Sonntag, 31. Mai 2020

Umzug

Es war etwas unheimlich, nach Rom zu reisen. Und ja nicht nur zu reisen, sondern umzuziehen. Mit einem (!) Koffer. 23 Kilogramm sind erlaubt, auf der Waage wurden dann 24,6 Kilo angezeigt, aber das ging ohne Beanstandung.
Und schon beim Einpacken und Überlegen, was jetzt da alles in den Koffer soll, hatte ich ständig die Bilder von Menschen auf der Flucht vor mir, die nicht „so viel“ mit nehmen können, die mit einem Rucksack oder ein paar Plastiktüten unterwegs sind.

Ich habe in Baumgärtle viele Schachteln auf dem Dachboden und einen Schrank voller Bekleidung zurück gelassen, in der Hoffnung, gelegentlich weitere Sachen nach Rom holen zu können. Wobei das ja etwas spannend ist: wie wird sich die Corona-Pandemie entwickeln? Wenn es steigende Fallzahlen gibt, dann könnte das ja mit erneuten Reiseeinschränkungen einher gehen. Und dann wäre „Sachen holen“ nicht so ohne weiteres möglich. Also ein gewisses mulmiges Gefühl... Und der Gedanke an Menschen auf der Flucht...

Im Vorfeld meines Umzugs hatte ich mich über Modalitäten und Formalitäten erkundigt und erfahren, dass ich für die Einreise ein „Selbsterklärungs-Formular“ ausfüllen muss. Das habe ich also im Internet herunter geladen, ausgedruckt und ausgefüllt. Und kopiert, man weiß ja nie! Außer den persönlichen Daten ist auf diesem Formular eine Begründung für die Reise anzugeben, denn so ohne weiteres Reisen geht ja momentan (noch) nicht.

Beim Flughafen in München musste ich zunächst einmal suchen. Ich hatte gelesen, dass Terminal 1 aufgrund geringen Fluggastaufkommens zur Zeit geschlossen ist und marschierte gleich zu Terminal 2. Wo ich erfuhr, dass das Einchecken in Terminal 1 stattfindet. Also zurück. Bei der Kofferabgabe erklärte mir die Alitalia-Mitarbeiterin, dass ich zwei Exemplare der „Selbsterklärung“ auszufüllen hätte. In dem Moment war ich glücklich über meine Kopie!

So marschierte ich zur Personenkontrolle, die sehr genau ablief, und wartete auf das „Boarding“. Natürlich eine „komische“ bis „unheimliche“ Stimmung am Flughafen: praktisch kein Geschäft und kein Lokal geöffnet, kaum Menschen unterwegs...

Zu Beginn des Einsteigeprozesses (Boarding) wurden wir Fluggäste noch einmal gefragt, ob wir denn schon das „Selbsterklärungsformular“ ausgefüllt hätten. Und tatsächlich holten sich dann einige noch so ein Blatt, bzw. zwei. Zwei Polizisten brachten einen Albaner, der nach Italien zurück geschickt werden sollte. Wie ich mit hörte, hatte ihm ein Dokument gefehlt, dass als Nachweis für einen „systemrelevanten Beruf“ hätte dienen können. Also musste er zurück nach Italien. Gott sei Dank sprach der Mann Italienisch und konnte verstehen, worum es ging.

Im Flugzeug wurden wir – nanu! - gefragt, ob wir schon ein „Selbsterklärungsformular“ ausgefüllt hätten (das war also jetzt der dritte Anlauf). Dabei mussten wir ja beim Boarding eines der beiden Exemplare abgeben, wären sonst gar nicht in die Maschine gekommen. Außerdem wurde natürlich vor dem Einsteigen die Körpertemperatur gemessen.

Und dann startete das Flugzeug und landete ca. 75 Minuten später in Rom. Gespannt war ich ja, wie die übliche Erklärung der Stewardessen für den Notfall aussehen würde, weil wir ja alle mit „Mund-Nasen-Bedeckung“ im Flugzeug saßen. Tatsächlich kam zuerst die ganz normale Erklärung und – wenn ich es richtig verstanden habe – hinterher ein Nachtrag, in dem erklärt wurde, dass doch die „Mund-Nasen-Bedeckung“ abzunehmen sei, bevor die Atemmaske aufgesetzt wird. In Rom angekommen, bekamen wir ein weiteres Formular ausgehändigt, das auszufüllen war, diesmal etwas anders, aber im Prinzip mit denselben Angaben. Mit diesem Formular ging es dann an einen Tisch zu einem Menschen hinter Plexiglas. Es gab um die zehn Tische, fünf von Polizisten, fünf von Beamten des Finanzministeriums besetzt. Mein Gegenüber kontrollierte die Angaben auf dem Blatt und winkte mich durch zur Gepäckrückgabe. Auch der Koffer war angekommen.
Hatte ich zwischendurch noch überlegt, trotz des schweren Koffers den Weg vom Flughafen zu unserem Haus mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzutreten, so wurde mir klar, dass das rechtlich gar nicht erlaubt war. Als aus dem Ausland Einreisender durfte ich kein „öffentliches Verkehrsmittel“ in Anspruch nehmen, so blieb das Taxi.

