Donnerstag, 31. März 2022

Flexibilität !?

Vor Jahren schon musste ich schmunzeln beim Betreten bzw. Verlassen einer Kirche in der Nähe von Rom. An der einen Tür gab es einen schriftlichen Hinweis: „wir machen darauf aufmerksam, dass in unserer Diözese am Sonntag keine Trauungen stattfinden“. An der anderen Tür war die Gottesdienstordnung einzusehen, darauf mindestens an einem Sonntag – ganz genau erinnere ich mich nicht mehr – eine Trauung. Kommt darauf an, wohin Du schaust...

Ähnlich erging es mir Provinz- und Studentatshaus der Mitbrüder der italienischen Provinz. Vor dem Speisesaal ein Blatt mit dem Hinweis: „im Speisesaal verwenden wir kein Handy“. Im Speisesaal ist wenigstens die Hälfte der dort Sitzenden am Handy, wenn nicht gerade am Telefonieren, dann doch am chatten oder surfen.

Oder im Valle della Caffarella, dem Park hier in der Nähe, in dem ich regelmäßig spazieren gehe. An mehreren Stellen stehen Hinweisschilder, welche Hundebesitzer darauf aufmerksam machen, ihren Hund an die Leine zu nehmen. Meiner Einschätzung nach lassen wenigstens 80% der Menschen mit Hund diesen frei laufen. Was aber – zugegebenermaßen – gut funktioniert. Obwohl dort auch regelmäßig Mountainbiker, andere Fahrradfahrer, Jogger und Spaziergänger unterwegs sind.

Als ich diese meine Beobachtungen einmal bei Tisch erzählte, meinte der italienische Mitbruder grinsend: „Du musst flexibel sein!“ Das ist es wohl.

Das gilt nicht zuletzt auch im italienischen/römischen Straßenverkehr, der deswegen durchaus herausfordernd für den an deutschen Verkehr gewohnten Menschen ist. Hier über einen Zebrastreifen zu gehen ist anders als in Deutschland. Regelmäßig sehe ich Hand- und Armsignale. Entweder macht der Fußgänger mit einer Armbewegung deutlich, dass er wirklich die Absicht hat, die Straße zu überqueren. Oder der Autofahrer, der knapp vor dem Fußgänger auf dem Zebrastreifen vorbei fährt, entschuldigst sich gleichzeitig bei diesem mit einem Handzeichen. Im Normalfall wird das auch akzeptiert.

An der Fußgängerampel stellen sich mir Fragen regelmäßig, wenn ich dort kleine Kinder in Begleitung eines Erwachsenen sehe. Denn das „Rot“ ist hier relativ: wieso die Straße denn nicht überqueren, wenn gerade kein Auto kommt? Was ich regelmäßig tue. Da ich aber nicht weiß, ob die Eltern ihre Kinder dazu erziehen, oder vielleicht aus Sorge doch auf das Farbsignal achten, bleibe ich im Normalfall stehen, wenn ich Kinder sehe – und diese nicht selbst bei Rot die Straße überqueren.

All dies zeigt grundsätzliche Unterschiede im Verständnis von Geboten und Vorschriften und den Umgang damit auf. Was sich durchaus auch im kirchlichen Bereich niederschlägt. Wie heißt es in der Kirche so schön: „die Italiener machen die Gesetze und die Deutschen halten sich daran“. Es ist eine andere Art des Zugangs. Und ich möchte da nicht ins Bewerten geraten. Das Italienische hat eher mit „leben und leben lassen“ zu tun. Verbissene Lagerkämpfe mag es auch geben, aber sie sehen wieder anders aus als „im Norden“.

Noch so ein Klischee-Satz, der damit zu tun hat: „die Deutschen lieben die Italiener, aber sie bewundern sie nicht. Die Italiener bewundern die Deutschen, aber sie lieben sie nicht.“ Klar, pauschal... Und die Liebe lässt dann auch Bewundernswertes entdecken...


Dienstag, 15. März 2022

Mitte März 2022

Zwischen 5.30 Uhr und 6.00 Uhr. Ich bin aufgewacht und höre Vogelgezwitscher. Und ich bin dankbar dafür, nicht durch das Knallen von Schüssen aus Gewehren oder Panzerrohren aufgewacht zu sein – ein erstes Gebet um Frieden an diesem Tag steigt in mir auf.

