Freitag, 30. September 2011

Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar...

„Endlich einer, den ich nicht verteidigen muss!“ Als ich mich nach acht Monaten Tätigkeit in der katholischen Pfarrgemeinde in Traunreut verabschiedete, sagte mir eine Frau, dass dies ihr erster Eindruck gewesen sein, als ich mich im ersten Gottesdienst dort vorgestellt hatte.
Abgesehen von einer gewissen Freude hat mich diese Äußerung nachdenklich gemacht. Mit besagter Frau war ich hin und wieder im Gespräch und in einem anderen Zusammenhang machte sie mir ihre Einstellung deutlich, für „ihre Familie einzutreten“, Kirchliches zu verteidigen.
Verstehen Sie bereits, wieso ich nachdenklich wurde? Da gibt es mehrere Gründe. Zum einen stellt sich sofort die Frage: „sind wir so schlimm? Gibt es unter uns hauptamtlichen Kirchenleuten so Schlimme?“ Vielleicht gibt es ja Menschen, die auch mich gegenüber wieder anderen verteidigen.
Ich erinnere mich an den Priester, der sich aus seiner Studienzeit den Hinweis eines Professors mitgenommen hatte: „fragen Sie sich gelegentlich: `bin ich beliebt oder habe ich Profil´?“ Wohl etwas extrem gegenüber gestellt, aber nachdenkenswert...
Was aber noch mehr in mir bohrt, ist etwas anderes. Nicht selten habe ich engagierte Leute in verschiedenen Gemeinden dazu ermuntert, kirchliches Personal zu verteidigen, über Fehler hinweg und eher das Positive zu sehen. Nicht dass ich nicht auch zu Kritik ermutigt hätte, aber sehr oft hatte ich die Bitte, nicht auch noch, wie vielleicht schon genug andere, z.B. über den Pfarrer zu schimpfen etc.
Aufgrund der Äußerung meiner Traunreuter Bekannten bin ich unsicher geworden. Erwarte, verlange ich da von Menschen zu viel? Oder gar Falsches? Ist es immer zumutbar, Eigenheiten eines Amtsträgers vor Ort aushalten zu sollen?
Und wieder, denn auf die vorige Frage antworte ich mir selbst mit: „nein!“, wie soll es konkret gehen? Gibt es Möglichkeiten, ohne zu viel Porzellan zu zerbrechen? Gewaltfreie Kommunikation?

Ohne dieser unangenehmen Fragestellung ausweichen zu wollen: in der erwähnten Begegnung hatte die Auseinandersetzung ja bereits ein gewisses Niveau. Und das wünschte ich mir öfter. Menschen, die Engagement und Wohlwollen paaren und deswegen Kritik anbringen, die aufbaut. Ich habe auch solche immer wieder erlebt. Talentierte Personen, denen auch ein Pfarrer mit gewissen Eigenheiten manches einfach nicht abschlagen konnte und wollte, weil er deren Wohlwollen gespürt hat, bzw. die Unterstützung nicht verlieren wollte.
Aber es gibt ja auch andere, die etwa als Kirchgänger nie so nahe an den Pfarrer heran kommen, um ihn auf das ein oder andere anzusprechen.
Wie sagte mir Roswitha vor vielen Jahren, als sie sich bei mir über die Predigten ihres Heimatpfarrers beschwerte und ich sie ermutigte, ihm das doch selbst einmal zu sagen: „weißt du, bevor du jemand nicht drei mal gelobt hast, solltest du ihn nicht kritisieren!“ Diesen Merksatz habe ich mir mitgenommen und versuche selbst danach zu leben – keine ganz leichte Aufgabe.

Im Grunde genommen möchte ich die Leute zur Echtheit ermutigen – und auch das tue ich konkret immer wieder. „Du musst nicht verteidigen, was nicht verteidigenswert ist!“ Aber das lässt sich so und so anstellen. Natürlich kann ich gleichzeitig Entschuldigungsgründe suchen und trotzdem, jawohl!, Verständnis für jemanden haben. Und ihn oder sie auch ansprechen auf „schwer Verdauliches“.
Und, sehr entlastend: ich bin wahrlich nicht für alles verantwortlich. Weder für die Fehler eines anderen, noch für die schlechte Laune, die diese bei wieder anderen auslösen. Herrlich!
Und: „die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ (Ingeborg Bachmann). Bzw. sie wird sogar frei machen... (Johannesevangelium 8,32)!

