Auf dem Weg zu Fuß nach Feldkirch. Ich
war schon ziemlich am Orts- das heißt Stadteingang und musste an
einer Ampel stehen bleiben, als mir plötzlich ein angenehm süßer
Geruch in die Nase stieg. Ich schaute um mich, in alle Richtungen,
und konnte doch die Ursache des Duftes nicht ausfindig machen. Die
Ampel schaltete auf grün und ich ging weiter. Auf dem Rückweg kam
ich wieder an die Stelle und nahm mir zur genaueren Erkundung Zeit.
Da sah ich sie. Und sie war auch als Quelle des Duftes eindeutig
auszumachen: eine Linde in Blüte. Ich glaube, es liegt nicht nur
daran, dass ich in Linden-berg geboren und aufgewachsen bin bzw. fünf
Jahre lang als Postadresse die Linden-allee hatte. Welch ein Duft!
Und vor allem, wie er sich durchsetzt an dieser Kreuzung, auf welche
von drei Seiten Autos zu fahren. Unwahrscheinlich! Der eine
Lindenbaum gegen die Abgase hunderter Autos. Ich erinnere mich an
Paulus, der auch einmal von Duft und Wohlgeruch schreibt (2 Kor
2,14ff.). Und mit dem Bild der Linde an der Straßenkreuzung im Kopf
geht es mir nicht mehr allein um den Duft an sich, sondern um den
Duft unter diesen Bedingungen. Kenne ich nicht die Versuchung, mir
manchmal gleichsam die Nase zu zu halten und das Weite zu suchen?
Aber da steht diese Linde, verwurzelt im Erdreich und verströmt
ihren Duft in die Abgas-erfüllte Luft hinein. Chancenlos?
Aussichtslos? Zwecklos? Zumindest mich hat sie nicht nur froh
gemacht, sondern ganz offensichtlich auch zum Nachdenken gebracht.
Lass dich nicht hängen! Gib nicht auf! Nicht verduften, sondern
duften!
Einige Tage später war ich bei der
Beerdigung eines Mitbruders dabei, in seinem 92. Lebensjahr ist er
gestorben. Und an ein paar Stellen war ich peinlich berührt, wenn
nicht ein wenig traurig. In Predigt und Nachrufen klang es an: der
Verstorbene war ein guter Seelsorger, aber er stand auch ganz
im Leben. Er verkündigte den Glauben, aber er war auch ganz
Mensch. Das sind jetzt keine wörtlichen Zitate, und ich hoffe, den
Redenden gegenüber nicht ungerecht zu sein. Aber bei mir war das
über den Verstorbenen Gesagte so angekommen. Und ich habe jedes mal
mit einem innerlichen Unwillen und Ablehnung reagiert. Ich muss doch
nicht schauen, dass ich trotz meines Glaubens und – in meinem Fall
– priesterlichen Dienstes, auch ganz im Leben stehe. Das lässt
sich doch überhaupt nicht trennen. Ich selbst erlebe das ja genau
umgekehrt. Ich lebe doch mit dem zusammen, der selbst das Leben ist
und es schenkt, ein nicht einmal durch den Tod bezwingbares Leben.
Und wie sollte ich denn redlich den Glauben verkünden, ohne ganz
Mensch zu sein? Ich versuche in den Worten bei der Beerdigung auch
die Sehnsucht der Menschen heraus zu hören, in ihrer Sprache
angesprochen zu werden. Womöglich war es das, was dem Verstorbenen
gelungen war.
Ein Glaube, der „neben dem
eigentlichen Leben“ gelebt würde, der ist überflüssig, der kann
mir gestohlen bleiben. Aber das ist eben auch kein Glaube, man müsste
das dann anders nennen.
Leben wie die Linde an der
Straßenkreuzung – mittendrin und Wohlgeruch verströmend, ja, so
schon eher...