Sonntag, 30. November 2014

Medikamente

In der letzten Zeit scheint die Demenz unseres Seniors im Haus stärker zu werden. Er ist nicht nur irgendwie verwirrt, sondern auch von einer inneren Unruhe getrieben, die ihn nachts sich auf den Weg machen lässt. Einmal brachte ihn jemand aus der Nachbarschaft zurück, ein anderes Mal hörte ihn einer von uns im Haus an die Tür hämmern. Als er zurück kam, hatte er nicht mehr die (offene) Tür gefunden, durch die er hinaus gekommen war.
Der letzte nächtliche Ausflug des Mitbruders verlief nicht so glimpflich: er stürzte und wurde mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht.
Dabei hatten wir uns natürlich schon vorher Gedanken gemacht, was wir tun könnten. Einfach Türen zu sperren wollten wir nicht und das wäre wohl auch rechtlich heikel: „freiheitsentziehende Maßnahmen“ etc. Der Pflegedienst riet uns, dem Mitbruder ein Beruhigungs- und Schlafmittel verschreiben zu lassen. Was auch geschah. Am Tag nach der ersten Einnahme schien mir der Mitbruder völlig „groggy“ zu sein. Aber insgesamt war das Mittel dann wohl doch zu schwach, wie der Sturz bei einem weiteren nächtlichen Ausflug zeigte.
Was machen die Medikamente mit dem Menschen? „Lesen Sie nicht den Beipackzettel!“ sagte der Herr vom Pflegedienst. Ähnlich sagt es ja auch mancher Arzt. Entgegen dem wohl am schnellsten gesprochenen Satz im deutschen Fernsehen, Sie wissen schon, in der Werbung: „Zu Risiken und Nebenwirkungen...“

Der Mensch wird „eingestellt“ mit Medikamenten, ein leichtes Gruseln überkommt mich immer noch bei dieser Formulierung.
Und in jüngster Zeit habe ich mit Bekannten gesprochen, einem inzwischen geschiedenen Ehepaar, dessen behinderter Sohn jetzt in der Pubertät ist. Und sie kommen nicht mehr zurecht mit ihm. Und überlegen die Unterbringung in einer passenden Einrichtung. Wobei der Junge offensichtlich so mühsam ist, dass ihn auch nicht jede Einrichtung aufnehmen will. Und ich sah dem Vater an, wie er mit sich selbst am ringen ist. „Es gibt ein Haus, in dem er schon einmal war. Aber dort stellen sie ihn einfach ruhig. Es tut mir weh, wenn ich meinen Sohn dann so sehe...“

Vor kurzem wiederum eine 79jährige Frau über ihre ein Jahr ältere Schwester: „der geht’s immer gut, die ist immer happy, die ist einfach gut eingestellt“ - und auch hier war die Medikamentendosierung gemeint.

Ich lasse jetzt einmal das Thema Doping außen vor.

So sehr mich diese „Einstellung“ einerseits befremdet, andererseits kam mir ein weiterer Gedanke. Ich hoffe, dass das niemand jetzt für „total schräg“ oder unangebracht hält. Die Eucharistie wird manchmal als „Arznei der Unsterblichkeit“ bezeichnet. Und regelmäßig nehmen viele diese Arznei zu sich. Ob sie uns auch „einstellt“? Nicht zu einem oberflächlichen „happy-Sein“. Aber dazu, die Welt mit den Augen Jesu zu sehen, so zu leben wie er...

Es gibt die bildliche Darstellung von Jesus als Apotheker, welcher aus der Gnadenapotheke der Sakramente diese und andere Heilmittel austeilt.
Ich möchte keinem magischen Sakramentenverständnis das Wort reden, nein. Und ich will auch keineswegs die Eucharistie verdinglichen.
Aber darf sich ihre verwandelnde Kraft in mir bemerkbar machen und zeigen? Der Same der Auferstehung ist schon in mich hinein gelegt...

Bei der „Einstellung“ mit Medikamenten stellt sich zu Recht die Frage nach der Veränderung der Persönlichkeit. „Ich kenne meinen Mann nicht mehr“ ist da unter Umständen zu hören.

