders klingt. Nicht dass gleichzeitig „göttliche Obertöne“ zu hören wären. Nein, die ganz normale Menschenmusik klingt plötzlich anders...

Kann es sein, dass wir uns verstören lassen müssen von schräg Klingendem, vielleicht sogar von Lautem, um an Weihnachten heran zu kommen? Das ist jetzt völlig konträr zu Vielem in der Vorweihnachtszeit Gesagten und Geschriebenen, ich weiß schon. So wünsche ich Euch an Weihnachten ein „heilsames Durcheinander“...

Samstag, 1. Dezember 2012

Wehwechen...

Gerade komme ich heim von einem Seminar mit dem Titel „Berufungscoaching“. Von anderen Teilnehmerinnen bekam ich ein paar nette Komplimente („du scheinst ganz in dir zu ruhen“), die mich an Ähnliches erinnerten – offenbar mache ich (komisch!) öfter solch einen Eindruck.

Klar erinnert man sich, wenigstens ich mich, gerne an eine Person, die einem so etwas sagt. Eine alte Dame im Altenheim St.Irmengard in Traunstein, wohin ich während meiner Zeit in dieser Stadt mittags zum Essen ging, sagte mir Vergleichbares. Meist betrat ich den Speisesaal, nachdem die Bewohner des Hauses schon gegessen hatten und gegangen waren. Besagte alte Dame saß aber oft noch dort und wartete darauf, abgeholt zu werden.

Sie war nämlich gestürzt und hatte sich dabei das Handgelenk gebrochen. Das ließ für sie auch das Gehen mit dem Rollator schwierig werden und so zog sie es vor, sich von einer Angestellten des Heimes nach der Mahlzeit abholen und in ihr Zimmer begleiten zu lassen. „Auf welche Weise haben Sie sich denn Ihr Handgelenk gebrochen?“ fragte ich sie. „Ach wissen Sie, ich kam gerade aus dem Bad, als eine Altenpflegerin zu mir ins Zimmer kam, etwas schnell. Ich ging einen Schritt zurück, dabei stolperte ich und da passierte es eben. Vielleicht wäre es nicht geschehen, wenn die Pflegerin etwas langsamer gewesen wäre, aber die haben ja auch so einen Stress, ich verstehe das ja“, so erklärte sie mir lächelnd. Kein böses Wort, keine Vorwürfe jemandem gegenüber, keine Klage, eher Verständnis für die Situation der anderen – ich erlebte die alte Dame auch sonst immer aufgeräumt und zufrieden. Wahrscheinlich stimmt das so mit ihrer Lebenseinstellung überein, nicht nur mit meiner Körpergröße, dass Sie mir dann eines Tages eben auch anvertraute: „wissen Sie, woran ich denken muss, wenn ich Sie zur Türe herein kommen sehe? An den Fels in der Brandung“. Und ich dachte: „wenn Du wüsstest, wie es in mir drinnen aussieht, wie unsicher und wackelig dieser Fels oft ist...“

Ähnliches erlebte ich bei einer älteren Dame in Salzburg, die gestürzt, auf Treppenstufen im eigenen Mantel hängen geblieben war und sich dabei weh tat, aber sich trotzdem mit einem geschwollenen und bläulich verfärbten Finger auf den Weg in ein Konzert machte. Auch bei ihr gab es kein Jammern, keine Schuldzuweisung an andere. Sondern sie freute sich über die Musik und über ihre beiden Nachbarinnen im Konzert. Die eine – wohl im Gesundheitsbereich tätig – entschied mit fachlichem Blick, dass der Finger geschient gehöre und machte sich wohl auch während des Konzertes bzw. in der Pause ans Werk, mit den Materialien improvisierend, die sie in ihrer Handtasche dabei hatte. Die andere Nachbarin überzeugte meine Bekannte mit Nachdruck und Entschiedenheit, doch nach dem Konzert zur Untersuchung ins Unfallkrankenhaus zu gehen und begleitete sie gleich dorthin. Bei den Untersuchungen stellte sich heraus, dass der Finger gebrochen war! Später zeigte sich, dass eine Operation wohl nicht das gewünschte Ergebnis gebracht hatte, zwei Metallstifte zwar wieder entfernt werden, wobei der Finger doch nicht seine Beweglichkeit wieder erlangen würde. „Nur gut, dass ich keine Klavierspielerin bin!“ kommentierte die Salzburger Bekannte lächelnd. Und ich kam mir mit meinen „Problemen“ sehr klein und armselig vor...

Und ich höre nicht auf, Lehrmeisterinnen des Lebens zu begegnen. In Schellenberg ist es Sr.Josefa, die ich noch von früher als fleißige Frau kenne. Jetzt muss sie dreimal in der Woche zur Dialyse, wonach sie zwar jeweils kaputt ist, was sie aber nicht daran hindert, mit großer Gelassenheit und Gottvertrauen zu leben. Zwischendurch erzählt sie ihren Mitschwestern, was sie im Fernsehen gesehen hat, während sie da in der Dialysestation lag, etwa: „heute war ein schöner Tierfilm“. Manchmal gibt es sogar anlässlich einer Papstreise eine Übertragung – eine besondere Freude für Sr.Josefa. Es kommt aber natürlich auch vor, dass sie sagt: „heute kam ein Blödsinn, da habe ich gar nicht hin gesehen“. Und jetzt freut sich Sr.Josefa, dass in Schaan ein Dialyse-Institut öffnet und sie nicht mehr bis Altstätten fahren muss...

In allem vorweihnachtlichen Trubel wünsche ich adventliche Ruhe!

Donnerstag, 15. November 2012

"Chancen des Alters"

Dieses Thema hatten sich Ordensfrauen gewünscht, für die und mit denen ich in den vergangenen Tagen in zwei Altenheimen in der Schweiz und in Deutschland Besinnungstage gehalten habe. Apropos: eine jüngere Ordensfrau erzählte mir vor kurzem schmunzelnd, dass es manchmal Leute gäbe, die sich unter „Ordensfrau“ oder „Klosterschwester“ nichts vorstellen könnten. Also spreche sie schlicht von „Nonne“ - und das verstünden dann die Leute.

Also, mit Frauen diesen Typs, bzw. Lebensentwurfes hatte ich zu tun und bin tief beeindruckt von den Begegnungen. Ach was: „beeindruckt“ klingt so „allerwelts-mäßig“. Nein: bereichert und beschenkt bin ich nach dem Zusammensein mit den Schwestern, die mich wie einen Bruder aufnahmen.

Wir hatten einen „Deal“ vereinbart. Da ich ja für „Berufungspastoral“ zuständig bin, also idealerweise junge Männer finden sollte, die Mitglieder in meiner Ordensgemeinschaft werden möchten, waren die Besinnungstage für Schwestern eher außerhalb meines unmittelbaren Arbeitsbereiches. Da kirchliches „head-hunting“ bzw. „personal-recruting“ aber noch einmal anders funktioniert als dasjenige der Wirtschaft, habe ich die Schwestern im Rahmen der Besinnungstage jeweils um ihre Gebetsunterstützung für meine Tätigkeit gebeten, diese zugesagt bekommen und vertraue nun auch auf sie.

Von dem, was ich den Schwestern erzählte, möchte ich eine Kleinigkeit an dieser Stelle anführen. Außer dem alt gewordenen König David aus der Bibel erwähnte ich noch andere älteren bzw. alten Menschen. Einer davon ist Don Dino.

Der 73jährige italienische Missionar vom Kostbaren Blut ist ein Pionier der afrikanischen Mission dieser Gemeinschaft und war 45 Jahre in Tansania. Herzkrank kam er nach Europa zurück und wurde zum Spiritual der Seminaristen unserer italienischen Provinz. Im September waren diese italienischen Seminaristen zu einer Woche Urlaub in Kufstein, bei der ich sie begleitete. (In einem früheren Post hatte ich schon davon berichtet). Und mit dabei war eben Don Dino. Ein ganz wacher und offener Zeitgenosse. Könnte ich mir vorstellen, dass so jemand nach 45 Jahren in Afrika in Erinnerungen schwelgt und diese auch weiter geben möchte, so war Don Dino im Gegenteil am Leben und der Umwelt des konkreten Augenblickes interessiert und fragte mit großem Interesse nach. „Wieso heißt Kufstein so, was bedeutet das? `Stein´ verstehe ich, aber `Kuf´?“ Oder auch: „wenn das hier `Kleinholz´ heißt, gibt es dann auch ein `Großholz´? Aber auch andere Dinge weckten das Interesse von Don Dino: „ich habe gesehen, dass du einen Artikel in KONTINENTE geschrieben hast: worum geht es denn da?“ Oder: „wie ist das jetzt mit der Pfarrerinitiative in Österreich?“ Gut informiert und mit großer Aufmerksamkeit zuhörend zeigte sich Don Dino als höchst angenehmer Gesprächspartner. Und ich freute mich nicht wenig, festzustellen, wie er auch die Studenten zu animieren versuchte, mit Offenheit und Interesse in der für sie neuen Umgebung, in einem anderen Land, unterwegs zu sein. „In Italien haben wir unsere Eigenheiten, denkt an die Dörfer am Berg, die Häuser eng aneinander gebaut. Jetzt sind wir hier: schaut euch das genau an, versucht die Eigenheiten kennen zu lernen und zu verstehen. Und eigentlich fände ich es gut, wenn wir gegen Ende der Woche das `Vater unser´ auf Deutsch gelernt hätten“. Sehr konkret! Ja, so stelle ich mir „missionarischen Geist“ vor...
Trotz Gehbeschwerden machte Don Dino praktisch das ganze Ausflugsprogramm in diesen Tagen mit, das mich selbst jeden Abend ziemlich erschöpft sein ließ. Schmunzeln musste ich, als er die Seminaristen, 20 junge Männer zwischen 20 und 30 Jahren, nach der Erfahrung der Fahrt im öffentlichen Bus in Salzburg, zwei Tage später vor dem Einsteigen in die Münchner U-Bahn aufforderte, sich in der Lautstärke etwas zu mäßigen: „es muss ja nicht gleich jeder wissen, woher wir sind“. Aber auch das sagte Don Dino so, dass es für die jungen Männer akzeptabel war – und funktionierte!

Mittwoch, 31. Oktober 2012

Der Zahnarzt und die Ewigkeit

Richtig Herbst ist es! Habe ich seine Schönheit bei der Rückfahrt aus dem Norden noch genossen, die bunten Wälder im Sonnenlicht, so bin ich bei der Ankunft hier im dichten Nebel gelandet. Schon tagelang sei das so, sagten mir die anderen. Also bin ich am österreichischen Nationalfeiertag mit unserem aus Tirol stammenden Mitbruder in die Höhe gefahren, einfach, um einmal dem Nebel zu entkommen. Es hat funktioniert! Schien zunächst sogar das Auto fahren gefährlich, weil man kaum etwas sah, so hatten wir oben tatsächlich nicht gerade Sonne, aber immerhin freie Sicht.

Herbst, freie Sicht: auch Allerheiligen und Allerseelen gehören dazu. Menschen schmücken die Gräber ihrer verstorbenen Angehörigen, besuchen diese – und sind dadurch fast automatisch mit der Frage nach dem eigenen Leben, seinem Ende und dem „Danach“ konfrontiert. Zeit und Ewigkeit...

