Dienstag, 31. Dezember 2019

eng und stürmisch

Durch das Internet, über die Homepage unseres Bistums, hatte ich davon erfahren: ein „ökumenischer Gottesdienst für die Toten im Mittelmeer“ am Samstag, den 14. Dezember um 14.00 Uhr in München. Gerne wollte ich hin – und der eigene Kalender und der Dienst der Mitbrüder machten es möglich.

Also machte ich mich am Morgen auf den Weg, erledigte noch ein paar Dinge in Mindelheim und ging zum Bahnhof. Wo sich viele Leute vom Bahnsteig aus in einen vollen Zug drängten. Ich war froh, es irgendwie in den Zug geschafft zu haben. Dass es keinen Sitzplatz mehr gab – geschenkt!
In Buchloe musste ich umsteigen. Und der Anschlusszug war genauso voll – wieder stand ich. Den Schals nach waren Fußballfans unterwegs. Und unbedarft fragte ich einen von diesen: „ist heute ein Spiel?“ „Ja, Bayern gegen Werder Bremen, Bundesliga. Und wieso fahren Sie nach München?“ Ich erklärte: „da gibt es heute eine Mahnwache und einen Gottesdienst für Menschen, die auf ihrer Flucht nach Europa im Mittelmeer ertrunken sind“. „Respekt“ kommentierte mein Gegenüber.
Mit der Zeit hatte ich den Eindruck von sehr „stimmigen Reisebedingungen“. Denn auch die Menschen auf der Flucht erleben ja „Eingepfercht-Sein“ in LKWs, auf Booten, in Baracken... Wobei ich das Stehen im überfüllten Zug natürlich nicht damit vergleichen möchte. Aber ein wenig Komfortverzicht immerhin...

In München machte ich mich direkt auf den Weg zum Dom, vor dem eine Mahnwache stattfand. Einige versuchten ein Schlauchboot, wie es Flüchtlinge verwenden, aufzublasen. Andere entrollten ein Transparent. Beides gestaltete sich aufgrund stürmischen Windes als nicht ganz einfach. Und wieder: erleben nicht die Menschen auf der Flucht auch solches? Allerhand Wetterunbilden...

Ein wenig ging ich dann Richtung „Christkindlmarkt“, ließ mich von den Menschenmassen am Samstag vor dem dritten Advent schieben. Und steuerte gegen 13.00 Uhr wieder den Dom an. Ab 13.00 Uhr wurden eine Stunde lang (!) Namen von Menschen gelesen, die auf ihrer Flucht im Mittelmeer ertranken. Manchmal auch keine Namen, sondern nur z.B.: „am soundsovielten Februar 2018 35 Menschen, darunter 6 Frauen und zwei Kinder.“ Geflüchtete aus verschiedenen Ländern, vermutlich aus Syrien (und Afghanistan?) und andere aus afrikanischen Ländern lasen – eine Stunde lang im Wechsel – Namen und Zahlen vor, untermalt von leiser Harfen-, später Orgelmusik. Eine Frau, welche vorlas, fing dabei zu weinen an, die Stimme stockte ihr. Ja, es ist zum Weinen, es ist zum Verzweifeln! Aber wie gut, dass heute wenigstens dieser Menschen gedacht wird. Eine Stunde lang Namen und Zahlen von im Mittelmeer Ertrunkenen...

Um 14.00 Uhr begann dann der ökumenische Gottesdienst im inzwischen sehr gut gefüllten Dom. Die Bänke waren alle voll besetzt und in den Seitengängen standen Menschen. Gott sei Dank diese Beteiligung! Ein orthodoxer Totengesang, ein Trauerlied aus dem Kongo und anderes waren Bestandteil der Liturgie. Um der Religion vieler Opfer gerecht zu werden, zog auch der Imam von Penzberg mit ein und betete ein Gebet aus der muslimischen Tradition. Dabei war eine Formulierung ungefähr so: „lass nicht zu, dass wir uns mit der Frage `wie konnte Gott das
zulassen?´ selbst aus der Verantwortung stehlen!“

Die Dialogpredigt von Erzbischof Reinhard Kardinal Marx und Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm rief zum Teil Beifallklatschen hervor, besonders als der Kardinal anmahnte, dass ein „sogenanntes christliches Abendland“ doch gerade im Umgang mit Flüchtenden erkennbar sein müsste.

So ging ich nach zwei Stunden im Dom wieder hinaus in den Rummel des Christkindlmarktes und war dankbar für die erfahrene Gemeinschaft des Gedenkens und Betens.

