Sonntag, 30. April 2023

Ein alter Lehrer

Mitte des Monats starb ein Lehrer, den ich als Gymnasiast in den Fächern Deutsch und Latein hatte und an den ich mich gerne erinnere. Einige der Erinnerungen möchte ich aufschreiben.

Eine der von uns Schüler/inn/en geschätzten Eigenschaften dieses Lehrers war, dass er herrlich abschweifen konnte. Wenn es gelang, ihn auf irgendein Nebengeleise zu lenken, dann konnte er viertelstundenlang den eigentlichen Unterricht vergessen und sich diesem Thema widmen. Was wir Schüler/inn/en natürlich (schamlos?) ausnutzten. Indem wir zum Beispiel manchmal absichtlich nicht die Tafel nach der vorhergehenden Unterrichtsstunde abwischten (macht man das heute noch?), sondern bewusst Dinge dort stehen ließen, weil wir hofften, dass unser Deutsch- bzw. Lateinlehrer es lesen und darauf eingehen, einen längeren Kommentar abgeben würde.

In Latein lasen wir in einem Schuljahr gemeinsam Asterix – freiwillig, am Nachmittag, außerhalb der offiziellen Unterrichtszeit. Also nicht nur wir kamen freiwillig, sondern auch er. Lange noch hatte ich die Ausgabe von „Asterix Gallus“ unter meinen Büchern.

Besagter Lehrer war evangelisch, schwärmte aber öfter vom heiligen Niklaus von der Flüe. Die „Verrücktheit“ dieses Mannes, Frau und Kinder zurück zu lassen, um Einsiedler zu werden, das imponierte ihm. Er selbst heiratete während meiner Schulzeit dort – eine Kollegin. Weil diese katholisch war, hielt der Priester, der damals Religionslehrer an unserem Gymnasium war, die Trauung.

Soweit ich mich erinnere, gehörten zu des Lehrers Hobbies sowohl das Tennis- als auch das Schach-Spiel. Im örtlichen Schach-Club gehörte er sogar zum Vorstand. Und war wohl ab und zu hin und her gerissen, wenn ein Schüler sich so sehr für Schach begeisterte, dass er darüber die Schule zu vernachlässigen begann.

Gegen Ende der Gymnasialzeit hatte ich mich für den Latein-Leistungskurs entschieden. Und dort schrieb ich auch meine Facharbeit, deren Thema mir vom Lehrer vorgeschlagen wurde: „Die Missionsreisen des Apostels Paulus unter dem Gesichtspunkt seiner römischen Staatsbürgerschaft“. Der Lehrer kannte mich und meine Vorlieben. Und tatsächlich hatte ich ja Freude daran, die ein oder andere Paulus-Biographie zu lesen, abgesehen von der Anstrengung der „wissenschaftlich korrekten Arbeitsweise“. Jahre später hatte ich meinen damaligen Lehrer zu meiner Primiz eingeladen, der ersten Messe am Heimatort. Er kam, gemeinsam mit seiner Frau, und brachte eine Kopie meiner Facharbeit mit, die ich signieren musste. Außerdem schenkte er mir einen Faksimile-Druck einer alten Bibelhandschrift, welcher die meisten meiner Umzüge mitgemacht hat. Momentan ist er auf dem Dachboden in Maria Baumgärtle.

Im Rahmen des Lateinleistungskurses fuhren wir sieben Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit unserem Lehrer auch nach Rom! Ich erinnere mich noch an die Reiseplanungen: fahren wir mit der Bahn oder nehmen wir einen Kleinbus? Wir entschieden uns letztlich für den Bus, bei dem uns auf einem Parkplatz dann die Fahrerscheibe eingeschlagen wurde.

Mein erster Rom-Besuch damals, 1982! Ich weiß noch, wie wir vor der Basilika St. Paul vor den Mauern und der dortigen Paulus-Statue standen – da war er jetzt, der mit der „römischen Staatsbürgerschaft“. Aber auch unsere Enttäuschung auf dem Forum Romanum ist mir in Erinnerung. Das hatten wir uns nach der Lektüre der alten Römer doch irgendwie größer, imposanter vorgestellt.

Im Rahmen der damaligen Rom-Reise nahm ich mir auch die Zeit für einen Besuch in dem Haus, in dem ich heute lebe – mein erster Besuch im Generalat der Missionare vom Kostbaren Blut. Und irgendwie ahnten dann sowohl der Lehrer als auch die Mitschüler/inn/en, was ich wohl nach dem Abitur anstellen würde.