Für die Relativität des Zeitempfindens muss oft einmal der Zahnarzt herhalten: die Zeit vergeht mir viel zu schnell, wenn ich mit meiner besten Freundin, meinem besten Freund zusammen bin. Und sie vergeht mir viel zu langsam, wenn ich auf dem Behandlungsstuhl des Zahnarztes sitze. Das kann einem wie eine Ewigkeit vorkommen. Am Morgen des Tages unserer Fahrt aus dem Nebel in die Zone der freien Sicht war ich auf besagtem Stuhl gesessen, bzw. gelegen. Es war darum gegangen, das Provisorium auf dem Zahn, dessen Wurzelkanal gut eine Woche zuvor behandelt worden war, jetzt durch eine richtige Füllung zu ersetzen. Weil das in einer halben Stunde geschehen war, schlug mir der Zahnarzt vor, noch an eine weitere Füllung heran zu gehen. Bei dem Zahn zeigte sich allerdings unter dem heraus gebohrten Amalgam noch Karies, so dass die Sache langwieriger wurde. Und ich schließlich insgesamt 90 Minuten gemütlich gelegen war – bis auf das gefühlt beinahe ausgerenkte Unterkiefer.

Zum Abschied meinte dann der Zahnarzt, dass die Füllungen wohl einige Jahre halten könnten. „Es geht um Gebrauchsgegenstände“ sagte er, „da gibt es Abnutzung“. Aha! „Wir können nicht für die Ewigkeit arbeiten, garantieren“ - ich weiß nicht mehr genau, wie er das sagte. Aber dann grinste er mich an und sagte: „das ist in Ihrer Profession vielleicht anders!“ Was ich nickend bejahte, zum Viel -Reden war mir mit dem gefühlt ausgerenkten Unterkiefer noch nicht zumute.

Im Flur der Zahnarztpraxis gibt es sinnigerweise eine Statue der heiligen Apollonia. Man erkennt diese Heilige an der Zange, die sie in der Hand hält – und in der Zange ein Zahn. Der heidnische Pöbel soll dieser frühchristlichen Märtyrerin alle Zähne ausgeschlagen bzw. mit einer Zange ausgerissen haben. Mein Ordensgründer hat sie verehrt, weil er wohl immer wieder mit Zahnschmerzen zu tun hatte.

Also grüße ich beim Verlassen der Zahnarztpraxis die heilige Apollonia und frage mich, ob das stimmt, was der Zahnarzt meinte, dass ich es eher mit der Ewigkeit zu tun hätte. Es kann natürlich sein, dass Menschen, die sich eine meiner Predigten anhören oder einen Post im Blog lesen, die dafür verwendete Zeit auch wie eine Ewigkeit vorkommt. Aber darum geht es ja nicht. Kann ich auf eine unspektakulär unaufdringliche Weise deutlich machen, dass ich die Ewigkeit ernst nehme?
„Sub specie aeternitatis“ - im Hinblick auf die Ewigkeit – sollten Entscheidungen getroffen werden, so riet es nicht nur der Heilige, dessen Namen ich trage. Das wäre ja nicht nur von einem Wahlkampf zum nächsten denkenden und rechnenden Politikern zu wünschen. Ich glaube daran, dass sich im Hinblick auf die Ewigkeit engagiert-gelassen leben lässt. Ich muss nicht alles in die Zeitspanne meiner irdischen Lebensjahre hinein packen wollen. Das entlastet. Aber diese Zeitspanne hängt zusammen mit der, ist Teil der Ewigkeit – das nimmt in die Pflicht und gibt Verantwortung. Und wie sagte der Heinz, ein Freund aus vergangenen Tagen, mit ein wenig Pathos in der Stimme: „Ewigkeit, das ist nicht langweilig und eintönig! Ewigkeit das ist `geballtes Jetzt´“.
Gute Zeit und gute Ewigkeit wünsche ich!


Montag, 15. Oktober 2012

Theology Slam

Im Radio habe ich unlängst von einem „poetry slam“ gehört – eine Art Kleinkunstwettbewerb. Kabarettisten begeben sich nacheinander auf die Bühne und stellen ihr Programm vor, wozu sie eine genau fest gelegte Zeit zur Verfügung haben. Und das Publikum stimmt darüber ab, wer seine Sache am besten gemacht, bzw. am meisten Unterhaltungswert gehabt hat. So kann ein Sieger, bzw. eine Siegerin gekürt werden. Und scheinbar hat so manche Kabarettistenkarriere mit solch einem Wettbewerb begonnen.

Wenig später las ich dann in der Zeitung von einem „science slam“. Hier besteht die Aufgabe für die Teilnehmenden darin, einen wissenschaftlichen Sachverhalt in einer vorgegebenen Zeit möglichst einleuchtend und ohne „Fachchinesich“ zu erklären. Im erwähnten Zeitungsartikel war davon die Rede, dass hierbei – ganz wissenschaftlich – die Dezibelstärke des gespendeten Beifalles gemessen wird und entscheidend sei für die Bestimmung des Siegers. Also erklärt zum Beispiel einer ein „Schwarzes Loch“ und ein anderer einen Zusammenhang aus der Gentechnik und die Zuhörenden klatschen umso lauter, je mehr sie verstanden haben.

Während ich noch über den poetry slam und den science slam nachdenke – und zugegebenermaßen Gefallen an beidem finde – kommt mir die Idee eines „theology slam“. Wie wäre das, wenn Theologen innerhalb kurzer Zeit einen theologischen Sachverhalt, ein „Glaubensgeheimnis“ allgemein verständlich zu erklären versuchten und Zuhörende dass bewerten könnten?

Wobei – Vorsicht beim Weiterlesen: jetzt kommen die Einwände, wobei...

Also zum einen ist natürlich auch Theologie „science“ und ich fände es reizvoll, wenn unter den Natur- und Geisteswissenschaftlern, die da irgendwelche Sachen über „Schwarzes Loch“ und „Neurolinguistik“ erklären, auch ein Theologe mit der „Dreifaltigkeit“ vertreten wäre. Das spricht gegen einen eigenen eigenen „theology slam“...

Zum anderen schwanke ich auch noch: auf der einen Seite gefällt mir diese „slam – Form“. Auf der anderen Seite weiß ich nicht, ob dadurch nicht auch eine Form des Umgangs mit Information und Wissen unterstützt wird, die in Frage gestellt werden muss. Durch die mediale Informationsaufbereitung sind wir inzwischen an Informationsaufnahme im „Häppchen-Format“ gewöhnt. Ob das gründlich genug ist, ob da tiefere Zusammenhänge aufgezeigt werden können? Vielleicht wäre es hin und wieder angebracht, sich der Mühe zu unterziehen, ein ganzes Buch (oder zwei) zu lesen, um eine Sache zu verstehen oder dem Verständnis zumindest näher zu kommen.

Und in Verbindung damit ein weiterer vorsichtiger Einwand: so sehr mir die Publikumsbeteiligung gefällt – und ich mich tatsächlich auch immer über ein „Lob“ für eine Predigt freue – so sehr hege ich da gleichzeitig eine gewisse Skepsis. Lässt sich der Beifall ganz eindeutig allein auf die Darstellung eines Sachverhaltes beziehen? Oder wird damit auch der Inhalt selbst „beklatscht“?
Über Glaubensinhalte könnte man eben nicht auf diese Weise „abstimmen“. Und nur weil einer die Sache „appetitlich“ und anregend „rüber bringt“, muss noch nicht unbedingt richtig sein, was er da gesagt hat.

Auf jeden Fall müsste man sich gut überlegen, welche Bedingungen Redner/innen und Zuhörende bei einem etwaigen theology slam erfüllen müssten. Zum Beispiel könnte man ja überlegen, ob man nur Menschen mit einem akademischen Abschluss in Theologie auf die Bühne lässt.
Mir geht die Frau nicht aus dem Sinn, die ich bei einer Fronleichnamsprozession zum Kind neben sich sagen hörte: „so, jetzt knien wir uns hin, weil in diesem Brot in der Monstranz, da ist Jesus!“. Natürlich hatte sie eine andere Ausgangssituation als ich bei der Predigt zuvor in der Kirche. Aber ob ich in gut sieben Minuten Redezeit die Sache so auf den Punkt zu bringen vermochte, wie die Frau in einem Satz?

Sonntag, 30. September 2012

Beten - aber wie?

„Wir sind erwacht. Der Schlaf ist noch in unseren Augen, aber auf unseren Lippen soll sofort dein Lob sein“. Immer wieder einmal habe ich das mit diesen Sätzen beginnende Morgengebet aus Afrika (vgl. Gotteslob 15/4) früher mit Kindern und Jugendlichen gebetet. Vielleicht ist es deswegen so bei mir hängen geblieben, dass mir auch heute beim Aufwachen oft diese Zeilen in den Sinn kommen.
Bevor ich mich auf einen theologischen Streit darüber einlasse, wo das Gebet seinen Ausgangspunkt nimmt, beim Blick auf Gott oder auf mich, fällt mir auf, dass in besagtem Gebet aus Afrika beide Blickrichtungen da sind. Und im konkreten Fall dieses Gebetes finde ich es sympathisch, dass ich als eventuell noch ein wenig Verschlafener mich vor Gott einfinden kann. Ich komme mit meiner Welt und bringe diese vor Gott. Das halte ich für eine wichtige Grundregel des Betens. Ich bewege mich nicht zuerst in irgendwelche (himmlischen) Sphären, die mit meiner Alltagswirklichkeit nichts zu tun haben, nein, ich komme des Morgens eventuell sogar noch mit Schlaf in den Augen. Das afrikanische Morgengebet führt diese Art zu beten auf eine wunderschöne
Weise fort. Beten: mein Leben vor Gott bringen! Und eventuell dabei die Entdeckung machen: ER ist schon da, in diesem meinem Leben. Komm mit Freude, Schmerz, Ärger, Traurigkeit, Hoffnung, Sehnsucht, Fragen, Leid und Ausweglosigkeit, sei Du Du selbst, wenn Du zu beten beginnst!
Das ist die Basis für das Lob Gottes. Mit all dem, was mein Leben ausmacht, lobe ich Gott. Darum geht es dann natürlich auch!

Noch eine „Gebets-Erfahrung“ habe ich vor nicht ganz zwei Wochen gemacht, als ich mit einer Gruppe italienischer Seminaristen der Missionare vom Kostbaren Blut zu einem Besuch in der KZ-Gedenkstätte Dachau war. Nachdem wir am Vormittag im Stadtzentrum von München waren, galt der Nachmittag dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers. Und die jungen Männer, 18 Italiener und zwei Kameruner, zwischen 20 und Mitte 30 alt, bewegten sich wie die anderen Besucher der KZ-Gedenkstätte, das Ohr am Audio-Guide-Gerät und immer wieder auch mit den Handy-Kameras fotografierend. Schon im Vorfeld hatten wir vereinbart, zum Abschluss unseres Besuches in der Kapelle des Hl.Blut-Karmel am Rande des Gedenkstätten-Geländes die Eucharistie zu feiern. Bereits bei früheren Besuchen, die äußerlich ähnlich abliefen, hatte, hatte ich bei diesem Programmpunkt gemischte Gefühle. Nicht dass ich meine, dass gerade an diesem Ort eine Eucharistiefeier nicht ihren Platz hat. Aber wie der Gefahr begegnen, dass durch eine solche liturgische Feier das schreckliche Geschehen von damals, die Begegnung mit Menschen und ihren grausamen Schicksalen, jetzt irgendwie eingeordnet, ja „glatt gebügelt“ wird?
Bleibt uns der Schrecken, die Trauer und Fassungslosigkeit, ja die Sprachlosigkeit erhalten, wenn wir jetzt miteinander Eucharistie feiern?
Es geht schon wieder um die Eingangsfrage: wie komme ich mit meiner Welt vor Gott?

