Mittwoch, 31. August 2016

Flip-Flops und Würde...

Sie sitzt auf dem Stuhl in der Sakristei und gähnt, so dass ich die kleine Ministrantin frage, wann sie aufgestanden ist. Jetzt in den Ferien kann sie ja ausschlafen. An den bloßen Füßen hat sie Schlappen, oder sagt man Flip-Flops dazu? Ich muss schmunzeln, weil manche Mitbrüder jetzt wohl zu einer Ermahnung ansetzen würden. Ja, okay, als ich noch Ministrant war – damals, im letzten Jahrtausend – da waren beim Ministrieren sogar Turnschuhe verpönt, es musste schon etwas Edleres sein.

Am selben Ort, an dem meine Begegnung mit der kleinen Ministrantin stattfindet, hat vor einiger Zeit ein Mitbruder eine andere Ministrantin, die mit einer kurzen und dabei noch modisch zerrissenen Hose zum Dienst kam gefragt, ob sie nicht auch etwas Anständiges anzuziehen hätte. Was das Mädchen gar nicht gut fand!

„Meine“ kleine Ministantin entzückt mich im weiteren noch durch ihr gedankenverlorenes Spiel mit ihren Haaren. Und sie kann es auch nicht lassen, mit dem Zingulum(=Strick), den sie um ihren Bauch gebunden hat, zu spielen. Wahrscheinlich bin ich für Erziehung total ungeeignet.

Ich gebe es zu: ich bin hin und her gerissen. Klar ist mir der Gottesdienst wichtig. Und ich weiß, dass auch das Äußere dazu gehört. Auf der anderen Seite merke ich, dass ich mich einfach über die Anwesenheit der Kinder und Jugendlichen freue. Tue ich das nur deshalb, weil sie überhaupt und weil so wenige da sind? Ich weiß es nicht. Ich freue mich auf jeden Fall auch, weil sie mit „ihrer Welt“ kommen, die sich eben auch in ihrer Kleidung ausdrückt. Wobei ich durchaus Verständnis habe für Mitbrüder, die das anders sehen. Und den Schwerpunkt auf die Rücksicht der Würde des Gottesdienstes legen.

Tatsächlich habe ich vor einiger Zeit in einer liturgischen Zeitschrift einen Artikel gelesen, der sich damit beschäftigte, ob bei den gefalteten Händen der Ministranten der rechte oder der linke Daumen oben sein muss.

Nein! Ich möchte mich nicht lustig machen! Ich spüre beides in mir: die Tendenz, die Anwesenden zu lieben, wie sie sind und wie sie da sind. Und den Wunsch, in großer Würde zu feiern.

Mir hilft das auch im Umgang mit manchen menschlich gesehen eher schwierigen Zeitgenossen, deren Vorstellungen und Forderungen manchmal etwas verbohrt wirken. Die kürzlich vom afrikanischen Kardinal Sarah erhobene Forderung an die Priester, bei der Eucharistie doch wieder nach Osten zu schauen und damit in dieselbe Richtung wie die versammelte Gemeinde scheint kurz darauf etwas relativiert worden zu sein. Und wenn ich es recht verstanden habe, dann soll laut Vatikan die Rede von der „Reform der Reform“ in Bezug auf die Liturgie vermieden werden.

Ich spüre, dass meine Art, mich in einer Kirche zu bewegen, hin und wieder jemanden nachdenklich werden lässt. Das ein oder andere laute Gespräch verstummt und manchmal entsteht sogar ein Schweigen vor einem Gottesdienst. Was dann nicht nur ein „peinliches Schweigen“ ist.

Und ich habe auch schon junge und nicht mehr ganz so junge Mitfeiernde gebeten, den Kaugummi heraus zu nehmen. „Schlucken oder spucken!“ - am besten vor der Kirche, damit ich ihn dann nicht unter einer Kirchenbank klebend finde. Das ist für mich so ein „No Go“.