Donnerstag, 15. September 2011

Berufungspastoral

So heißt die Sparte, in der ich seit Anfang September offiziell und mit Auftrag tätig bin. Was verbirgt sich denn dahinter? Meine Schwägerin fragte schon konkreter: „machst Du also jetzt so etwas wie `Personal-recruting´“? Eine andere junge Dame lächelte mich an: „head – hunting“?
Es wäre ja gelogen, wenn nicht die Sorge aufgrund der geringer werdenden Mitgliederzahlen unserer Ordensgemeinschaft mich zu meiner neuen Aufgabe gebracht hätte. Auf der anderen Seite kann es aber nicht allein um „Personal – recruting“ gehen. Das „recruting“ erinnert mich an eine verwandte Situation. In Deutschland bleiben sie ja nun auch aus, die Rekruten, nach der Aussetzung der Wehrpflicht und der Umgestaltung der Bundeswehr zu einer Freiwilligenarmee. Ist es das? So wie die einen versuchen, ihre Kasernen irgendwie voll zu bekommen, soll ich versuchen, unsere Missionshäuser wieder zu füllen? Das andere kenne ich ja auch schon, wenn Kasernen und militärisches Gelände verkauft und umfunktioniert werden, das gibt’s mit Kloster- und Missionshausgebäuden und – geländen ebenfalls...

Also noch einmal: worum geht es? Ich habe die ehrenvolle und zweifelsohne auch herausfordernde Aufgabe, etwas deutlich zu machen, was Kirchenmenschen ab und zu allzu leicht von den Lippen kommt. Gott liebt jeden Menschen – und zwar persönlich. Was uns ja bei inzwischen sieben Milliarden Exemplaren unvorstellbar ist. „Berufung“ ist praktischer Ausdruck davon: Du Mensch bist Gott nicht wurscht und egal, sondern er hat mit Dir und für Dich etwas vor! Hier muss ich kritische Nachfragen aushalten. Die Zigtausende, welche in Somalia und in anderen Ländern Ostafrikas verhungern belegen nicht das Gegenteil, sondern nehmen die Satten in die Pflicht.
Mit jeder und jedem hat er etwas vor! Und eines dieser göttlichen Vorhaben kann für männliche Wesen heißen, seine persönliche Erfüllung im Leben als Missionar vom Kostbaren Blut zu finden. Nachdem ich für mich persönlich dies durchaus so empfinde, will ich das weiter geben. Für unseren Gründer, Gaspare del Bufalo, verdichtet sich in der wiederum manche Menschen zunächst abstoßenden Rede vom „Blut Jesu Christi“ das Wesentliche des Christseins. Das geht natürlich nicht nur Profis und Berufsmissionare an... Letztere sind aber wohl vonnöten, damit diese Botschaft fortdauernd weiter gegeben werden kann. Nicht als Alleinvertreter braucht es sie/uns, aber es braucht sie/uns! Mit vielen anderen gemeinsam...

Erste Reaktionen: noch in meiner früheren Tätigkeit als Pfarrvikar hatte ich im Rahmen der Firmvorbereitung mit 14jährigen Jugendlichen zu tun. Die Mutter eines dieser Jungen bekam es wohl mit der Angst zu tun, weil sie – ob berechtigt oder nicht, sei einmal dahin gestellt – den Eindruck bekam, ihr Sohn könnte Priester werden wollen. Die eingangs erwähnte „head – hunting“ - Dame kommentierte dieses mein Erlebnis so: „manche Eltern haben Angst, dass ihre Kinder Drogen nehmen, andere, dass ihre Kinder ins Kloster gehen!“ Fairerweise muss man unbedarften Eltern nach den Ereignissen und Enthüllungen der Kirchenszene der letzten zwei Jahre ja zugute halten, dass sie wirklich aus Sorge um ihre Kinder Vorbehalte haben.

Fast schon lustig dagegen fand ich, was mir eine andere Mutter erzählte: als ihr Sohn sich über die Ministrantenzeit hinaus gerne in der Kirche aufhielt und dort mit half, bekam sie es ebenfalls mit der Angst zu tun: „was, wenn er Priester werden möchte?“ Wobei ihrem Erzählen eher zu entnehmen war, dass sie sich um sich selbst Sorgen machte: „dann müsste ich mich ja ändern, frommer werden, mehr in die Kirche gehen etc.“. Gott sei Dank fand ihr Sohn dann während des Studiums eine Freundin, auch wenn diese Beziehung leider nicht hielt.

Berufungspastoral: unaufdringlich und gleichzeitig entschieden Menschen dabei begleiten, zu entdecken, dass und wie sehr Gott sie liebt und bei den je existentiellen Antworten der einzelnen darauf vielleicht manchmal einen entdecken, der als Missionar vom Kostbaren Blut antworten möchte – wieso nicht?