Samstag, 31. Oktober 2020

Predigen (II)

(Fortsetzung des letzten Post)

Meine Verwandten erzählten mir vor Jahren von ihrem Heimatpfarrer, der – auch das ist keine Ausnahme – seine Predigten immer irgendwelchen Vorlagen entnahm. Einmal soll er beim Lesen dabei eine Seite überblättert und das nicht einmal bemerkt haben. Bezüglich solcher Vorlagen bin ich mir unsicher. Zum einen meine ich, sie gehörten eigentlich verboten. Und ich habe auch viele Jahrgänge von Predigtsammlungen aus den 60er- und 70er-Jahren entsorgt. Jüngere Priester, vor allem solche mit einer anderen Muttersprache, werden natürlich seit Jahren auch im Internet fündig. Wenn sich jemand dadurch anregen lässt: in Ordnung! Aber einfach übernehmen, gar ablesen? Mich graust!

Mir kommt Alois Brandstetters Roman „Die Abtei“ in den Sinn, wo es an einer Stelle um die Predigten eines Paters in der Klosterkirche geht. In der Gegend dort ist es üblich, dass sich die Zuhörenden nach dem „Amen“ des Predigers mit einem „Vergelt´s Gott“ bedanken. Und der Autor beschreibt, wie er das oft genug verstanden hat: nicht im Sinn von „Gott möge Dich belohnen“, sondern „Gott möge es Dir heimzahlen“.

Manchmal knirsche ich auch innerlich ein „Vergelt´s Gott“ in diesem Sinn, wenn ich einer Predigt zuhören musste. Als Zuhörendem fallen mir auch die Reaktionen der Mitfeiernden in den Kirchenbänken während solcher Predigten auf. Die Köpfe drehen sich und die Augen suchen nach interessanten Gegenständen, Bildern, Kunstwerken im Kirchenbau, um diese zu betrachten – innerlich haben die Menschen schon längst „abgeschaltet“. Ein junger Mann aus dem Bistum Regensburg erzählte mir einmal, er habe während der Predigt immer die Bistumsgeschichte im kirchlichen Gesang- und Gebetbuch „Gotteslob“ gelesen, so dass er über diese inzwischen gut Bescheid wisse.

Schließen möchte ich mit einer rühmlichen Ausnahme: in der Kapelle, in der ich seit Monaten regelmäßig mit feiere, wechseln die Zelebranten und Prediger ab. Neulich war ein dunkelhäutiger Priester an der Reihe. Dem es spürbar gelang, die Mitfeiernden anzusprechen. Es war direkt an der Körperhaltung einzelner Menschen wahrzunehmen, die auf einmal Aufmerksamkeit zeigten.

Wie war dem Mann das gelungen? Zum einen hatte ich, hatten wir, vermute ich einmal auch für die anderen, den Eindruck, dass da einer spricht, der sich vom Wort Gottes wirklich hat selbst ansprechen und anfragen lassen. Da labert nicht einer einfach daher, sondern jemand öffnet – ein wenig auf jeden Fall – sein Herz.

Zum anderen sprach der Mann auch seine Zuhörenden an, ganz konkret auch mit der ein oder anderen Frage, die tatsächlich zum Nachdenken anregte. Und zwar Fragen eines Bruders im Glauben, nicht rhetorische Fragen eines Besserwissers. Welch eine Sternstunde, welch eine Wohltat, welch ein Genuss!

Für Missionare vom Kostbaren Blut ist die Wortverkündigung etwas ganz Zentrales. Wobei die Corona-Pandemie mit ihren Begleiterscheinungen da ebenfalls allerhand durcheinander bringt und uns neu fragen lässt. Und manchmal frage ich mich, ob unsere missionarische Aufgabe heute nicht noch viel mehr als bisher schon nicht so sehr im Predigen bestehen sollte, sondern im Anleiten zum gläubig-geistlichen Umgang mit der heiligen Schrift.

Ich selbst werde vermutlich das tun, was ich öfter Menschen in Pfarreien empfohlen habe: „auf der einen Seite ist es schön, wenn Sie in Ihrer Pfarrei den Gottesdienst mit feiern und das Leben der Gemeinde mit tragen. Auf der anderen Seite haben Sie eine Verantwortung für Ihren Glauben, die Sie eventuell auch dazu bringen kann, sich einen anderen Gottesdienstort zu suchen.“ Wahrscheinlich wird in der Nachbarpfarrei besser gepredigt, und so werde ich das einmal ausprobieren, obwohl mir die Frühmesse hier von der Zeit her sympathischer wäre...

