Montag, 15. Juli 2024

EURO 2024

Die Fußballeuropameisterschaft ist vorbei. Noch nie in meinem Leben habe ich so viele Spiele einer Europameisterschaft gesehen wie bei dieser. Was mich über mich selbst staunen und mich nachdenklich werden lässt. Warum war/ist das denn so?

Zum einen hat es sicher damit zu tun, dass es zu den ersten drei Spielen mit Beteiligung der deutschen Nationalmannschaft Einladungen zum gemeinsamen Schauen gab. Der sehr sympathische Botschafter der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl ist Fußballfan. So gab es zum Eröffnungsspiel Deutschland – Schottland eine gemeinsame Einladung des deutschen und des schottischen Vatikan-Botschafters in die Residenz des deutschen Botschafters. Ich hatte den Eindruck, dass mehr Schotten als Deutsche gekommen waren. Beim Singen der Nationalhymnen – alle im Raum erhoben sich von ihren Plätzen – waren sie auf jeden Fall lauter. Natürlich war auch für Bewirtung gesorgt. Zugegebenermaßen freue ich mich bei verschiedenen Anlässen in der Deutschen Botschaft auf das Bier vom Fass, diesmal gab es dann auch noch schottischen Whisky. Einmal stand der schottische Botschafter während des Spiels auf und animierte lachend seine Landsleute, doch die eigene Mannschaft anzufeuern. Eine frohe, bisweilen fast ausgelassene Stimmung.

Zum zweiten Spiel hatten der deutsche und der ungarische Botschafter gemeinsam eingeladen und es gab unter anderem ein ungarisches süßes Gebäck. An einer Stelle des Spiels hatte ich mich wohl zu offensichtlich gefreut, so dass mich meine ungarische Nachbarn lächelnd ansprach: „wohl eine andere Migrationsgeschichte?“ Beide lachten wir.

Das dritte Spiel der deutschen Nationalmannschaft war schließlich noch einmal etwas Besonderes. Diesmal hatten der deutsche Botschafter gemeinsam mit dem Colonel der Schweizer Garde zum Schauen in die Kaserne der Schweizer Garde eingeladen. Vermutlich kamen allein wegen des Veranstaltungsortes noch mehr Leute. Im Innenhof der Kaserne der Garde waren eine Riesen-Leinwand und Bierzeltgarnituren aufgebaut und dieses (fast) „Public-Viewing“ an einem römischen Sommerabend war einfach schön. Ich freute mich auch an den Schweizer Gardisten: natürlich weiß ich, dass sie jung sind. Aber ohne ihre tolle Uniform, in ihren roten T-Shirts an diesem Abend, die eigene Mannschaft lautstark unterstützend, wirkten sie für mich fast wie Abiturienten bei irgendeiner Feier.

Da meine beiden Mitbrüder während dieser Zeit ausgeflogen waren, genoss ich es schlicht, mich mit anderen zum gemeinsamen Fußball-Schauen zu treffen. Und auch wenn einen ein beklemmendes Gefühl befallen kann, wenn in den Fernsehnachrichten Kriegsbilder und Fußballergebnisse nebeneinanderstehen, empfand ich die gemeinsamen Fußballabende irgendwie als völkerverbindend und damit im gewissen Sinn ja auch friedensfördernd. Trotz gewaltbereiter Fans, Hooligans – leider. Bei zwei der beschriebenen drei Abende sah ich übrigens auch den ukrainischen Botschafter beim Heiligen Stuhl als Gast. 

Auf jeden Fall war ich nach den ersten drei Spielen auf den Geschmack gekommen und schaute mir viele weiteren, auch ohne „deutsche Beteiligung“, dann zu Hause vor dem Bildschirm an, an einem Tag sogar zwei hintereinander. Wie gesagt: so kannte ich mich selbst bisher nicht. Aber jetzt ist es auch gut, dass es vorbei ist.

Juan als Chilene war verständlicherweise gedanklich mehr mit der „Copa América“ beschäftigt, die zeitgleich stattfand.



