Sonntag, 15. Januar 2012

Solidarität

10 Jahre Guantanamo – ein denk-, ein fragwürdiges Jubiläum, an welches in den vergangenen Tagen erinnert wurde. Aus den Fernsehnachrichten ist mir das Bild einer jungen US – Amerikanerin geblieben, die mit anderen zusammen in Sträflingskleidung demonstrierte und erklärte, sie schäme sich, Amerikanerin zu sein. Für die meisten von uns ist Kuba weit weg. Und außerdem: wir kennen die Inhaftierten nicht persönlich.

Ich erinnere mich, dass wir während meiner Schulzeit einmal darüber diskutierten, dass wir ja Gott sei Dank das Leid Tausender Menschen nicht wie persönlich erfahrenes empfinden – wir würden wohl zugrunde gehen dabei. Alle Tsunami – Opfer wie Familienangehörige: das lässt sich einfach nicht „fühlen“.

Aber wie kann es gelingen, nicht im Zustand des völligen Unbeteiligt-Seins zu bleiben, sich wenigstens wie jene junge US-Bürgerin auf die Straße zu begeben, Menschen ins Gebet zu nehmen?
Die wenigen Monate des Jahres 2010, in welchen ich in Madrid Menschen in Abschiebehaft besuchte, haben meine Perspektive verändert. Klar: das CIE Madrid ist nicht Guantanamo, obwohl auch dieser Vergleich bisweilen angestellt wird. Und rein rechnerisch könnte man kühl sagen: was sind schon 60 Tage Gefängnis? Von denjenigen, die dort Besuche machen, sagt so etwas niemand. Wir möchten, dass (nicht nur) die spanischen Abschiebehaftzentren geschlossen werden – genau so wie Guantanamo.

Szenenwechsel. Von Mittelamerika über Spanien noch etwas näher. Mit mir im selben Haus lebt zur Zeit ein Priester, der unter anderem auch in der Gefängnisseelsorge hier in Traunstein beschäftigt ist. Am Wochenende feiert dieser Priester ziemlich regelmäßig die Eucharistie mit ganz „normalen“ Leuten, übrigens in großer räumlicher Nähe zum Gefängnis in Traunstein. Und er erzählte mir, Menschen aus seiner sonntäglichen Gottesdienstgemeinde hätten gar nicht gewusst, dass etwa im Traunsteiner Gefängnis auch Frauen inhaftiert sind.

Wie nehmen wir die Welt wahr und was von dieser Welt nehmen wir wahr? Wie könnte es gelingen, dass Leid und Not anderer für uns so erfahrbar werden, dass wir reagieren, uns in Bewegung setzen?
Der in Salzburg und London lehrende Clemens Sedmak weist regelmäßig auf Pedro Arrupe, den langjährigen General der Jesuiten hin. Dieser hatte sich dafür eingesetzt, dass Jesuiten wenigstens während ihrer Ausbildung selbst Armut erfahren. Und dass sie – auch später – Kontakt haben, mehr noch, befreundet seien mit Menschen, die arm sind. Um eben nicht nur geistlich über Armut oder über geistliche Armut zu reden, bzw. um überhaupt im tieferen Sinn erfassen zu können, worum es bei letzterer geht.

Außer meiner konkreten Erfahrung in Madrid – und ich erinnere mich an eine frühere als Praktikant bei der Bahnhofsmission in München – hilft mir, so bilde ich mir zumindest ein, die Praxis des Lebens mit einem „Wort des Lebens“, welche ich mit vielen Menschen auf der ganzen Welt teile (vgl. die Links in der Spalte rechts).

Chiara Lubich beschoss ihren Kommentar zum Wort des Lebens, welches für diesen Monat Januar ausgewählt wurde mit folgenden Worten:

Um es bei dieser Fülle an möglichen Vorsätzen nicht im Ungefähren zu belassen, wollen wir uns vornehmen, in diesem Monat nach jener „Regel“ zu leben, in der alle anderen Gebote Jesu zusammengefasst sind: in jedem Mitmenschen Christus begegnen und uns in seinen Dienst stellen.
Schließlich werden wir danach am Ende unseres Lebens gefragt werden.