Bei anderem bin ich „nachsichtiger“, nicht um der Nachsicht willen. Sondern weil die Freude über den anderen überwiegt. Aber natürlich kann das die eine oder andere anders sehen. Deswegen meine ich, dass wir einander brauchen. Mit der Bereitschaft, voneinander zu lernen. Was damit anfängt, den anderen verstehen zu wollen. Nicht ihm meine Sicht der Dinge aufdrängen zu wollen.

Montag, 15. August 2016

Welcher Maßstab?

„Zeigen Sie uns eine Powerpoint-Präsentation oder haben Sie uns etwas zu sagen?“ Diese Frage sei ihm vor kurzem gestellt worden und er werde uns tatsächlich keine Powerpoint-Präsentation zeigen, so erklärte der Referent zu Beginn seines Vortrags. Und dieser war kurzweilig und interessant, ja fesselnd.
Auf der anderen Seite habe ich gelernt, dass „Visualisieren“ durchaus hilfreich und sinnvoll sei. Und das kann eben heute nicht nur mit Kreide auf einer Wandtafel, mit Stiften auf großen Papierbögen, sondern auch mittels Computer und Beamer geschehen.

Eine Erfahrung, die manche dabei machen: Du hast zu Hause die schönste Powerpoint-Präsentation vorbereitet. Und was dann auf der Projektionsfläche erscheint, sieht irgendwie anders aus als das, was Du auf Deinem kleinen Bildschirm gesehen hast. „Vertragen sich“ Computer und Beamer nicht? Die Darstellung ist jedenfalls anders.

Lustig war es vor kurzem, als der Pfarrer und ich die Höhe unseres Ambos in der Kirche messen wollten. Ich hatte einen Zollstock mit genommen und neben den Ambo gehalten. „128 Zentimeter“: „kann doch gar nicht sein! Wie gibt’s das?“ Der Pfarrer sagte zwar nichts, aber ich sah seinen ungläubigen Gesichtsausdruck. So dass ich automatisch noch einmal auf meinen Zollstock schaute. Ich – „perfekter Heimwerker“, der ich nun einmal bin – hatte ein Teil nicht ausgeklappt, so dass natürlich ein falsches Ergebnis entstehen musste. „111 Zentimeter“ konnte ich nach korrektem Anlegen des Zollstocks dem Pfarrer anbieten und seine Miene hellte sich deutlich auf.

Mir geht diese Szene nach. Wenn ich zu einem falschen Ergebnis komme: kann es sein, dass die Voraussetzungen nicht stimmen? Wenn ich einen anderen Menschen falsch einschätze: kann es sein, dass das an meinen blinden Flecken liegt? Zwar verlasse ich mich immer mehr auf mein Bauchgefühl, aufgrund der schmerzlichen Erfahrung, öfter einmal falsch entschieden zu haben, wenn ich das nicht tat. Aber doch möchte ich Vorsicht dabei walten lassen.

Welchen Maßstab lege ich an? Und lege ich ihn richtig an?

Was Papst Franziskus in Amoris Laetitia im Hinblick auf Ehegatten schreibt, gilt nicht nur für deren Umgang miteinander. Es ist nicht „die Naivität dessen, der die Schwierigkeiten und Schwachpunkte des anderen nicht sehen will, sondern es ist der Weitblick dessen, der diese Schwächen und Fehler in einen Zusammenhang stellt. Er erinnert sich, dass diese Mängel nur ein Teil und nicht das Ganze des Wesens des anderen sind. Ein unliebsamer Tatbestand in der Beziehung ist nicht die Gesamtheit dieser Beziehung. Man kann also schlicht und einfach hinnehmen, dass wir alle eine vielschichtige Kombination aus Licht und Schatten sind. Der andere ist nicht nur das, was mir lästig ist. Er ist viel mehr als das. Aus demselben Grund verlange ich nicht von ihm, dass seine Liebe vollkommen sein muss, damit ich ihn wertschätze. Er liebt mich wie er ist und wie er kann, mit seinen Grenzen, doch dass seine Liebe unvollkommen ist, bedeutet nicht, dass sie geheuchelt oder gar nicht echt ist.“ (AL 113)