Sonntag, 15. Dezember 2019

Adventsbegegnungen

„Ich bin Branko“, sagte der Fahrer des LKW, der uns die Xingu-Briefe lieferte, welche wir jetzt vor Weihnachten an Menschen versenden, die uns auf die ein oder andere Weise unterstützen. „Branko aus Kroatien. Ich bin erst seit einem Jahr in Deutschland“. Miteinander beförderten wir die zwei Paletten voller Pakete ins Haus hinein. Er meinte zuerst, dass sein kleiner Hubwagen zu breit für die Eingangstür sei, aber ich konnte ihn davon überzeugen, es doch zu versuchen, nachdem ich schon öfter ähnliche Lieferungen in Empfang genommen hatte. Und es ging dann auch.
Nachdem ich den Erhalt der Sendung durch meine Unterschrift quittiert hatte, wollte ich Branko ein Trinkgeld geben. Er lehnte ab, zeigte mit dem Finger nach oben: „der da oben zahlt!“. So wünschte ich ihm, meine spärlichen Kroatisch-Kenntnisse zusammen klaubend, „Sretan Bozic“ (Frohe Weihnachten) und freudig lächelnd erwiderte er: „Sretan Bozic vama“ (Frohe Weihnachten Ihnen). Und dann bat er mich noch um ein „Oce nas“ (Vater unser), „wissen Sie, was das ist?“. „Ja, weiß ich“, sagte ich. Ein „Oce nas“ für seine kranke Frau. Er erzählte mir, er benötige monatlich mehr als € 700.- für die Medikamente für seine Frau. Und ich hatte den Eindruck, dass er vor einem Jahr nach Deutschland gekommen war, das hat genau damit zu tun: Geld verdienen zu können, um seiner Frau zu helfen.

Tags darauf – ich hatte den Pfortendienst bei uns im Haus übernommen – läutete es an der Tür. Davor stand ein Mann in Gummistiefeln und mit einem dünnen blauen Arbeitsmantel über Pullover und Hose. Das weiße Haar und der Bart wirkten wie die ganze Erscheinung nicht sehr gepflegt. „Ich möchte gerne ein paar Messen zahlen“, so sagte er mir und ich lud ihn ins Haus. Langsam, auf seine Krücke gestützt, kam er näher. Und gab mir einen Briefumschlag, auf dessen Rückseite er die Namen derjenigen geschrieben hatte, für die Messen gefeiert werden sollen. Ich übertrug diese Namen auf unser Datenblatt. „Ich glaube da halt noch dran“, sagte mir der Mann. „Ich verstehe gar nicht, dass manche überhaupt nichts mehr glauben“, fügte er kopfschüttelnd hinzu. Eine kleine Medaille wollte er dann noch, für seinen Geldbeutel. Und beim Hinausgehen erzählte er mir: „ich bin ja im Krankenhaus gewesen. Mein Gott, was man da alles sieht!“ Und ich dachte mir: Respekt! Der Mann, der da, auf seine Krücke gestützt, mühsam daher kommt, jammert nicht über sein Elend, sondern ist fähig, das Elend anderer wahr zu nehmen und sein eigenes dabei zu relativieren.

Ähnlich erging es mir einen Tag später. Rita hatte mich gebeten, ihrer Mutter die Krankensalbung zu spenden und ihr die Kommunion zu bringen. Also machte ich mich auf den Weg, etwas unsicher, in welchem Zustand ich die Frau wohl antreffen würde. War doch vor 14 Tagen eine ihrer Töchter beerdigt worden, mein Jahrgang. Aber nein: die alte Dame empfing mich eher – mir scheint das Wort zu passen – munter, freute sich über meinen Besuch und war dankbar dafür. Aufgrund ihrer Schwerhörigkeit kam zwar kein Gespräch zustande, aber ich hörte ihr zu und war selbst dankbar dabei.

Und dann noch Frau F., die ich oberflächlich kenne. Von jemand anderem hatte ich gehört, dass der Mann von Frau F. gestorben sei. Also wollte ich ihr bei einer Begegnung meine Anteilnahme ausdrücken und sagte: „dann sind Sie jetzt allein!“. „Ich bin schon 27 Jahre allein“, antwortete sie, „wir waren geschieden“. Das hatte ich nicht gewusst. Und dann erzählte sie mir, dass sie den an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankten Mann drei der letzten Wochen seines Lebens bei sich gehabt hatte, weil er sich auch mit der Familie versöhnen wollte. Und als er dann im Krankenhaus war, habe sie ihm geraten, sich doch die Krankensalbung geben zu lassen und zu beichten. Was ihr Mann wohl tatsächlich getan hat.