Im Gegensatz dazu hilft uns die „Arznei der Eucharistie“, das in uns angelegte Potential zur Entfaltung zu bringen, tatsächlich „ich selbst“ im Vollsinn des Wortes zu sein.

Samstag, 15. November 2014

Kino und Kirche

Vorgestern war im Cineplex Memmingen Kino-Gottesdienst. Mit Ausschnitten aus dem Film K-Pax. Nach dem Gottesdienst wurde dann der Film in Gesamtlänge gezeigt.

Mit einigen Ordensschwestern, vorwiegend etwa meines Alters, saß ich vor einem Monat in gemütlicher Runde zusammen. Und neben anderem kamen wir auch auf Filme zu sprechen, die wir im Kino gesehen hatten. Die eine diesen, die andere jenen usw. Als ich bemerkte, dass eine ältere Schwester sich nicht am Gespräch beteiligte, wollte ich sie auch „herein holen“, am Gespräch beteiligen. Ich weiß nicht mehr genau den Wortlaut meiner Frage, auf jeden Fall sagte sie: „Ich bin noch nie im Kino gewesen“. Wobei sie das nicht enttäuscht oder traurig sagte. Also gar kein Ausdruck von „zu kurz gekommen, womöglich etwas verpasst haben“. Was mir zugegebenermaßen gefiel und mich auch nachdenklich machte.

Ich erinnerte mich daran, wie ich bei einem Treffen von Ordensmännern in Italien von meiner Erfahrung in Spanien erzählt hatte. Ein Detail dabei war, dass mich die jungen spanischen Mitbrüder manchmal noch abends um 21.00 Uhr ins Kino mitnahmen – eine für mich damals neue, ungewohnte Erfahrung. Aber klar – ich ging mit. Und nachdem ich davon beim Ordensmännertreffen in Italien erzählt hatte, bekam ich nicht nur Komplimente, nein, ein älterer Pater nahm mich zur Seite und sagte mir mit ernstem Blick und etwas vorwurfsvollen Ton: „ich halte das gar nicht für richtig, dass wir Ordensleute ins Kino gehen!“

Irgendwann las ich, dass frühere kirchliche Verlautbarungen tatsächlich vor Film und Kino warnten und vermutlich war der Kinobesuch teilweise auch für manche Gruppen verboten – ich kann es an dieser Stelle nicht belegen. In neueren kirchlichen Verlautbarungen wird das Kino positiv als Ausdruck von Kultur verstanden, welches die Auseinandersetzung lohnt.

Während meiner Zeit als Pfarrer in Salzburg habe ich hin und wieder Menschen in der Pfarre von einem Film erzählt, den ich im Kino gesehen hatte und bisweilen dadurch erreicht, dass auch andere den Film ansahen und wir hinterher darüber ins Gespräch kamen.

Solche Formen gibt es ja auch institutionalisiert: Menschen, die miteinander ins Kino gehen und sich hinterher zusammen setzen, um darüber ins Gespräch zu kommen. In Madrid nannten wir das „cine-forum“ und ich fand das gar nicht schlecht, wie dabei sehr unterschiedliche Menschen ins Gespräch kommen und sich mit dem jeweils persönlich Wahrgenommenen gegenseitig bereichern konnten.

Ebenfalls in meiner Salzburger Zeit gab es eine Ordensfrau, die davon sprach, dass sie gerne einmal mit Harry Potter Exerzitien geben würde. Das war zur selben Zeit, als andere Kirchenleute mit Harry Potter nur Teufelszeug verbinden konnten.

Einer, der regelmäßig „Filmexerzitien“ gibt, hat jüngst ein Buch vorgelegt, welches laut Untertitel „eine ignatianische Anleitung zum Beten“ sein will. Und natürlich werden in diesem Buch Filme erwähnt, die auf dem Gebets-, bzw. Exerzitienweg hilfreich sein können.

Und ich merke auch, dass mich an Krimis im Fernsehen nicht nur „der Fall“ an sich interessiert, sondern auch das Drumherum. Bisweilen ist es aufschlussreich, welche gesellschaftlichen Erscheinungen und Tendenzen da mit verpackt sind: das Verständnis von Beziehungen untereinander, Fragen von Immigration und Inkulturation, der Umgang mit neuen Medien und sozialen Netzwerken usw.