„Endlich einer, den ich nicht verteidigen muss!“ Als ich mich nach acht Monaten Tätigkeit in der katholischen Pfarrgemeinde in Traunreut verabschiedete, sagte mir eine Frau, dass dies ihr erster Eindruck gewesen sein, als ich mich im ersten Gottesdienst dort vorgestellt hatte.
Abgesehen von einer gewissen Freude hat mich diese Äußerung nachdenklich gemacht. Mit besagter Frau war ich hin und wieder im Gespräch und in einem anderen Zusammenhang machte sie mir ihre Einstellung deutlich, für „ihre Familie einzutreten“, Kirchliches zu verteidigen.
Verstehen Sie bereits, wieso ich nachdenklich wurde? Da gibt es mehrere Gründe. Zum einen stellt sich sofort die Frage: „sind wir so schlimm? Gibt es unter uns hauptamtlichen Kirchenleuten so Schlimme?“ Vielleicht gibt es ja Menschen, die auch mich gegenüber wieder anderen verteidigen.
Ich erinnere mich an den Priester, der sich aus seiner Studienzeit den Hinweis eines Professors mitgenommen hatte: „fragen Sie sich gelegentlich: `bin ich beliebt oder habe ich Profil´?“ Wohl etwas extrem gegenüber gestellt, aber nachdenkenswert...
Was aber noch mehr in mir bohrt, ist etwas anderes. Nicht selten habe ich engagierte Leute in verschiedenen Gemeinden dazu ermuntert, kirchliches Personal zu verteidigen, über Fehler hinweg und eher das Positive zu sehen. Nicht dass ich nicht auch zu Kritik ermutigt hätte, aber sehr oft hatte ich die Bitte, nicht auch noch, wie vielleicht schon genug andere, z.B. über den Pfarrer zu schimpfen etc.
Aufgrund der Äußerung meiner Traunreuter Bekannten bin ich unsicher geworden. Erwarte, verlange ich da von Menschen zu viel? Oder gar Falsches? Ist es immer zumutbar, Eigenheiten eines Amtsträgers vor Ort aushalten zu sollen?
Und wieder, denn auf die vorige Frage antworte ich mir selbst mit: „nein!“, wie soll es konkret gehen? Gibt es Möglichkeiten, ohne zu viel Porzellan zu zerbrechen? Gewaltfreie Kommunikation?
Ohne dieser unangenehmen Fragestellung ausweichen zu wollen: in der erwähnten Begegnung hatte die Auseinandersetzung ja bereits ein gewisses Niveau. Und das wünschte ich mir öfter. Menschen, die Engagement und Wohlwollen paaren und deswegen Kritik anbringen, die aufbaut. Ich habe auch solche immer wieder erlebt. Talentierte Personen, denen auch ein Pfarrer mit gewissen Eigenheiten manches einfach nicht abschlagen konnte und wollte, weil er deren Wohlwollen gespürt hat, bzw. die Unterstützung nicht verlieren wollte.
Aber es gibt ja auch andere, die etwa als Kirchgänger nie so nahe an den Pfarrer heran kommen, um ihn auf das ein oder andere anzusprechen.
Wie sagte mir Roswitha vor vielen Jahren, als sie sich bei mir über die Predigten ihres Heimatpfarrers beschwerte und ich sie ermutigte, ihm das doch selbst einmal zu sagen: „weißt du, bevor du jemand nicht drei mal gelobt hast, solltest du ihn nicht kritisieren!“ Diesen Merksatz habe ich mir mitgenommen und versuche selbst danach zu leben – keine ganz leichte Aufgabe.
Im Grunde genommen möchte ich die Leute zur Echtheit ermutigen – und auch das tue ich konkret immer wieder. „Du musst nicht verteidigen, was nicht verteidigenswert ist!“ Aber das lässt sich so und so anstellen. Natürlich kann ich gleichzeitig Entschuldigungsgründe suchen und trotzdem, jawohl!, Verständnis für jemanden haben. Und ihn oder sie auch ansprechen auf „schwer Verdauliches“.
Und, sehr entlastend: ich bin wahrlich nicht für alles verantwortlich. Weder für die Fehler eines anderen, noch für die schlechte Laune, die diese bei wieder anderen auslösen. Herrlich!
Und: „die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ (Ingeborg Bachmann). Bzw. sie wird sogar frei machen... (Johannesevangelium 8,32)!