Dienstag, 31. Mai 2022

Meditationshocker

In diesem Blog, in Posts vor acht bzw. neun Jahren fand er schon einmal Erwähnung: mein Meditationshocker. 20 cm hoch, 18x18 cm2 ist die Sitzfläche. Vielleicht kennen einige die Taizé-Gebetsbänkchen. Früher habe ich auch ein solches verwendet und dann während einer Ausbildung zum Exerzitienbegleiter das andere Modell kennen gelernt.

In einem unserer damaligen Ausbildungshäuser nahm ich Maß und bat einen Schreiner, mir einen solchen Hocker herzustellen. Mit dem Schreiner war ich im Zug der Vorbereitungen seiner Trauung bekannt geworden. Ich erinnere mich noch bis heute an diese Trauung in einer wunderschönen Wallfahrtskirche, das Brautpaar in Tracht. An einem bestimmten Punkt während der Feier fragte mich der Bräutigam: „Herr Pater, darf ich meine Tochter zu mir holen?“ Ich war – so meine ich mich zu erinnern – etwas verdattert darüber, dass ein Vater den Pater so etwas fragt, weil mir das einfach natürlich schien, dass das kleine Kind bei seinen Eltern ist. Auch wenn die vor dem Traualtar sitzen. Wahrscheinlich hat der Schreiner mich als Zeremonienmeister gesehen und deswegen gefragt. Auf jeden Fall saß im weiteren Verlauf der Trauung das kleine Mädchen auf seinem Schoß. Und ich bekam den Meditationshocker aus massivem Holz einige Zeit nach der Trauung geschenkt.

Leider ging die Ehe des Schreiners nach einigen Jahren auseinander. Immer wieder einmal, wenn ich mich auf dem Hocker niederlasse, muss ich an das damalige Brautpaar und seine zwei Kinder denken, nehme sie mit ins Gebet.

Der Hocker hilft mir zu einem guten Sitzen: ich kann mit aufrechtem Rücken wach da sein und der Atem kann frei strömen. Wie ich schon vor einigen Jahren erzählte: wenn ich bei Umzügen glücklich darüber bin, ohne Möbel umzuziehen, dieses Stück muss immer mit.

Auch in Madrid hatte ich es – wie ebenfalls früher schon einmal beschrieben – dabei. Und habe später den Mitbrüdern in Spanien, welche Gefallen daran gefunden hatten, zwei Exemplare geschickt. Als ich im vergangenen April nach vielen Jahren wieder einmal in Madrid zu Besuch war, sah ich die Meditationshocker dort in der Kapelle. Und erzählte den Mitbrüdern, dass der Schreiner, der diese gebaut hatte, das war ein anderer, nicht besagter Bräutigam, ein paar Wochen zuvor verstorben war.

Nach dem Abschluss der oben erwähnten Ausbildung zum Exerzitien- und Meditationsbegleiter wurde ich gefragt, in unserem Exerzitienhaus in Kufstein zu arbeiten. Auch dort bat ich einen Schreiner, mir einige solcher Meditationshocker zu zimmern. Um mit anderen Menschen gemeinsam zu üben bzw. sie bei der Meditation anzuleiten.

Bei einem späteren Besuch in diesem Haus stellte ich fest, dass einige der Hocker eine Verwendung als Blumenuntersetzer Verwendung gefunden hatten. Was mich ein wenig traurig stimmte. Das hat sich vor kurzem verändert durch ein Ereignis und seine Deutung, die mich nach wie vor nachdenklich sein lassen.

Kurz vor der diesjährigen Karwoche wurde aus der Leipziger Propsteikirche der Tabernakel gestohlen. Er wurde von Gemeindemitgliedern in der Nähe der Kirche wieder gefunden, aufgebrochen, und es waren wohl nicht mehr alle Hostien drinnen. Ein aufwühlendes, die Gemeindemitglieder verstörendes Erlebnis. Der regelmäßig in der Propsteikirche Gottesdienst feiernde und predigende Prof. Tiefensee sagte in einer Predigt sinngemäß: den Dieben ist etwas gelungen, womit wir uns sonst in der Kirche nicht leichttun: Christus aus der Kirche hinaus auf die Straße zu bringen. Vermutlich dürfte diese Deutung nicht allen gefallen. Wenig später gab es traurigerweise noch einmal einen Akt des Vandalismus in der Kirche, als ein großes Fenster zerstört wurde.  Angeregt durch Tiefensees Deutung musste ich jedoch im Gedanken an meine Meditationshocker schmunzeln: sie wollen ja letztlich dazu helfen, dass „Leben erblüht“. Also vielleicht gar nicht so schlecht, wenn jetzt Pflanzen auf diesen kleinen Hockern grünen und Knospen treiben…

 

Sonntag, 15. Mai 2022

Italienisch-Kurs

Es war ein ganz besonderer Moment. In meinem Sprachgebrauch würde ich sagen: ein „heiliger“. Andere würden vielleicht von „Gänsehautfeeling“ reden…

Seit einigen Monaten sind wir zusammen im Sprachkurs, eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von 10 – 15 Menschen. Es gab Zu- und Abgänge. Die meisten von uns sind berufstätig und der Kurs findet an zwei Vormittagen statt, montags und mittwochs, jeweils von 10.30 bis 12.00 Uhr, nie sind alle da.