Als ich die jungen italienischen Studenten erlebte, als gute Seminaristen auf eine „schöne Eucharistie“ bedacht, dass die liturgischen Gewänder passen und die richtigen Lieder ausgewählt werden, da hatte ich fast den Eindruck, dass das jetzt zu schnell gegangen war, dass wir etwas „übersprungen“ hatten. Wäre es angemessener gewesen, eine halbe Stunde im Schweigen zu bleiben, eventuell dabei noch einen Zeugenbericht eines ehemaligen KZ-Gefangenen zu hören, zu lesen?
Ich maße mir kein Letzturteil bezüglich dieser Frage an. Zum einen haben Südländer wohl eine andere Mentalität, zum anderen gehören die Seminaristen auch einer anderen Generation an. Was ich mir mit nehme, abgesehen vom bedrückenden Eindruck des ehemaligen KZ-Geländes, das ist der Wunsch, „wirklichkeitsgerecht“ zu beten. Bei allem Entlastenden, das Formen und Rituale haben – wie dankbar bin ich oft genug für sie – möchte ich versuchen, ein waches Gespür zu bewahren oder noch viel mehr zu entwickeln für das, was dran ist, um mein, unser Leben vor Gott zur Sprache zu bringen...

Samstag, 15. September 2012

Ab-Spülen - Hintergründe, Methoden, Techniken von etwas ganz Alltäglichem...

Wie spült man(n)? So alltäglich-banal einerseits, so gruppendynamisch explosiv andererseits ist diese Frage und ihre Beantwortung.

Ausgangspunkt ist benutztes und als Folge dessen schmutziges Geschirr, hier Oberbegriff für Töpfe, Pfannen, Teller, Besteck etc.
Die Grundsatzentscheidung besteht darin, diese Dinge, wenigstens bestimmte davon, in die Spülmaschine zu räumen oder sie anderweitig zu säubern. Ausgeschlossen sei dabei einmal die Methode, wie sie uns beim Besuch eines Bauernhofmuseums erklärt wurde. Dort konnten die benutzten und beschmutzten (Holz-)Teller in nur aus dünnen Leisten bestehende Ablagen unter dem Esstisch geschoben werden, um ihre Reinigung sodann durch die Zunge des Hundes zu erfahren. Pfui! Nein, so nicht!

Zurück zu unserer Grundsatzentscheidung! Im Falle der Wahl der Spülmaschine stellt sich die Frage, wie diese möglichst klug eingeräumt wird. Darüber kann man(n) sich durchaus unterhalten und in Rage reden – kaum zu glauben. Je nach Temperament hört man dann auch denjenigen, der die Spülmaschine ausräumt und dabei noch schmutzige Teile entdeckt, entsprechend schimpfen. Apropos: sei vorsichtig, dass Du nicht den unteren Geschirrkorb vor dem oberen ausräumst, wenn Du dabei beobachtet wirst! Da abends der Strom billiger ist als während des Tages, wird die Spülmaschine besser erst dann eingeschaltet.

Es gibt aber auch Spülmaschinengegner. Und zwar aus verschiedenen Gründen. Die einen schätzen den kommunikativen Akt des Miteinander-Abspülens und -Abtrocknens. Klar, da geht durch die Maschine etwas verloren! Anderen ist das scharfe Mittel suspekt, welches in die Maschine gegeben wird: wenn schon Gläser und Tassen dadurch so angegriffen werden, dass auf deren Oberfläche deutliche Spuren zu sehen sind, wie mag das erst bei der Speiseröhre und im Magen wirken?

Also kann es geschehen, dass man(n) die Entscheidung gegen die Spülmaschine und für das händische Spülen trifft. Hierzu meinte einmal ein mir bekannter Schweizer mit mehrjähriger Brasilien- und weiteren Auslandserfahrungen: wenigstens 80% der Spülvorgänge weltweit geschehen unter fließendem kalten Wasser!
Das tröstet und inspiriert gleichermaßen, wenn das warme Wasser zu bestimmten Tageszeiten sehr lange auf sich warten lässt.
Die von mir persönlich favorisierte Methode (neben der Spülmaschine, die ich im Falle von hohem Geschirraufkommen durchaus benutze – ich bin ja nicht Technik-feindlich!) besteht darin, im rechten Spülbecken heißes Wasser mit Spülmittel zu haben und im linken klares heißes Wasser zum Nachspülen, sozusagen zwei Spülgänge. Ein anderer tropft Flüssigspülmittel auf den Spülschwamm und reibt damit direkt über die Teller und das Besteck, um die Teile ebenfalls hinterher unter klarem Wasser abzuspülen. So werde das Spülmittel noch besser genutzt, kann seine Wirkung voll entfalten.

Es gibt auch Klöster, wo nach dem Essen zwei Mönche, bzw. Nonnen den Tischen entlang gehen, zunächst mit einer Schüssel mit Wasser (und Spülmittel!) und dann mit einem Geschirrtuch, so dass jede/r am Tisch ihr/sein eigenes Besteck wäscht und abtrocknet und dann in die persönliche Serviettentasche gibt.
Jawohl – und alle diese Möglichkeiten wollen geklärt und auf ihre Vor- und Nachteile hin untersucht werden, ganz zu schweigen von der persönlichen Neigung zu der ein oder anderen Methode aufgrund jahrelang geübter Praxis. Wenn da nun in einer Hausgemeinschaft verschiedene „Spülmodelle“ aufeinander treffen und favorisiert werden, dann bedarf es gar nicht mehr theologischer Themen, um zu angeregten Diskussionen zu kommen...

Mittwoch, 29. August 2012

Urlaubsnachlese

Der „Meraner Höhenweg“ in Südtirol war angesagt. Eine fünftägige Wanderung rund um die Texelgruppe herum. Ausgangs- und Zielpunkt das Dorf Tirol bei Meran. Zu viert wollten wir gehen. Michael, der im Vorfeld die Quartiere unterwegs reserviert hatte, entschied sich, aufgrund einer Schulterzerrung nicht mit zu gehen: „fünf Tage den schweren Rucksack auf den Schultern – besser nicht“!
Also zogen wir zu dritt los und genossen bei herrlichem Wetter die wunderbaren Ausblicke in die Landschaft hinein. Welche Anstrengung und Leistung der Bauern, die steilen Hänge zu bewirtschaften! Von oben sahen wir unten im Tal weite Apfelplantagen, riesig große Flächen.

Und auch das Gehen selbst machte Freude: mal waren wir im Gespräch miteinander, mal ging jeder für sich, seinen Gedanken nachhängend. Mein rechtes Knie, das die letzten Wochen hin und wieder einmal weh getan hatte, spürte ich nur in der Nacht, gehen selbst konnte ich ohne Beschwerden.

Unvergesslich unser Quartier am zweiten Abend: ein alter Bergbauernhof, die Jahreszahl 1593 war außen auf einem Balken zu sehen. Aber die Bäuerin meinte, die erste urkundliche Erwähnung des Hofes sei im 13. Jahrhundert gewesen. In dem Zimmer, in dem die Betten standen, konnte ich nicht aufrecht stehen. Mit der Bäuerin, ihrer Enkelin und ihrer Schwägerin, einer Ordensschwester aus Rom, beide auf Besuch, und einem weiteren Mann feierten wir drei abends die Messe in der alten Küche mit der rauchgeschwärzten Decke.

Am nächsten Tag ging es weiter, ziemlich in die Höhe. Der Himmel verfinsterte sich und entgegen der Auskunft zweier Einheimischer „heute kommt kein Gewitter“ kam dann eines. Und zwar nicht nur mit Blitz und Donner, sondern auch mit Hagel. Weil wir uns in der Nähe der Hütte wussten, gingen wir nicht vorschriftsmäßig in die Hocke, den Rucksack und die Wanderstöcke auf die Seite legend, sondern gingen weiter, über die weißen Hagelkörner hinweg. Innerhalb weniger Minuten war es empfindlich kalt geworden. Als wir bei der Hütte ankamen, auf 2875 Meter Seehöhe, schien bereits wieder die Sonne, und wir konnten die nassen Sachen noch ein wenig darin trocknen.

Und dann: die Nacht! Ebenfalls unvergesslich. Bauchschmerzen, Durchfall, Brechreiz... Klugerweise hatte ich meine Taschenlampe zu Hause vergessen und tastete mich vier mal in der Nacht im Dunkeln an den Stockbetten und Rucksäcken vorbei über die Treppe zur Toilette ein Stockwerk tiefer. Gott sei Dank immerhin im Haus und kein „Häuschen“ in einiger Entfernung vom Haus!
Das Erbrechen kam dann erst am nächsten Morgen, aber auch danach fühlte ich mich nicht wesentlich besser. Und es galt, zunächst einmal 1000 Meter abzusteigen. Dort half dann auch kein Cola, um die Verdauung zu regulieren. Hans war es ähnlich ergangen, nicht ganz so heftig. Auf jeden Fall schloss er sich meinem Plan an, die Aktion abzubrechen. Und so ließen wir einen allein den Rundweg vollenden, der ohnehin noch zwei Tage länger in Südtirol bleiben wollte.

Hans und ich nahmen im ersten Ort den Bus, fuhren nach Meran und von dort nach Innsbruck zurück.

Was bleibt? Es bleiben schöne Eindrücke von unterwegs, vom Miteinander, der Schönheit der Natur. Und es bleibt auch die Erkenntnis, wie nah Stärke und Schwäche einander sind. Drei Tage lang mit einigen Kilos auf dem Rücken, Kilometer und Höhenmeter hinter sich zurück lassend. Klar, andere „schaffen“ noch mehr – aber eine gewisse Leistung ist es... Und dann: fliegt dich etwas an, ein Virus, oder ein Keim im Wasser, was es auch immer gewesen sein mag – und innerhalb weniger Stunden ist es vorbei mit deiner Leistungsfähigkeit und der Freude am Gehen. Und auch diese Erfahrung ein Grund zur Dankbarkeit!

Mittwoch, 15. August 2012

derf i mitschpiela?

Nach einer mehrstündigen, schweißtreibenden Wanderung war ich in Malbun angekommen und saß nun auf der Holzbank vor der Alphütte, an deren Wand angelehnt und genoss die Sonne. Da hörte ich eine Kinderstimme rufen: „derf i mitschpiela?“ (Darf ich mit spielen?). Und bald darauf sah ich zwei kleine Buben, wohl noch im Kindergartenalter, auf dem Weg unterhalb der Hütte vorbei gehen und dann auf eine Wiese laufen. Der gehörten Frage nach hätte ich mehr Kinder erwartet...

Den anderen mit spielen lassen: wie viel Macht kann da unter Kindern ausgeübt werden. Welche Entscheidungsprozesse laufen ab, bis klar ist, ob eine oder einer mit spielen darf oder nicht. Und welche Schmerzen für das Kinderherz, wenn die Entscheidung negativ ausfällt. Tränen und Wut...

Kinderthemen? Vielleicht trug die von der Sonne beschienene Bank an der Alphütte zu meinen Überlegungen diesbezüglich bei. Ist nicht das Mitspielen-Wollen ein Generationen übergreifendes Thema? Nicht nur bei wirtschaftlichen global-players und bei olympischen Spielen. Dabei sein, mit machen, dazu gehören...

Wenn Jugendliche unbedingt Markenklamotten oder ein Smartphone brauchen: hat das nicht auch mit dem „mit spielen wollen“ zu tun?

Ich muss aber auch an manches Gespräch erwachsener Menschen denken. Was einem manchmal negativ aufstoßen kann, wenn es da welche gibt, die scheinbar überall „ihren Senf dazu geben müssen“: verbirgt sich nicht zuweilen auch da der tiefe Wunsch, mit zu spielen? Du erzählst eine belanglose Geschichte, die Dir gestern passiert ist und Dein Tischnachbar erinnert sich an eine Parallele vor 35 Jahren... „Ich auch...“!

