Donnerstag, 31. Dezember 2020

Weihnachten international

In italienischen Haushalten und Kirchen werden mit dem 8. Dezember der Christbaum und auch die Krippe (noch ohne Jesuskind!) aufgestellt. Also auch hier im Haus. Unbedarft fragte ich, ob wohl ein richtiger, ein echter Baum gekauft würde. „Wo denkst Du hin?“ Einmal hatten sie das wohl gemacht, aber der Baum hatte an Weihnachten alle Nadeln verloren. Also: Kunstbäume. Oh Schreck! Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt... Plastikbäume, die dann mit weiterem Plastik und bunten, oft blinkenden Lichterketten behängt werden.

Juan kaufte Unmengen an Weihnachtsschmuck ein, ganz begeistert kam er vom Großmarkt zurück, weil er die Sachen zu herunter gesetzten Preisen bekommen hatte. Und dann machte er sich ans Werk im Außenbereich und erbat auch meine Hilfe. Insgesamt umwickelten wir 12 Baumstämme (jetzt echte, Pinien und andere...) von unten nach oben mit Lichterketten, am Schluss mit Hilfe einer Leiter. Und das macht sich zu zweit schon besser. Während Juan nicht genug von blinkenden Lichtern im Garten bekommen konnte, bat ich innerlich jeden Baum um Verzeihung, wenn wir ihn mit einer solchen Lichterkette umwickelten. Als in den Abendnachrichten einmal Bilder aus den USA zu sehen waren, verstand ich Juan. Er hat zwölf Jahre dort gelebt. Glitzerwelt...

Ich selbst genieße es zugegebenermaßen viel mehr, wenn ich vor der Messe um 7.30 Uhr schon eine halbe Stunde im Garten spazieren kann und dabei sehe, wie es hell wird, die Sonne aufgeht, der Himmel seine Farbe von dunkelgrau zu hellblau verwandelt.

Ein anderes „Weihnachtsthema“ ist das Essen. Überall sind die Traditionen anders. In Italien und in Polen, wo zwei unserer Schwestern daheim sind, gibt es am Heiligen Abend Fisch, das Fleisch dann erst am Weihnachtstag. Und in Polen beginnt das Ganze mit Barschtsch, Rotebetesuppe. Das ist jetzt für Menschen aus anderen Nationen schon aufgrund der Farbe ungewohnt, fremd. De facto hatten wir dann außer Barschtsch auch Hühnersuppe. Und Pierogi (Piroggen): mit einer Mischung aus Kraut und Pilzen gefüllte Teigtaschen, welche zum Barschtsch (bzw. zur Hühnersuppe) gegessen werden.

Weihnachtsplätzchen (oder Keks, Brötle, Laible, Loible, je nach Landstrich heißen oder schmecken sie ja in Deutschland verschieden) sind keine gebacken worden. Was bin ich dankbar für ein Päckchen von zu Hause. Außerdem sind die von Mama sowieso am besten! In Italien wird zu Weihnachten gerne Panettone verschenkt und gegessen. Hier bei uns gibt es auch noch Sernik, Käsekuchen, klein geschnitten.

Lieder, jedes Land hat eigene Weihnachtslieder, aber es gibt auch international bekannte. Zwei Tage vor Heilig Abend brachten wir unsere Weihnachtsgeschenke bei zwei Schwesterngemeinschaften vorbei. In der zweiten, dem Generalat der Anbeterinnen des Blutes Christi, waren wir auch zum Mittagessen eingeladen. Mit uns gemeinsam und den Schwestern aßen auch fünf Mitarbeiterinnen der Schwestern, welche am Vormittag gemeinsam mit zwei Schwestern einen Einkehrtag gemacht hatten. Und nach dem Essen sollte ein Weihnachtslied gesungen werden, in der internationalen Gemeinschaft ein überall bekanntes. „Astro del ciel“, „fang Du an! Der Originaltext ist deutsch“, sagten sie zu mir. „Ich kenne das doch gar nicht“, wehrte ich mich. Bis Juan mir half und erklärte, dass es um „Stille Nacht“ geht. Da war ich dann sogar textsicher und begann auf Deutsch. Nach mir ging es dann auf Kroatisch, Italienisch, Spanisch, Polnisch und Englisch weiter. Die Brasilanerin zog später noch mit einer portugiesischen Strophe nach. Lediglich die Tanzanianerinnen und die indischen Schwestern aus Kerala sangen jeweils ein anderes Weihnachtslied. Eine kleine Überwindung: ich mag es ja eigentlich gar nicht, „Stille Nacht“ schon vor dem Heiligen Abend zu singen. Aber hier schien es mir zu passen und beim Singen und Zuhören entstand eine besondere Atmosphäre unter uns. Die dann noch dichter wurde, als auch hier Geschenke ausgetauscht wurden. Die Mitarbeiterinnen der Schwestern erhielten ihren Panettone. Und überreichten den Schwestern Lebensmittel für die Bedürftigen, die einmal in der Woche dorthin kommen, um sich etwas zu essen abzuholen. „In diesem besonderen Jahr schien uns das am besten zu passen“, sagte die Sprecherin der Mitarbeiterinnen und die Schwestern stimmten freudig zu.

Dienstag, 15. Dezember 2020

Weihnachts-Predigt(en)

Im Oktober ging es in diesem Blog zweimal nacheinander ums Predigen. Und diese Posts haben einige Reaktionen ausgelöst. Zustimmende, von Menschen, die ähnliche Erfahrungen machen, und kritische – eher die Predigenden in Schutz nehmend...

Umfragen bestätigen, dass nach wie vor für viele, die einen Gottesdienst mit feiern oder besuchen, die Predigt dabei einen hohen Stellenwert hat. Allerdings bin ich da schon länger auch ein wenig vorsichtig.

Bestätigt wurde ich darin durch zwei Jesuiten, deren Texte ich in den vergangenen Wochen gelesen habe. Es sind jeweils jahrzehntealte und doch immer noch höchst aktuelle Gedanken. Beim Inder Michael Amaladoss geht es um einen Aufsatz, im Fall von Adolfo Nicolas um Ansprachen, die er für das Centro Astalli, die Zweigstelle des weltweiten Jesuiten-Flüchtlingsdienstes gehalten hat.

Beide äußern – ich gebe das natürlich hier sehr verkürzt wieder – eine gewisse „Skepsis“ gegenüber der Predigt. „Die Menschen glauben den Predigten nicht mehr“. Bzw. sie kommen nicht aufgrund von Predigten zum Glauben. Was also tun? „Erfahrungsräume des Glaubens“ schaffen, Begegnungen, Situationen, die ein Fenster in Richtung Glauben öffnen, oder besser eine Tür, die sich öffnen, durchschreiten lässt...

Wir feiern Weihnachten. Das ist die Grundlage für Jesu Predigten. Hinter den uns von den Evangelisten zusammengestellten Worten Jesu steht als Grundlage seine Menschwerdung. Heißt: bevor Jesus sich mit Worten an die Menschen wandte, ist er erst einmal einer von ihnen geworden, hat sich auf die Menschenwelt eingelassen, ist von innen her in sie eingetreten. Dieses Grundereignis muss beim Hören auf Jesu Worte immer mit gehört werden.

Und wir können daraus verschiedene Schlussfolgerungen ziehen. Z.B. eine für das persönliche Leben. Such bei Jesus nicht nach irgendwelchen Regeln und Vorschriften, sondern suche IHN, lerne seine Gegenwart in Dir und den anderen, in der Welt und in allem wahrzunehmen.

Als Mitglied der Gemeinschaft der Missionare vom Kostbaren Blut, welche gegründet wurde, um, vor allem durch Volksmissionen und Exerzitien einen Beitrag zur Erneuerung der Kirche zu leisten, überlege ich natürlich auch, wie das heute geht. Predigt war immer ein ganz wichtiges Standbein, wobei die Predigt im Rahmen der Volksmission auch ein gewisses Setting hatte. Und wenn Missionare dabei mit einem Totenschädel auftraten oder sich gar noch selbst geißelten, dann ging es da nicht nur um Worte. Wie überhaupt Mission ein ganzheitliches Geschehen war, bis hin zum Abliefern der Waffen, dem Verbrennen von schlechter Literatur, der Rückgabe gestohlener Gegenstände... Nicht nur Worte!

Mit großer Freude war ich immer wieder daran beteiligt, Glaubenserfahrungen zu ermöglichen, einen Raum dafür zu öffnen, dieses „Aktionsfeld“ ist sicher noch ausbaufähig.

Bischof Heiner Willmer von Hildesheim sprach vor einiger Zeit von der Bedeutung des Küchentisches. Sich miteinander um den Küchentisch setzen. Da wird nicht „gepredigt“ (vielleicht auch manchmal:)), sondern Leben ausgetauscht.

Die Krippe ist kein Küchentisch, aber vielleicht lädt sie ein zu einem solchen Austausch mit demjenigen, der da – Mensch geworden – auf Dich wartet, Dir zuhört und Dir etwas sagen will...

Montag, 30. November 2020

Gefangen

Was wir lesen, das lesen wir immer auf dem Hintergrund unseres eigenen Lebens, der von uns gemachten Erfahrungen, unseres gegenwärtigen Befindens.

Eines der wenigen deutschen Bücher, die ich nach Rom mitgenommen habe ist „Widerstand und Ergebung“ von Dietrich Bonhoeffer, die von seinem Freund Eberhard Bethge herausgegebenen Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. Schon lange wollte ich sie lesen und jetzt tue ich es. Und ich lasse mir Zeit dabei. Die Briefe sind so dicht und sie gehen mir zu Herzen. Vor allem die Briefe, welche die Eltern Bonhoeffers an ihren Sohn schreiben. So beschränke ich mich jeweils auf Weniges.

Ein Satz aus einem Brief Bonhoeffers an Renate und Eberhard Bethge, geschrieben im Gefängnis in Berlin Tegel am 23.1.44, geht seit ein paar Tagen mit mir mit: „Mag in dem, was den Tatsachen vorausgeht, noch so viel menschliches Versagen, Sichverrechnen und Schuld liegen, in den Tatsachen selbst ist Gott“. So schreibt der seit einem Jahr in Haft sitzende, auf Befreiung hoffende Bonhoeffer. Und ich habe den Satz im Hinterkopf, wenn ich abends mit den Mitbrüdern zusammen die Nachrichten im Fernsehen anschaue und dabei von weiter gestiegenen Zahlen von Covid-Erkrankungen höre. „In den Tatsachen selbst ist Gott“. Dazu kommt mir auch die inzwischen sehr bekannte Formulierung „Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit“ in den Sinn, mit welcher der Jesuit Willi Lambert Wesentliches der ignatianischen Spiritualität prägnant auf den Punkt bringt.

Bonhoeffer schreibt aus der Haft, die er sinnvoll zu gestalten versucht, was ihm in erstaunlicher Weise gelingt. Nicht nur Menschen, die sich in ausdrücklicher Quarantäne befinden, erleben seit Monaten ein gewisses „Eingesperrt-“ oder zumindest Eingeschränkt-Sein. So vieles ist nicht möglich und wir wissen auch nicht so recht, wie es weiter gehen wird. Ähnlich wie Dietrich Bonhoeffer in seiner Gefängniszelle...

Und da gibt es eine weitere Lektüre, die mich seit Monaten begleitet, als Grundlage für die morgendliche Betrachtung. Es sind Exerzitienvorträge, die Kardinal Martini für Priester gehalten hat, „Popolo in cammino“ (Volk auf dem Weg) überschrieben, biblischer Hintergrund ist die Apostelgeschichte.

In dieser geht es an verschiedenen Stellen ums Eingesperrt-Sein. An zwei verschiedenen Stellen zitiert Kardinal Martini Apg 5,41: „Sie aber gingen weg vom Hohen Rat und freuten sich, dass sie gewürdigt worden waren, für seinen Namen Schmach zu erleiden.“ Welch ungewöhnliche, kaum zu erwartende Reaktion auf Beleidigt-Werden und Eingesperrt-Sein: sich freuen! Ähnlich leben es Paulus und Silas, welche in das „innerste Gefängnis“ (Martini kommentiert: „das dreckigste Loch, wo die Luft zum Atmen fehlt und Überleben unmöglich scheint“) geworfen werden. „Um Mitternacht beteten Paulus und Silas und sangen Loblieder; und die Gefangenen hörten ihnen zu.“(vgl. Apg 16,24f.).

Seit ich hier in Rom in unserem Generalat lebe, beschäftige ich mich auch neu und intensiver mit dem Gründer der Missionare vom Kostbaren Blut. Der ebenfalls Gefängnis-Erfahrungen machen musste. An verschiedenen Orten – und er litt sehr darunter. Im Gefängnis in Piacenza war er dem Tod nahe. Im Rückblick hat diese Zeit aber nicht nur gesundheitliche Folgen für ihn gehabt, sondern ihn auch geistlich geprägt, wohl mehr, als wir das ahnen. Wir beten hier jeden Tag um seine Fürsprache gerade im Hinblick auf die Covid-Pandemie und viele Menschen überall auf der Welt beten mit...

Und die italienischen Mitbrüder haben nach langem Hin und Her im Oktober dieses Jahres (!) offiziell mit einer Niederlassung in Bologna begonnen, einer Stadt, in der San Gaspare ebenfalls eine Zeit in Gefangenschaft war.

