Wie das so geht: die Dinge, die dich beschäftigen, klingen auf einmal irgendwie gemeinsam, ergeben eine Melodie. Es gibt Zusammenhänge, an die du zunächst gar nicht gedacht hättest. So geht es mir mit meiner derzeitigen Lektüre.
Da ist zum einen ein Buch von Hein de Haas, Direktor des Internationalen Migrations-Institutes der Universität Oxford, der sich seit 30 Jahren mit globaler Migration beschäftigt. „Migrazioni. La verità oltre le ideologie. Dati alla mano“ heißt die italienische Übersetzung des unter dem Titel „How migration really works“ 2023 erschienenen Buches. Das Buch macht nachdenklich, reizt vielleicht bisweilen auch zum Widerspruch. De Haas räumt mit verschiedenen Vorurteilen auf. Tatsächlich stehen die Kapitel jeweils unter der Überschrift „Mythos“. „Mythos 1, Mythos 2 etc.“. Ich bin bei „Mythos 7 – Wir brauchen keine migrantischen Arbeitskräfte“ angelangt. Der Autor deckt populistische Tendenzen so mancher Politik auf, die Migranten (fast) zu einem „Feindbild“ erklärt, obwohl sie andererseits genau weiß, dass es ohne diese nicht ginge. Natürlich kamen mir besorgte Stimmen in Deutschland in den Sinn, die zum Ausdruck bringen, dass das Gesundheitssystem zusammenbräche, würde man tatsächlich alle Syrerinnen und Syrer sofort zurück in ihr Land schicken.
Aber natürlich liest ein Pater auch Frommes. Und da habe ich ein ganz wunderbares Buch von zwei Dominikanern entdeckt. Allein schon das finde ich toll: als Leserin oder Leser hörst Du gleichsam dem Gespräch zwischen Timothy Radcliffe und Łukasz Popko zu. Der erste wurde vielen als spiritueller Begleiter der zwei Phasen der jüngsten Weltsynode bekannt. Der zweite, jüngere, ist ein in Jerusalem lebender und lehrender Bibel-Experte. Ihr Buch heißt übersetzt: „Fragen Gottes, Fragen an Gott. Im Gespräch mit der Bibel“. Das dritte Kapitel trägt als Überschrift: „Wo ist Sara, deine Frau?“ und behandelt die bekannte Geschichte vom Besuch Gottes bei Abraham in Mamre (Gen 18). Abgesehen vom Gesprächscharakter des Buches gefällt mir, dass die Autoren jedem Kapitel ein Kunstwerk zuordnen. Wie könnte es anders sein: beim dritten Kapitel ist es die bekannte „Dreifaltigkeitsikone“ von Andrei Rublev, die sich in der Moskauer Tretjakov-Galerie befindet.
In ihrem Gespräch umkreisen Radcliffe und Popko die Themen
Besuch, Gastfreundschaft, Zuhause. Die beiden sind keine Romantiker: Fremde
aufzunehmen wird als Herausforderung deutlich benannt. Beim Lesen bin ich vor
allem beim Zusammenhang von einerseits dem Gefühl, zu Hause zu sein, ein
Zuhause zu haben und andererseits der Bereitschaft und Fähigkeit zur
Gastfreundschaft hängen geblieben. Und ohne etwas überinterpretieren oder mit
hausgemachter Psychologie arbeiten zu wollen: kann es sein, dass unsere
gesamtgesellschaftlichen Schwierigkeiten mit der Aufnahme von Fremden nicht
zuletzt auch mit der Erfahrung, dem Gefühl eines existentiellen Unbehaust-Seins
zu tun haben? Das hieße, es geht gar nicht zuerst darum, dass uns die Fremden
etwas wegnehmen, sondern dass sie uns darauf aufmerksam machen, dass uns etwas
fehlt! Und weil diese Erkenntnis unbequem bis schmerzhaft ist, erweckt sie
Ablehnung, Abwehr…
Damit zur dritten Lektüre. Nach dem Tod des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler (am 1.2.25) lese ich die ein oder andere Ansprache, die er gehalten hat. Schon während seiner Amtszeit hat mich dieser evangelische Christ durch seine Haltung und seine Worte beeindruckt. Und vor allem in Erinnerung geblieben ist mir sein sich oft wiederholender Hinweis auf Afrika. Für ihn war die Zukunft Europas eng mit Afrika verknüpft und er sah dabei – alles andere als blauäugig – Afrika nicht nur und zuerst als „Krisenkontinent“. Mit großer Dankbarkeit (und ein wenig Wehmut angesichts der aktuellen politischen Lage) freue ich mich noch einmal an den Worten Horst Köhlers.