Am Tag nach meiner Ankunft meldeten wir diese bei der Gesundheitsbehörde und wurden darauf hingewiesen, dass ich mir zweimal täglich die Körpertemperatur zu messen hätte und täglich einen Anruf bekäme, um diese durch zu geben. Außerdem müsse ich 14 Tage in Quarantäne bleiben. Ab dem zweiten Tag lief das „Temperatur-Durchgeben“ dann über WhatsApp.

Das „Quarantäne-Schicksal“ teile ich mit Francesco Bartoloni, einem italienischen Mitbruder, der nach vielen Jahren in Tansania in seine Heimat zurück gekehrt ist und ein paar Tage vor mir ankam.

Freitag, 15. Mai 2020

Zusammenleben

Mit Matteo habe ich einige Wochen das Zimmer geteilt, damals vor vielen Jahren im Spiritualitätszentrum in der Nähe von Florenz. Ein ganz ein feiner Kerl – und in seinen Künsten auf der Gitarre mir haushoch überlegen. Es gab nur ein Problem: während ich gewohnt bin, bei offenem Fenster zu schlafen, konnte sich Matteo das überhaupt nicht vorstellen. Ich weiß gar nicht mehr, wie wir uns damals geeinigt haben. Auf jeden Fall sind wir Freunde geblieben. Matteo ging für seine Ordensgemeinschaft, die Xaverianer, nach Asien. Lange Jahre war er in Indonesien und ist nun seit ein paar Jahren auf den Philippinen. Jeden Monat schreibt er eine kleine Erfahrung aus seinem Leben auf, die mich jedes mal berührt, von ihm habe ich diese Praxis übernommen und versuche auch, Leben mit anderen zu teilen.

Und neulich gab es – Corona sei´s gedankt - eine Videokonferenz mit mehr als 100 Ordensmännern aus aller Welt, 25 Fenster waren jeweils gleichzeitig auf dem Bildschirm geöffnet. Ich hatte Matteo gar nicht wahr genommen, aber er schrieb mir hinterher, dass er sich gefreut habe, mich zu sehen. Ich weiß gar nicht, ob er sich noch an die „Fenster-Frage“ im Spiritualitätszentrum erinnert...

Jetzt lebe ich mit Juan zusammen, ein Missionar vom Kostbaren Blut aus Chile, der die letzten Jahre in den USA gelebt hatte. Ein sehr liebenswürdiger und auf verschiedenen Feldern begabter Mann.
Als wir im Februar als Generalleitung zusammen waren, ging es darum, ein offizielles Gruppenfoto zu machen. Juan ist leidenschaftlicher Hobbyfotograf. Und er war ganz untröstlich, dass am Tag des Gruppenfotos die Sonne strahlend schien. „Hätten wir es doch gestern gemacht, da war der Himmel bedeckt“, seufzte er. Schlussendlich lud er uns zum Fototermin in die Kapelle ein, weil draußen die Lichtverhältnisse einfach nicht seinen Vorstellungen entsprachen. Als ich merkte, welche Bedeutung das Gruppenfoto für ihn hatte, fragte ich ihn – eher im Scherz – ob er bezüglich der Bekleidung noch Vorstellungen habe. Etwas abschätzig schaute er auf meine Sandalen und meinte, ich solle mir dann doch bitte geschlossene Schuhe anziehen. Wow! Darauf wäre ich tatsächlich nicht gekommen. Natürlich kam ich Juans Wunsch nach. Und war heilfroh, als ich seine Vorbereitungen in der Hauskapelle sah: die Bänke waren auf die Seite gerutscht, am Eingang stand die Kamera auf Stativ, vorne hatte er einen externen Blitz aufgebaut, Juan selbst erschien in Anzug und Krawatte. Und es sind schöne Fotos geworden...

In Maria Baumgärtle ist mein Nachfolger eingezogen. Und mir ging es jetzt mehrmals so, dass ich meine Stoffserviette, zusammengehalten von einem schon etwas lädierten Serviettenring (ein Holzzebra, das mir eine Ordensschwester aus Burkina Faso mit gebracht hat) suchte. Die Serviette ließ ich sonst immer auf dem Tisch liegen. Stimmt: es gibt eine Schublade für die Servietten. Andere Serviettennutzer unter den Mitbrüdern legen ihre Serviettentasche dort ab. Als ich etwas genervt bei einer Mahlzeit bemerkte, dass ich meine Serviette suche, meinte mein Nachfolger, er habe sie aufgeräumt. „Das sieht doch nicht aus, wenn da jemand kommt, wenn die Serviette auf dem Tisch liegt...“ Okay, wieder eine andere Perspektive.

So geht das mit dem Zusammenleben, mit Fenstern, Sandalen und Servietten und... und sehr oft bin ich da nicht so geduldig und verständnisvoll. Trotzdem hoffe ich, noch nicht zu alt zu sein, um immer wieder etwas dazu zu lernen. In Rom leben wir zu sechst im Haus, drei Frauen und drei Männer, und stammen aus fünf verschiedenen Nationen. Da ist allerhand Lernmöglichkeit gegeben...