Sonntag, 15. November 2020

40 Jahre JRS

Am 14. November 2020 wurde das 40-Jahr-Jubiläum des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes (JRS – Jesuit Refugee Service) begangen. Vor einem Jahr war da noch eine große, eventuell mehrtägige Veranstaltung angedacht worden. Jetzt wurde eine nachmittägliche Zoom-Konferenz daraus. An dieser konnte ich teilnehmen und sie hat mich berührt und beeindruckt.

Angesichts der aus Vietnam fliehenden Boat-People hatte 1980 der damalige Generalobere der Jesuiten P. Pedro Arrupe die Idee, etwas für diese Menschen zu tun. Wobei ich damit jetzt wohl sehr oberflächlich einen geistlichen Entscheidungsprozess formuliert habe. Natürlich kann man fragen, ob das 40-Jahr-Jubiläum eines solchen Flüchtlingsdienstes überhaupt „gefeiert“ werden kann. Was würde P. Arrupe dazu, heute sagen? Der aktuelle Direktor des JRS meinte dazu, Pedro Arrupe könnte wahrscheinlich kaum glauben, dass heute Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ertrinken. Heute ist der JRS in 56 Ländern der Welt für etwa 800.000 geflüchtete Menschen da. Wobei man davon ausgeht, dass insgesamt 80 Millionen Menschen auf der Flucht sind, von denen nur ein kleiner Teil den reichen Norden der Welt erreicht.

Im JRS arbeiten Jesuiten mit vielen Haupt- und Ehrenamtlichen zusammen, darunter sind auch Ordenschristen aus verschiedenen Gemeinschaften. Womit ich zu meiner persönlichen Geschichte mit dem JRS komme. Im Jahr 2009 sollte ein von den europäischen Missionaren vom Kostbaren Blut (C.PP.S.) lange erwünschtes Projekt seinen Anfang nehmen: eine internationale Gemeinschaft von C.PP.S. im Dienst an Immigranten. Madrid schien dafür ein geeigneter Ort und ich durfte mit dabei sein. Um mich vorzubereiten fragte ich beim österreichischen JRS-Vertreter an, ob ich eine Art Praktikum in einer JRS-Einrichtung machen könnte und er nannte mir Rom und Malta. Woraufhin ich mich für Rom entschied. Im Herbst 2009 arbeitete ich sechs Wochen beim Centro Astalli in Rom mit, hauptsächlich bei der mittäglichen Essensausgabe. Ein erster Kontakt mit einer für mich bis dahin fremden Welt. Während meiner Zeit dort bekam ich auch etwas von den anderen Aktivitäten des Centro Astalli mit: Rechtsberatung, Sprachkurse, Unterkünfte. Und nicht zuletzt Bewusstseinsbildung. Jährlich wird ein Wettbewerb für Schüler veranstaltet, wobei es darum geht, sich mit der Thematik auseinander zu setzen. Und es gibt auch Besuche von Geflüchteten in Schulen, welche dort ihre Geschichte erzählen.

Ende des Jahres zog ich dann nach Madrid. Und stellte fest, dass wir unser Projekt nicht sehr gut vorbereitet hatten. Zwar waren wir jetzt in einer Gemeinschaft zusammen, zwei spanische C.PP.S., ein italienischer und ich deutscher, dazu ein spanischer Kandidat für die Gemeinschaft und ein junger Senegalese ohne gültige Papiere. Schon diese Mischung war spannend. Aber es fehlte noch ein konkretes Arbeitsfeld. Wir wandten uns an die Vereinigung der spanischen Ordensleute, welche uns an die Jesuiten verwies. Diese wiederum erklärten, sie könnten noch Mitarbeiter im Besuchsdienst eines Abschiebehaftzentrums brauchen. Dafür erklärten wir uns bereit und das wurde für die kommenden Monate auch meine „Arbeit“. Völlig anders als bisherige „klassische“ Seelsorgsaufgaben wie Pfarrei, Gemeindemission oder Exerzitien. Wie viel habe ich gelernt! Nicht nur in der direkten Arbeit. Sondern auch weil es von „Pueblos Unidos“, einer Nichtregierungsorganisation der Jesuiten in Madrid, die wiederum mit dem JRS verbunden ist, ein ganz tolles Begleitprogramm für die ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen gab. Ich erinnere mich an so manchen Vormittag, an dem wir in einem sehr kalten Saal saßen, die Jacken hatten wir nicht ausgezogen, und über unsere Arbeit reflektierten.

Ein beeindruckendes Erlebnis während des knappen Jahres in Madrid war die Teilnahme an einer Tagung in Brüssel, wo sich europäische JRS-Mitarbeiter begegneten, welche in verschiedenen Ländern Europas in Abschiebehaft-Zentren arbeiteten. Welch ein spannender, manchmal auch bedrückender Austausch! Schon damals ging es um die völlig unzureichenden Dublin-Gesetzes-Regelungen, da ist die EU inzwischen nicht wirklich weiter gekommen.

Zurück in Deutschland hat dann der Kontakt mit dem JRS nicht aufgehört. Als wir in Maria Baumgärtle vier mal nacheinander einzelne Männer als Kirchenasylanten aufgenommen hatten, war ich sehr dankbar, mich darüber mit dem Münchner JRS-Vertreter austauschen zu können.

Samstag, 31. Oktober 2020

Predigen (II)

(Fortsetzung des letzten Post)

Meine Verwandten erzählten mir vor Jahren von ihrem Heimatpfarrer, der – auch das ist keine Ausnahme – seine Predigten immer irgendwelchen Vorlagen entnahm. Einmal soll er beim Lesen dabei eine Seite überblättert und das nicht einmal bemerkt haben. Bezüglich solcher Vorlagen bin ich mir unsicher. Zum einen meine ich, sie gehörten eigentlich verboten. Und ich habe auch viele Jahrgänge von Predigtsammlungen aus den 60er- und 70er-Jahren entsorgt. Jüngere Priester, vor allem solche mit einer anderen Muttersprache, werden natürlich seit Jahren auch im Internet fündig. Wenn sich jemand dadurch anregen lässt: in Ordnung! Aber einfach übernehmen, gar ablesen? Mich graust!

Mir kommt Alois Brandstetters Roman „Die Abtei“ in den Sinn, wo es an einer Stelle um die Predigten eines Paters in der Klosterkirche geht. In der Gegend dort ist es üblich, dass sich die Zuhörenden nach dem „Amen“ des Predigers mit einem „Vergelt´s Gott“ bedanken. Und der Autor beschreibt, wie er das oft genug verstanden hat: nicht im Sinn von „Gott möge Dich belohnen“, sondern „Gott möge es Dir heimzahlen“.

Manchmal knirsche ich auch innerlich ein „Vergelt´s Gott“ in diesem Sinn, wenn ich einer Predigt zuhören musste. Als Zuhörendem fallen mir auch die Reaktionen der Mitfeiernden in den Kirchenbänken während solcher Predigten auf. Die Köpfe drehen sich und die Augen suchen nach interessanten Gegenständen, Bildern, Kunstwerken im Kirchenbau, um diese zu betrachten – innerlich haben die Menschen schon längst „abgeschaltet“. Ein junger Mann aus dem Bistum Regensburg erzählte mir einmal, er habe während der Predigt immer die Bistumsgeschichte im kirchlichen Gesang- und Gebetbuch „Gotteslob“ gelesen, so dass er über diese inzwischen gut Bescheid wisse.

Schließen möchte ich mit einer rühmlichen Ausnahme: in der Kapelle, in der ich seit Monaten regelmäßig mit feiere, wechseln die Zelebranten und Prediger ab. Neulich war ein dunkelhäutiger Priester an der Reihe. Dem es spürbar gelang, die Mitfeiernden anzusprechen. Es war direkt an der Körperhaltung einzelner Menschen wahrzunehmen, die auf einmal Aufmerksamkeit zeigten.

Wie war dem Mann das gelungen? Zum einen hatte ich, hatten wir, vermute ich einmal auch für die anderen, den Eindruck, dass da einer spricht, der sich vom Wort Gottes wirklich hat selbst ansprechen und anfragen lassen. Da labert nicht einer einfach daher, sondern jemand öffnet – ein wenig auf jeden Fall – sein Herz.

Zum anderen sprach der Mann auch seine Zuhörenden an, ganz konkret auch mit der ein oder anderen Frage, die tatsächlich zum Nachdenken anregte. Und zwar Fragen eines Bruders im Glauben, nicht rhetorische Fragen eines Besserwissers. Welch eine Sternstunde, welch eine Wohltat, welch ein Genuss!

Für Missionare vom Kostbaren Blut ist die Wortverkündigung etwas ganz Zentrales. Wobei die Corona-Pandemie mit ihren Begleiterscheinungen da ebenfalls allerhand durcheinander bringt und uns neu fragen lässt. Und manchmal frage ich mich, ob unsere missionarische Aufgabe heute nicht noch viel mehr als bisher schon nicht so sehr im Predigen bestehen sollte, sondern im Anleiten zum gläubig-geistlichen Umgang mit der heiligen Schrift.

Ich selbst werde vermutlich das tun, was ich öfter Menschen in Pfarreien empfohlen habe: „auf der einen Seite ist es schön, wenn Sie in Ihrer Pfarrei den Gottesdienst mit feiern und das Leben der Gemeinde mit tragen. Auf der anderen Seite haben Sie eine Verantwortung für Ihren Glauben, die Sie eventuell auch dazu bringen kann, sich einen anderen Gottesdienstort zu suchen.“ Wahrscheinlich wird in der Nachbarpfarrei besser gepredigt, und so werde ich das einmal ausprobieren, obwohl mir die Frühmesse hier von der Zeit her sympathischer wäre...

Donnerstag, 15. Oktober 2020

Predigen (I)

Seit geraumer Zeit predige ich nicht mehr. Was schlicht und einfach mit meiner neuen Aufgabe und der Situation hier zu tun hat. Während der Woche feiern wir die Messe in unserer Hauskapelle und der Zelebrant gibt einen kurzen Impuls nach dem Evangelium. Das mache auch ich.

Am Sonntag nehmen wir uns die Freiheit, die Messe irgendwo anders mit zu feiern. Wobei ich im Normalfall in eine Kapelle ganz in der Nähe gehe und mich „unters gläubige Volk“ in die Kirchenbank setze – also Predigthörer bin.

Zum einen geht es mir ein wenig ab – denn ich predige gerne. Und so „leide“ ich mit allen Frauen und Männern, die auch gerne predigen würden und nicht dürfen. Das ist also für mich vielleicht gar keine schlechte Übung!

Das größere Leid entsteht jedoch aus dem Zuhören an sich. Das ging mir schon früher so. Was jetzt nicht überheblich klingen soll. Ich bin mir wohl bewusst, dass es auch von mir Predigten unterschiedlicher Qualität gab. Aber oft ist es wirklich schlimm. Ich muss an die gleichzeitig bittere und humorvolle Bemerkung von Papst Franziskus in seinem Lehrschreiben Evangelii Gaudium denken: „In der Tat wissen wir, dass die Gläubigen ihr (der Predigt, A.S.) große Bedeutung beimessen; und sie, wie die geweihten Amtsträger selbst, leiden oft, die einen beim Zuhören, die anderen beim Predigen. (EG 135)“. Beim Predigen habe ich persönlich aber weniger gelitten als (jetzt) beim Zuhören.

Manchmal habe ich einen - vielleicht verqueren - theologischen Gedanken. Gott will uns Heil schenken und wir wirken dabei mit. Eigentlich bestünde die Mitwirkung des Predigers darin, Menschen durch seine Schriftauslegung Nahrung auf ihrem Weg anzubieten, dadurch das Heil zu mehren. Tatsächlich scheint mir das Heil öfter durch das „Ertragen“ der Zuhörenden zu wachsen, wenn denn die „himmlische Ökonomie“ so funktioniert.

Wobei ich auch verstehe, wenn jemand sich diese Bußübung irgendwann nicht mehr antun will und kapituliert. Oder - wieso passiert das eigentlich nicht öfter? - protestiert! Es geht ja nicht nur um die persönliche Leiderfahrung, sondern auch darum, dass da einer dem Wort Gottes nicht die gebührende Achtung zukommen lässt.

Schlimm sind junge Priester, überzeugt von ihrer besonderen Gottesnähe, die sich in Plattitüden erschöpfen und zu teilweise gestandenen Christinnen und Christen sprechen. Wie viel Lebens- und Glaubenserfahrung kommt da oft in einem Kirchenraum zusammen! Aber die Jungen lernen vielleicht noch dazu...

Was mich hin und wieder ebenfalls genervt hat, wenn da einer meint, er müsse – warum eigentlich? - ein paar lateinische Brocken einfließen lassen. „Maria in ihrem Fiat“. Aber hallo! Wer wird sich denn da nicht fragen, ob es zu Lebzeiten von Jesus und Maria schon italienische Autos in Galiläa gab?

Klar, es ist nicht so einfach, dem Prediger nach der Messe zu sagen, dass er sich doch bitte mehr Mühe geben möchte. Wir sind es – noch – nicht gewohnt, in diesem Bereich zu kritisieren und kritisiert zu werden. Im Idealfall ist die Kritik hilfreich. Aber ob es wirklich besser ist, sicherheitshalber still zu sein, den Mund zu halten?

