Samstag, 30. November 2013

Markierungen

Vor kurzem bin ich wieder einmal gewandert. An einem wunderschön sonnigen Tag und bei klirrender Kälte, Schnee fiel erst am Tag darauf. Im Hinblick auf eine mögliche mehrtägige Fußwallfahrt nach Maria Baumgärtle erkundete ich den Neu-Ulmer Anschlussweg zum Allgäu-Schwäbischen Wanderweg Augsburg-Sonthofen. Mir ging es um den Abschnitt Baumgärtle-Babenhausen.

Gott sei Dank war ich mit meinem Wanderführer-Büchlein „Fernwanderwege Voralpenland“ unterwegs, in welchem auch der Allgäu-Schwäbische Wanderweg samt seinen Anschlusswegen beschrieben ist. Denn dieser Wanderweg wurde Ende der 1970er Jahre angelegt. Eigentlich ist es ohnehin erstaunlich, wie viel von den Markierungen noch erhalten ist. Aber eben längst nicht jede! Die Holztafeln sind, falls sie noch stehen, teilweise sehr verwittert und die auf Bäume und Häuser gemalten blauen Andreaskreuze zum Teil auch nur noch äußerst mühsam und eher zufällig erkennbar.

Alles in allem hatte ich einen schönen Tag und hatte am Abend nach reichlich Gehen auf Asphalt auch ein deutliches Gespür dafür, Füße zu haben.

Die Sache mit den Markierungen beschäftigte mich aber noch weiter. Nach welchen Markierungen halte ich Ausschau? Halten wir, z.B. in der Kirche, Ausschau? Kann es sein, dass wir manchmal versuchen, uns an Markierungen zu orientieren, die schlicht nicht mehr da, vorhanden sind? Anstelle darüber zu schimpfen, könnte man jetzt natürlich einen Farbeimer nehmen und die Markierungen erneuern. Bzw. weitere, zusätzliche anbringen, weil womöglich auch mancher Baum mit Markierung nicht mehr steht.

Andererseits lassen sich aber bei genauem Hinsehen vielleicht inzwischen andere Markierungen erkennen. Und auch Wege. Zwischen dem Jahr 2000, als ich von Baumgärtle weg gezogen bin und heute, hat sich die Zahl der Wanderweg-Schilder vervielfacht. Überall stehen sie, die neueren eher aus Metall. Wanderwege ohne Ende... Soll ich, sollen wir einmal einen davon ausprobieren?

Ich möchte sie ja gar nicht gegeneinander ausspielen, die schönen alten Holztafeln des Allgäu-Schwäbischen Wanderweges und die neuen Metallschilder. Nur anregen zur Frage, wonach ich Ausschau halte, ob ich durch die Konzentration auf die alten Schilder auch noch offen bin für neue. Für neue Wege!

Wer weiß, welche Entdeckungen da noch möglich sind!
Manchmal leide ich zugegebenermaßen darunter, wenn Kirchenleute unsere heutige Zeit und Welt als „gottvergessen“ kennzeichnen, womöglich noch mit einem Unterton, welcher an den nahen Weltuntergang denken lässt. Ob das nicht Ausdruck einer subtilen Form des Unglaubens ist? Klar, es gilt auch hier genau hin zu schauen, bzw. zu hören. Zweifellos ist Gott da. Und genauso zweifellos suchen Menschen nach ihm. Ob sie es wissen oder nicht.

Wenn wir doch verstünden, auf die Markierungen hinzuweisen, um ihm auf die Spur zu kommen, um seine Anwesenheit in der einen Erfahrung oder dem anderen Erlebnis zu erkennen. Aber eben nicht nur auf Markierungen hinweisen, sondern auch gemeinsam solche entdecken. „Die Welt ist Gottes so voll“, schrieb Alfred Delp 1945. Und daran hat sich nichts geändert...
Nur nicht Menschen zu ausgetretenen Pfaden zwingen wollen, die ihnen überhaupt nicht entsprechen. Miteinander immer wieder neu die Schönheiten unterschiedlicher Lebenslandschaften mit all ihren Reichtümern kennen lernen und uns auf den Weg machen...

Freitag, 15. November 2013

Atemschutz und Feuermelder...

