Dienstag, 31. Mai 2011

Mühldorf und die Zukunft der Kirche...

Ein freier Montag im Mai. Da passt eine Wallfahrt nach Altötting. Mit dem Fahrrad fahre ich hin, genieße den „Traun – Alz – Radweg“ und den Wallfahrtsort und radle nach dem Besuch dort weiter nach Mühldorf. Denn von dort gibt es am Abend einen durchgehenden Zug nach Traunstein, nach Hause zurück.

In Mühldorf habe ich noch viel Zeit und nachdem ich einen Eisbecher im Eiscafé Venezia genossen habe, gehe ich Richtung Kirchtürme. Zuerst zur Frauenkirche, der Eisdiele gegenüber. Drei Frauen sitzen in einer Bank, dann kommt noch ein Mann dazu, die Uhr schlägt, es ist 16.30 Uhr und die vier beginnen Rosenkranz zu beten. Weil ich das bereits in der Gnadenkapelle in Altötting getan hatte, entscheide ich mich, wieder hinaus und weiter zu gehen.

Ca. 200 Meter entfernt ist die große Kirche St. Nikolaus, ich betrete sie, der Raum spricht mich an. Und – nanu – vorne knien sechs Frauen, die Rosenkranz beten.
Mein erster Gedanke: wieso beten die denn nicht zusammen, anstatt vier in der einen Kirche und sechs ein paar Meter weiter in der anderen?

Am Schriftenstand nehme ich eine Gottesdienstordnung der „Stadtkirche Mühldorf“ mit. In sechs Spalten – für jede Kirche eine – sind dort die Gottesdienstzeiten nebeneinander aufgelistet. Mir imponiert die dahinter steckende Logistik und Organisation und ich frage mich, wie das Leben der Menschen, der Christinnen und Christen vor Ort konkret aussieht. An diesem Montag steht nur in einer der sechs Spalten ein Gottesdienst, eine Maiandacht, aufgeführt.

Und jetzt geht mein Nachsinnen weiter. Zunächst freue ich mich, dass an einem laut Gottesdienstordnung „Gottesdienst – freien Tag“ sich eine Gruppe von Menschen zum Gebet trifft. Öfter einmal habe ich das als Wunsch formuliert gelesen, dass eben wenn nur irgendwie möglich, sich jeden Tag in der Kirche Menschen zum Gebet versammeln. Unter den gegebenen Umständen wird das immer weniger die Form der Eucharistiefeier sein können. Aber das schließt ja nicht aus, dass Menschen sich zu einer anderen Form des Betens zusammen finden.

Und vielleicht hat es ja auch etwas für sich, wenn so etwas gleichzeitig an gar nicht so weit von einander entfernten Orten geschieht. Ich hoffe, die Menschen beten nicht deshalb an verschiedenen Orten, weil sie nicht „miteinander können“. Die Frauenkirche, so geht es aus der Gottesdienstordnung hervor, ist eine Filialkirche der St. Nikolauskirche, keine eigenständige der sechs Pfarrkirchen.

Innerlich bin ich noch etwas am schwanken und überlegen, was jetzt besser wäre. Und komme zu dem Schluss, dass vielleicht genau diese offene Frage auch etwas Typisches für die aktuelle Situation sein könnte. Es gibt keine Patentlösung! Es gibt mehrere Möglichkeiten und es gilt wohl letztlich zu sehen und zu verstehen, was auf Dauer für das Ganze bekömmlicher ist.

Klar wären außer dem Rosenkranz auch noch andere Formen des gemeinsamen Gebetes denkbar. Ich erinnere mich, in einem anderen Teil Bayerns einmal während einer mehrtägigen Urlaubswanderung in einer Kirche bei einem morgendlichen Taizegebet einiger junger Frauen dabei gewesen zu sein. Und eine von diesen sagte mir danach, sie träfen sich - außer in Ferienzeiten – mehrmals die Woche dafür: zwei Lieder, ein Text aus heiligen Schrift und einige Minuten des gemeinsamen Schweigens.

Andere treffen sich zum Bibel – Teilen in einer Privatwohnung. Und auch das nährt, stärkt und erhält das geistliche Leben vor Ort...

Sonntag, 15. Mai 2011

"Es geht uns zu gut!"