Oft einmal ist es bei einer Predigt so: was der Prediger sagt stimmt, es ist alles richtig. Aber „es kommt nichts rüber“ und damit kommt nichts an. Klar weiß ich nicht nur aus der (Sprach-)Theorie, sondern auch aus der Praxis, dass es bei der menschlichen Kommunikation wenigstens die drei grundlegenden Elemente Sprecher – Botschaft – Empfänger gibt. Wenn nichts bei mir ankommt, kann das also theoretisch auch mit mir selbst zu tun haben. Wobei ich mir einbilde, zunächst einmal mit einem grundlegenden Wohlwollen dem Sprecher gegenüber zuzuhören. Aber oft genug ertappe ich mich dabei, wie ich nach (sehr) kurzer Zeit „abgeschaltet“ habe. Bzw. das Gesagte „perlt irgendwie an mir ab“. Und ich glaube, es geht nicht nur um die Sprache. Die Kirche „verreckt nicht nur an ihrer Sprache“ (Erik Flügge).

(Fortsetzung folgt)

Mittwoch, 30. September 2020

Frömmigkeiten

 Unsere Telefonanlage ist in die Jahre gekommen. Nach vielen Unterschriften unter Verträgen – ich habe das Kleingedruckte nicht gelesen, ich gebe es offen zu – sind die ersten Maßnahmen im Hinblick auf eine neue Anlage in Gang gekommen. Handwerker im Haus!

Zuerst kamen zwei junge Männer, so um die Mitte 20. Sympathische Kerle. Der eine musste noch einmal in die Zentrale zurück, um etwas zu holen oder einzustellen, so genau habe ich es nicht verstanden. Der andere arbeitete weiter bei uns im Haus – und schwitzte. So dass ich ihn fragte, ob er etwas trinken wolle. „Ein Glas Wasser, bitte!“ Freudestrahlend nahm er dieses entgegen und fragte mich, woher ich sei und was wir hier im Haus tun. Als ich ihm geantwortet hatte, erzählte er: „ich mache nächstens eine Wallfahrt nach Cascia“. Etwas verdutzt schaute ich ihn an und er erzählte mit Begeisterung von der tollen Jugendarbeit des Neokatechumenats in seiner Pfarrei. „Wir sind 200 junge Leute!“.

Nach dieser ersten Maßnahme im Hinblick auf eine neue Telefonanlage kamen Wochen später zwei andere Männer, von einer anderen Firma. Der eine bemerkte gleich beim Hineinkommen ins Haus die Kapelle und fragte nach. Und erzählte dann voller Stolz: „ich gehöre zu einem Chor, der für den Papst gesungen hat, als dieser in Albano war“. Als er am nächsten Tag wieder ins Haus kam, grüßte er mit „Gelobt sei Jesus Christus“. Jetzt fragte ich nach. Der Mann stammt aus Rumänien und lebt seit 17 Jahren in Italien. In seiner Heimat hat er noch die Ceausescu- Zeit erlebt. Sein Vater hatte einen Antrag gestellt, dass im Privathaus die Messe gefeiert werden durfte. „Ohne diesen wärst du erschossen worden“, sagt der Telekom-Mitarbeiter. Und er war damals Ministrant und hat sich auch ein wenig auf einer kleinen Orgel versucht.

Noch einmal kommt er ins Haus, es ist Montag. Und auf seinem Smartphone zeigt er mir Fotos von der Feier des Festes Kreuzerhöhung in seiner Heimat. Vom „weltlichen Teil“: die Menschen sitzen an Tischen, auf den viele Getränkeflaschen stehen. Irgendwo ist der Pfarrer unter den Leuten zu sehen. Und natürlich die Verwandten, Mutter, Schwestern, Neffen unseres Telefonleitungsmonteurs.

„Eigentlich ist ja heute das Fest, aber zu Hause haben sie es am Sonntag vorgefeiert“, erklärt er mir.

„Und Sie, sind Sie auch in der Kirche gewesen, gestern am Sonntag?“. „Nein“, grinst er mich an: „ich war beim Angeln“. „Er hat wenigstens nicht gelogen“, sagt Sr. Elisabeth nachher.

Apropos Sr. Elisabeth: sie war gerade im Urlaub zu Hause, in der Gegend von Białystok in Polen. Und etwas, wovon sie mit sichtbarem Ärger erzählte, war, dass von den Kommunionkindern in ihrer Heimatpfarrei ein paar kurz nach der Erstkommunion nicht mehr zu sehen waren bei der Katechese, die dort nach der Erstkommunion weiter geht. Sr. Elisabeth hat das unmittelbar mit bekommen, weil auch in ihrer Heimat aufgrund der Corona-Pandemie die Erstkommunion vom Frühjahr in den Spätsommer verschoben worden war.

Einblicke in Glaubens- und Kirchenleben in Italien, Rumänien, Polen...

Natürlich habe ich mich gehütet, Sr. Elisabeth zu sagen, dass die jungen Leute vielleicht ein Gespür haben für das, was stimmt. Wir merken, dass gewohnheitsmäßige Riten nicht mehr tragen – so hilfreich sie vielleicht auch einmal gewesen sein mögen. Die Vorschläge zum konkreten Umgang mit der Situation sind ganz verschieden – teilweise lässt sich daran das „kirchenpolitische Lager“ erkennen, aus dem jemand kommt.

Ich plädiere zunächst einmal für ein genaues Hinschauen und ein liebevolles Wahrnehmen der Menschen und ihrer Lebenssituation. Denn da ist ja eine Suche da, gerade in unseren Corona-Zeiten...

Und inzwischen wird draußen der Asphalt aufgerissen: wir sollen ans Glasfasernetz angeschlossen werden, damit wir noch schneller telefonieren bzw. im Internet surfen können...


Dienstag, 15. September 2020

Fest ausgerichteter Blick

 Da ich mir sicher war, in irgend einem Bücherregal eine italienische Bibel zu finden, bin ich ohne gedruckte Bibel nach Rom umgezogen. Schließlich gibt es ja immer noch die Möglichkeit, online zu lesen.

Tatsächlich fand ich keine italienische Bibel im Regal, dafür aber eine englischsprachige Ausgabe der Jerusalemer Bibel. Also habe ich dort zu lesen angefangen. Wobei die Anmerkungen so klein gedruckt sind, dass ich tatsächlich die € 1,50 - Lesebrille aufgesetzt habe, die ich „für den Notfall“ eingepackt hatte.

Nachdem ich auf diese Weise jeden Tag ein Kapitel der Apostelgeschichte gelesen hatte, wollte ich diese jetzt aber auch auf Italienisch lesen. Und beginne deswegen meinen Arbeitstag am Computer damit, ein Kapitel Apostelgeschichte auf der Homepage der italienischen Bischofskonferenz zu lesen.

Die Empfehlung, die Bibel auch einmal in einer anderen Übersetzung zu lesen, wird ja hin und wieder ausgesprochen, schon verschiedene deutsche Übersetzungen können zum Nachdenken anregen. Apropos: in dem Haus, in dem ich jetzt lebe, ist vor Jahren und über Jahre hinweg eine deutsche Alternativ-Übersetzung entstanden. Der bayrische Priester Albert Kammermayer wohnte viele Jahre hier im Haus und war mit seiner Übersetzung des Neuen Testaments beschäftigt, Untertitel: „Eine Übersetzung, die unsere Sprache spricht“. Das Buch ist auch im Buchhandel erhältlich!

An einer Entdeckung möchte ich Dich/Sie teilhaben lassen. Es geht um das Schauen, den „ausgerichteten Blick“. Da ist die Stelle von der Steinigung des Stephanus in der Apostelgeschichte, wo es heißt: „Er aber, erfüllt vom Heiligen Geist, blickte zum Himmel empor, sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen und rief: Siehe, ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen“ (Apg 7,55f.). Auf italienisch wird das „blickte zum Himmel empor“ mit „fissando gli occhi al cielo“ wieder gegeben. An einem Mittwoch Abend hörten wir dann als Lesung in der Vesper eine Stelle aus dem Jakobusbrief: „Chi fissa lo sguardo sulla legge perfetta“, auf deutsch: „Wer sich aber in das vollkommene Gesetz der Freiheit vertieft“ (Jak 1,25). Mir kam dann noch eine andere Stelle in den Sinn, die mich seit Jahren begleitet: „tenendo fisso lo sguardo su Gesù“, aus dem Hebräerbrief, auf Deutsch: „...auf Jesus blicken“ (Hebr 12,2). Es geht also jeweils um ein „fixiertes“ Schauen, um einen fest ausgerichteten Blick! Und ich frage mich nach meinem Schauen und seiner Richtung. In den öffentlichen Verkehrsmitteln nehme ich viele Menschen mit „fixiertem Blick“ war: mit dem Blick auf das kleine Gerät in ihrer Hand. Wonach halten wir Ausschau, wohin ist der Blick gerichtet?

Ein Bibelwissenschaftler würde jetzt jeweils noch den griechischen Originaltext daneben legen. Ich habe das versucht – die Homepage der italienischen Bischofskonferenz bietet auch diese Möglichkeit, stelle aber fest, dass meine Griechisch-Kenntnisse mangelhaft sind. Wenn ich recht gesehen habe, stehen da an den drei Stellen verschiedene Wörter. Dasjenige, welches in der Apostelgeschichte verwendet wird kommt von ἀτενίζω (atenizō), welches mit „fest ausgerichtet schauen“ übersetzt werden kann und wozu es noch andere Stellen im Neuen Testament gibt. Z.B. bei Jesu Predigt in der Synagoge von Nazareth: „Die Augen aller in der Synagoge waren auf ihn gerichtet“ (Lk 4,20).

Mir gefällt es, die oben erwähnten Texte aus dem Jakobus- und dem Hebräerbrief zusammen zu lesen. Dann ist derjenige, der „fest auf Jesus blickt“ gleichzeitig derjenige, der „sich in das vollkommene Gesetz der Freiheit vertieft“. Toll, oder?

Tatsächlich ist Jesus der ganz freie Mensch, wie es sich bei ihm in jeder Lebenslage zeigt. Und von ihm ist das zu lernen, abzuschauen – den Blick fest auf ihn gerichtet.



Montag, 31. August 2020

ein Sommerabend in Rom

 Mike hatte eingeladen. Vor einigen Wochen war er bei uns im Haus zum Mittagessen und hatte selbst gebackene Plätzchen mit gebracht. „Ich koche und backe gern“, sagte er. „Natürlich esse ich auch gern“, grinste er, sich an seinen wohlgeformten Bauch greifend. Und jetzt waren wir zum „Gegenbesuch“ im Generalat der Marianisten, eine Viertelstunde zu Fuß von unserem entfernt.

Marianisten haben als Apostolat vor allem die Erziehung, unterhalten Schulen und Universitäten. In Madrid habe ich sie in der Pfarrseelsorge kennen gelernt, ihre Pfarrei Sankt Simon und Judas dort grenzt an die unsere, Vom Kostbaren Blut, an.

Auf der Dachterrasse hatte Mike vorbereitet und ich genoss zuerst einmal den Ausblick in verschiedene Richtungen, über die Dächer hinweg, nicht zuletzt aber auch hinunter in den gepflegten Garten. Sogar einen Igel konnte ich dort über eine Wiese laufen sehen. Und es ist grüner als in unserem Garten – das Bewässerungssystem dort scheint besser zu funktionieren.

Nach den Antipasti gab es Pizza – vom Grill. Wir waren wohl nicht die ersten, die darüber staunten, aber es hat tatsächlich funktioniert.

Lange blieben wir sitzen und plauderten, an diesem Abend auf englisch, – bei römischen Temperaturen ja absolut kein Problem. Zu viert waren wir: der Gastgeber Mike, ein weiterer Mike, ebenfalls Amerikaner und im Generalat der Herz-Jesu-Missionare tätig, und dann wir beide, Juan und ich.

Unser Gastgeber ist ein äußerst vielseitiger Mensch. So hat er z.B. gemeinsam mit einem Briten unter dem Petersdom beim Petersgrab Filmaufnahmen gemacht, die sich auf der Homepage des Vatikan anschauen lassen. Außerdem ist Mike Musiker und hat vor einigen Jahren auch mit dem Komponieren begonnen – das ein oder andere hat er bei Youtube eingestellt.

Früher war er wohl auch ziemlich sportlich. Wobei er sich dort aufs Laufen verlegt hatte. Denn nach seiner Geburt hatte er im Krankenhaus irgendwelche Bakterien „aufgeschnappt“ und dadurch ein Auge verloren – mit drei Monaten. Die Devise seines gläubigen Vaters: „wenn Gott dir etwas nimmt, dann gibt er dir etwas anderes dafür“, stellte Mike als 12jähriger in Frage. Denn aufgrund seiner „Behinderung“ (nur ein Auge) durfte er nicht in einer Schulmannschaft mit spielen. Und Mike hatte gedacht, Gott habe ihm den Sport gegeben, nachdem er ihm ein Auge genommen hatte.

Nachdenklich hören wir Mike zu. Wobei das jedoch auch ein Genuss ist, weil er nicht nur gut erzählt, sondern immer wieder köstlichen Humor einfließen lässt. Etwa was das für ihn bedeutet, wenn er mit eingeschränktem räumlichen Sehvermögen (nur ein Auge!) auf dem Roller im römischen Straßenverkehr unterwegs ist. Ach ja: der Straßenverkehr beschäftigt uns eine ganze Weile lang und Mike hat die ein oder andere Anekdote parat, er lebt seit 15 Jahren in Rom!

