Samstag, 30. April 2022

Ostermontag

Ostermontag: wir sind in Vila Vicosa angekommen, wo seit 1930 Missionare vom Kostbaren Blut vertreten sind, zu Beginn waren es deutschsprachige. Heute leben im Pfarrhaus – es gehört tatsächlich der Pfarrei und nicht den Missionaren - drei Mitbrüder. Luis Felipe, ein Portugiese, Ilidio von Kap Verde, der ehemaligen portugiesischen Kolonie, und Antonio, ein Spanier.

Es ist kalt hier, kälter als ich es von Rom herkommend erwartet habe. Auch das ist ein Grund, morgens in das kleine Oratorium im ersten Stock zu gehen. Hier ist es ein klein wenig wärmer als in meinem Zimmer im Erdgeschoss.

Das Oratorium, eine kleine Kapelle, bietet uns fünfen, den drei Hausbewohnern und uns beiden Gästen, gerade so eben Platz. Ich lese eine Inschrift, dass dieses Oratorium 1887 begonnen und 1890 vollendet wurde. Ein wenig Stuck ist an der Decke und an den Wänden zu sehen und drei Figuren im Altaraufbau hinter Glas. Auf dem mächtigen Altar, der sich gut in einer großen Pfarrkirche machen würde, steht die Osterkerze in einem kleinen Porzellanuntersetzer. Dasselbe Modell habe ich auch auf dem Tisch im Esszimmer gesehen, dort steht das Olivenöl-Fläschchen drinnen. Auf der Osterkerze nur die ersten drei Ziffern „2-0-2-“. So kann die Kerze auch die nächsten Jahre noch dienen. Neben drei Figuren hinter Glas, einer Muttergottes mit Jesus-Kind, einer Art „Prager Jesulein“ und einer Engelfigur finden sich an den Wänden die Bilder von Kaspar del Bufalo und Franz Xaver – Gründer und Paton der Missionare vom Kostbaren Blut.

Um 8.00 Uhr wollen wir miteinander die Laudes beten, ab 7.30 Uhr bin ich in der Kapelle. Die Tür ist offen und ich höre Antonio das Frühstück zubereiten, später gesellt sich Emanuele zu ihm, um schon vor dem Morgengebet eine Tasse Kaffee zu trinken. Von der anderen Seite höre ich das Geräusch der Dusche. Im Normalfall jeden zweiten Tag am Morgen geht Ilidio joggen. Zehn Kilometer am Morgen, er ist zweifelsohne der sportlichste der drei Hausbewohner. Im Garten halten die Mitbrüder ein paar Hühner, so dass Ilidio Spiegeleier zum Frühstück anbieten kann – mit etwas Knoblauch aromatisch gewürzt. Außerdem befinden sich im Garten ein paar Obstbäume: es gibt reichlich Orangen und Zitronen, vermutlich auch Kakis, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Ein paar Kräuter wachsen auch, z.B. Minze. Ilidio macht Tee damit, Antonio freut sich auf ein erfrischendes Sommergetränk: Weißwein gemischt mit Limonade, Eiswürfeln und eben ein paar Minz-Blättern.

Aber zuerst beten wir. Auf portugiesisch, für mich etwas herausfordernd. Weil es bekannte Texte sind, weiß ich zwar, was wir beten, die Aussprache allerdings ist ungewohnt. Ich habe den Eindruck, dass es von Tag zu Tag ein wenig besser geht, ich höre mich ein. Mir gefällt, dass die Mitbrüder sich Zeit lassen, zu Hause im Generalat sind wir „schneller unterwegs“. Auch nach der Kurzlesung gibt es eine längere Stille. Die Fürbitten beten wir abwechselnd, jetzt „erwischt“ es auch mich. Und ich bin froh, dass keiner zu lachen beginnt, aufgrund meines bestimmt merkwürdig klingenden Portugiesisch.

Die Mitbrüder schließen noch ein Gebet um Frieden an. Nicht nur angesichts des Ukraine-Krieges, sondern auch aufgrund gewisser Spannungen unter den Mitbrüdern in der Provinz, ist das wohl sehr angebracht.

Nach den Laudes, dem gemeinsamen Morgengebet, gehen wir miteinander ins Esszimmer und frühstücken. Und ich freue mich an dieser Gemeinschaft der drei Missionare, die Leben und Apostolat teilen und uns Gäste nicht nur freundlich aufnehmen, sondern uns mit hinein nehmen in ihr Leben.