Samstag, 15. April 2023

(Nach) Ostern

Schlicht und einfach war die Karwoche. Da ich am Fasten war und deswegen mit den Kräften haushalten wollte, bin ich zu den Liturgiefeiern in das Klarissinnenkloster hier ganz in der Nähe, keine fünf Minuten zu Fuß, gegangen. Sechs oder sieben nicht mehr ganz junge Schwestern, und dann kamen noch ein paar wenige Leute von außen dazu. In der Osternacht hat der Zelebrant die Osterkerze mit dem Feuerzeug angezündet (nicht etwa am Osterfeuer) und dann das Exultet gesprochen (anstatt gesungen) – also wirklich sehr „reduzierte Feierlichkeit“. Und trotzdem: das Mitgehen und -leben in diesen Tagen, von Gründonnerstag bis Ostern, ließ schlussendlich in mir tatsächlich „Osterstimmung“ aufkommen. Am liebsten hätte ich hinterher jeder und jedem auf der Straße „buona pasqua! Frohe Ostern! Der Herr ist auferstanden!“ zugerufen. Wobei ich mich beherrscht habe, um nicht verständnislose Blicke oder gar eine barsche Antwort zu bekommen.

Gut und zum Nachdenken anregend fand ich wieder einmal eine Predigt von Stefan Jürgens, in dem Fall am Gründonnerstag. (hier zum Nachhören: https://www.youtube.com/live/_jRGZp4eCqk?feature=share&t=2179).

Die Eucharistie darf nicht zur Folklore verkommen, so sein Anliegen. Aber gleichzeitig – das ist wichtig – die Fußwaschung (als Ausdruck der bedingungslosen Liebe Gottes) ist für alle! Und Jürgens überlegt praktische Konsequenzen bis hin zum Wieder-Aufleben-Lassen der Arkan-Disziplin und möglicher Alternativen für das Feiern eines Schützenfestes. „Passt“ denn die Messe da überhaupt?

Als einer, der sich selbst schon während einer Messfeier bei dem ein oder anderen Fest diese Frage gestellt hat, fühl(t)e ich mich angesprochen.

Dazu kam eine andere Erinnerung im Zusammenhang mit Ostern. Als junger Kaplan in Klagenfurt wurde ich mit dem Brauch der „Fleischweih(e)“ konfrontiert. Im Stundentakt segneten der Pfarrer und ich am Karsamstag die Osterspeisen. Im Normalfall der Pfarrer in der Kirche, viermal hintereinander, und ich draußen, im Freien, an verschiedenen Orten im Pfarrgebiet, dreimal hintereinander. Für viele Menschen war das die Begegnung mit Kirche an Ostern. (In unserer römischen Pfarrei hier gab es überhaupt keine Speisensegnung an Ostern!) Und ich bekam mit, wie sich meine Kollegen, damals gab es noch mehrere Kapläne, beim Bischof beschwerten. Sie fühlten sich für ein Brauchtum missbraucht, hinter dem für ihr Empfinden das Eigentliche von Ostern unterging. Der Bischof versuchte zu beschwichtigen und einen Horizont aufzuzeigen: „wir müssen das volkskirchliche Erbe sympathisch begleiten“.

Auf dem Hintergrund der Predigt von Stefan Jürgens denke ich mir: vielleicht war und ist diese Praxis ja gar nicht so verkehrt. Wenn viele Menschen bei einer Segensfeier dem wohlwollenden Gesicht der Kirche (und Gottes) auf diese Weise begegnen können, denen die Eucharistiefeier vielleicht sogar eine Überforderung wäre.

„Was mich unablässig bewegt, ist die Frage, was das Christentum oder auch wer Christus heute für uns eigentlich ist. Die Zeit, in der man das den Menschen durch Worte – seien es theologische oder fromme Worte – sagen könnte, ist vorüber; ebenso die Zeit der Innerlichkeit und des Gewissens, und d.h. eben die Zeit der Religion überhaupt. Wir gehen einer völlig religionslosen Zeit entgegen; die Menschen können einfach, so wie sie nun einmal sind, nicht mehr religiös sein. Auch diejenigen, sie sich ehrlich als `religiös´ bezeichnen, praktizieren das in keiner Weise; sie meinen vermutlich mit `religiös´ etwas ganz anderes“. Das schrieb Dietrich Bonhoeffer 1943 an seinen Freund Eberhard Bethge.