Schließlich erzählt er uns aber auch, dass die Marianisten wohl die einzige Ordensgemeinschaft sind, in welcher nur das Amt des Generalsuperiors einem Mitbruder, der auch Priester ist, vorbehalten bleibt. Alle anderen Ämter, etwa auch das eines Provinzials, können auch von Brüdern ohne Priesterweihe wahrgenommen werden. Spannend! Bei einem Treffen von Ordensoberen mit Papst Franziskus hat Mike diesen wohl auch gefragt, wieso in der Kirche „Leitungsmacht“ immer mit „Weihe“ gekoppelt sein muss. Nach dem jüngsten Schreiben der Kleruskongregation eine ganz aktuelle Frage.

Die Wespen, die während des Essens lästig waren, haben uns inzwischen in Ruhe gelassen, außer den Lichtern der über uns fliegenden Flugzeuge sind einige Sterne zu sehen und es ist Zeit, aufzubrechen und nach Hause zu gehen. Welch ein schöner Abend!

Samstag, 15. August 2020

am Strand von Bari

 Don Oliviero hat uns eingeladen und so haben wir eine gemeinsame Urlaubswoche in Bari verbracht. Und erfahren, dass Apulien „die“ Urlaubsregion Italiens schlechthin geworden ist. Neben einigen touristischen Höhepunkten, Alberobello, Polignano al Mare, Matera, Trani und natürlich Bari selbst, haben wir Mitbrüder besucht.

Und wir waren zu dritt zwei Nachmittage am Meer. Und zwar in Bari selbst. Die Stadt hat, wenn ich recht verstanden habe, erst vor zwei Jahren, an dieser Stelle sozusagen ein „Stadtbad“ am Meer geschaffen. Ein Stück Strand ist Sand – dort sind vor allem Familien mit Kindern. Und ganz langsam wird das Wasser tiefer, wenn man sich hinein begibt. Am direkt daran anschließenden Stück Strand hat die Gemeinde Kies aufgeschüttet und das Wasser wird schneller tief. Der Kies war für mich zunächst ungewohnt, aber dann sehr angenehm. Lauter runde Kieselsteine, auf denen man sein Handtuch ausbreiten bzw. einen Campingstuhl aufstellen, bzw. in die man einen Sonnenschirm hinein stecken kann. Und von dort aus schleppt man keinen Sand mit nach Hause...

Das (Abkürzung von Arockiadas), unser indischer Mitbruder, der als Kaplan in der Pfarrei arbeitet, nahm Juan und mich an zwei Nachmittagen zu diesem Stück Strand mit, vielleicht zehn Minuten mit dem Auto aus dem Zentrum der Stadt, wo unsere Pfarrei ist, entfernt. Und wir fanden auch beide Male schnell einen Parkplatz.

Die beiden anderen hatten – natürlich – ihr Smartphone im Gepäck. Und so musste ich schmunzeln, als ich an einem Nachmittag, auf einem Handtuch zwischen den beiden liegend, feststellte, wie Juan mit seiner Mutter in Chile telefonierte, während gleichzeitig Das gleich mehrere Familienmitglieder an verschiedenen Orten Indiens auf dem Display seines Smartphones hatte, mit denen er im Gespräch war. So klein ist die Welt... Lustigerweise war an diesem Nachmittag am Strand auch ein Mann mit seinem jungen Hund unterwegs, der nacheinander zu jedem von uns dreien kam und wohl spielen wollte, Juan ableckte, während dieser mit seiner Mutter am telefonieren war. „Gott sei Dank war der Hund nett“, meinte Juan hinterher.

Ich hörte die beiden telefonieren, ohne zu verstehen – und hörte auch das Kommen und Gehen der Wellen. Während wir am ersten der beiden Nachmittage ganz ruhige See hatten, es war wie in einem Schwimmbad, zeigte sich das Meer am zweiten Nachmittag mit seiner Kraft, das Schwimmen war deutlich anstrengender. Wie schön, dieses gleichmäßige Rauschen der Wellen...

Und ich hatte meine Freude daran, auf das weite Meer hinaus zu schauen. Am ersten Nachmittag waren gleich vier große Frachtschiffe zu sehen, die wohl auf ihre Erlaubnis warteten, in den Hafen von Bari hinein zu fahren. Am zweiten Nachmittag sah ich einen großen Tanker mit der Aufschrift „Grimaldi Lines“ diesen Weg nehmen.

Am Himmel dagegen Flugzeuge im Anflug auf oder im Abflug von Bari-Palese, dem Flughafen der 320.000 Einwohner zählenden Stadt. Gar nicht so wenige waren da zu sehen.

Und im Wasser, insgesamt sehr sauber, schwemmten die starken Wellen am zweiten Nachmittag doch das ein oder andere kleinere oder auch größere Stück Plastik an, was mich an Reportagen über die Verschmutzung der Meere durch Plastik erinnerte. Und als Urlauber am Strand denkst du dir wohl noch mehr als beim Anschauen einer solchen Reportage im Fernsehen: „das müsste eigentlich nicht sein!“

Freitag, 31. Juli 2020

Corona und Freiheit

Ich las einige Ausgaben der Monatszeitschrift „The New Wine Press“ unserer US-amerikanischen Mitbrüder aus der Kansas City Province. Ich kannte die Zeitschrift schon aus dem Internet, aber tatsächlich blättere ich doch lieber eine gedruckte Ausgabe durch.

In der Mai-Ausgabe gibt es unter der Überschrift „New Possibilities“ (Neue Möglichkeiten) einen Artikel von P. Dave Kelly C.PP.S., einem Mitbruder, den ich sehr schätze. Er vergleicht die von vielen angesichts der Corona-Krise gemachten Erfahrungen („sich eingesperrt fühlen, Kontakte mit Familienangehörigen sind nur eingeschränkt bzw. schwer möglich, das Gefühl von Unsicherheit etc.“) mit demjenigen, was er bei seinen Besuchen im Gefängnis oder in der Abschiebehaft hört: es klingt ziemlich ähnlich!

In der März-Ausgabe der Zeitschrift erzählt Raphael Jackson, wie es ihm als Strafentlassenem nach einer langen Gefängnisstrafe in der Freiheit geht, wie dankbar er für Begleitung und Unterstützung in der für ihn neuen Lebenssituation ist.

Ich versuche, das Gelesene ebenfalls mit der Corona-Krise in Verbindung zu bringen. Sperrt uns diese Krise ein oder setzt sie uns frei?

Ich hoffe, dass mich jetzt niemand für verrückt hält. Wir beten hier jeden Tag für alle Erkrankten, alle in der Pflege Tätigen, für die aufgrund Covid-19 Gestorbenen und diejenigen, die um sie trauern, für alle, die unter den wirtschaftlichen Folgen der Krise leiden und darum, dass so schnell als möglich ein Impfstoff entdeckt und produziert wird. Ich meine, mir der Dramatik der Situation einigermaßen bewusst zu sein und stelle trotzdem die oben genannte Frage.

Ich könnte noch weiter Konkretes aus meinem Lebensbereich nennen: an drei aufeinander folgenden Tagen veranstalteten wir Video-Konferenzen mit unseren höheren Oberen in aller Welt, um uns auszutauschen, nachdem ein geplantes Zusammenkommen mit allen Ende August, Anfang September zunächst einmal aufgeschoben wurde. Einer der Oberen ist Maximo, der erste Provinzial unserer neuen lateinamerikanischen Provinz, welche am 31.1.20 errichtet wurde. Die Provinz und ihre Leitung konnten noch gar nicht richtig zu arbeiten beginnen, Maximo hat sich selbst mit dem Virus infiziert.

Oder ich habe hier in Rom Jakobus besucht, einen deutschen Franziskaner, den ich schon lange kenne. Er kam Ende Januar nach Rom, ins Kommissariat des hl. Landes, um sich auf seine Aufgabe in Israel vorzubereiten, wohin er an Ostern reisen wollte. Er sitzt immer noch in Rom und hofft, im September oder Oktober reisen zu können. Ähnlich geht es einem jungen Missionar aus Madagaskar, der in Chile Spanisch lernen wollte, um danach in Kuba zu arbeiten. Er ist in Rom gestrandet...

Also: eingeschränkt, eingesperrt, oder frei?

Nicht nur bei den Video-Konferenzen hörte ich öfter, eine Begleiterscheinung der Krise ist eine neue Qualität zum einen des Gemeinschaftslebens und zum anderen des persönlichen Gebetes, das der ein oder andere intensiviert hat. Und noch in Maria Baumgärtle hatte ich selbst den Eindruck, dass das Miteinander zu Beginn der Krise eher entspannter war. Ein gewisser Druck fiel weg, wir wurden aus dem „Hamsterrad“ heraus katapultiert. Und tatsächlich verwende ich inzwischen mehr Zeit fürs Gebet...

Nein, ich will bestimmt nichts schön reden. Aber auch ich erinnere an eine bessere Luftqualität in manchen Städten, an die Erholung manchen Gewässers und die Rückkehr mancher Tierart. Wie gehen wir mit dieser unserer Welt um? Hilft uns „die Pandemie die Pandemien (Hunger etc.) wahr zu nehmen“? Viele Tagelöhner in Indien oder Südamerika haben die Wahl, entweder zu Hause zu bleiben und zu verhungern, oder arbeiten zu gehen und sich dabei evtl. mit Covid-19 zu infizieren....

Mittwoch, 15. Juli 2020

Fauna und Flora im Generalat

Die ersten 14 Tage in Rom verbrachte ich in Quarantäne und freute mich über den großen Garten, in dem ich täglich morgens und abends meine Runden drehte. Jetzt bin ich ja alles andere als ein Kenner von Pflanzen und Tieren, demzufolge ist meine Beschreibung sehr bruchstückhaft.

Beginnen wir mit den Pflanzen. Große Pinien stehen am Rand des Geländes, neun davon habe ich auf der Seite der Viale di Porta Ardeatina gezählt. Wie bereits im Februar hing auch jetzt ein Ast gefährlich herunter. Und eines Tages kam dann ein Spezialist, Juan nannte ihn „Spiderman“, der hinauf kraxelte, um diesen Ast abzusägen, bevor er jemand auf den Kopf fällt. Jemand erzählte, die Bäume seien auch gefährlich, weil sie Flachwurzler sind. Auf der anderen Seite sind die Pinien in Rom wohl geschützt. Scheinbar – hoffentlich! - sind wir versichert, falls so ein Teil auf die Straße fällt. Schön sind natürlich die großen Pinienzapfen...

Auch einige Zypressen befinden sich im Gelände...
Dann gibt es einige Agaven, eine davon eine ganz große. Und Palmen, auch davon ein paar Stück. Und Bananenstauden. Wir teilen uns ja das Haus mit einer anderen Ordensgemeinschaft, den Missionaren von der hl. Familie, die auch hier ihr Generalat haben. Zwei davon, aus Madagaskar stammend, sehe ich jeden Tag im Garten arbeiten – sie halten ein Stück Gemüsegarten gut gepflegt. Und sie müssen natürlich viel gießen. Die ersten zwei Wochen meines Aufenthalts hier hat es nie geregnet.
Juan hat eine Rasenbesprenungsanlage eingerichtet, damit wir nicht bald alles braun haben.

In der Mitte des Gartens gibt es eine Art Pergola mit einigen (Kletter-)Rosen und noch anderem Gewächs, dessen Namen ich nicht kenne.

Nicht vergessen darf ich zwei – gut tragende – Mispelbäume: zwei Wochen lang aßen wir jeden Tag davon. Die Bäume sind mit schwarzen Netzen abgedeckt, damit die Papageien (s.u.) uns nicht beim Verzehr der Früchte zuvor kommen. Unsere Nachbarn – ich habe den Eindruck, sie sind eindeutig die besseren „Hausmänner“ - haben sogar Saft aus den Mispeln produziert. Die Probe, die sie uns vorbei brachten, hatte aber auch einen gewissen Alkoholgehalt (und da war noch kein Gärungsprozess im Gang).

Gehen wir zur Tierwelt über: von den Papageien habe ich bereits im Februar erzählt. Wirklich schöne Tiere, etwa Nymphensittichgröße, allerdings in hellem Grün mit einem roten Schnabel. Scheinbar fühlen sie sich in der Stadt besonders wohl, es gibt inzwischen sehr viele, 10.000 habe ich irgendwo gelesen. Irgendwann scheinen erste Exemplare aus Käfigen entkommen zu sein und sich in der „freien Wildbahn“ eingerichtet zu haben. Die Fachleute sprechen von zwei Sorten, die eine aus Asien, die andere aus Südamerika stammend. Spatzen gibt es und Krähen, Tauben und – Möwen. Und die scheinen bisweilen aggressiv. Jemand erzählte, dass Papst Franziskus irgendwann eine „Friedenstaube“ fliegen ließ, die kurz danach von einer Möwe angegriffen wurde.

Und dann die Katzen. Scheinbar gibt es zwei Katzenfamilien im Gelände. Mir ist regelmäßig eine Katzenmama mit vier jungen Kätzchen begegnet, von denen keines dem anderen gleicht. Und sie sind ja wirklich süß. Wenn sie miteinander spielen oder aufeinander liegen, „eine Handvoll Katze“.
In meine Ankunftszeit hier fiel die „Laudato-Si-Woche“ (anlässlich des Jubiläums fünf Jahre nach dem Erscheinen der gleichnamigen Enzyklika von Papst Franziskus). In dieser Woche wurde unter anderem ein Einkehrtag via Internet angeboten, an dessen erster Hälfte ich teilnahm. Das war wunderschön. Unter anderem gab es die Anregung, so wie Franz von Assisi tatsächlich mit der Natur zu beten, den Schöpfer zu loben. Bei meinen Morgen- und Abendrunden im Garten habe ich das aufgegriffen und bete: „gelobt seist du mein Herr mit Schwester Kätzchen“.