Freitag, 15. April 2022

miteinander glauben

Am Palmsonntag war ich zur Messe mit Papst Franziskus auf dem Petersplatz. Die Sonne schien, aber der Wind war kalt. Und es schien mir zunächst fast unwirklich: so viele Menschen! Das gab es ja in den vergangenen beiden Pandemie-Jahren nicht. Noch immer habe ich das Bild vom 27. März 2020 vor meinem inneren Auge: der Papst auf dem leeren Petersplatz. Und jetzt wieder: Massen! Wobei andere, mit denen ich mich darüber austauschte, meinten, wir hätten einfach ein wenig vergessen, wie das vor der Pandemie war, da kannten wir gar nichts anderes.

Abgesehen davon nahm ich in mir ein Gefühl wahr, das ich von früheren ähnlichen Anlässen kenne: Freude. Oder auch Dankbarkeit, zur Gemeinschaft der Glaubenden zu gehören. Sehr konkret wurde das etwa, als wir uns beim Lesen der Leidensgeschichte hinknieten, an der Stelle, an der vom Tod Jesu berichtet wird. Ganz still war es auf dem sonst schon auch einmal lauten Petersplatz! Vor der Messe kam ich ins Gespräch mit einem Mann aus Porto in Portugal, der mit seiner Frau und den beiden Kindern da war. Auf meine Frage hin, ob er denn auch Ostern in Rom sein würde, verneinte er entschieden. „Nein, ich muss nach Hause, unser Pfarrer besucht in diesen Tagen die Familien, da müssen wir zu Hause sein“. Und er erzählte mir, wie das dort im Dorf abläuft. Die Familien, die den Besuch des Priesters wünschen, stellen irgendein Zeichen vor die Tür, z.B. Blumen, und der Priester weiß Bescheid. Und am Vortag gibt es eine Info via WhatsApp, wann etwa mit dem Besuch des Priesters zu rechnen ist, der durch die Straßen des Dorfes zieht.

Dieser Palmsonntag ließ mich an eine andere Erfahrung vor wenigen Wochen zurückdenken. Die Diözese Rom hatte eingeladen zur Wallfahrt mit Gebet um den Frieden in der Ukraine. Es gibt sie regelmäßig, die nächtliche Fußwallfahrt von Rom zum Heiligtum Divino Amore etwas außerhalb der Stadt. Und in der Nacht von 19. auf 20. März hatte sie dann ein besonderes Gesicht. Ab 20.00 Uhr gab es Gelegenheit, in der Lateranbasilika vor dem Gnadenbild aus dem Heiligtum Divino Amore zu beten, um 23.30 Uhr war dann die „Auftakt-Gebetszeit“ zur Wallfahrt und um Mitternacht brachen wir auf, mit dem Gnadenbild, welches wir sozusagen zurückbegleiteten. Dafür wurde die große mittlere Eingangstür der Basilika geöffnet, die im Normalfall geschlossen ist. Und es waren Tausende, die sich auf den Weg machten. Ich ging nicht so weit entfernt hinter dem Auto, auf welches das Gnadenbild geladen worden war. Und wir beteten, angeleitet von jemandem im Auto über Mikrofon und Lautsprecher. Anhand des Mitbetens und – singens hatte ich den Eindruck, unter glaubenden Menschen zu sein und zu gehen. Ich gebe es zu, es tat gut, es war wohltuend. In Divino Amore angekommen feierten wir morgens um 6.00 Uhr die heilige Messe: ich war müde und fror und war zufrieden.

Zweimal das Erlebnis des „Eingetaucht-Seins“ in eine große Gruppe Glaubender, das mich nach der Bedeutung der anderen für meinen Glauben fragen ließ. Ich war dann dankbar von einem Gottesdienst „zu zweit“ in der Kapelle eines österreichischen Krankenhauses zu lesen. Es war nur eine Person zum Palmsonntagswortgottesdienst gekommen, so dass die Gottesdienstleiterin diesen Mann einlud, gemeinsam die Leidensgeschichte zu lesen. Was sie dann taten! Und auch dort war Gott gegenwärtig…

Und ich selbst will mich bei aller Freude über das Gemeinsame nicht davon „abhängig“ machen. Es ist gerade die Einsamkeit Jesu, ja sein Verlassen-Sein von Gott, welches mich „anzieht“ und mich ihn suchen lässt in den bisweilen mühsamen Erfahrungen des eigenen Lebens. In denen ich ihm dann in ganz anderer Weise nahe bin als durch das spürbare Glauben-Teilen mit vielen…