Sonntag, 30. Juni 2024

Licht und Dunkel

Manchmal spüre ich etwas wie „Zerrissenheit“ in meiner Aufgabe hier in Rom. Als Mitglied der Generalleitung meiner Ordensgemeinschaft bekomme ich allerhand von Mitbrüdern aus verschiedenen Teilen der Welt mit und habe teilweise „in der Bearbeitung“ konkret damit zu tun. Sei es ein Missbrauchsvorwurf gegenüber einem Mitbruder, oder ein anderer, der seinen Dienst in der Pastoral scheinbar dazu benutzt, sich zu bereichern. Dieser Tage nun lese ich von einem Ordensmann einer anderen Gemeinschaft, den ich ein wenig kenne, dass er verhaftet wurde, weil er wohl Drogen ins Gefängnis hineingeschmuggelt hat. Und ich frage mich: „wie ist das möglich? Warum?“ Ich erinnere mich an ein Buch von Enzo Bianchi mit dem Titel „Wir sind nicht besser“ Untertitel: „Das Ordensleben in der Kirche und inmitten der Menschen“. Viele Situationen tun weh. Es geht nicht ums Dramatisieren, aber natürlich um das entschiedene Hin- und eben nicht Wegschauen. Das ist die eine Seite dessen, was mich umtreibt und bewegt.

Und dann begegne ich in Rom den Heiligen. Den schon bekannten, etwa meinem Namenspatron und dem Gründer meiner Ordensgemeinschaft, die beide in Rom begraben sind. Immer wieder lerne ich auch neue Heilige kennen, wenn ich z.B. eine Kirche betrete und an einem Seitenaltar das Grab einer solchen Gestalt bemerke. Und dann gibt es Mitmenschen, die etwas von Heiligkeit ausstrahlen. Sr. Maria Vicuna etwa, von den Schwestern Mutter Teresas, beeindruckt mich immer wieder. Sie ist die Küchenchefin in dem Haus für Männer in schwierigen Lebenssituationen, in dem ich regelmäßig helfe. Diese junge Frau schafft es nicht nur, mittags ein gutes Mittagessen für rund 40 Menschen auf den Tisch zu bringen. Sie hat nicht nur die Töpfe und Backrohre im Blick, sondern auch die Freiwilligen, die zur Mitarbeit da sind. Sie weiß jeder und jedem die ihr oder ihm entsprechende Arbeit zuzuteilen und interessiert sich dabei für die einzelnen, ihre Familien etc. Und das mit einer Prise echten, köstlichen Humors…

Da sind also auf der einen Seite die schwierigen Situationen („zum Davonlaufen!“) und auf der anderen Seite die anziehende Heiligkeit. Ich stehe dazwischen. Indem ich mir diese Situation bewusst mache, habe ich aber gleichzeitig den Eindruck, mich in gewisser Weise auch entscheiden zu können, wohin ich vor allem meinen Blick richte, auf welche Seite.

Sr. Klara Maria Breuer, welche die Texte der diesjährigen RENOVABIS-Pfingstnovene vorbereitet hat, erinnert an deren ersten Tag an die Aussage eines lutherischen Pfarrers ein Jahr nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine: „Als Christen sollten wir die Nachrichten nicht nur konsumieren, sondern kreieren.“ Vielleicht beginnt es ja schon bei der „Konsum-Auswahl“. Welche Nachrichten konsumiere ich?

Jede und jeder von uns erlebt vermutlich das Hin- und Hergerissen-Sein zwischen dem, was traurig und mutlos macht und dem, was uns Mut, Hoffnung und Kraft gibt. Ohne das Schwierige aus dem Blick (und oft aus dem Herzen) zu verlieren, möchte ich den Blick immer wieder auf das andere lenken. Wohl wissend, dass ja auch in mir beides da ist, Licht und Dunkel.

In der Hoffnung, hinter den „Kulissen des Dunklen“ irgendwann anderes, mehr, Funken des Lichts zu entdecken…