Weniger leicht fällt das Lob mit den Ameisen – auch deren gibt es ganz viele, Juan ist regelmäßig im (Gift-)Kampf mit ihnen. Was ich am Anfang nicht ganz verstehen wollte. Bis sie auch bei unserem Marmeladenglas angekommen waren.

Und dann noch die Goldfische im kleinen Brunnen. Auf dem Rand sitzt regelmäßig eine Katze und vermutlich hat sie auch schon den ein oder anderen Fisch heraus geholt.

Dienstag, 30. Juni 2020

Bürokratie à la Romana...

Wir machen uns früh auf den Weg – müssen wir doch zuerst zur Ordenskongregation vor den Toren des Vatikan und danach in ein Büro des italienischen Staates am anderen Ende der Stadt Rom (EUR).
Vor der Tür setzen wir die Mund-Nasen-Bedeckung auf und dann geht es zuerst einmal zum Thermoscanner. Das geschieht nicht, indem uns – wie an anderen Stellen, etwa beim Betreten der Basiliken - jemand ein Thermometer an die Stirn hält, sondern indem wir uns einem Smartphone nähern, das unsere Temperatur misst, wenn wir im richtigen Abstand davon stehen. Dummerweise ist dieses Gerät wohl für italienische Größenverhältnisse ausgelegt. Ich muss ziemlich in die Knie gehen, damit die Temperaturmessung bei mir funktioniert.
Danach warten wir kurz, bis Sig. Stefano frei ist. Freundlich grüßt er und stellt uns das erste der beiden beantragten Dokumente aus, gegen fünf Euro Gebühr. Das zweite Dokument ist an der Kasse abzuholen. Dort steht jedoch noch eine Ordensfrau am Schalter, also warten wir. Nach einer gefühlten Ewigkeit ist die Schwester fertig, ich gehe zur Kasse und erfahre von der Dame dort, dass das gewünschte Dokument noch nicht da sei und sie sich telefonisch melden würde, wenn wir es abholen könnten.
Das gefällt uns nicht und bringt unsere Planung durcheinander. Wir gehen von der Kasse weg und möchten noch einmal bei Sig. Stefano vorsprechen, dessen Bürotür offen steht. Allerdings sitzt bei ihm „die nächste Kundschaft“. Über sie hinweg nimmt er mich allerdings wahr und fragt kurz nach. Und auf meine Antwort hin, bittet er uns, kurz zu warten. Nachdem er die Schwester bedient hat, verlässt er sein Büro und kommt nach Kurzem mit einem Stapel Papiere aus einem anderen Büro zurück. Noch einmal gehe ich jetzt an die Kasse und bekomme gegen eine Gebühr von 70 Euro das gewünschte Dokument. Diesmal nicht mit Stempelmarke, sondern auf schönem Büttenpapier.
Geschafft!

Auf dem Weg zur U-Bahn kaufen wir in einem Tabak-Geschäft eine italienische Stempelmarke um 16 Euro und fahren dann Richtung EUR. Juan war schon einmal bei dem Büro, zu dem wir jetzt müssen, allerdings noch vor der Corona-Zeit. Als wir hinkommen, ist die Metalltür zum Gelände zu und es hängen verschiedene Zettel daran. Wir merken jedoch, dass sich Menschen an der Tür vorbei drücken, die herunter gelassene Schranke zur Autozufahrt macht es möglich. Und so drücken auch wir uns vorbei und sehen eine Schlange wartender Menschen auf der anderen Seite des Gebäudes.

Mit etwas ungutem Gefühl gehe ich (im schwarzen Hemd, o je!) an diesen vorbei, um an der Pforte nachzufragen, ob sich das Warten überhaupt lohne. Und höre, wir müssten sowieso einen Termin vereinbaren. „Appuntamento“ - das Zauberwort auf allen Ämtern, wie ich inzwischen gelernt habe.
Juan hat inzwischen die Aushänge dort studiert und einen gefunden, auf dem die Telefonnummer des Herrn steht, zu dem wir wollen. Mutig ruft Juan an und erklärt ihm, dass wir vor der Tür stehen.
Und – unglaublich – bei Sig. Petrucci ist einer von den sieben Vormittagskunden nicht erschienen und wir können diese Lücke füllen. Als wir ihm erklären, worum es geht, erklärt er uns, dass für dieses Vorhaben zwei Stempelmarken à 16 Euro nötig seien. Also macht sich Juan auf den Weg, um eine zweite zu besorgen und ich fülle ein Formular aus.
Sig. Petrucci fragt noch nach, was es mit dem zweiten „a“ auf sich habe. Tatsächlich steht auf einem vatikanischen Dokument „Allagäu“ statt „Allgäu“. Allerhand, siebzig Euro haben wir dafür ausgegeben, aber ich werde nicht darum bitten, dass sie mir ein neues ausstellen. Dagegen lobe ich Sig. Petrucci für seine Aufmerksamkeit und er stellt uns seinerseits das Dokument aus, das wir von ihm brauchen. Als wir das Amt verlassen, können wir unser Glück kaum fassen: wir haben es geschafft. An einem Vormittag!
Zu Hause angekommen, sehe ich mir die Dokumente noch einmal an und stelle fest, dass Sig. Petrucci sich bei der Hausnummer unserer Adresse vertan hat. Anstatt 66 hat er 99 geschrieben. Und dies auf dem Dokument, das mich als rechtmäßigen Vertreter ausweist und nach dem alle fragen, mit denen wir irgendeinen Vertrag abschließen wollen/müssen (Bank, Telefongesellschaft, Handwerker etc.). Sicherheitshalber rufe ich bei Sig. Petrucci an, den ich Gott sei Dank noch im Büro erreiche. Und er erklärt mir, da solle ich mir keine Gedanken machen, ich solle das ruhig selbst ausbessern. Wenn jemand Schwierigkeiten machen würde, dann müssten wir einen Termin ausmachen, damit er ein neues Dokument ausstellen könne, aber er glaube nicht. Hoffentlich hat er Recht – er sprach ja davon, bald seinen Urlaub anzutreten.
Einige Tage später ist Juan unterwegs zu einem Amt, das zwei mal in der Woche für je drei Stunden geöffnet hat. Er ist extra früh los und stand dann vier Stunden in der Warteschlange. Allerdings hat er es wie drei weitere vor ihm und viele nach ihm nicht geschafft, während der Öffnungszeiten ins Amt zu kommen. Zu Hause hat er dann vor allem sein Mitleid mit den älteren Menschen geäußert, die diese Qual auf sich nehmen müssen.

Montag, 15. Juni 2020

Afrika im Generalat

In unserem Haus gibt es allerhand Gegenstände aus den Ländern, in denen Missionare vom Kostbaren Blut tätig sind, nicht zuletzt Kunsthandwerk aus Tansania. Ein Krieger im Treppenhaus erzeugt bei uns eine Mischung aus Erschrecken und Spaß, weil er seinen Speer auf die Vorbeigehenden richtet.

Leider war ich (noch) nie in Afrika. Allerdings kann ich mich gut an zwei Priester der Erzdiözese Salzburg erinnern, die eine Zeit dort verbrachten und hinterher davon sprachen, vom „Afrika-Virus“ infiziert zu sein – es geht offensichtlich eine Faszination von diesem Kontinent aus.

Die zuletzt vor mir hier im Haus Angekommene ist Sr. Bakhita, gebürtig aus Sambia. Die Missionarinnen von der hl. Familie, eine in Polen gegründete Gemeinschaft, sind seit Jahren auch in verschiedenen Ländern Afrikas vertreten. Und ihre offizielle römische Adresse ist dieselbe wie unsere. Sr. Bakhita sah ich eines Tages mit einem Stapel Wäsche auf dem Kopf die Treppe hinauf marschieren. „Ah – Du transportierst auf afrikanische Art?“ fragte ich – und sie bestätigte Freude strahlend.

An einem anderen Tag unterhielten wir uns mit den Schwestern und kamen auch auf Afrika zu sprechen. Die Schwestern erzählten von einer polnischen Mitschwester, die viele Jahre in Afrika gewesen war und unbedingt dort bleiben, nicht in ihre Heimat zurück kehren wollte. Weil sie sich einfach für sich selbst kein „polnisches Begräbnis“ vorstellen konnte, sondern ein afrikanisches wollte, wo gesungen und getanzt wird. „Wer tanzt denn, wenn ich in Polen beerdigt werde?“

Francesco dagegen kam aus Tansania zurück, über 40 Jahre hat der Missionar vom Kostbaren Blut dort an verschiedenen Orten gelebt. Einmal hörte ich, er spräche so gut Suaheli, dass die Einheimischen ihn in Zweifelsfällen um Rat fragen. Francesco ist also zurück gekehrt, zwei Tage vor mir hier im Haus eingezogen. Wobei es für ihn eine Durchgangsstation ist, bis ihm der italienische Provinzial einen neuen Bestimmungsort bzw. eine neue Aufgabe zuweist. Manchmal sucht er ein italienisches Wort, es kommt ihm nur das Englische. Und klar: immer wieder erzählt er aus Tansania.

Etwa voller Unmut über den Staatspräsidenten, der sich genau wie andere Staatsoberhäupter in Bezug auf den Umgang mit der Corona-Pandemie nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Spannend fand ich auch ein Tischgespräch, bei dem es um Kirchenbau ging. Francesco regte sich darüber auf, wie die jungen afrikanischen Mitbrüder Kirchen bauen: „im gotischen Stil, lang und hoch, mit Fenstern, die sie aus Indien importieren“. Francesco, selbst Teilnehmer an der Afrika-Synode vor einigen Jahren, erinnerte seine jungen afrikanischen Mitbrüder an das von der Synode verwendete Bild für die Kirche: „Kirche als Familie Gottes“. „Also, wo hält sich denn die Familie auf? Im Wohnzimmer, im Kreis um den Tisch... Wieso lasst ihr denn dieses Bild nicht die Architektur der Kirche bestimmen?“ Aber sie hören nicht auf ihn.

Francesco bestätigt außerdem, was ich ja bereits in Deutschland gehört hatte, den ungeheuren Einfluss der Chinesen in Afrika. Sie sind überall präsent. Und regelmäßig fliegen Afrikaner zum Einkaufen verschiedener Dinge nach China.

Sonntag, 31. Mai 2020

Umzug

Es war etwas unheimlich, nach Rom zu reisen. Und ja nicht nur zu reisen, sondern umzuziehen. Mit einem (!) Koffer. 23 Kilogramm sind erlaubt, auf der Waage wurden dann 24,6 Kilo angezeigt, aber das ging ohne Beanstandung.
Und schon beim Einpacken und Überlegen, was jetzt da alles in den Koffer soll, hatte ich ständig die Bilder von Menschen auf der Flucht vor mir, die nicht „so viel“ mit nehmen können, die mit einem Rucksack oder ein paar Plastiktüten unterwegs sind.

Ich habe in Baumgärtle viele Schachteln auf dem Dachboden und einen Schrank voller Bekleidung zurück gelassen, in der Hoffnung, gelegentlich weitere Sachen nach Rom holen zu können. Wobei das ja etwas spannend ist: wie wird sich die Corona-Pandemie entwickeln? Wenn es steigende Fallzahlen gibt, dann könnte das ja mit erneuten Reiseeinschränkungen einher gehen. Und dann wäre „Sachen holen“ nicht so ohne weiteres möglich. Also ein gewisses mulmiges Gefühl... Und der Gedanke an Menschen auf der Flucht...

Im Vorfeld meines Umzugs hatte ich mich über Modalitäten und Formalitäten erkundigt und erfahren, dass ich für die Einreise ein „Selbsterklärungs-Formular“ ausfüllen muss. Das habe ich also im Internet herunter geladen, ausgedruckt und ausgefüllt. Und kopiert, man weiß ja nie! Außer den persönlichen Daten ist auf diesem Formular eine Begründung für die Reise anzugeben, denn so ohne weiteres Reisen geht ja momentan (noch) nicht.

Beim Flughafen in München musste ich zunächst einmal suchen. Ich hatte gelesen, dass Terminal 1 aufgrund geringen Fluggastaufkommens zur Zeit geschlossen ist und marschierte gleich zu Terminal 2. Wo ich erfuhr, dass das Einchecken in Terminal 1 stattfindet. Also zurück. Bei der Kofferabgabe erklärte mir die Alitalia-Mitarbeiterin, dass ich zwei Exemplare der „Selbsterklärung“ auszufüllen hätte. In dem Moment war ich glücklich über meine Kopie!

So marschierte ich zur Personenkontrolle, die sehr genau ablief, und wartete auf das „Boarding“. Natürlich eine „komische“ bis „unheimliche“ Stimmung am Flughafen: praktisch kein Geschäft und kein Lokal geöffnet, kaum Menschen unterwegs...