Kürzlich war ich zu einer Informationsveranstaltung im Krankenhaus, es ging um das „künstliche Knie- und Hüftgelenk“. Nachdem der Chefarzt zunächst eine Stunde erzählt hatte, gab er danach Gelegenheit, Fragen zu stellen. Eine Frau wollte wissen, ob sie im Fall des Falles sich einen Operateur aussuchen könne. Der Chefarzt beruhigte sie und sagte, seine beiden Oberärzte wären genauso fähig wie er, würden die Sache mindestens genauso gut, wenn nicht besser machen. „Wenn mir aber die Nase nicht passt“, meinte die Frau. Und der Chefarzt lächelte: „deswegen tragen wir einen Atemschutz, eine Maske“. Dann sieht die Patientin nicht so genau das Gesicht des Chirurgen...

Wenn mir die Nase eines Menschen nicht passt... Kennen Sie das auch? Mit der einen oder dem anderen tun wir uns nicht so leicht. Sehr brutal reden manche vom „Feuermeldergesicht“, dass einer haben kann: „zum Reinschlagen“. So deftig wird es nicht immer sein. Aber doch so, dass ich ihm lieber aus dem Weg gehe, mit ihr vielleicht nicht zu tun haben möchte.

So etwas gibt es natürlich auch bei Priestern. Und das besondere Gewand, das wir Priester für die Feier der Liturgie anlegen, mag durchaus etwas mit dem „Atemschutz des Chirurgen“ zu tun haben. In dem Sinn, dass es darauf hinweist, dass wir in der Feier Stellvertreter eines anderen, eines größeren sind. Auf der anderen Seite wird uns in der Aus- und Weiterbildung Authentizität nahe gelegt. Und die Menschen, mit denen wir feiern, erwarten das zu Recht von uns. Ich kann und darf mich nicht „im priesterlichen Gewand verstecken“. Also wie jetzt, wenn meine Nase der einen oder dem anderen nicht passt, die mich in der Kirche erleben und ausgerechnet „mich erwischen“, wenn sie z.B. die Sonntagsmesse mit feiern?

In Baumgärtle, wo ich Dienst tue, haben die Menschen noch den Vorteil, dass es Abwechslung gibt. Wir sind mehrere Priester, die an diesem Ort Liturgie feiern. Aber wie geht es in Gemeinden, wo Jahr und Tag derselbe dem Gottesdienst vorsteht? Oder – fast noch schlimmer – was höre ich immer wieder Schwesterngemeinschaften stöhnen, die mit einem Hausgeistlichen auskommen müssen, der ihnen große Mühe macht. Jeden Tag aufs Neue...

Im Monat November beschäftige ich mich mit einem Wort aus dem Epheserbrief, versuche, damit zu leben und zu beten: „Seid gütig zueinander, seid barmherzig, vergebt einander, weil auch Gott euch durch Christus vergeben hat“ (Eph 4,32). In ihrem Kommentar zu diesem Wort aus der heiligen Schrift schreibt Chiara Lubich: „Barmherzigkeit heißt, die anderen annehmen, wie sie sind, nicht so, wie wir sie gerne hätten: also mit einem anderen Charakter, mit unseren eigenen politischen Vorstellungen, mit unseren religiösen Überzeugungen und ohne all die Fehler und Verhaltensweisen, an denen wir uns ständig stoßen. Nein! Wir sollen unser Herz weit machen und fähig werden, die anderen in ihrer Andersartigkeit anzunehmen, mit all ihren Grenzen und Armseligkeiten“.

Ganz schön herausfordernd! Und ich verstehe diese Worte auch nicht als einen Appell dazu, Unliebsames unter den Teppich zu kehren bzw. nicht auch Schwierigkeiten ins Wort zu bringen. Vielleicht wäre es hilfreich, dem einen oder der anderen auch einmal zu sagen, womit ich mich an ihr oder ihm schwer tue, was mir „auf den Wecker geht“. Idealerweise werde ich das in Verbindung mit zwei oder drei Motiven der Freude tun, was ich am anderen schätze und mir so richtig gut gefällt bei ihm oder ihr. Und das ehrlich! Nicht mit einem „Scheinlob“ anfangen, um hinterher die Keule zu schwingen! Und dann hilft es eben auch, sich bewusst zu sein, dass die anderen mit einem selbst leben und mich aushalten müssen. Und der liebe Gott uns aushält. „Weil auch Gott euch durch Christus vergeben hat“ ist die Begründung der zitierten Epheserbriefstelle. Ob Gott lächelt über unsere Eigenheiten? Er möge uns helfen, uns ohne Masken (bzw. Atemschutz) zu begegnen und das Liebenswürdige aneinander zu entdecken...