Auch wenn in Zeiten einer um sich greifenden Institutionenkrise ebenso schwierige Zeiten für die - von vielen für typisch deutsch gehaltene - „Vereinsmeierei“ angebrochen scheinen, die Mitgliederzahlen sinken hier wie dort, ganz zu schweigen von der Schwierigkeit, Menschen zu finden, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, Leitungsaufgaben als Vorstand oder was immer wahr zu nehmen: so bin ich doch in Bayern einem Maibaum-Verein begegnet und hier in Liechtenstein sogar einem Adilettenclub (für Nicht-Eingeweihte wie mich: es geht um eine leichte Fußbekleidung!), zu dessen Aktivitäten ein Liegestuhlfest gehört. (Nein, ich bin nicht Mitglied!)

Aber zurück zur „philosophischen“ Frage und ihren Folgefragen. Zwei waren es, die für mich folgten: zum einen: ist mein/unser Spiel einladend? Erweckt mein/unser Tun die interessierte, ja geradezu lustvolle Frage nach dem Mitmachen-, Mitspielen-Dürfen? In Verbindung damit die „Unterfrage“: hat dieses mein/unser Tun etwas Spielerisches? Oder bin ich ein verbissener Arbeiter? Vor einigen Wochen sah ich einen von jungen Leuten selbst gedrehten Film über ihre Ferienunternehmung. Das Abwaschen nach den Mahlzeiten wirkte tatsächlich wie eine Riesen-Gaudi: die Jugendlichen tanzten mit den Töpfen und Tellern in der Hand durch die Gegend, offensichtlich mit großem Spaß...

Die zweite Frage ist dann die des Mitspielen-Lassens: bin ich hellhörig für solche Fragen und wie reagiere ich darauf? Vielleicht kommt die Frage ja öfter indirekt. Wer weiß, welche charismatische und begabten Mitspieler ich gewinnen könnte, wenn ich da aufmerksam bin... Miteinander spielen macht ohnehin mehr Freude...

Danke allen, die mich im Spiel ihres Lebens mit spielen lassen...

Mittwoch, 1. August 2012

anders herum...


Eine wichtige Zeit am Tag ist für mich eine halbe Stunde Meditation am Morgen, so als erstes nach dem Aufstehen, ein wenig Gymnastik und der Morgentoilette. Während dieser Meditationszeit nehme ich kein Buch zur Hand, zur Vorbereitung derselben jedoch schon. Wobei es nicht um eine Zeit des Nachdenkens, sondern um eine Zeit des Gebetes geht. Einige Tage war ich beschäftigt mit einem Text mit der Überschrift „Entscheidung für Gott“ eines mir sehr lieben Autors. Dieser legt darin einen Abschnitt des Lukasevangeliums (14,25-35) aus.
Obwohl ich den Text früher schon einmal gelesen hatte, fand ich ihn neuerlich anregend und hilfreich und bei einzelnen Punkten applaudierte ich gleichsam innerlich.

Im Beten mit diesem Text war es dann anders. Da kam mein eigenes Leben mit seiner Schwerfälligkeit und seinen Fehlern mit dazu, woraus dann das Gefühl entstand: „Entscheidung für Gott, schön und gut! Ich will ja auch – aber ich bleibe immer wieder hinter dem einmal Vorgenommenen zurück.“ Es geht mir hier um die sich täglich neu aktualisierende Entscheidung, nicht die irgendwann einmal getroffene. Dieser oder jener äußere Umstand, diese oder jene innere Grenze lässt mich stolpern, zurück fallen... Es könnte einen das schon traurig und verzagt werden lassen.

Nun hat sich all dies im Monat Juli abgespielt, den wir in meiner Gemeinschaft als „Kostbar-Blut-Monat“ begehen. Mehr noch als sonst im Alltag taucht dieser Gedanke auf, ist dies das Thema.
Und so habe ich beim Beten und Ringen um die „Entscheidung für Gott“ auch neuerlich auf den Blut vergießenden Jesus geschaut. Und fand Trost! Und Klarheit!
Denn ER sagt mir, gerade eben durch sein von ihm vergossenes Blut: „ich habe mich für Dich entschieden! Und ich gebe mich hin für Dich, mich selbst, mein Leben – dafür steht das Blut – nicht aufgrund Deiner Großartigkeit und Deiner Leistungen. Nein, schlicht weil ich Dich liebe und mich für Dich entscheide“.

Aha! Jetzt sieht die Sache anders aus. Kann es sein, dass ich mich selbst überfordere, wenn ich mich zu einer „Entscheidung für Gott“ aufraffe, ohne sie auf der Grundlage SEINER Entscheidung für mich zu sehen? Das muss ja daneben gehen.
Anders ist es, wenn es darum geht, auf SEINE Entscheidung für mich zu antworten. Keine Frage: der Blick auf den Blut vergießenden Jesus ist auch herausfordernd! Aber diese Herausforderung ist gepaart mit einer staunenden Dankbarkeit. Du tust das für mich – soviel bin ich Dir wert!
Nicht: ich presse die Zähne zusammen, sammle all meine Energie und zeige Dir, was ich für Dich tue oder tun möchte! Das wäre, wenn, dann Schritt zwei.

Mir fällt der US-amerikanische Mitbruder ein, der von Karfreitagspredigten erzählte, welche sich hauptsächlich damit beschäftigten, den Leuten ein schlechtes Gewissen zu machen. Mit dem Blick auf Jesus am Kreuz zu predigen: „das habt Ihr Jesus angetan! („you did it to him!“). Die andere Seite „das hat ER für Euch getan“ (he did it to you) ging darüber unter. Wenn ich von zwei Seiten spreche, dann will ich damit klar machen, dass ich keine ausblenden möchte. Es geht mir um die Gewichtung und den Ansatz.

Vermutlich ist all das nichts Neues. Aber es kann einem – wie mir – immer neu unter die Haut gehen und Ursache der Freude sein. Und das ist doch viel wert, nicht wahr?


Mittwoch, 18. Juli 2012

Hauptbahnhof Lindau


Wir fahren mit dem Zug in den Hauptbahnhof Lindau ein. Wieder einmal genieße ich den Blick auf den Bodensee links und rechts und hoffe insgeheim, dass der Bahnhof vielleicht doch nicht auf das Festland verlegt wird – es ist einfach zu schön, auf die Insel im Bodensee zu fahren – Zeitersparnis hin oder her.

An diesem Tag beschäftigen mich aber noch andere Gedanken. Die Umsteigezeit in Lindau beträgt vier Minuten, ich muss den Anschluss Richtung Feldkirch erwischen. Und unser Zug hat vier Minuten Verspätung. Wie soll das gehen? Ich bin gespannt. Sicherheitshalber gehe ich im Zug ganz nach vorne. Und sehe, auf Gleis 8 einfahrend, dass der Zug Richtung Feldkirch auf Gleis 1 noch da steht. Vielleicht wartet er.

Vor mir stehen drei Frauen. Eine Dame in roter Bluse bittet die hinter ihr stehenden Frauen, der Sprache nach Schweizerinnen, ihr beim Aussteigen behilflich zu sein. Der Tonfall, mit welchem sie das tut, lässt keinen Widerspruch zu. Sie hat ein Gefährt, wie es manche zum Einkaufen verwenden, eine große Tasche auf Rädern zum Ziehen bzw. Schieben, und das sei recht schwer. Ich werde nicht angefragt, vermutlich weil ich selbst so bepackt bin, den Rucksack auf dem Rücken und beide Hände voll. Die jüngere der beiden angefragten Frauen erklärt sich bereit, der Dame in roter Bluse ihren Einkaufswagen beim Aussteigen nach zu reichen. Der Zug hält, wir steigen aus und bewegen uns schnell gehend oder gar laufend zum anderen Bahnsteig.

Plötzlich höre ich einen Knall und sehe die ältere Schweizerin auf dem Boden liegen. Einen Moment bleibe ich stehen, bzw. bewege mich auf sie zu. Dieser Moment reicht, um zu sehen, wie sie sich aufrichtet und etwas gequält zu der Dame in roter Bluse sagt: „Sie sind plötzlich vor mir abgebogen“. Ein Koffergriff scheint gebrochen und ich sehe, wie eine weitere Frau zu Hilfe kommt. Auch die andere Schweizerin, die schon voraus geeilt war, kehrt zurück zur am Boden Liegenden. So dass ich weiter laufe und meinen Anschlusszug erreiche.

Die Freude, meinen Zug erreicht zu haben, wird weniger dadurch getrübt, dass ich die Dame in roter Bluse auch dort sehe. „So eine unmögliche Person!“ Nein, es ist etwas anderes, das mir zu schaffen macht. Mir kommt die Stelle „er sah ihn und ging weiter“ aus der Geschichte mit dem barmherzigen Samariter in Erinnerung (Lk 10,29-37). Klar ist am Lindauer Hauptbahnhof vermutlich mehr los und eher Hilfe zu erwarten als damals auf dem Weg von Jerusalem nach Jericho. Und ich habe ja aus dem Augenwinkel heraus noch die zu Hilfe eilende Person wahr genommen. Und trotzdem: „er sah ihn/sie und ging weiter!“

Selbst wenn ich eine Stunde auf den nächsten Zug hätte warten müssen: ich hätte es wohl noch nach Hause geschafft. So habe ich nicht den Zug verpasst, aber eine Gelegenheit, Nächster zu sein.
Mein Verhalten, das Versäumnis, möchte ich nicht herunter spielen oder überspielen und auch nicht funktionalisieren. Doch in den kommenden Tagen merke ich, wie es mir immer dann in den Sinn kommt, wenn ich anfange, mich über einen anderen aufzuregen oder zu ärgern. „Und Du?“ höre ich eine leise Stimme in mir und denke an die Szene am Lindauer Bahnhof.

Montag, 2. Juli 2012

Lindenduft


Auf dem Weg zu Fuß nach Feldkirch. Ich war schon ziemlich am Orts- das heißt Stadteingang und musste an einer Ampel stehen bleiben, als mir plötzlich ein angenehm süßer Geruch in die Nase stieg. Ich schaute um mich, in alle Richtungen, und konnte doch die Ursache des Duftes nicht ausfindig machen. Die Ampel schaltete auf grün und ich ging weiter. Auf dem Rückweg kam ich wieder an die Stelle und nahm mir zur genaueren Erkundung Zeit. Da sah ich sie. Und sie war auch als Quelle des Duftes eindeutig auszumachen: eine Linde in Blüte. Ich glaube, es liegt nicht nur daran, dass ich in Linden-berg geboren und aufgewachsen bin bzw. fünf Jahre lang als Postadresse die Linden-allee hatte. Welch ein Duft! Und vor allem, wie er sich durchsetzt an dieser Kreuzung, auf welche von drei Seiten Autos zu fahren. Unwahrscheinlich! Der eine Lindenbaum gegen die Abgase hunderter Autos. Ich erinnere mich an Paulus, der auch einmal von Duft und Wohlgeruch schreibt (2 Kor 2,14ff.). Und mit dem Bild der Linde an der Straßenkreuzung im Kopf geht es mir nicht mehr allein um den Duft an sich, sondern um den Duft unter diesen Bedingungen. Kenne ich nicht die Versuchung, mir manchmal gleichsam die Nase zu zu halten und das Weite zu suchen? Aber da steht diese Linde, verwurzelt im Erdreich und verströmt ihren Duft in die Abgas-erfüllte Luft hinein. Chancenlos? Aussichtslos? Zwecklos? Zumindest mich hat sie nicht nur froh gemacht, sondern ganz offensichtlich auch zum Nachdenken gebracht. Lass dich nicht hängen! Gib nicht auf! Nicht verduften, sondern duften!