Zu Beginn des Einsteigeprozesses (Boarding) wurden wir Fluggäste noch einmal gefragt, ob wir denn schon das „Selbsterklärungsformular“ ausgefüllt hätten. Und tatsächlich holten sich dann einige noch so ein Blatt, bzw. zwei. Zwei Polizisten brachten einen Albaner, der nach Italien zurück geschickt werden sollte. Wie ich mit hörte, hatte ihm ein Dokument gefehlt, dass als Nachweis für einen „systemrelevanten Beruf“ hätte dienen können. Also musste er zurück nach Italien. Gott sei Dank sprach der Mann Italienisch und konnte verstehen, worum es ging.

Im Flugzeug wurden wir – nanu! - gefragt, ob wir schon ein „Selbsterklärungsformular“ ausgefüllt hätten (das war also jetzt der dritte Anlauf). Dabei mussten wir ja beim Boarding eines der beiden Exemplare abgeben, wären sonst gar nicht in die Maschine gekommen. Außerdem wurde natürlich vor dem Einsteigen die Körpertemperatur gemessen.

Und dann startete das Flugzeug und landete ca. 75 Minuten später in Rom. Gespannt war ich ja, wie die übliche Erklärung der Stewardessen für den Notfall aussehen würde, weil wir ja alle mit „Mund-Nasen-Bedeckung“ im Flugzeug saßen. Tatsächlich kam zuerst die ganz normale Erklärung und – wenn ich es richtig verstanden habe – hinterher ein Nachtrag, in dem erklärt wurde, dass doch die „Mund-Nasen-Bedeckung“ abzunehmen sei, bevor die Atemmaske aufgesetzt wird. In Rom angekommen, bekamen wir ein weiteres Formular ausgehändigt, das auszufüllen war, diesmal etwas anders, aber im Prinzip mit denselben Angaben. Mit diesem Formular ging es dann an einen Tisch zu einem Menschen hinter Plexiglas. Es gab um die zehn Tische, fünf von Polizisten, fünf von Beamten des Finanzministeriums besetzt. Mein Gegenüber kontrollierte die Angaben auf dem Blatt und winkte mich durch zur Gepäckrückgabe. Auch der Koffer war angekommen.
Hatte ich zwischendurch noch überlegt, trotz des schweren Koffers den Weg vom Flughafen zu unserem Haus mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzutreten, so wurde mir klar, dass das rechtlich gar nicht erlaubt war. Als aus dem Ausland Einreisender durfte ich kein „öffentliches Verkehrsmittel“ in Anspruch nehmen, so blieb das Taxi.

Am Tag nach meiner Ankunft meldeten wir diese bei der Gesundheitsbehörde und wurden darauf hingewiesen, dass ich mir zweimal täglich die Körpertemperatur zu messen hätte und täglich einen Anruf bekäme, um diese durch zu geben. Außerdem müsse ich 14 Tage in Quarantäne bleiben. Ab dem zweiten Tag lief das „Temperatur-Durchgeben“ dann über WhatsApp.

Das „Quarantäne-Schicksal“ teile ich mit Francesco Bartoloni, einem italienischen Mitbruder, der nach vielen Jahren in Tansania in seine Heimat zurück gekehrt ist und ein paar Tage vor mir ankam.

Freitag, 15. Mai 2020

Zusammenleben

Mit Matteo habe ich einige Wochen das Zimmer geteilt, damals vor vielen Jahren im Spiritualitätszentrum in der Nähe von Florenz. Ein ganz ein feiner Kerl – und in seinen Künsten auf der Gitarre mir haushoch überlegen. Es gab nur ein Problem: während ich gewohnt bin, bei offenem Fenster zu schlafen, konnte sich Matteo das überhaupt nicht vorstellen. Ich weiß gar nicht mehr, wie wir uns damals geeinigt haben. Auf jeden Fall sind wir Freunde geblieben. Matteo ging für seine Ordensgemeinschaft, die Xaverianer, nach Asien. Lange Jahre war er in Indonesien und ist nun seit ein paar Jahren auf den Philippinen. Jeden Monat schreibt er eine kleine Erfahrung aus seinem Leben auf, die mich jedes mal berührt, von ihm habe ich diese Praxis übernommen und versuche auch, Leben mit anderen zu teilen.

Und neulich gab es – Corona sei´s gedankt - eine Videokonferenz mit mehr als 100 Ordensmännern aus aller Welt, 25 Fenster waren jeweils gleichzeitig auf dem Bildschirm geöffnet. Ich hatte Matteo gar nicht wahr genommen, aber er schrieb mir hinterher, dass er sich gefreut habe, mich zu sehen. Ich weiß gar nicht, ob er sich noch an die „Fenster-Frage“ im Spiritualitätszentrum erinnert...

Jetzt lebe ich mit Juan zusammen, ein Missionar vom Kostbaren Blut aus Chile, der die letzten Jahre in den USA gelebt hatte. Ein sehr liebenswürdiger und auf verschiedenen Feldern begabter Mann.
Als wir im Februar als Generalleitung zusammen waren, ging es darum, ein offizielles Gruppenfoto zu machen. Juan ist leidenschaftlicher Hobbyfotograf. Und er war ganz untröstlich, dass am Tag des Gruppenfotos die Sonne strahlend schien. „Hätten wir es doch gestern gemacht, da war der Himmel bedeckt“, seufzte er. Schlussendlich lud er uns zum Fototermin in die Kapelle ein, weil draußen die Lichtverhältnisse einfach nicht seinen Vorstellungen entsprachen. Als ich merkte, welche Bedeutung das Gruppenfoto für ihn hatte, fragte ich ihn – eher im Scherz – ob er bezüglich der Bekleidung noch Vorstellungen habe. Etwas abschätzig schaute er auf meine Sandalen und meinte, ich solle mir dann doch bitte geschlossene Schuhe anziehen. Wow! Darauf wäre ich tatsächlich nicht gekommen. Natürlich kam ich Juans Wunsch nach. Und war heilfroh, als ich seine Vorbereitungen in der Hauskapelle sah: die Bänke waren auf die Seite gerutscht, am Eingang stand die Kamera auf Stativ, vorne hatte er einen externen Blitz aufgebaut, Juan selbst erschien in Anzug und Krawatte. Und es sind schöne Fotos geworden...

In Maria Baumgärtle ist mein Nachfolger eingezogen. Und mir ging es jetzt mehrmals so, dass ich meine Stoffserviette, zusammengehalten von einem schon etwas lädierten Serviettenring (ein Holzzebra, das mir eine Ordensschwester aus Burkina Faso mit gebracht hat) suchte. Die Serviette ließ ich sonst immer auf dem Tisch liegen. Stimmt: es gibt eine Schublade für die Servietten. Andere Serviettennutzer unter den Mitbrüdern legen ihre Serviettentasche dort ab. Als ich etwas genervt bei einer Mahlzeit bemerkte, dass ich meine Serviette suche, meinte mein Nachfolger, er habe sie aufgeräumt. „Das sieht doch nicht aus, wenn da jemand kommt, wenn die Serviette auf dem Tisch liegt...“ Okay, wieder eine andere Perspektive.

So geht das mit dem Zusammenleben, mit Fenstern, Sandalen und Servietten und... und sehr oft bin ich da nicht so geduldig und verständnisvoll. Trotzdem hoffe ich, noch nicht zu alt zu sein, um immer wieder etwas dazu zu lernen. In Rom leben wir zu sechst im Haus, drei Frauen und drei Männer, und stammen aus fünf verschiedenen Nationen. Da ist allerhand Lernmöglichkeit gegeben...

Donnerstag, 30. April 2020

Ewa

Wenn ich mich morgens zur Meditation auf den Schemel setze, dann stelle ich, nachdem ich eine Kerze angezündet habe, auf dem Handy die Weck-Zeit ein. Nach einer halben Stunde will ich die Gebetszeit beenden, ohne zwischendurch auf die Uhr schauen zu müssen. Lange Zeit habe ich das Smartphone hauptsächlich für diesen Zweck verwendet. Und im Zusammenhang damit auch „verschmutzt“. Denn wenn ich am Ende der Gebetszeit die Kerze ausblase, dann drücke ich – als ehemaliger Mesner und „Kerzenpfleger“ - den weichen Wachsrand ein, damit die Kerze schön herunter brennt. Manchmal passiert es dann, dass ich noch ein wenig Wachs an den Fingern habe, wenn ich die Weck-Zeit im Smartphone wieder lösche.

Nachdem ich das Smartphone nicht ständig bei mir trage, kommt es durchaus vor, dass ich beim Einschalten die ein oder andere WhatsApp-Nachricht angezeigt bekomme. Im Normalfall geht meine morgendliche Selbstdisziplin so weit, dass ich diese nicht lese, bevor ich mit dem Gebet beginne, sondern gegebenenfalls danach. Neulich sah ich jedoch, dass eine Nachricht von Sr. Ewa angekommen war, mit der ich am Abend zuvor noch „ge-whatsappt“ hatte. Und da hat die „Selbstdisziplin ausgesetzt“ und ich las... Und fühlte mich dadurch so in die Gegenwart Gottes versetzt, dass ich gleich mit Ewas Nachricht ins Gebet ging...

Was hatte Ewa geschrieben? Dazu muss ich kurz die Hintergründe erläutern. Ewa ist Regionaloberin ihrer Gemeinschaft (der Anbeterinnen des Blutes Christi) in Polen. Als solche reiste sie vor einigen Wochen noch nach Weißrussland, um ihre Mitschwestern dort zu besuchen. Das war gerade die Zeit, als Corona ausbrach. So gestaltete sich auch Ewas Rückweg schwierig. Ich meine, sie musste zunächst 48 Stunden am Moskauer Flughafen verbringen und danach war sie froh, irgendeinen Flug zurück nach Breslau zu bekommen. Dort angelangt, begannen für sie zwei Wochen strenge Quarantäne. Tatsächlich kam die Polizei jeden Tag kontrollieren und wollte die Schwester von der Straße aus am Fenster ihres Zimmers sehen, das sie nicht verlassen durfte. Wobei Ewa meinte: „die sind aber nett, die fragen mich auch, ob ich etwas brauche, das sie mir bringen können!“.

Nach Beendigung der Quarantäne-Zeit ging Ewas Corona-Geschichte in anderer Form weiter. Ein paar Schwestern der Gemeinschaft arbeiten in einem Seniorenheim in der Gegend von Warschau, welches – soweit ich richtig verstanden habe – eine Pfarreistiftung als Träger hat. Ziemlich das ganze Personal des Hauses war Corona-infiziert. So dass sich Ewa mit zwei Mitschwestern auf den Weg machte, um in diesem Haus zu helfen, einzuspringen: in der Pflege der alten Menschen. Ein Foto habe ich gesehen: Ewa mit Atemschutzmaske und Gummihandschuhen am Bett einer Seniorin.

Und so fragte ich sie, nachdem sie mir einen aufbauenden Musik-Video-Clip („Hosanna in the highest“) aufs Handy gesandt hatte, wie es ihr gehe, und ob sie noch im Altenheim sei. Und am Morgen darauf las ich dann ihre Antwort: „ja, ich bin noch dort. Das ist eine gute Erfahrung für mich. Diese Exerzitien sind noch besser als diejenigen in meinen zwei Wochen Quarantäne in Breslau. Das Personal ist gesundet und kehrt langsam in die Arbeit zurück, aber zwei Schwestern brauchen noch etwas Erholung. So bleibe ich noch bis zum 1. Mai“.

Das war Ewas Nachricht, die mich mit großer Dankbarkeit erfüllte und die ich ins Gebet nahm. Mit dem Wunsch, selbst auch so zu leben, dass andere Menschen dadurch womöglich eine Ahnung der Gegenwart Gottes bekommen. Die sich im Alltäglichen zeigt...

Und im Idealfall Gottes Gegenwart auch in anderen Umständen zu entdecken, wahr nehmen zu können.

Mittwoch, 15. April 2020

Einpacken

Ich bin am einpacken. Das kenne ich. Neu ist, dass ich noch nicht weiß, wann und wie ich umziehen werde. In Italien ist ja zumindest noch bis zum 3. Mai eine strenge Ausgangssperre. Die Mitbrüder im Generalat sind froh über den großen Garten, um sich dort wenigstens ein bisschen die Beine vertreten zu können.

Ich packe ein, weil mein Nachfolger zum Einziehen bereit ist. Er hat wohl schon das Meiste seiner Habseligkeiten in Schachteln hier und ich verstehe, dass er wieder auspacken und ankommen möchte. Also packe ich ein und ziehe vorübergehend in ein frei stehendes Zimmer hier im Haus.

Beim Einpacken geht mir natürlich allerhand durch den Kopf, je nachdem, was ich gerade in die Hand nehme. Werde ich es noch einmal brauchen? Soll ich es weg werfen? Auch um meinen Rücken mache ich mir ein wenig Sorgen. War ich doch zu Beginn des neuen Jahres einige Tage ziemlich außer Gefecht, nachdem ich mich, vermutlich beim Aufbau der großen Weihnachtskrippe, verhoben hatte. Was sich dann nur mit Spritzen und Schmerztabletten wieder in den Griff bekommen ließ. Hoffentlich nicht jetzt wieder...

Wobei: ich bin ja froh, dass überhaupt leere Umzugsschachteln im Haus sind. Sie stammen zum großen Teil von meinem Umzug hierher. Nachdem der Baummarkt geschlossen ist, komme ich momentan an keine kleineren Schachteln – für Bücher wären solche sicher geeigneter. Also befülle ich die großen Schachteln und bringe sie mit Hilfe einer Sackkarre und des Aufzugs in den Dachboden. Jetzt bin ich froh über den Aufzug. Die letzten Jahre habe ich mich eher geärgert, wenn horrende Summen für Service und Überprüfungsgebühren bezahlt werden mussten.

