„Wir sind erwacht. Der Schlaf ist
noch in unseren Augen, aber auf unseren Lippen soll sofort dein Lob
sein“. Immer wieder einmal habe ich das mit diesen Sätzen
beginnende Morgengebet aus Afrika (vgl. Gotteslob 15/4) früher mit
Kindern und Jugendlichen gebetet. Vielleicht ist es deswegen so bei
mir hängen geblieben, dass mir auch heute beim Aufwachen oft diese
Zeilen in den Sinn kommen.
Bevor ich mich auf einen theologischen
Streit darüber einlasse, wo das Gebet seinen Ausgangspunkt nimmt,
beim Blick auf Gott oder auf mich, fällt mir auf, dass in besagtem
Gebet aus Afrika beide Blickrichtungen da sind. Und im konkreten Fall
dieses Gebetes finde ich es sympathisch, dass ich als eventuell noch
ein wenig Verschlafener mich vor Gott einfinden kann. Ich komme mit
meiner Welt und bringe diese vor Gott. Das halte ich für eine
wichtige Grundregel des Betens. Ich bewege mich nicht zuerst in
irgendwelche (himmlischen) Sphären, die mit meiner
Alltagswirklichkeit nichts zu tun haben, nein, ich komme des Morgens
eventuell sogar noch mit Schlaf in den Augen. Das afrikanische
Morgengebet führt diese Art zu beten auf eine wunderschöne
Weise fort. Beten: mein Leben vor Gott
bringen! Und eventuell dabei die Entdeckung machen: ER ist schon da,
in diesem meinem Leben. Komm mit Freude, Schmerz, Ärger,
Traurigkeit, Hoffnung, Sehnsucht, Fragen, Leid und Ausweglosigkeit,
sei Du Du selbst, wenn Du zu beten beginnst!
Das ist die Basis für das Lob Gottes.
Mit all dem, was mein Leben ausmacht, lobe ich Gott. Darum geht es
dann natürlich auch!
Noch eine „Gebets-Erfahrung“ habe
ich vor nicht ganz zwei Wochen gemacht, als ich mit einer Gruppe
italienischer Seminaristen der Missionare vom Kostbaren Blut zu einem
Besuch in der KZ-Gedenkstätte Dachau war. Nachdem wir am Vormittag
im Stadtzentrum von München waren, galt der Nachmittag dem Gelände
des ehemaligen Konzentrationslagers. Und die jungen Männer, 18
Italiener und zwei Kameruner, zwischen 20 und Mitte 30 alt, bewegten
sich wie die anderen Besucher der KZ-Gedenkstätte, das Ohr am
Audio-Guide-Gerät und immer wieder auch mit den Handy-Kameras
fotografierend. Schon im Vorfeld hatten wir vereinbart, zum Abschluss
unseres Besuches in der Kapelle des Hl.Blut-Karmel am Rande des
Gedenkstätten-Geländes die Eucharistie zu feiern. Bereits bei
früheren Besuchen, die äußerlich ähnlich abliefen, hatte, hatte
ich bei diesem Programmpunkt gemischte Gefühle. Nicht dass ich
meine, dass gerade an diesem Ort eine Eucharistiefeier nicht ihren
Platz hat. Aber wie der Gefahr begegnen, dass durch eine solche
liturgische Feier das schreckliche Geschehen von damals, die
Begegnung mit Menschen und ihren grausamen Schicksalen, jetzt
irgendwie eingeordnet, ja „glatt gebügelt“ wird?
Bleibt uns der Schrecken, die Trauer
und Fassungslosigkeit, ja die Sprachlosigkeit erhalten, wenn wir
jetzt miteinander Eucharistie feiern?
Es geht schon wieder um die
Eingangsfrage: wie komme ich mit meiner Welt vor Gott?
Als ich die jungen italienischen
Studenten erlebte, als gute Seminaristen auf eine „schöne
Eucharistie“ bedacht, dass die liturgischen Gewänder passen und
die richtigen Lieder ausgewählt werden, da hatte ich fast den
Eindruck, dass das jetzt zu schnell gegangen war, dass wir etwas
„übersprungen“ hatten. Wäre es angemessener gewesen, eine halbe
Stunde im Schweigen zu bleiben, eventuell dabei noch einen
Zeugenbericht eines ehemaligen KZ-Gefangenen zu hören, zu lesen?
Ich maße mir kein Letzturteil
bezüglich dieser Frage an. Zum einen haben Südländer wohl eine
andere Mentalität, zum anderen gehören die Seminaristen auch einer
anderen Generation an. Was ich mir mit nehme, abgesehen vom
bedrückenden Eindruck des ehemaligen KZ-Geländes, das ist der
Wunsch, „wirklichkeitsgerecht“ zu beten. Bei allem Entlastenden,
das Formen und Rituale haben – wie dankbar bin ich oft genug für
sie – möchte ich versuchen, ein waches Gespür zu bewahren oder
noch viel mehr zu entwickeln für das, was dran ist, um mein, unser
Leben vor Gott zur Sprache zu bringen...