Einige Tage später war ich bei der Beerdigung eines Mitbruders dabei, in seinem 92. Lebensjahr ist er gestorben. Und an ein paar Stellen war ich peinlich berührt, wenn nicht ein wenig traurig. In Predigt und Nachrufen klang es an: der Verstorbene war ein guter Seelsorger, aber er stand auch ganz im Leben. Er verkündigte den Glauben, aber er war auch ganz Mensch. Das sind jetzt keine wörtlichen Zitate, und ich hoffe, den Redenden gegenüber nicht ungerecht zu sein. Aber bei mir war das über den Verstorbenen Gesagte so angekommen. Und ich habe jedes mal mit einem innerlichen Unwillen und Ablehnung reagiert. Ich muss doch nicht schauen, dass ich trotz meines Glaubens und – in meinem Fall – priesterlichen Dienstes, auch ganz im Leben stehe. Das lässt sich doch überhaupt nicht trennen. Ich selbst erlebe das ja genau umgekehrt. Ich lebe doch mit dem zusammen, der selbst das Leben ist und es schenkt, ein nicht einmal durch den Tod bezwingbares Leben. Und wie sollte ich denn redlich den Glauben verkünden, ohne ganz Mensch zu sein? Ich versuche in den Worten bei der Beerdigung auch die Sehnsucht der Menschen heraus zu hören, in ihrer Sprache angesprochen zu werden. Womöglich war es das, was dem Verstorbenen gelungen war.
Ein Glaube, der „neben dem eigentlichen Leben“ gelebt würde, der ist überflüssig, der kann mir gestohlen bleiben. Aber das ist eben auch kein Glaube, man müsste das dann anders nennen.

Leben wie die Linde an der Straßenkreuzung – mittendrin und Wohlgeruch verströmend, ja, so schon eher...

Freitag, 15. Juni 2012

Lieber barfuß - als ohne Bücher


Eine Spruchkarte mit diesem Text habe ich vor einiger Zeit geschenkt bekommen: „lieber barfuß – als ohne Bücher“. Und natürlich war da auch noch die Zeichnung einer munteren Barfuß-Gestalt mit Büchern zu sehen...
Ja, ich gehöre zu der Sorte Menschen, die das unterschreiben würden. Wenigstens im Hochsommer!
Wie viele andere auch muss ich am Abend vor dem Einschlafen noch etwas lesen. Zur Zeit ist das ein Buch mit kurzen Geschichten, von denen ich mir am Abend eine, manchmal noch eine zweite gönne. Zugegebenermaßen liegen aber noch zwei andere Bücher auf dem Nachtkästchen.
Ganz zu schweigen von dem Stapel im Arbeitszimmer. Meistens lese ich mehrere Bücher nebeneinander. Also nicht zur gleich Zeit – das schaffe ich leider nicht. Aber mal ein paar Seiten in diesem und dann wieder in jenem.
Mit einem Buch mache ich zur Zeit eine Erfahrung, die anderen Leser/inne/n auch bekannt vorkommen wird: das Buch ist so gut, dass ich einerseits gar nicht mehr darin zu lesen aufhören möchte. Und andererseits sage ich mir: nein, nicht zu viel auf einmal, es ist einfach zu gut. Vielleicht mit dem unbewussten Hintergedanken: lieber länger etwas davon haben.
Oft sind das ja Texte, bei denen einer das Gefühl hat: „genau, das denke ich mir auch schon lange. Aber ich hätte es nicht so formulieren können!“.
Schön ist natürlich, sich über Gelesenes auch austauschen zu können. Ich weiß um den ein oder anderen „Lesekreis“ von Menschen, die sich das selbe Buch als Lektüre vornehmen, um hinterher darüber ins Gespräch zu kommen.
Oder dann – für mich fast so verführerisch wie eine Buchhandlung: Büchersendungen im Radio. Da gibt es montags „Andruck – das Magazin für politische Literatur“ im Deutschlandfunk. Und Freitag abends „Kontext“, ein Sachbuchmagazin im österreichischen Rundfunk. Damit lege ich noch etwas an meinem Leseverhalten offen: meistens habe ich es ja mit theologischer Literatur zu tun – und komme nicht dazu, alles zu lesen, was ich gerne möchte. Aber interessieren würden mich noch viele anderen Themenbereiche... Ganz zu schweigen von guten Krimis...
Die Gefährlichkeit des Internets, in dem ich mich manchmal auch surfend aufhalte, wird Gott sei Dank dadurch gemindert, dass ich halt doch lieber ein Buch in die Hand nehme.
Und das berühmte Buch für die einsame Insel? Dann doch die Bibel! Tut mir leid, war ja nicht anders zu erwarten, oder? Aber immer noch mache ich darin Entdeckungen, meine manchen Text zum ersten Mal zu lesen oder bin verblüfft über einen Aspekt an einem bereits bekannten Text, den ich bisher nicht so gesehen hatte. Wobei ich es auch hier ungemein schätze, mit anderen gemeinsam darin zu lesen, die Bibel zu teilen...

Ach ja, am 16.Juni ist übrigens Bloomsday, der – laut Wikipedia - „weltweit einzige Feiertag, der einem Roman gewidmet ist“. Der Roman heißt „Ulysses“ (habe ich noch nicht gelesen! Aber ich weiß, in welchem Regal das Buch steht!) und sein Autor James Joyce sagt, dass die Stadt Feldkirch, in deren unmittelbarer Nähe ich ja seit Jahresbeginn lebe, auch mit diesem Roman zu tun hat. Der Roman spielt allerdings in Irland. Dort findet diese Woche (bis 17.Juni) der Eucharistische Weltkongress statt. Der hätte mich durchaus auch interessiert. Und ich hätte bestimmt ein passendes Buch für die Reise gefunden...

Freitag, 1. Juni 2012

Das große (Fr)Essen


Zufrieden kam P.Walter aus seinem Urlaub in einem Kolping-Ferienhotel zurück. Einer der Gründe für seine Zufriedenheit war das gute Essen: „mittags Buffet, bestimmt zehn verschiedene Salate, abends wieder Buffet“ usw.

Nicht dass ich nicht auch gerne esse und mich über ein Buffet freuen würde. Angesichts der mehr und mehr auseinander gehenden Schere zwischen Reich und Arm auch in unserer Gesellschaft frage ich mich nur bisweilen, wie das mit der Küche in kirchlichen Häusern ist.
In einem kirchlichen Bildungshaus der Stadt Salzburg, wo die Gäste auch mit einem reichhaltigen Buffet konfrontiert sind, wird schon beim Eingang in den Speisesaal auf die Verwendung regionaler Produkte hingewiesen. Als es in eben diesem Bildungshaus an einem Tag einen „Meeresfrüchtesalat“ im Angebot gab, fand ich die spöttisch-süffisante Frage einer Frau sehr berechtigt, wie sich das jetzt mit den regionalen Produkten verhielte. Meeresfrüchte im Alpenraum?

Während einer berufsbegleitenden Fortbildung über einen längeren Zeitraum mit anderen Ordensleuten kamen wir in verschiedene Bildungshäuser im deutschen Sprachraum. Und ich konnte mir teilweise ein Lächeln nicht verkneifen, wenn meine lieben Mitschwestern mit der Auswahl an Brötchen und Semmeln beim Frühstück nicht ganz zufrieden waren, weil z.B. der Anteil der Vollkornbrötchen zu gering war und diese schon von anderen Gästen genommen worden waren. Nein, ich habe den lieben Schwestern nicht ihr Armutsgelübde vorgehalten.
Als wir jedoch in einem Bildungshaus mit gut bürgerlicher Küche waren und eine der Schwestern fragte, ob es denn auch die Möglichkeit zu vegetarischer Kost gäbe, da konnte ich mir ein wenig Schadenfreude nicht verkneifen, als besagte Schwester zur Antwort bekam: „sie können ja das Fleisch weg lassen“.
Wobei ich ja grundsätzlich dafür bin, weniger Fleisch zu essen. Aus gesundheitlichen und Gerechtigkeitsgründen! Von den wirtschaftlichen ganz zu schweigen...

Vielleicht reagiere ich bezüglich dieser Thematik ein wenig allergisch, weil ich tatsächlich über Mitbrüder mit deutlicher Leibesfülle sagen gehört habe: „die dürfen ja nicht heiraten, also sollen sie wenigstens gut essen!“ Fatal, wenn das so wäre.

Noch einmal: nichts gegen ein gutes Essen! Bei der oben erwähnten Fortbildung handelte es sich um eine Exerzitienbegleiterausbildung. Und wir lernten auch: „achten Sie darauf, dass in dem Haus, in dem Sie Exerzitien begleiten, die Küche stimmt! Sie können noch so gute Vorträge halten oder Impulse geben – wenn das Essen nicht passt, dann wird die Sache daneben gehen“. Und: Leibfeindlichkeit ist nicht christlich, barocke Lebensfreude freut sich an schöner Kirchenmusik wie am Festessen beim Wirt hinterher. Das Maß (oder die Maß?) macht´s halt wohl wie bei vielem...
Guten Appetit!

Mittwoch, 16. Mai 2012

Geld, unvorstellbar viel Geld...


JPMorgan Chase verspekuliert sich um zwei Milliarden US-Dollar – so die Titelmeldung vieler Nachrichten am 11.Mai. Ja hallo! Gut, liegt ja nicht im dreistelligen Milliardenbereich, geht ja noch... Läppische zwei Milliarden! Viel weniger als die Beträge, die da im Zusammenhang von irgendwelchen europäischen Unterstützungsfonds genannt werden. Jetzt mal ehrlich: kannst Du Dir denn die Summen irgendwie vorstellen, die da genannt werden? Wenn ja, wie machst Du das? Schreibst Du vor Deinem inneren Auge eine Zahl und überlegst, wie viele Nullen das sein müssen? Oder stellst Du Dir vor, wie viele Autos Du damit kaufen könntest? Flugzeugträger kaufst Du ja wahrscheinlich genauso selten wie ich...
Ich gebe zu, mein Vorstellungsvermögen gerät da regelmäßig an Grenzen. Und wenn ich mir etwas nicht mehr so recht vorstellen kann, dann werde ich schon einmal skeptisch. Und frage mich nach der Wirklichkeit dessen, was ich mir nicht vorstellen kann.
Anderen geht das mit Gott so. Dass sie skeptisch sind, weil sie ihn sich nicht vorstellen können. Ich habe Sympathie für solche Menschen, eben weil ich auch vorsichtig bin gegenüber dem Unvorstellbaren.
Nur ist andererseits für mich Gott viel wirklicher als irgendwelche monströsen Geldsummen.
Gott spielt eine Rolle in meinem Leben. Vermutlich nicht immer die entscheidende, wie ich es gerne hätte und wie er es verdient.
Das heißt nicht, dass Geld keine Rolle in meinem Leben spielen würde. Aber mit diesen unvorstellbar hohen Summen tue ich mich zugegebenermaßen unheimlich schwer. Und weil sie so unfassbar und unvorstellbar sind, spielen sie dann konkret doch wieder nicht so eine Rolle.