Aber es kommen noch andere Gedanken. Ich habe gerade eben ein Buch eines Luxemburger Ethnologen zu Ende gelesen: „Bittere Orangen. Ein neues Gesicht der Sklaverei in Europa“. Darin beschreibt er zum Teil detailliert die Lebens-, Arbeits- und eben auch Wohnbedingungen von Erntearbeitern vorwiegend im italienischen Kalabrien. Die Menschen leben teilweise in Slums. Und das wenige Hab und Gut ist bei dem einen oder anderen in einer Plastiktüte untergebracht.

Ich bräuchte allerhand Plastiktüten...

Dienstag, 31. März 2020

Fastenspaziergang

Auch in diesem Jahr habe ich eine Woche gefastet. Mayr-Kur, mit Milch und Semmeln. Tat gut! Zum Fastenprogramm gehörte auch der tägliche Spaziergang, wobei ich dabei etwas langsamer ging als ich es normalerweise tue. Und ich freute mich über die Buschwindröschen und die ersten Schmetterlinge, Zitronenfalter, einmal gleich vier nebeneinander. An zwei oder drei Stellen hörte ich einen Specht klopfen. Und ein Entenpärchen schreckte mich auf: sie schwammen in einer großen Pfütze neben dem Weg (im Normalfall ist dort trocken!) und waren wohl ihrerseits durch mich erschreckt worden... Jetzt flatterten sie davon in die Luft...

Weniger schön sind die Hinterlassenschaften der Menschen am Straßenrand, vermutlich „einfach so“ aus dem Auto geworfen. Irritiert war ich dabei über eine „Süddeutsche Zeitung“ - weil ich vom Leser einer solchen doch mehr Kultur erwartet hätte. Aber nein, da lag sie am Straßenrand, offensichtlich eine aktuelle Ausgabe, die Graphik des Corona-Virus auf der Titelseite. An leere Zigarettenpackungen, Bierflaschen oder die Einwegbecher des Fast-Food-Restaurants bin ich eher gewohnt. Vielleicht sollte ich es doch so machen, wie früher P. Hugo. Von ihm erzählen die Leute hier in Baumgärtle, dass er mit einer leeren Plastiktüte spazieren ging und das einsammelte, was andere „einfach so“ weg geworfen hatten.

Mir fällt dabei eine der Missionserinnerungen von Don Giuseppe Montenegro ein, ein italienischer Mitbruder, der zuerst als Missionar in Tansania und später in Indien gearbeitet hat. Verschiedene Erinnerungen an diese Zeit schrieb er für eine Zeitschrift der italienischen Mitbrüder auf, und vor zwei Jahren erschien ein Büchlein, in dem diese Erzählungen gesammelt sind. An einer Stelle beschreibt Don Giuseppe, wie er in Bangalore (Indien) dazu kam, als in der Stadt an einem bestimmten Platz ein Lastwagen seine Fracht, nämlich Müll, ablud. In Windeseile waren Menschen, Frauen, Männer, Kinder zur Stelle, die den abgeladenen Müll sortierten, offenbar mit System und Arbeitsteilung. Don Giuseppe schreibt, dass der Platz, auf dem der LKW seine Fracht ablud, nach einer Viertelstunde leer war. Diesen Umgang mit Abfall stellt der alte Missionar als vorbildhaft, in gewisser Weise nachahmenswert hin, eben die Wiederverwertung, das Recycling.

Was mich an einen anderen Missionar erinnert, von dem ich vor drei Jahren schon einmal in diesem Blog erzählt habe. Nach dem Pfarr-Flohmarkt in Salzburg-Parsch warfen wir das übrig Gebliebene in einen Container. Der Brasilien-Missionar Fritz Tschol konnte es überhaupt nicht fassen, was die Leute alles weg gaben bzw. weg warfen. „Bei uns würden sich sofort Menschen darauf stürzen und diese Sachen holen und etwas mit ihnen machen“, so sagte er.

Für das in der Welt grassierende Corona-Virus gibt es verschiedene Deutungen und Erklärungen. Der Befreiungstheologe Leonardo Boff etwa schrieb darüber „Mutter Erde rächt sich“. Auch wenn man diesbezüglich geteilter Meinung sein kann, geht mir diese Deutung nach, wenn ich beim Spaziergang sehe, was die Menschen so weg werfen. Außer den oben erwähnten Kleinigkeiten begegnet mir seit ein paar Tagen ein Staubsauger, den jemand im Wald „entsorgt“ hat.

Und ich komme an den Baumriesen vorbei, welche vor einigen Wochen der Sturm „Sabine“ entwurzelt und flach gelegt hat. Bisweilen kommen mir diese Bäume wie ein Symbol vor, mit ihren flachen Wurzeln, wie sie nun umgekippt daliegen.
Ich wünsche mir und uns tief reichende Wurzeln, um den Stürmen Widerstand leisten zu können. 


Sonntag, 15. März 2020

ganz da sein

Als bei der Beerdigung des französischen Jesuiten Michel de Certeau am 13. Januar 1986 am Schluss Edith Piafs Lied Je ne regrette rien gespielt wurde, geschah das auf Wunsch des Verstorbenen. Und es wurde gesagt, dass Michel de Certeau das Lied sehr liebte und über die Sängerin angemerkt hatte: „Sie singt nicht...sie ist ganz und gar in ihrer Stimme – so wie ein Tropfen Wasser im Ozean“1
Vielleicht kennen Sie Ähnliches als Zu-Hörende: dass Sie plötzlich ein Lied nicht mehr einfach hören, sondern den Eindruck haben, „im Lied zu sein“? Ein Ohrwurm, der einen nicht mehr los lässt. Ich erinnere mich an „Eres tu“ von den Mocedades, das ich während meines Jahres in Spanien in einem Kino-Film hörte. Manche würden es vielleicht als Schnulze bezeichnen, mir ging es nicht mehr aus dem Ohr. Dieses Liebeslied, dessen Bilder mich in manchem an die biblischen Psalmen erinnern.
Oder jetzt habe ich Katrin gebeten, bei der Vesper anlässlich meines Abschieds in der Osterwoche mit ihrem Chor „Resta qui con noi“ zu singen. Und sie sagte mir am Telefon: „da hast Du was angerichtet: ich werde das Lied nicht mehr los, es verfolgt mich noch beim Einschlafen“.

Ich erinnere mich aber auch an eine Aussage von Chiara Lubich, an deren 100. Geburtstag in diesem Jahr erinnert wird. Mindestens einmal sagte sie, jetzt mit meinen Worten: „es kommt nicht darauf an, zu lieben, sondern Liebe zu sein“. Da ist ein Unterschied! Oh ja...

Letztlich wünschte ich mir das auch für alle Bemühungen um ein gutes Gebet: nicht nur „zu beten“, Gebete zu sprechen, sondern „Gebet zu sein“. Ich denke, bei Jesus lässt sich das ablesen. Sicher fordert er auch zum ausdrücklichen Beten auf. Aber er selbst ist Gebet – ständig ausgerichtet auf den Vater im Himmel, immer in Zwiesprache mit ihm.

Während meiner Baumgärtler Jahre war ich öfter am Sonntag Abend in Mindelheim. Einmal im Monat treffen sich dort Menschen zur sogenannten „Stille am Sonntag“. Wir schweigen eine Stunde (aufgeteilt in zwei mal 25 Minuten) miteinander. Und es ist genau diese Form, die mir hilft, „Gebet zu sein“, nicht nur „zu beten“. Alle gesprochenen Gebete, die ich ja durchaus auch pflege, haben für mich damit zu tun.

Nicht nur äußerlich etwas tun, lieben, beten..., sondern ganz „drinnen sein“.

Mir kam auch noch einmal der etwas „gefährliche Hinweis“ von Papst Franziskus in den Sinn, über den sich Flugbegleiterinnen zu Recht beschweren könnten. Er fordert zum Lächeln auf, aber – wieder mit meinen Worten - „nicht so wie manche Stewardess, wo das Lächeln so eingefroren wirkt“. Also nicht lächeln, sondern „Lächeln sein“. Immer wieder dasselbe...

Man kann es zusammenfassen mit dem Motto, das ich bei den Jesuiten gelernt habe: „age, quod agis“ - „was du tust, das tue ganz“. Wie oft gelingt mir das nicht... Und doch, ja, ich möchte...
Da zieht es mich hin: ganz zu sein, ganz drin zu sein im Tun, nicht oberflächlich zu leben.

Irgendwo las ich einmal, das biblische Hauptgebot: „du sollst den Herrn deinen Gott lieben mit ganzem Herzen“ (Dtn 6,5) könnte auch übersetzt werden: „mit geeintem Herzen“. Gegen alles hin und her gerissen werden, sich „zerfransen“ lassen.

Und Jesu Aussage: „Wer das Reich Gottes nicht annimmt wie ein Kind, der wird nicht hinein kommen“ (Mk 10,15) hat wohl damit zu tun. Ein Kind kann beim Spielen die Welt um sich herum vergessen, ganz drin sein....

Die Wochen vor Ostern mögen uns, durch das bewusste Weg-Lassen von dem einen oder anderen, dem entschiedenen Verzicht auf dieses oder jenes, neu auf diese Fährte des gelingenden und erfüllten Lebens helfen...
1Vgl. Bauer, Christian, Verwundeter Wandersmann? Michel de Certeau – eine biographische Spurensuche, in: ders./Sorace, Marco A. (Hgg.), Gott anderswo? Theologie im Gespräch it Michel de Certeau, Ostfildern 2019, S. 45.

Samstag, 29. Februar 2020

zur Zeit

Den nur alle vier Jahre vorkommenden 29. Februar möchte ich als Aufhänger zu einigen „Zeit-Geschichten“ nehmen.
Gerade komme ich von zu Hause und habe in der Heimatzeitung voller Freude einen Artikel über die Reparatur der Kirchturmuhr in der Nachbargemeinde gelesen. Wochenlang stand sie auf halb zwei. So dass schließlich ein Kostenvoranschlag für eine Reparatur eingeholt wurde: € 10.000.- sollte sie kosten. Was die Verantwortlichen schlucken ließ. Im Artikel wird nun die Initiative des Pfarrgemeinderatsvorsitzenden beschrieben, offensichtlich ein Tüftler. Mit dem Sachverständigen der Turmuhrenfirma schaute er sich den Schaden an und gemeinsam machten sie den Defekt ausfindig. Der Pfarrgemeinderatsvorsitzende entschied: „das machen wir selbst!“. Sein Bruder hat einen Metall verarbeitenden Betrieb. So wurden die zwei defekten Teile ausgetauscht und „nebenbei noch ein paar andere Kleinigkeiten behoben“, wie der Zeitungsbericht vermerkt. Die Uhr läuft wieder. Kosten jetzt: € 2000.- Toll, nicht wahr?
Dabei fällt mir auf, dass ich noch nie im Mindelheimer Turmuhrenmuseum gewesen bin. Wobei inzwischen eine solche (Turm-)Uhr mitten in der Stadt zu sehen ist. Die Kosten dafür waren (und sind?) bei der einheimischen Bevölkerung durchaus umstritten...

Apropos Kosten: viele tragen ja inzwischen keine Armbanduhr mehr, weil sie auf ihr Handy schauen, wenn sie wissen möchten, wie spät es ist. Auf der anderen Seite gibt es aber offensichtlich auch Menschen, die ein ganze Kollektion von Armbanduhren zu Hause liegen haben müssen. Je nach Bekleidung wählen sie das entsprechende Stück als Accessoire. Was mir fremd ist. Ich habe eine Armbanduhr und bin froh, wenn diese funktioniert. Bei Bergtouren nehme ich sie schon einmal vom Handgelenk weg und befestige sie am Gürtel, um sie nicht zu sehr dem „Schweiß-Angriff“ auszusetzen.

Für meine älteren Mitbrüder ist die Armbanduhr auch ganz wichtig. Wenn die Batterie zur Neige geht, dann möchten sie am liebsten sofort eine neue eingesetzt haben. Nachdem wir aber zum nächsten Uhrengeschäft 14 Kilometer fahren müssen, muss ich manchmal etwas bremsen und habe neulich einmal einen kleinen Reisewecker als Ersatz zur Verfügung gestellt, bis jemand in die Stadt kam, um die Batterie der Armbanduhr wechseln zu lassen.

Auf dem Rückweg aus Rom am vergangenen Samstag hatte mein Zug ab Bologna bald einmal ziemlich Verspätung, knapp eine Viertelstunde war es schließlich. Und ich begann mir Sorgen bezüglich meines Anschlusses in München zu machen. Wie sich zeigte umsonst. Denn ab Innsbruck raste der Zug dahin, so dass bis München die Verspätung aufgeholt war, wir pünktlich an kamen und ich ganz ohne Schwierigkeiten den Anschlusszug Richtung Allgäu erwischte. Wunderbar!