Donnerstag, 15. Oktober 2020

Predigen (I)

Seit geraumer Zeit predige ich nicht mehr. Was schlicht und einfach mit meiner neuen Aufgabe und der Situation hier zu tun hat. Während der Woche feiern wir die Messe in unserer Hauskapelle und der Zelebrant gibt einen kurzen Impuls nach dem Evangelium. Das mache auch ich.

Am Sonntag nehmen wir uns die Freiheit, die Messe irgendwo anders mit zu feiern. Wobei ich im Normalfall in eine Kapelle ganz in der Nähe gehe und mich „unters gläubige Volk“ in die Kirchenbank setze – also Predigthörer bin.

Zum einen geht es mir ein wenig ab – denn ich predige gerne. Und so „leide“ ich mit allen Frauen und Männern, die auch gerne predigen würden und nicht dürfen. Das ist also für mich vielleicht gar keine schlechte Übung!

Das größere Leid entsteht jedoch aus dem Zuhören an sich. Das ging mir schon früher so. Was jetzt nicht überheblich klingen soll. Ich bin mir wohl bewusst, dass es auch von mir Predigten unterschiedlicher Qualität gab. Aber oft ist es wirklich schlimm. Ich muss an die gleichzeitig bittere und humorvolle Bemerkung von Papst Franziskus in seinem Lehrschreiben Evangelii Gaudium denken: „In der Tat wissen wir, dass die Gläubigen ihr (der Predigt, A.S.) große Bedeutung beimessen; und sie, wie die geweihten Amtsträger selbst, leiden oft, die einen beim Zuhören, die anderen beim Predigen. (EG 135)“. Beim Predigen habe ich persönlich aber weniger gelitten als (jetzt) beim Zuhören.

Manchmal habe ich einen - vielleicht verqueren - theologischen Gedanken. Gott will uns Heil schenken und wir wirken dabei mit. Eigentlich bestünde die Mitwirkung des Predigers darin, Menschen durch seine Schriftauslegung Nahrung auf ihrem Weg anzubieten, dadurch das Heil zu mehren. Tatsächlich scheint mir das Heil öfter durch das „Ertragen“ der Zuhörenden zu wachsen, wenn denn die „himmlische Ökonomie“ so funktioniert.

Wobei ich auch verstehe, wenn jemand sich diese Bußübung irgendwann nicht mehr antun will und kapituliert. Oder - wieso passiert das eigentlich nicht öfter? - protestiert! Es geht ja nicht nur um die persönliche Leiderfahrung, sondern auch darum, dass da einer dem Wort Gottes nicht die gebührende Achtung zukommen lässt.

Schlimm sind junge Priester, überzeugt von ihrer besonderen Gottesnähe, die sich in Plattitüden erschöpfen und zu teilweise gestandenen Christinnen und Christen sprechen. Wie viel Lebens- und Glaubenserfahrung kommt da oft in einem Kirchenraum zusammen! Aber die Jungen lernen vielleicht noch dazu...

Was mich hin und wieder ebenfalls genervt hat, wenn da einer meint, er müsse – warum eigentlich? - ein paar lateinische Brocken einfließen lassen. „Maria in ihrem Fiat“. Aber hallo! Wer wird sich denn da nicht fragen, ob es zu Lebzeiten von Jesus und Maria schon italienische Autos in Galiläa gab?

Klar, es ist nicht so einfach, dem Prediger nach der Messe zu sagen, dass er sich doch bitte mehr Mühe geben möchte. Wir sind es – noch – nicht gewohnt, in diesem Bereich zu kritisieren und kritisiert zu werden. Im Idealfall ist die Kritik hilfreich. Aber ob es wirklich besser ist, sicherheitshalber still zu sein, den Mund zu halten?

Oft einmal ist es bei einer Predigt so: was der Prediger sagt stimmt, es ist alles richtig. Aber „es kommt nichts rüber“ und damit kommt nichts an. Klar weiß ich nicht nur aus der (Sprach-)Theorie, sondern auch aus der Praxis, dass es bei der menschlichen Kommunikation wenigstens die drei grundlegenden Elemente Sprecher – Botschaft – Empfänger gibt. Wenn nichts bei mir ankommt, kann das also theoretisch auch mit mir selbst zu tun haben. Wobei ich mir einbilde, zunächst einmal mit einem grundlegenden Wohlwollen dem Sprecher gegenüber zuzuhören. Aber oft genug ertappe ich mich dabei, wie ich nach (sehr) kurzer Zeit „abgeschaltet“ habe. Bzw. das Gesagte „perlt irgendwie an mir ab“. Und ich glaube, es geht nicht nur um die Sprache. Die Kirche „verreckt nicht nur an ihrer Sprache“ (Erik Flügge).

(Fortsetzung folgt)