So – und jetzt kommt noch ein Gedankensprung, Vorsicht: manchmal frage ich mich nämlich auch, weil mir diese Summen geradezu irreal erscheinen, wieso sie eine solch wichtige Rolle spielen in den zwischenstaatlichen Beziehungen.
Gibt es da nichts anderes, was uns Menschen in verschiedenen Ländern miteinander verbindet, als dass die einen viel Geld und die anderen viele Schulden haben? Und sind nicht die „anderen Dinge“ wiederum realer als die unvorstellbaren Summen. Wieso denke ich bei „Griechenland“ zuerst an „Schulden“ und nicht an Philosophen wie Plato und Aristoteles?
Nein, ich sympathisiere nicht nur nicht mit dem Kapitalismus und Neoliberalismus, sondern genauso wenig mit dem Kommunismus. Und halte am Zusammenhang von Arbeit und Bezahlung fest. Wobei gerade das mich fast peinlich berührt, wenn jemand davon spricht oder schreibt, dass „sein Geld arbeitet“. Ja wie um Himmels willen soll ich mir das denn jetzt wieder vorstellen?

Montag, 30. April 2012

Glockengeläut


Ja, ich gebe es zu: ich mag das Geläut der Kirchenglocken! Egal ob das jetzt jemand mit Kleingeisterei oder Provinzialismus in Verbindung bringt – ich mag das Gebimmel und noch mehr das Geläute.
Vielleicht hängt das schon mit meiner Heimat zusammen. Die dortige Pfarrkirche hat „eines der schönsten Geläute in Süddeutschland“ - so die „Gummizug-Superlativ-Formulierung“ der Fremdenverkehrswerbung.
Als ich einmal ein Vierteljahr in Indien war, da hat es mir das Glockengeläut tatsächlich ein wenig gefehlt. Nicht, dass ich mich nicht an anderes gewöhnen oder auf eine andere Kultur einlassen könnte. Es hängt auch nicht mit mangelnder Toleranz dem Muezzin gegenüber zusammen. Bei mehreren katholischen Kirchen erlebte ich Lautsprecher im Turm. Anstelle des Glockengeläutes ertönte dann bisweilen Musik in ohrenbetäubender Lautstärke, dadurch teilweise etwas verzerrt, oder es war die Stimme eines Vorbeters über die Lautsprecher im Kirchenturm zu hören, eventuell gleichzeitig mit den lautsprecherverstärkten Rufen des Muezzins einer nahe gelegenen Moschee. Auch Hindus wollten nicht zurück bleiben und machten mit ziemlicher Dezibelstärke auf sich aufmerksam. Es schien, als wollten sich die Religionen in der Lautstärke gegenseitig übertrumpfen. Und heraus kam interreligiös-frommer Krach...

In Europa habe ich Verständnis für Menschen, die sich durch Glockengeläut um ihre Nachtruhe gebracht erleben, da kann man ja verhandeln, aber trotzdem: wie schön ist das Läuten!
Und hier in Schellenberg ist wiederum ein schönes und mächtiges Glockengeläut zu hören. Neulich läutete es einmal nachmittags an einem ganz normalen Werktag. Des Rätsels Lösung: da war jemand gestorben und die Glocken vermeldeten dieses Ereignis. Eingeweihte, eben die Bewohner des Ortes, können an der Art des Läutens sogar ausmachen, ob eine Frau oder ein Mann gestorben ist, da gibt es Unterschiede in der Läutordnung. Solch ein System habe ich übrigens woanders auch schon erlebt. Und meine spontane Reaktion war: „wie schön, in Schellenberg oder als Schellenberger zu sterben!“. Wobei ich ja zunächst einmal lieber noch hier lebe. Normalerweise ist das große Geläute an Sonn- und Feiertagen Ausdruck der Festtagsfreude. Weil es für manche Feiertage keine automatische Programmierung gibt, kam ich übrigens auch schon einmal in den Genuss, durch Knopfdruck die Glocken in Bewegung zu setzen und habe so den Ostermontag eingeläutet.
Aber zurück zum Läuten als „Todesnachricht“, Festtagsgeläute beim Sterben. Mich hat es daran erinnert, dass früher Christen den Todestag als „Geburtstag für den Himmel“ betrachteten. Das hat überhaupt nichts mit Lebensverachtung zu tun. Aber welch eine Freiheit, wenn ich im Bewusstsein leben darf, dass da noch etwas kommt, dass da noch etwas, besser einer auf mich wartet. Und bei aller irdischen Festtagsfreude: der Himmel wird sie noch überbieten!

Dann war da noch ein geistlicher Würdenträger in der Erzdiözese Salzburg, der seinerzeit einen bitterbösen Leserbrief schrieb, weil anlässlich des Besuches von Papst Johannes Paul II. in der Stadt die Kirchenglocken nicht mit aller Wucht geläutet hatten. Wenn das kein Anlass zum Geläut gelesen wäre! Ob das mit kirchenfeindlichen Kräften in der Kommunalpolitik zu tun hatte?
Weit gefehlt! Recherchen ergaben, dass der päpstliche Reisemarschall das Glockengeläut untersagt hatte, damit nicht das mächtige Dröhnen der Dom- und anderer Glocken eventuellen Lärm terroristischer Aktivitäten übertönt und damit gleichsam unhörbar und gefährlich macht. So war das also.

Wir aber läuten hier munter weiter...

Dienstag, 17. April 2012

Weltgebetstag um geistliche Berufe

Sonntag, 15.April, Salzburg. Während an den meisten Orten der Weltgebetstag um geistliche Berufe erst am 29.April, dem vierten Sonntag der Osterzeit, begangen wird, findet er im Salzburger Dom bereits heute statt – der Erzbischof ist nämlich zum eigentlichen Termin auf Diözesanwallfahrt in Polen unterwegs, also wird die Sache einfach vorgezogen.

Auftakt des Tages ist eine Eucharistiefeier mit dem Erzbischof um 10.00 Uhr im Salzburger Dom und ich genieße den Fußweg von unserem Haus dorthin, eine gute halbe Stunde. Das heißt, der Genuss wird etwas getrübt durch die Schlagzeilen der Sonntagszeitungen, welche ich durch die Folie der Zeitungsständer hindurch unterwegs lese. Wieder einmal ein Kirchenskandal, oder zumindest ein Skandälchen: der Pfarrer in Niederösterreich, der keinen homosexuellen Pfarrgemeinderat tolerieren möchte, hat bzw. hatte eine Geliebte. Ja, wenn das sich nicht als Gesprächsstoff eignet!
Etwas traurig überlege ich mir, wie viele Österreicherinnen und Österreicher sich beim Frühstück, die Zeitung lesend, diesen Informationen hingeben werden.
Und bin andererseits umso dankbarer, zum Gottesdienst in den Dom zu gehen. Dort kommen zwischen 700 und 800 Kinder und Jugendliche aus 47 Pfarre(i)en der Erzdiözese Salzburg mit ihren Begleitpersonen, sowie eine ganze Schar von Ordensfrauen und – männern mit anderen Mitfeiernden zusammen.
Die katholische Jungschar hat den Tag organisiert: Ziel dieser diözesanen Veranstaltung zum Weltgebetstag um geistliche Berufe ist die Begegnung von Kindern und Jugendlichen mit eben solchen geistlichen Berufen. Nach der Messe im Dom ein tolles Bild auf dem Domplatz. Dort stehen Schwestern und Brüdern mit Transparenten, um auf sich aufmerksam zu machen und die Kinder und Jugendlichen, teilweise auch mit Transparenten, die zeigen, woher sie kommen, bewegen sich auf diese Ordenschristen zu. Zu uns Missionaren vom Kostbaren Blut kommen Kinder und Jugendliche aus den beiden Pfarre(i)en Kufstein-Zell und Landl, beide im Tiroler Teil der Erzdiözese Salzburg gelegen.
Mit diesen, etwas mehr als 30 sind es, fahren wir mit dem Bus zu unserem Haus, wo uns erst einmal ein Mittagessen erwartet: Schnitzel und Pommes, passt gut für die Kinder!
Nach einer kurzen Hausführung versammeln wir uns in der Kapelle des Hauses und die Kinder sind eingeladen, ihre Fragen an uns zu richten. Einige solcher Fragen hatten sie wohl schon zu Hause vorbereitet, aber die Blätter mit den vorbereiteten Fragen nehmen sie eher zum Schluss in die Hand. Ganz spontan bombardieren die Kinder P.Willi geradezu mit ihren Fragen und dieser beantwortet sie meisterhaft. Was bin ich froh, nach den Schlagzeilen der Zeitungen auf dem morgendlichen Kirchweg, dass auch andere Informationen aus dem kirchlichen und dem Ordensleben auf diese Weise weiter gegeben werden. Und die Kinder hören nicht auf, ihre Fragen zu stellen. Und hören bei den Antworten aufmerksam zu. „Geht ihr auch einkaufen? Habt ihr einen Fernseher? Was macht ihr, wenn ihr nicht betet? Dürfen sich Ordensschwestern schminken? Habt ihr Hobbys und wenn ja, welche? Habt ihr ein Haustier?“ Eigentlich gab es die Idee, auch noch einige Spiele miteinander zu machen und zu basteln, aber nachdem das Fragen kein Ende nimmt, läuft die Zeit uns davon. Zur Schlussveranstaltung des Tages um 16.00 Uhr im Dom müssen wir wieder dort sein, das heißt, am besten um 15.00 Uhr aufbrechen.

Ein besonders berührender Moment für mich während des Fragens: P.Willi ist in Talar und mit Missionskreuz aufgetreten, ein großes Kreuz an einer goldenen Kette. Und ein Mädchen meldet sich und sagt: „ich habe eigentlich keine Frage. Aber dürfen wir einmal das Kreuz in die Hand nehmen?“ Also nimmt P.Willi das Kreuz und legt es einem Kind in der ersten Reihe in die Hand und so wandert das Kreuz von Hand zu Hand. Und ich sehe, mit welcher Aufmerksamkeit, ja Ehrfurcht, das geschieht. Ich könnte es mir bei Kindern dieses Alters auch anders vorstellen. Aber nein. Ich habe den Eindruck, die wissen, dass sie da etwas Heiliges in der Hand haben. Und sie freuen sich, dass sie es in die Hand nehmen dürfen...

Samstag, 31. März 2012

Kreuz-Weg



„Nanu! Allerhand!“ denke ich mir, als ich auf meiner Erkundungswanderung für die Fußwallfahrt (Anfang Mai) bei diesem Kreuz vorbei komme. Das Kreuz kenne ich schon länger und ich mag den Platz, an dem, die Landschaft, in der es steht. Und jetzt haben die an den Kreuzbalken eine Wandermarkierung hin geschraubt! Wieso denn nicht an den Baum daneben? War das einfach gedankenlos? Oder praktisch, weil die Schrauben aufgrund der glatten Fläche des Kreuzbalkens besser halten, einfacher anzubringen sind? Also da ist jetzt dieses weiß-gelbe Zeichen mit den beiden Wanderern am Kreuz. Beim Weitergehen beschäftigt mich das...

Und ich komme ins Nachdenken. Vielleicht hat das ja was! Kreuz und Wegweiser, Kreuz als Wegweiser... „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Mk 8,34), so hatte es der gesagt, den sie später ans Kreuz gehängt haben. Mir vom Kreuz bzw. von dem am Kreuz die Richtung zeigen lassen. Das Ungehalten-sein über den oder die Menschen, der/die da ihre Wanderplakette ans Kreuz geschraubt haben, beginnt sich zu legen. Er oder sie hat/haben mir zu einem wichtigen Gedanken geholfen.

Zu Hause angekommen schlage ich noch bei den Liedern nach, in denen das Kreuz besungen wird – mehr oder weniger glücklich. Und entdecke die Strophe, in der es über das Kreuz heißt: „Du bist der Stab der Pilger, daran wir sicher wallen, nicht wanken und nicht fallen“ (Gotteslob Nr.182/7). Tatsächlich hat ja die eine Figur auf dem Piktogramm zwischen den beiden gelb-weißen Dreieckspfeilen einen Stock in der Hand. Stock, Stab, Kreuz...