Ich drehe den Wasserhahn auf und es kommt Wasser. Das ist nicht selbstverständlich. Ich denke an Menschen in ukrainischen Städten, die ohne Wasser und Strom auskommen müssen. Was ziehe ich an? Bestimmt gibt es Menschen mit einer größerer Auswahl an Kleidungsstücken. Aber ich habe mehr, als viele auf die Schnelle einpacken konnten, als sie ihre Flucht antraten. Diese Gedanken gehen mit mir mit, als ich mir mein Frühstücksmüsli zubereite. Ich kann das hier tun – anderen fehlen (inzwischen) die Nahrungsmittel.

Und dann feiern wir Eucharistie und beten gemeinsam um den Frieden. Ein Evangeliumstext dieser Tage handelte von der Feindesliebe. Juan bezog ihn auf die Situation in der Ukraine und fragte, wie das wohl mit Putin gehen soll.

Als wir im vergangenen Dezember in Kroatien waren, besuchten wir auch Sisak und Vukovar. Städte, Gegenden, welche im Krieg zu Beginn der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zu leiden hatten. In Sisak kamen inzwischen Schäden durch das jüngste Erdbeben hinzu. Der Bischof von Sisak, Vlado Košiċ, überreichte uns die englische Ausgabe seiner Tagebuchaufzeichnungen aus den Kriegstagen, welche er damals als Pfarrer geschrieben hatte: „A Reverend on the Frontline“. Weil ich in der Fastenzeit auf Krimis verzichte, hatte ich angefangen, dieses Buch zu lesen. Und lese es jetzt, in Verbindung mit den Bildern aus der Ukraine, noch einmal ganz anders.

Apropos Bilder: Papst Franziskus bedankte sich neulich ausdrücklich bei Journalisten und Reportern, welche Informationen zugänglich machen. Ich erinnere mich an Mitbrüder, welche sich ziemlich zu Beginn des Irak-Krieges entschieden hatten, nicht mehr fern zu sehen, weil sie die Kriegsberichterstattung kaum mehr ertrugen. Und das nicht so sehr wegen der Grausamkeit an sich, als wegen der irgendwie folgenlos bleibenden Darstellung menschlichen Leidens. Es schien eher um eine besondere Form der „Unterhaltung“ zu gehen. Der besondere „Kick“ bei der Explosion eines Panzers! Ein Bombenabwurf zur Prime-Time, ein einstürzendes Hochhaus in Flammen als Late-Night-Show...Es scheint mir tatsächlich richtig und wichtig zu sein, den eigenen Nachrichtenkonsum immer wieder einmal zu analysieren.

Bei einem großen Online-Gebet von „Miteinander für Europa“ um den Frieden in der Ukraine – es waren 1000 zugeschaltete Teilnehmer/innen auf Zoom und vor vielen PCs saßen mehrere Personen, gab einer der Mitveranstalter zu Beginn unumwunden zu: „wie viel Zeit habe ich in der letzten Zeit mit dem Konsum von Nachrichten und mit der Diskussion von Kriegsereignissen verbracht und – im Vergleich damit – wie wenig Zeit zum Gebet verwendet“.

Die aktuellen schrecklichen Ereignisse entlarven uns aber womöglich auch, denn es ist ja nicht so, als ob es vor der russischen Invasion in die Ukraine überall auf der Welt friedlich gewesen wäre und es keine Flüchtlinge gegeben hätte.

Apropos: die polnischen Mitbrüder unserer Niederlassung in der Nähe zur ukrainischen Grenze gingen bald nach Beginn der Invasion mit Lebensmitteln dorthin und haben inzwischen Menschen aus der Ukraine im Haus aufgenommen. Auch die beiden Niederlassungen in Tschenstochau bieten jeweils 20 aus der Ukraine geflüchteten Menschen Raum. Der Generalmoderator lud die Mitbrüder in aller Welt ein, die Mitbrüder in Polen dabei zu unterstützen. Aber auch in einem unserer Häuser in Salzburg wird Raum für Geflohene zur Verfügung gestellt und die ersten drei Menschen sind dort angekommen.