Montag, 31. Januar 2022

"Die Welt ist Gottes so voll." (Alfred Delp)

Nein, ich will nicht schlecht über einen Mitbruder reden. Und der, aus dessen Predigt ich gleich zitiere, ist mir durchaus sympathisch. Ziemlich regelmäßig erlebe ich ihn sonntags als Zelebranten und freue mich darüber, wie er seinen Dienst ausübt. Und außerdem: wer weiß, was ich schon alles in meinen Predigten „verzapft“ oder „verbrochen“ habe? Ich war und bin immer froh, wenn mich jemand auf so etwas anspricht.

Sonntag vor einer Woche. Es ist nur eine Nebenbemerkung und ich kann ja aufgrund meiner Italienisch-Kenntnisse und meines seit mehr als einem Jahr deutlich eingeschränkten Hörvermögens nicht einmal garantieren, dass ich wirklich alles korrekt verstanden habe. Was ich hörte, war in etwa Folgendes: „die heutige Gesellschaft macht sich nicht einmal mehr die Mühe, sich mit der Existenz Gottes auseinander zu setzen und gegebenenfalls Gründe für seine Nicht-Existenz anzugeben. Nein, sie interessiert sich schlicht gar nicht mehr für die Gottesfrage“. Die Aussage als solche mag ja sogar stimmen – und hat mich doch auch irgendwie „verstimmt“. Ich bevorzuge den Ansatz von Tomas Halik, dem tschechischen Priester und Religionsphilosophen, der dazu rät, sich den Atheismus unserer Zeitgenossen genauer anzusehen. Weil viele von ihnen eben doch an irgendetwas oder -jemanden glauben. Wohl nicht an einen christlichen Gott, aber...

Vermutlich habe ich grundsätzlich Vorbehalte gegen eine „Defizit-Orientierung“. Im Gespräch mit einem Menschen mag ich nicht von dem ausgehen, was ihm oder ihr „fehlt“. Viel lieber orientiere ich mich an seinen/ihren Gaben, Fähigkeiten, Anlagen. Klar, dazu muss ich des öfteren „out of the box“ denken.

Ein inzwischen verstorbener Mitbruder erzeugte in mir regelmäßig sehr zwiespältige Gefühle. Zum einen schätzte ich ihn als aufrechten, engagierten Priester. Zum anderen rieb ich mich an seiner öfter wiederholten These: „das Hauptproblem heute ist, dass die Menschen kein Sündenbewusstsein mehr haben“. Ganz schön steil! Auch hier könnte ich eventuell sogar inhaltliche Anknüpfungspunkte finden, aber ich will gar nicht. Wenn ein Mensch Gott entdeckt und sich selbst als von diesem geliebt, dann kommt das schon, mit dem Sündenbewusstsein, keine Frage. Aber der Ansatz und Ausgangspunkt ist grundlegend anders.

Und immer wieder habe ich den Eindruck, dass es dabei eher um psychologische, als um theologische Fragen geht. Eben: wer mit einem Finger auf andere zeigt, der zeigt im Normalfall mit mehreren Fingern derselben Hand auf sich selbst. Oder sollte man da noch – ich will keine Küchenpsychologie betreiben - an „Projektion des Schattens“ denken?

Als ich vergangenen Sonntag die Kirche verließ, sah ich draußen ein Auto mit einem Aufkleber „refugees welcome“. Wir waren ganz wenige Leute in der Kirche gewesen, ich vermute, dass der Besitzer oder die Besitzerin des Autos nicht dabei war. Vielleicht ein Mensch, der sich nicht mit der Gottesfrage auseinandersetzt, sich aber wohl Gedanken über das Leid anderer Menschen bzw. ungerechte Zustände in der Gesellschaft macht. Und obwohl noch einmal ein Unterschied sein mag zwischen dem Anbringen eines derartigen Stickers und dem konkreten Sich-Einbringen im Freiwilligendienst für geflüchtete Menschen: allein schon der Aufkleber an sich hat für mich etwas Positives, Ermutigendes. Da lassen sich Anknüpfungspunkte finden. Und wer von uns kennt nicht im eigenen Umfeld engagierte Menschen, die nicht unbedingt etwas „mit Kirche am Hut haben“? Auch bei denjenigen, die sich an „Friday-for-Future“ - Aktionen beteiligen, mag es verschiedene Motivationen geben. Aber schon allein die Tatsache der Beteiligung (im Gegensatz zum Nichts-Tun und Abwarten) hat doch etwas für sich.

Was bei all dem eine herausfordernde Angelegenheit bleibt, das ist, im Gespräch zu bleiben, Dialog zu üben. Die eigene Sprache mit ihren „Formeln“ zu überdenken und sich von anderen in Frage stellen zu lassen. Wobei ich – bei allem sprachlichen Bemühen – meine, dass es noch mehr als verbale Kommunikation braucht. Wie können Menschen Erfahrungen machen? Wir brauchen Orte wie Loppiano (bei Florenz), wo das Evangelium anschaulich, sicht- und greifbar wird, oder Taize (im französischen Burgund), wo das Erlebnis der Liturgie (und nicht nur dieser) ein wenig „Himmel“ erfahren lässt...