Zeit ist wichtig! „Die Tugend lässt sich nicht an einem Tag erwerben. Wer vorwärts geht, rutscht bisweilen aus, richtet sich jedoch sofort wieder auf und geht weiter. Gott sieht, dass wir ihn lieben und ihm in Treue dienen wollen“, so schrieb der hl. Gaspare del Bufalo, der Gründer unserer Ordensgemeinschaft in einem Brief. Mir gefällt das! Wir sind als Menschen unterwegs, auf dem Weg... Manchmal begegne ich Menschen, die meinen, sie hätten sich doch vor so und so viel Jahren bekehrt und jetzt begehen sie immer noch Sünden und machen Fehler. Und dann sind sie maßlos enttäuscht über sich selbst. Die Sicht Gaspares ist realistischer und deswegen dem Menschen angemessener: „die Tugend lässt sich nicht an einem Tag erwerben“. Wir sind unterwegs und das Entscheidende dabei ist, von Gott gesehen zu werden.

Eines der Prinzipien, das Papst Franziskus nicht müde wird, zu wiederholen, heißt: „die Zeit ist wichtiger als der Raum“. Es ist wichtiger/besser, Prozesse in Gang zu setzen als Räume zu besetzen.

Samstag, 15. Februar 2020

"Probe-Wohnen" in Rom...

Nach einigen Tagen in Castel Gandolfo bin ich seit vergangenen Sonntag in Rom in unserem Generalatshaus, jemand nannte es „Probe-Wohnen“. Denn nach Ostern werde ich ja hierher ziehen. Das „Probe-Liegen“ ist schon einmal hilfreich, insofern ich den Eindruck habe, ein anderes Bett zu brauchen.
Aus dem Fenster sehe ich ins Grüne: ein (etwas verwilderter) Garten mit hohen Pinien. Deren große Zapfen, die überall auf dem Boden liegen, gefielen mir schon bei früheren Italien-Aufenthalten.
An einem Tag sah ich zwei wunderschöne grüne Papageien auf einem Strauch sitzen. Und es stellte sich heraus, dass diese nicht irgendwo „entflogen“ waren, sondern hierzulande „in freier Wildbahn“ heimisch werden. Kommentar eines italienischen Mitbruders: „wir werden ein tropisches Land“. Wobei ich glaube, einmal gelesen zu haben, dass es auch in Bonn Papageien „in freier Wildbahn“ gibt.

Wir fünf beginnen in diesen Tagen unsere sechsjährige Amtszeit: vier von uns werden gemeinsam hier im Haus wohnen, Angelo kommt zweimal im Jahr aus den USA. Emanuele ist der einzige, der schon bisher im Leitungsteam gearbeitet hat und jetzt ist er – unser Jüngster! - der Generalmoderator. Und wir haben zum ersten Mal in der Geschichte der Missionare vom Kostbaren Blut einen Bruder in der Generalleitung: Juan, ein gebürtiger Chilene, der in den vergangenen Jahren in den USA gelebt und gearbeitet hat. Zum Team gehören dann noch Augusto, gebürtiger Italiener, der in den vergangenen Jahren in Kanada war, und ich. Eine bunte Mischung und insgesamt ein junges Team. Ich bin nach Angelo der zweitälteste, also der Älteste hier im Haus.

Nachdem ich in meiner bisherigen Hausgemeinschaft der jüngste war, bedeutet das eine gewisse Umstellung. Theoretisch war mir das ja klar. Praktisch merkte ich es, als es darum ging, gemeinsam zu beten: „wir verwenden `devices´ (also elektronische Geräte)“ hieß es, also keine Bücher. Au weia! Mit einer gewissen Schadenfreude stellte ich dann fest, dass das gar nicht so einfach war. Denn es gibt verschiedene Anbieter für ein digitales Stundengebet. Die Texte unterscheiden sich dann, ganz zu schweigen von der Übersetzung des Bibeltextes. Schließlich einigten wir uns auf eine bestimmte englische App. Die zu meinem (schwäbisch-sparsamen) Entsetzen kostenpflichtig ist. Das gefiel mir nicht, zwölf Euro zu bezahlen, um (zunächst ja nur ein paar Tage) mit den anderen gemeinsam beten zu können. Als ich mein Missfallen kund tat, erklärte mir einer, ich könne eine Probeversion herunter laden, die bis Ende des Monats kostenfrei sei. So habe ich jetzt beim gemeinsamen Stundengebet also wie die anderen auch mein Handy vor mir. Und habe hin und wieder gewisse Schwierigkeiten mit der Schriftgröße.

Vorgestern gab es etwas Aufregung, weil plötzlich die Feuerwehr aufkreuzte. Was war geschehen? Ein Nachbar hatte die Feuerwehr informiert, in der Annahme, ein Ast eines Baumes in unserem Garten sei kurz davor, auf die Straße zu fallen. Wir selbst hatten von der Aktion erst erfahren, als die vier Feuerwehrmänner vor der Tür standen. Vor unserer! Und fragten, wer sie gerufen habe. Jetzt haben sie draußen im Garten einen Bereich abgesperrt, der große Ast hängt noch am Baum und wird wohl eher in unseren Garten als auf die Straße fallen.

Gestern waren wir im Generalat der ASC-Schwestern (Anbeterinnen des Blutes Christi, so etwas wie unser „weiblicher Zweig“): dort ging eine Versammlung von Schwestern dieser Gemeinschaft aus aller Welt zu Ende und wir feierten gemeinsam mit ihnen den Abschluss. Ein frohes Wiedersehen! Mit Sr. Loreta (aus Bosnien) war ich gemeinsam in Kufstein, mit Sr. Ania (aus Polen) früher in Maria Baumgärtle – die beiden gehören zur „Besatzung“ des Generalatshauses. Dann traf ich die beiden Vertreterinnen aus Schaan/Liechtenstein, andere aus Polen und anderen Teilen der Welt.

Am Montag erwarten wir die sieben Schwestern der Generalleitung der ASC hier bei uns im Haus zum Abendessen...

Freitag, 31. Januar 2020

MCI

Unser P. Peter baut ab, wird zusehends schwächer. Noch vor einigen Monaten ging er draußen die ein oder andere Runde. Dann wurde seine Haltung dabei zusehends schief. Und jetzt braucht er einen Stock und macht kleine Tippel-Schritte. Wir haben ihm auch den Rollator empfohlen, aber er hat Sorge, wie er vom Sitzen aufstehend, in diesen „hinein kommen kann“.

Aber nicht nur die körperliche Schwäche wird größer...
Schon länger blödeln wir hin und wieder über „MCI“. Eine Krankenschwester, die bei sich selbst Anzeichen von Alzheimer festzustellen meinte, ließ sich darauf hin untersuchen. Und bekam als Diagnose: „kein Alzheimer, sondern MCI, mild cognitive impairment“ (also auf deutsch: „milde Bewusstseins-Beeinträchtigung“). Wenn jetzt P. Peter wieder einmal etwas vergisst oder nach einem Wort sucht, dann lächeln wir gemeinsam mit ihm: „MCI“.

Am 30. Dezember stürzte P. Peter, vermutlich beim Aufstehen vom Frühstückstisch. P. Willi wollte sich von ihm verabschieden und fand ihn auf dem Boden, am Kopf blutend. Die Wunde schien uns so, dass sich das Nähen nahe legte und so fuhr ich mit P. Peter in die Praxis. Wo die Ärztin und die Sprechstundenhilfe etwas Neues erlebten: noch nie war ihnen ein Patient während des Nähens einer Wunde eingeschlafen. P. Peter schon. In der Praxis boten sie mir einen Rollstuhl an, um P. Peter damit zum Auto zurück zu fahren. Was wir dankbar annahmen.

Als wir eine Woche später zum Ziehen der Fäden in der Praxis waren, wies ich die Ärztin darauf hin, dass P. Peter wohl auch ziemlich erkältet sei. Sie verschrieb ihm ein Antibiotikum und bemerkte auch sein entzündetes linkes Auge, für das es noch Augentropfen gab. An die Einnahme der Medikamente muss man P. Peter dann besser erinnern bzw. ihm behilflich sein (Augentropfen).

Öfter fragt P. Peter auch, welcher Tag denn sei oder wir erinnern ihn an eine Mahlzeit. Bzw. er geht in die Sakristei der Hauskapelle und wundert sich, niemanden zu finden. Alle sind an diesem Tag in der Wallfahrtskirche.

So fragen wir uns, ob wir ihm in seiner Situation überhaupt noch gerecht werden bzw. uns auch selbst überfordern. Im Hinblick auf diese Frage gehen dann die Meinungen unter uns zum Teil auseinander. Wir schätzen sowohl P. Peters Situation als auch unsere eigenen Möglichkeiten verschieden ein. Und ziehen dementsprechend unterschiedliche Schlüsse.

Ähnlich ist es ja auch in Familien, wenn sich die Kinder zusammensetzen müssen und überlegen, ob die älter gewordenen Eltern noch in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können oder doch ein Umzug in ein betreutes Wohnen bzw. ein Altenheim angebracht ist.

Natürlich möchten wir nicht leichtfertig jemanden abschieben und sind auch bereit, das in unseren Möglichkeiten Stehende zu tun. Und manches Mal, wenn wir bei einer Mahlzeit länger brauchen, frage ich mich, ob dieses „Gebremst-Werden“ nicht auch eine Bedeutung für uns sehr auf Effektivität bedachte Menschen haben könnte.

Schon lange wollte ich Arno Geigers „Der alte König in seinem Exil“ lesen und habe jetzt endlich damit angefangen. Der Vorarlberger Schriftsteller beschreibt in diesem Buch auf sehr berührende Weise seinen Umgang mit seinem an Alzheimer erkrankten Vater. Und ich entdecke das ein oder andere, was mir bekannt vorkommt. Auch vom eigenen Empfinden her.

Es gibt viel Übungsstoff: z.B. auch alte Geschichten wieder und wieder anzuhören, weil das dem Erzählenden offenbar gut tut. Diese Erfahrung habe ich schon bei einem anderen dementen Mitbruder gemacht. Wenn es auch auf der kognitiven Ebene schwierig geworden ist, auf der emotionalen Ebene scheint das Gespür trotz aller sonstigen Einschränkungen sehr wach zu sein...

Mittwoch, 15. Januar 2020

achtsam gehen

Normalerweise informiere ich mich über das Tagesgeschehen durch die Nachrichten im Radio. Und für das Lokale lese ich gerne die Zeitung. Hin und wieder sehe ich auch Nachrichtensendungen im Fernsehen. Und dort gab es neulich Bilder, die mir jetzt über Tage hinweg nachgehen.

Bilder aus Teheran, wo viele Menschen gegen das Regime protestieren, welches den (versehentlichen) Abschuss eines Flugzeugs erst Tage später eingestand. Auf den Bildern, die mir haften geblieben sind, ist zu sehen, wie die Protestierenden nicht über zwei auf den Boden gemalte Flaggen, die der USA und Israels, marschieren, sondern außen, an den Rändern vorbei. Und ein paar einzelne, die sich nichts dabei zu denken scheinen und über die Flaggen gehen, werden von denen, die sich am Rand bewegen, ausgebuht.

Beim Sehen dieser Bilder regten sich in mir Freude und Dankbarkeit. Das ist so etwas anderes als das Verbrennen der Fahnen, welches auch hin und wieder zu sehen ist. Menschen drücken ihren Hass aus, indem sie die Flaggen eines anderen Landes in Brand stecken, manchmal auch das Konterfei eines Politikers eben dieses Landes.
Und jetzt: obwohl es eng ist, gehen die vielen Menschen am Rand der auf den Boden gemalten Flaggen vorbei. Ich empfinde das als Ausdruck von Respekt gegenüber der anderen Nation. Bzw. lassen sich die Menschen nicht instrumentalisieren, indem sie mitten auf dem Weg, aber eben über die gemalten Flaggen hinweg, gehen.

Bei aller Freude über diese kollektive Achtsamkeit habe ich gefragt, wie achtsam ich gehe bzw. umgehe mit dem/den anderen? Es geht ja nicht nur um das Betreten einer gemalten Flagge. Und es passiert nicht nur bei „cross-culture-Begegnungen“, das ich in Gefahr bin, in Fettnäpfchen zu treten.

„Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden“ (Ex 3,5). Das ist nicht nur die Aufforderung, die Mose hört, als er sich dem brennenden Dornbusch in der Wüste nähert. Darum geht es auch in der Begegnung mit anderen Menschen.

Ende des vergangenen Jahres verlegte Günter Demnig in Memmingen den 75000. Stolperstein, der an dort lebende Menschen jüdischen Glaubens erinnern soll, konkret an die Familie Rosenbaum. In mehreren Ländern Europas sind diese jetzt 75000 Stolpersteine zu finden.
An verschiedenen Orten bin ich bereits solchen Stolpersteinen begegnet und habe mich von ihnen berühren lassen. Nie bin ich darauf getreten. Wobei ich Verständnis dafür habe, dass sich die Stadt München anders entschieden hat. Und Erinnerungsplaketten lieber auf Augenhöhen anbringt, um das Betreten eines Steins, der an einen Menschen erinnert, der ja in seinem Leben schon „getreten“ wurde, zu verhindern.

Wie schön ist es, wenn mich jemand einlädt, sein Haus, seine Welt zu betreten und ich dort Gast sein darf. Mit Behutsamkeit und gleichsam wie auf Zehenspitzen versuche ich, mich aufmerksam in dieser Welt zu bewegen, wahrzunehmen, zu lernen. Immer in der Gefahr, fälschlich die Maßstäbe meiner Welt anzulegen.

Und die Bilder aus Teheran gehen mir nach und bewegen mich weiter...