Immer wieder einmal höre ich es von verschiedenen Leuten. Vor allem von Menschen, die sich besorgt Gedanken machen über die rückläufigen Zahlen beim Kirchenbesuch, die Verdunstung des Religiösen oder die Verflachung des Glaubens. „Es geht uns zu gut. Wenn die Leute erst wieder einmal eine richtige Not spüren, dann werden sie auch wieder zu beten beginnen.“
Mir ist nie so ganz wohl, wenn ich so etwas höre. Müsste ich - konsequent weiter gedacht - mir und uns jetzt eine Not herbei wünschen, damit Glaube und Gott wieder interessant werden? Das will ich nicht! Entschieden nicht! Was wäre denn das für ein Glaube und was für ein Gott, die dann erst interessant werden oder sind, wenn es uns wirtschaftlich, materiell oder sonst irgendwie schlecht geht. Mit solch einem Gott möchte ich doch lieber nichts zu tun haben. Und ich verstehe sehr gut alle, denen es ebenso geht.
Abgesehen davon, dass die beschriebene Logik ja auch gar nicht unbedingt stimmt. Ich erinnere mich, wie uns ein Professor während des Studiums in einer Vorlesung sagte: „Not lehrt nicht nur beten, sie lehrt auch verzweifeln und fluchen!“ Also der Schuss mit der herbei gewünschten Not könnte auch nach hinten los gehen...

„Es geht uns zu gut“. In einem anderen Zusammenhang meine ich stimmt dieser Satz. In der ersten Maihälfte war es in den Zeitungen zu lesen: jeder Deutsche wirft durchschnittlich Lebensmittel im Wert von € 330.- pro Jahr weg. Lebensmittel in den Abfall. Weil sie verdorben sind, das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist, die Portion zu groß war oder... Okay, da geht es uns eindeutig zu gut. Wobei ich auch in Deutschland schon Menschen gesehen habe, die Mülltonnen bei Privathäusern oder auf Bahnhöfen nach Ess- und Trinkbarem absuchen. Es bleibt zunächst noch offen, wem es zu gut geht und wem eben nicht.

Ähnlich vorsichtig bewerte ich eine Power-Point-Präsentation über das „verschlossene Europa“, die ich vor kurzem aus Spanien zugesandt bekam. Auf einer Folie stand dabei als Text sinngemäß Folgendes: „anstatt die Flüchtlinge wieder abzuschieben, müssten wir sie aufnehmen und sie auf Knien um Verzeihung bitten für dasjenige, was wir ihnen in der Kolonialzeit angetan und aus ihren Ländern geraubt haben“. Obwohl hier natürlich präzisiert werden müsste, hat diese Logik schon etwas für sich. Und es ist irgendwie verständlich, dass sich Menschen aus anderen Teilen der Welt ihren Teil des Kuchens holen wollen. Und uns auf eine sehr deutliche und Europäern oft unangenehme Weise daran erinnern, dass es uns eben „zu gut geht“. Im Vergleich mit anderen und auf deren Kosten!

„Es geht uns zu gut!“ Christliches Engagement wird sich nicht darauf beschränken lassen, traurig über den Niedergang des Christentums zu sein. Es wird genau dort hinsehen, wo es Menschen eben nicht gut geht. Und deswegen werden sich Christinnen und Christen einsetzen dafür, dass es Menschen gut geht, rundum, ganzheitlich. Vermutlich ist es dann dieser Einsatz für Gerechtigkeit, der Christ – Sein auch (wieder) interessant macht. Das ist nicht das Ziel oder der Hintergedanke des Einsatzes, aber wohl ein nicht ausbleibender, damit verbundener Nebeneffekt. Kirche ist nicht eine Wohltätigkeitsagentur, aber wenn sie nicht die Armen im Blick und Herzen hat und gegen Armut kämpft, dann ist sie auch nicht Kirche.

„Es geht uns zu gut“ in einer Kirche, die sich vor allem damit beschäftigt, an ihrer inneren Struktur zu basteln, am Schaffen neuer pastoraler Räume, am Umverteilen von Aufgaben, damit letztlich möglichst alles so bleiben kann, wie es bisher war oder wenigstens so ähnlich weiter gehen kann. Wenn wir den Blick nicht noch viel mehr als bisher auf jene richten, denen es aus verschiedenen Gründen physisch, psychisch, materiell usw. wirklich nicht gut geht, dann geht es uns in der Kirche wirklich noch zu gut...