Samstag, 15. Januar 2022

Friedrich Kurrent

Seit meiner Priesterweihe vor gut 30 Jahren war ich an verschiedenen Orten im Dienst. Regelmäßig fand dieser Dienst auch in einer Kirche, einem Sakralbau am jeweiligen Ort statt. Unter all den Kirchen, in denen ich Dienst tat und mit Menschen Gottesdienst feierte, gibt es für mich dabei eine „Favoritin“: die Stadtpfarrkirche Zum Kostbaren Blut in Salzburg-Parsch. Nach wie vor halte ich sie für ein architektonisches Kunstwerk.

Am 10. Januar diesen Jahres verstarb im Alter von 90 Jahren der letzte der drei Architekten, welche als „arbeitsgruppe 4“ die Pläne für den Umbau eines alten Bauernhofes zu dieser Kirche entworfen hatten, Friedrich Kurrent. Hin und wieder sind wir uns begegnet und ich meine, sagen zu können, dass wir uns gut verstanden.

Unsere Begegnungen fanden statt entweder in der Parscher Kirche oder auch in der Wohnung des Bruders des Architekten, der während meiner Zeit als Pfarrer in Parsch gemeinsam mit seiner Frau im Pfarrgebiet wohnte. Ein sehr liebenswürdiges Ehepaar, welches später von Parsch in die Linzer Gasse in Salzburg umzog, wo ich ebenfalls zwei mal zu Besuch war. Das letzte Mal nach dem Tod von Walter Kurrent bei seiner Frau Erika. Zu Besuch war ich auch im Elternhaus der Kurrents in Hintersee bei Salzburg, welches das Ehepaar Walter und Erika über Jahre hindurch in der Sommerzeit als Wochenendhaus nutzte. Als sie sich zum Verkauf entschlossen, war das für den Bruder Friedrich kein geringer Schmerz.

Eine unvergessliche Begegnung mit Friedrich Kurrent, dem jetzt verstorbenen berühmten Architekten, fand in einem Kaffeehaus in Wien statt, wo wir uns verabredet hatten. Um den Grund dieses Treffens zu erklären, muss ich ein wenig ausholen. Die Parscher Kirche ist eine vor dem Konzil (II. Vaticanum) gebaute „nachkonziliare Kirche“. Der Altar steht nicht mehr als „Hochaltar“ an der Stirnseite der Kirche, sondern er bildet gleichsam das Zentrum. Was zur Bauzeit sehr mutig war. Ein weiterer Schritt wurde jedoch nicht vollzogen: die Trennung von Altar und Tabernakel.

Wenn also der Altar auch nicht mehr an der Wand steht, der Tabernakel ist in seiner Mitte angebracht, halb in den Altar eingelassen, die andere Hälfte ragt heraus. Was meinen um lockere Sprüche nie verlegenen Vorgänger als Pfarrer einmal zu der Aussage brachte: „wenn ich den Tabernakel öffne, dann komme ich mir vor wie ein Eisverkäufer!“. Tatsächlich hebt man die zwei Türflügel nach oben und „kippt“ sie zur Seite auf den Altar, wenn man den Tabernakel öffnet. Ich stand in einem Dilemma. Denn mir gefiel diese Tabernakel-Lösung nicht. Andererseits war und ist die Parscher Kirche für mich ein Gesamtkunstwerk, in dem eigentlich keine Veränderung vorgenommen werden sollte. (De facto habe ich kurz nach meinem Amtsantritt das ein oder andere „Kunstwerk“, welches mein Vorgänger angebracht hatte, wieder entfernt. Und ich kann gut verstehen, welchen Aufruhr die nachträgliche Anbringung von Kreuzwegstationen in der Kirche hervorgerufen hat). Mit diesem meinem Dilemma wandte ich mich an Friedrich Kurrent als Architekten der Parscher Kirche. Und wir begannen miteinander zu denken. Als eine mögliche Lösung kamen wir auf eine Tabernakel-Stele an der Seite des Altars. Und um diese Stele ging es bei unserem Wiener Kaffeehaus-Treffen. Das Lustige war: Friedrich Kurrent skizzierte nicht nur, sondern wir erhoben uns auch, um uns die passende Höhe einer solchen Stele vorzustellen. Was der Ober wohl anders interpretierte: er eilte herbei, in der Annahme, dass wir uns (vielleicht ohne zu bezahlen?) auf den Weg machen wollten. Dieses Spiel wiederholte sich dann noch einmal. Und die Stele ist eine Idee geblieben.

Ein berühmtes Detail der Parscher Kirche ist das sogenannte Kokoschka-Tor. Der Künstler hat den Entwurf (Motiv „Sündenfall“) gezeichnet, der dann von jemand anderem in Beton ausgeführt wurde. Es war für mich immer etwas Besonderes, eine Tauffeier bei diesem Tor zu beginnen. Friedrich Kurrent erzählte mir, dass Oskar Kokoschka seine Entwurfskizzen den drei Architekten der Kirche geschenkt hatte. Und Kurrent bot mir seine Skizzen an unter der Bedingung, sie in der Parscher Kirche sichtbar auszustellen. Hier hatte ich bei allem Respekt vor Kokoschka und Kurrent den Eindruck, die Kirche vor ihrem eigenen Architekten „schützen“ zu müssen. Weil für mein Empfinden auch eine ausgestellte Skizze das Gesamtkunstwerk gestört hätte. So lehnte ich ab. Wer weiß, wo die Skizze gelandet ist oder jetzt nach dem Tod Friedrich Kurrents hingerät?