Der Sebastian fällt mir noch ein. Öfter war ich gemeinsam mit ihm zu Gemeindemissionen unterwegs. Und er hat dabei gerne einen Lichtbildervortrag gezeigt mit wunderschönen Naturaufnahmen. Und auf einem Foto, eher am Schluss des Vortrages, war dann auch ein Kreuz. Und Sebastian hat bei diesem Foto mit inbrünstiger Stimme den Spruch zitiert, der an diesem Kreuz angebracht ist:
„willst du erkennen Gottes Spur, so blick von hier in die Natur,
willst du ihn noch mehr versteh´n, so bleib bei diesem Kreuze steh´n“.

Unser Vorläufer als Missionar, Paulus von Tarsus, hatte den Inhalt seiner Verkündigung so auf den Punkt gebracht: „Wir...verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit“ (1 Kor 1,23f.).
Mit Gottes Kraft und Weisheit unterwegs sein. Ja, das möchte ich. Nicht nur beim Wandern, bei dem ich Kilometer hinter mich bringe und mich an Weg-Kreuzungen entscheiden muss, welche Richtung ich wähle. Sondern überhaupt auf den Wegen meines Lebens.

Gut ist die Wegmarkierung am Kreuzbalken angebracht, nicht wahr?


Donnerstag, 15. März 2012

Leute gibt´s in Tirol...

Beide Tiroler kenne ich schon länger – und letzte Woche habe ich sie wieder getroffen und kurz mit ihnen geplaudert.
Michael lebt mit seiner Frau in einem wunderschönen Haus am Fuß der Hohen Salve, wo wir auch schon gemeinsam Schi gefahren sind. Aus seinem Heimatort stammte ein Mann, der als Jesuit nach Indien gegangen ist, dort lange lebte und wirkte und jetzt auch begraben ist. Von diesem Jesuitenpater war Michael so beeindruckt, dass er selbst auch einmal nach Indien wollte. Also hat er das vor Jahren angepackt – und war inzwischen sieben mal dort. Allerdings nicht als Tourist. Er hat sich im Lauf der Jahre zu einem Lehrer für eine bestimmte Kompostiertechnik entwickelt, mit deren Hilfe Ernteerträge gesteigert werden können.
Wenn ich mich nicht täusche, hatte Michael seinerzeit den Beruf des Wagners gelernt, später hat er dann in der Orthopädietechnik gearbeitet, Prothesen gebaut. Er selbst ist schon eine Weile im Ruhestand und jetzt erzählte er mir, dass sein Chef gestorben sei und die Firma unstrukturiert vom bisherigen Geschäftsführer an einem anderen Standort weiter geführt wird. Michael selbst konnte jedoch einige der Maschinen „übernehmen“ - und möchte sie nach Indien bringen. Er plant das für den Herbst. „Mit der indischen Botschaft ist schon geregelt, dass der Transport zollfrei geschehen kann“. Und Michael lernt Englisch. „Wahrscheinlich wirst Du Leute an den Maschinen anlernen müssen?“ frage ich ihn. „Ja“ lacht er, „wahrscheinlich werde ich noch öfter die nächsten Jahre hin fliegen müssen“.
Michael hat jedoch auch den eigenen Kindern beim Hausbau geholfen und ist dazu zwischen Baustellen in Österreich und der Schweiz hin und her gefahren. Seine Frau Lisi, mit der er seit 35 Jahren verheiratet ist, geht im Sommer als Tagesmutter in Pension. Dann kann sie ihn bei einer Indienreise begleiten, einmal hat sie das Abenteuer früher schon mit ihm geteilt.

Und dann Sepp. Sepp unterrichtet angehende Tischler und versteht sich auch auf die Imkerei, bzw. bringt diese seinen Schülern an einer landwirtschaftlichen Fachschule bei. Das ist sein Broterwerb. Arbeiten tut er jedoch noch auf anderen, wenn auch verwandten Feldern. In unserer Wallfahrtskirche Maria Hilf in Kufstein- Kleinholz ist er immer zur Stelle, wenn Not am Mann - vor allem an einem handwerklich geschickten - ist. Eine Szene ist mir dabei besonders in Erinnerung. Am Hochaltar der Wallfahrtskirche ist links oben ein Engel angebracht, der in einer Hand ein Schwert, in der anderen eine Waage hält. In den beiden Waagschalen sitzen zwei Gestalten: in der einen ein kleiner Mensch, in der anderen ein „schwarzes Teufelchen mit Flügeln“. Die Waagschale mit dem (guten) Menschen ist etwas weiter unten – hat mehr Gewicht! Und ausgerechnet bei der mit drei Fäden an der Waage befestigten Schale des guten Menschen hatten sich einer oder zwei Fäden gelöst und die Schale, samt Mensch, hing schief. Was mir ästhetisch und theologisch missfiel! Mit Sepp zusammen schauten wir uns das an – und gingen ans Werk. Wir nahmen das Schleierbrett von einer Fensteröffnung in die Kirche hinein weg und in einer etwas waghalsigen Aktion lehnte er sich waagerecht weit in den Kirchenraum hinaus, ich hielt ihn an den Beinen – und es gelang ihm den Faden bzw. die Fäden wieder fest zu knoten. Ich selbst hätte viel zu viel Angst gehabt, um Sepps Teil bei dieser Aktion zu übernehmen...

Sepp repariert aber nicht nur im Kirchenraum, er stellt auch seine Erstausstattung her. Und eben nicht nur in Tirol. Die letzten Jahre war er mit dem Bau und Einbau von Kirchenbänken in einer Kirche in Brasilien beschäftigt.Einmal hat er sich dafür sogar ein Jahr von seiner Berufsarbeit freistellen lassen, ein Jahr unbezahlten Urlaub genommen. Auch zwei ehemalige Schüler haben ihn teilweise unterstützt. Im kommenden August wird die Kirche eingeweiht werden und Sepp hat mich zur Weihe eingeladen. (Was wohl leider terminlich nicht möglich sein wird...) Sepp fliegt schon im Juli, weil da noch ein paar Sachen fertig gemacht werden müssen.
Leute gibt’s in Tirol...

Mittwoch, 29. Februar 2012

CPPS 2015


Wenn 2012 die Welt nicht untergeht – einige meinen, einen Maya-Kalender so verstehen zu sollen, dass dies geschehen werde, wenn also die Welt weiter besteht und auch in den beiden Folgejahren nicht untergehen wird, dann können die Missionare vom Kostbaren Blut im Jahr 2015 ihren 200. Geburtstag feiern.

Eine andere, viel größere Ordensgemeinschaft, die Salesianer Don Boscos, feiert ebenfalls im Jahr 2015 200 Jahre. Sie feiern den 200. Geburtstag ihres Gründers, des heiligen Johannes Bosco.
Wir Missionare vom Kostbaren Blut erinnern uns an die Eröffnung unseres ersten Missionshauses in S.Felice di Giano, gar nicht so weit von Assisi entfernt. Die feierliche Eröffnung dieses Hauses am 15. August 1815 wird als Gründungsdatum angesehen.

Unsere Generalleitung hat nun eine Kommission eingesetzt, welche sich Gedanken machen soll über die Möglichkeiten, dieses Jubiläum zu begehen. Und diese Kommission hat auch gleich ein paar entscheidende Vorgaben auf den Weg mit bekommen. So soll es zum einen darum gehen, das Jubiläum als Anlass zu nehmen, uns als Gemeinschaft zu erneuern. Also nicht (nur) „let´s have party!“. Zum anderen ist daran gedacht, die einzelnen Einheiten unserer Gemeinschaft, also die Provinzen und Vikariate in den verschiedenen Ländern dieser Welt zu ermutigen, auf lokaler Ebene Schritte zu tun, sich nicht auf Zentralereignisse für alle zu konzentrieren.

In diesen Tagen (27.2. bis 1.3.12) trifft sich nun die „Kommission CPPS 2015“ zum ersten Mal unter der Leitung von P. Barry Fischer im Internationalen Zentrum der Spiritualität des Blutes Christi in Salzburg. Mit Barry zusammen sind wir acht Mitbrüder aus aller Welt. Was die Sache spannend und dynamisch macht.
So sagt etwa Eugen, der Mitbruder aus Tansania, die Mitbrüder dort haben eine heimliche Hoffnung, in Verbindung mit dem Jubiläum zur eigenständigen Provinz erhoben zu werden. Bisher sind sie ein von der italienischen Mutterprovinz abhängiges Vikariat. Mit etwas Galgenhumor füge ich dem hinzu – ich sitze neben Eugen, komme nach ihm zum Reden dran – die Mitbrüder der deutschsprachigen Provinz hofften eher, im Jahr 2015 noch Provinz zu sein und nicht einen anderen Status annehmen zu müssen. Wir haben – im Gegensatz zu den afrikanischen Mitbrüdern – das Problem der sinkenden Mitgliederzahl. Eugen erzählt mir übrigens, er habe seinen Namen von deutschen Benediktinern bekommen, die ihn getauft haben...

So sitzen wir acht also da in Salzburg zusammen und die Ideen sprudeln – dem Ganzen Struktur zu geben scheint die schwierigere Aufgabe zu werden. Werden wir ein Motto, einen Slogan für das Jubiläum finden, der von möglichst vielen akzeptiert werden und auch verwendet werden wird?
Die ähnliche Frage stellt sich hinsichtlich eines Zeichens oder Symbols.

Wird es uns gelingen, Anhaltspunkte zu geben, welche den Mitbrüdern in den verschiedenen Ländern sich tatsächlich auf einen Vorbereitungsweg zu machen, die Jahre bis 2015 und das Jubiläumsjahr selbst jeweils unter einem anderen Schwerpunkt zu leben und zu gestalten?

An mehreren Stellen des Gespräches untereinander wird deutlich, das wir nicht „alleine“ feiern wollen. Es geht darum, die verschiedenen Laien, die einzeln oder als Gruppen mit uns in Verbindung sind, mit einzubeziehen. Und zwar auch schon in der Vorbereitung und Planung.
Im Sommer wird es in Rom ein Treffen von Laien aus aller Welt geben, die mit den Missionaren vom Kostbaren Blut Kontakt haben, deren Spiritualität und teilweise auch das Apostolat teilen, auch dort kann das Jubiläum 2015 thematisiert werden...

Mittwoch, 15. Februar 2012

Katechetischer Werkstattbericht

Am Donnerstag beim Abendessen fragt mich der Mitbruder, ob ich die Schülermesse am Freitag Morgen übernehmen kann. Ich zaudere etwas, weil es bei einer Schülermesse oft eigene Gesetzmäßigkeiten gibt und es noch mehr als sonst auf das Sich-Kennen zwischen zelebrierendem Priester und Mitfeiernden ankommt. Und ich bin neu an diesem Ort – den Kindern unbekannt. Auf der anderen Seite ist der Mitbruder sehr erkältet. Also sage ich ihm zu...

Zugegebenermaßen bin ich außerdem unsicher, weil der frühere Pfarrer in der Schülermesse mit Beamer gearbeitet, ein Bild an die Stirnwand der Kirche geworfen hat und den Kindern hinterher selbst produzierte Sticker ausgeteilt hat. Mit solchen Trümpfen kann ich nicht aufwarten...