Einige haben sich jetzt zum Examen (B1) angemeldet und wir bereiten uns gemeinsam darauf vor. Dabei entwickeln sich Dynamiken wie unter jüngeren Schülerinnen und Schülern: auf WhatsApp werden Tipps ausgetauscht und über Prüfungsangst berichtet, bzw. wird einander Mut gemacht.

Weil im mündlichen Teil der Prüfung vermutlich eine Selbstvorstellung gefragt sein wird, haben wir das beim letzten Mal „geübt“. Jede – hier passt die weibliche Form, weil ich neben fünf Frauen der einzige Mann bin – hat sich selbst vorgestellt. Um uns auch hier Mut zu machen bzw. ein Beispiel zu geben, haben unsere Lehrer Federica und Ugo begonnen. Und dann wir.

Ljuba aus Moldawien und Ana aus Ecuador erzählen von ihrem schwierigen Anfang vor vielen Jahren hier in Italien. Noch deutlicher als Ljuba macht Ana deutlich, dass die Situation in ihrem Heimatland so schwierig war, dass sie sich entschloss, dieses zu verlassen. Beide waren anfangs auch auf die Unterstützung durch die Caritas angewiesen und sind bis heute dankbar dafür. „Ich habe mich über die gute Qualität des Essens dort gewundert“, sagt die eine. Und die andere: „nur mit dem Salat tat ich mich schwer. Bei uns zu Hause wird nicht so viel Salat gegessen. Ich bin doch keine Ziege! Aber inzwischen bin ich eine leidenschaftliche Salatesserin geworden!“. Beiden, jede hat zwei Kinder, ist ihre Familie sehr wichtig. Während Ljuba darunter litt, dass ihre berufstätigen Eltern wenig Zeit für sie hatten, starb die Mutter Anas bei ihrer Geburt. Was Ana selbst an mütterlicher Zuneigung vermisst hatte, das wollte und will sie ihren eigenen Kindern geben.

Die Polin Ewelyna ist ihrem italienischen Freund gefolgt. Und hat dafür Heimat, Familie und Freunde zurückgelassen – all das vermisst sie. Als Anwältin bearbeitet sie im Homeoffice Rechtsangelegenheiten.

Auch die Brasilianerin Fabrizia ist Anwältin. Ihre Großeltern waren Italiener, so dass sie auch die italienische Staatsangehörigkeit erworben hat. Fabrizia hat in ihrer Heimat viel gearbeitet. Und während der Pandemie dann vorwiegend von zu Hause aus: irgendwann hat sie ein Burnout bekommen und sich entschieden, etwas anderes zu machen. So kam sie nach Italien, hat inzwischen an einer römischen Uni einen Master in europäischem Recht erworben und vertieft ihre Italienisch-Kenntnisse. Wobei auch sie ihre Familie und ihren Bekanntenkreis in Brasilien hat. Sie klagt über das gefährliche Leben in Sao Paulo: „die töten dich für ein Handy“. Wenn sie zurück geht, dann möchte sie eher aus der Stadt heraus ins Landesinnere.

Auch die Mexikanerin Lorena bestätigt das gefährliche Leben, gerade als Frau, aus ihrer Sicht und aus der Perspektive ihrer Heimat. Ihr Mann Chris unterrichtet an einer amerikanischen Schule in Rom, mit ihm zusammen ist sie hierhergekommen. Kennen gelernt haben sich die beiden in Panama. Ohne dass sie es sagt, habe ich den Eindruck, dass es einen gewissen Zwiespalt für Lorena gibt: sie genießt das Leben in Italien, z.B. die größere Sicherheit. Und doch fehlt ihr die Heimat.

Mit Interesse hören die anderen zu, als ich von meinen Besuchen bei Migranten ohne Papiere im Abschiebehaftgefängnis von Madrid erzähle.

Berührt, dankbar und nachdenklich gehe ich an diesem Tag nach dem Unterricht nach Hause: welcher Reichtum an Leben, welche Vielfalt, wie viele Erfahrungen. Welches Geschenk, sich das mitzuteilen.

Wie meinte Ugo, unser Lehrer: „das war heute unsere bisher schönste Unterrichtsstunde“.