Es geht um die Schülermesse am Freitag, den 10.Februar, Gedenktag der heiligen Scholastika. Gerne lebe ich mit dem Kalender der Kirche und er ist ein fester Bezugspunkt für mich. Bis dahin, dass ich auch bei Begräbnisfeiern oft das für den jeweiligen Tag vorgesehene Evangelium auf die Situation hin auslege. Also auch jetzt: wie können wir in der Schülermesse der heiligen Scholastika gedenken? Wie viel oder wie wenig können die Kinder wohl mit einer „Heiligen“ anfangen, zudem noch mit einer, die vor langer Zeit gelebt hat?

Während ich sitze und überlege, ein wenig nach lese, kommt mir eine Idee. „Die“ Geschichte im Leben Scholastikas schlechthin hat mit ihrem Bruder Benedikt zu tun. Das ist es! Ich gehe davon aus, dass viele der anwesenden Kinder Erfahrungen mit Geschwistern haben – das wird der Ausgangspunkt sein. In mir macht sich Erleichterung breit...

Am nächsten Morgen, Freitag in der Kirche. Die Schülermesse ist „freiwillig“. Und immer sei eine große Schar von Schülern da, so habe ich gehört. Die Primarschule, welche Kinder von der ersten bis zur fünften Klasse besuchen, liegt direkt neben der Kirche. Der Schulleiter selbst begleitet die Lieder in der Messe mit der Gitarre. Am 10. Februar sind dann nicht so viele Kinder da, es ist sehr kalt draußen. Vielleicht zwischen 20 und 25 Kinder in den vorderen Bänken, weiter hinten neben den Leuten, die auch sonst werktags die Messe mit feiern noch einige Mütter und außer dem Schulleiter noch die beiden Religíonslehrerinnen.

Nach dem Evangelium entscheide ich mich zunächst einmal, vom Ambo weg und näher zu den Kindern hin zu gehen. Und dann erzähle ich ihnen die Geschichte der beiden Geschwister Scholastika und Benedikt, die sich nicht ganz einig waren. „Kennt ihr das?“ Die Kinder antworten mir nicht – vermutlich kennen sie das nicht, in der Kirche gefragt zu werden, aber ich sehe auf den Gesichtern Zustimmung. Und aus dem Augenwinkel heraus ein Lächeln bei einer oder zwei der Mütter weiter hinten...

Dramatisch schildere ich das Unwetter, das aufgrund des Gebetes der Scholastika ausbrach und ihren Bruder daran hinderte, heim zu gehen. Anlass für einen Streit unter Geschwistern. Wobei ich natürlich auch die Fortsetzung erzähle, die Taube, welche Benedikt drei Tage später sah, welche ihm klar machte, dass seine Schwester gestorben war.

Und zur Sicherheit sage ich jetzt noch etwas zum Beten, nicht dass die Kinder das magisch missverstehen: „Kopf in die Hände, konzentrieren – wie Scholastika eben – und dann geschieht, was ich will!“ Nein, so funktioniert das nicht. „Du kannst nicht morgen beten, dass so schlechtes Wetter ist, dass du gar nicht in die Schule gehen musst“ - auf solche Ideen könnte ein Kind ja kommen, oder ist das nur meine Phantasie?

Nach der Messe bekomme ich ein Lob von einer der Religionslehrerinnen, die meint, die Kinder hätten gut zugehört und am Sonntag darauf sagt mir auch eine Mutter, dass es schön gewesen sei.




Dienstag, 31. Januar 2012

Die Brille und das Kabel

Ein neuer Anfang an einem neuen Ort mit neuen Menschen. Das heißt, sowohl den Ort als auch die Menschen kenne ich schon ein wenig. Und doch ist die Konstellation und Situation neu, beginnt ein vorsichtiges Tasten...

Da hängt im Flur im ersten Stock über schönen Kreuzweg-Stationen an der Wand ein schwarzes Kabel, an dessen Ende ein Kästchen in derselben Farbe angebracht ist, auf dessen Display es rot leuchtet. Der eine Mitbruder, gerade eben woanders hin gezogen, hatte den „WLAN-REPEATER“, so heißt das Ganze, ohne großes ästhetisches Bemühen angebracht, um einen besseren Internet-Empfang zu haben. Der andere Mitbruder sagt, mit erkennbarer Entrüstung in der Stimme: „wie kann der das da hin hängen, so viel Gespür müsste er doch haben, dass das nicht passt!“

Ich komme in die Hauskapelle. An der Stirnwand ist ein großes Kreuz mit dem Gekreuzigten, rechts daneben der Tabernakel, links eine Holzablage für das Lektionar, die Heilige Schrift. Und neben der Heiligen Schrift auf der Holzablage: eine Brille, ohne Etui, einfach so. Und ich merke, dass diese mich stört – jedes mal neu, wenn ich in die Kapelle hinein komme. Die Ablage für die Heilige Schrift ist doch kein Wohnzimmertisch. Aber kann ich mein Empfinden deutlich, verständlich machen, vorsichtig aussprechen? Oder komme ich jetzt als Störenfried: „kaum zwei Tage im Haus und hat schon Sachen auszusetzen...“

Also erst einmal still sein. So bemühe mich zunächst um einen „spirituellen Zugang“ zur Brille neben der Heiligen Schrift. Ist es nicht so, dass die Heilige Schrift für mich wie die Brille sein will, durch die ich meinen Alltag betrachten möchte?
Ja, durch welche Brille hindurch nehme ich meine Umwelt und meine Mitmenschen denn wahr? Ist es eine rosarot – optimistische, oder eine eher dunkle – pessimistische? Hilft mir das Gebet an diesem Ort „Hauskapelle“ zur richtigen Perspektive auf die Welt, in der ich lebe?
Will die Brille neben dem Lektionar in der Hauskapelle solche Fragen in mir lebendig werden lassen?
Ich bin ganz begeistert über meine spirituellen Gedankenverbindungen, klopfe mir dafür beinahe selbst anerkennend innerlich auf die Schulter – und fühle doch, dass mich das konkrete Objekt „Brille“ weiterhin stört! Da helfen auch die frommen Gedanken nicht darüber hinweg...

Also aufgerafft. Es muss angesprochen werden. Wann ist ein günstiger Zeitpunkt? Ich muss den vermuteten Brillenträger- und „ableger“ auf jeden Fall dann ansprechen, wenn sonst niemand dabei ist, damit ich irgendwelche Interventionen und Parteibildungen ausschließen kann. Welch diplomatischen Verrenkungen!
Heute morgen beim Frühstück waren wir nur zu zweit. Schon beim Frühstück? Mut – es muss sein.
Also frage ich, ob die Brille dort liegen muss und bekomme die ruhige Antwort: „wenn sie Dich stört, dann tue ich sie in die Bank“.
Beim mittäglichen Gebet in der Kapelle lag die Brille dann tatsächlich nicht mehr vorne neben der heiligen Schrift – zu meiner großen Freude.
Größer ist meine Freude aber noch darüber, dass ich wirklich nur die Brille angesprochen habe und das Ganze nicht pädagogisch aufgebaut habe so in dem Stil: „schau, wie Du Dich an dem schwarzen Kabel störst, so geht es mir mit der Brille“.

Ach ja: das schwarze Kabel konnte ich auch entfernen. Es hängt jetzt, etwas weniger auffällig, bei mir im Zimmer, weil ich momentan im ersten Stock der einzige Internet-Nutzer bin.
In anderen Lebensgemeinschaften mögen es die unachtsam weg geworfenen Socken oder die nicht zugeschraubte Zahnpastatube sein, in meinem Fall waren es jetzt die Brille und das Kabel. Und vermutlich wird es nicht dabei bleiben. Damit das Zusammenleben nicht langweilig wird...

Sonntag, 15. Januar 2012

Solidarität

10 Jahre Guantanamo – ein denk-, ein fragwürdiges Jubiläum, an welches in den vergangenen Tagen erinnert wurde. Aus den Fernsehnachrichten ist mir das Bild einer jungen US – Amerikanerin geblieben, die mit anderen zusammen in Sträflingskleidung demonstrierte und erklärte, sie schäme sich, Amerikanerin zu sein. Für die meisten von uns ist Kuba weit weg. Und außerdem: wir kennen die Inhaftierten nicht persönlich.

Ich erinnere mich, dass wir während meiner Schulzeit einmal darüber diskutierten, dass wir ja Gott sei Dank das Leid Tausender Menschen nicht wie persönlich erfahrenes empfinden – wir würden wohl zugrunde gehen dabei. Alle Tsunami – Opfer wie Familienangehörige: das lässt sich einfach nicht „fühlen“.

Aber wie kann es gelingen, nicht im Zustand des völligen Unbeteiligt-Seins zu bleiben, sich wenigstens wie jene junge US-Bürgerin auf die Straße zu begeben, Menschen ins Gebet zu nehmen?
Die wenigen Monate des Jahres 2010, in welchen ich in Madrid Menschen in Abschiebehaft besuchte, haben meine Perspektive verändert. Klar: das CIE Madrid ist nicht Guantanamo, obwohl auch dieser Vergleich bisweilen angestellt wird. Und rein rechnerisch könnte man kühl sagen: was sind schon 60 Tage Gefängnis? Von denjenigen, die dort Besuche machen, sagt so etwas niemand. Wir möchten, dass (nicht nur) die spanischen Abschiebehaftzentren geschlossen werden – genau so wie Guantanamo.

Szenenwechsel. Von Mittelamerika über Spanien noch etwas näher. Mit mir im selben Haus lebt zur Zeit ein Priester, der unter anderem auch in der Gefängnisseelsorge hier in Traunstein beschäftigt ist. Am Wochenende feiert dieser Priester ziemlich regelmäßig die Eucharistie mit ganz „normalen“ Leuten, übrigens in großer räumlicher Nähe zum Gefängnis in Traunstein. Und er erzählte mir, Menschen aus seiner sonntäglichen Gottesdienstgemeinde hätten gar nicht gewusst, dass etwa im Traunsteiner Gefängnis auch Frauen inhaftiert sind.

Wie nehmen wir die Welt wahr und was von dieser Welt nehmen wir wahr? Wie könnte es gelingen, dass Leid und Not anderer für uns so erfahrbar werden, dass wir reagieren, uns in Bewegung setzen?
Der in Salzburg und London lehrende Clemens Sedmak weist regelmäßig auf Pedro Arrupe, den langjährigen General der Jesuiten hin. Dieser hatte sich dafür eingesetzt, dass Jesuiten wenigstens während ihrer Ausbildung selbst Armut erfahren. Und dass sie – auch später – Kontakt haben, mehr noch, befreundet seien mit Menschen, die arm sind. Um eben nicht nur geistlich über Armut oder über geistliche Armut zu reden, bzw. um überhaupt im tieferen Sinn erfassen zu können, worum es bei letzterer geht.

Außer meiner konkreten Erfahrung in Madrid – und ich erinnere mich an eine frühere als Praktikant bei der Bahnhofsmission in München – hilft mir, so bilde ich mir zumindest ein, die Praxis des Lebens mit einem „Wort des Lebens“, welche ich mit vielen Menschen auf der ganzen Welt teile (vgl. die Links in der Spalte rechts).

Chiara Lubich beschoss ihren Kommentar zum Wort des Lebens, welches für diesen Monat Januar ausgewählt wurde mit folgenden Worten:

Um es bei dieser Fülle an möglichen Vorsätzen nicht im Ungefähren zu belassen, wollen wir uns vornehmen, in diesem Monat nach jener „Regel“ zu leben, in der alle anderen Gebote Jesu zusammengefasst sind: in jedem Mitmenschen Christus begegnen und uns in seinen Dienst stellen.
Schließlich werden wir danach am Ende unseres Lebens gefragt werden.