Mittwoch, 31. März 2021

Heilige Stiege(n)

Die „Heilige Stiege“ geht mir noch nach. „Stiege“ bringe ich in Verbindung mit Wien – dort ist sie teilweise Bestandteil der Adresse, z.B. „1070 Wien, Kaiserstraße 53, Stiege 2, Tür 19“ (Wikipedia-Beispiel). Und es gibt berühmte Stiegen in Wien. Ob es da auch „Heilige Stiegen“ gibt? Heilige Stiegen nach dem Vorbild der römischen gibt es etwa in Bonn oder Bad Tölz. Aber gibt es nicht noch viel mehr „heilige Stiegen?“ Wenn ich im Folgenden anhand meiner Biographie ein paar davon aufzähle, dann will das vor allem eine Einladung an Dich/Sie sein, die Stiegen des eigenen Lebens zu erinnern, bzw. die aktuellen Stiegen bewusst(er) hinauf und hinab zu gehen.

Eine erste „heilige Stiege“ für mich war vielleicht diejenige in einem Haus der Löwenstraße in Lindenberg. Dort wohnte Ida Karg, im ersten Stock. Ida saß im Rollstuhl. Als Jugendlicher holte ich sie oft zur Feier der heiligen Messe ab und dazu musste Ida im Rollstuhl die Treppe hinab bzw. nach der Messe wieder hinauf.

In diese Zeit fällt auch die Begegnung mit der Wendeltreppe aus Metall, die in unserem Missionshaus in Schellenberg vom ersten Stock in die Mansarde führt, wo die Matratzenlager sind. Durch viele Exerzitien und Treffen für Jungen wurde dieser Ort für mich zu einem besonderen. Leider war die Schallisolierung der Treppe nicht gut gelungen. Wenn eine Horde von 15 bis 20 Jungen die Treppe hinauf oder hinunter stürmte, dann war das im ganzen Haus zu hören. Ältere Mitbrüder im Haus beschwerten sich diesbezüglich manchmal – aber richtig böse wurden sie nicht.

„Heilige Stiegen“ sind für mich auch diejenigen im Kufsteiner Krankenhaus und im Salzburger Unfallkrankenhaus geworden. In beiden war ich hin und wieder als Seelsorger im Einsatz. Meistens fuhr ich mit dem Auto zum Krankenhaus, vermied aber dort dann den Lift und nahm die Treppe. Ein Erlebnis im Kufsteiner Krankenhaus bleibt mir in Erinnerung: ich war auf der Intensivstation, um einem Patienten die Krankensalbung zu spenden. Noch mit den Eindrücken dieser Feier im Kopf ging ich die Treppe hinunter und kam an der Entbindungsstation vorbei. Mit Window-Colours war dort ein Storch mit einem Baby in bunten Farben und auch „Entbindungsstation“ stand mit verschiedenfarbigen Buchstaben dort. Lebensbeginn und – ende ganz nah beieinander, ein paar Treppenstufen voneinander getrennt. Unser Leben eine Treppe, die wir hinauf (oder hinunter) gehen?

Zu den beiden Städten fallen mir noch andere Stiegen ein. Wenn ich mit Besuchern durch Salzburg ging, dann habe ich ihnen außer dem Mirabellgarten auch die Raphael-Donner-Stiege im Rathaus gezeigt, auf welcher Brautpaare aus aller Welt hinauf zu einem der berühmtesten Standesämter bzw. Trauungsräume der Welt gehen. In Kufstein dagegen erinnere ich mich an die Steinerne Stiege zum Hintersteiner See und auch an die Stufen auf dem Weg ins Kaisertal – wahrhaft „heilige Stiegen“ in der Begegnung mit der Schöpfung. Nicht weit von Kufstein entfernt gibt es eine weitere erwähnenswerte Stiege: im Schlossturm von Mariastein. Auch dort haben schon viele Paare geheiratet und die vielen Stufen zur Schlosskapelle erklommen. Bei der Goldenen Hochzeit schafft nicht mehr jedes Paar die 142 Treppenstufen hinauf zur Kapelle im Turm.

Aber gehört nicht auch die Treppe in dem Haus, in dem ich die ersten Jahre meines Lebens verbracht habe, zu den „Heiligen Stiegen“? Nicht weil ich da hinauf und hinunter bin. Viele Menschen haben die Stufen betreten. Das Treppengeländer wackelt an der ein oder anderen Stelle inzwischen etwas. Die verschiedenen Mietparteien im Haus wechseln sich mit dem Putzen der Treppe ab, was mehr oder weniger gut funktioniert. Wie oft hat meine Mutter die Stufen gewischt und tut es bis heute60 Jahre lang, fast schon ! „Heilige Stiege“...

Wo ist Deine heilige Stiege?

Vielleicht ergeht es uns ja wie Jakob, der eine Treppe bzw. Leiter im Traum sah und beim Aufwachen feststellte: „Wirklich, der HERR ist an diesem Ort und ich wusste es nicht.“ (.Gen 28,16).

Montag, 15. März 2021

Scala Santa

Vergangenen Freitag: nachmittags steht ein Webinar im Kalender („Schutz Minderjähriger“), veranstaltet von UISG und USG, den beiden Vereinigungen der Generaloberinnen und der Generaloberen der Ordensgemeinschaften. Also gehe ich gleich nach dem Frühstück los, um zu etwas Bewegung an der – mehr oder weniger frischen – Luft zu kommen. Im Valle della Caffarella war ich erst, also entscheide ich mich für den Weg zum Lateran. Dort angekommen, sehe ich, dass das Zelt am Eingang (für Temperaturmessung und Metalldetektor) noch zu ist, die Absperrgitter sind geschlossen. Aha: die öffnen erst später.

Auf der anderen Straßenseite hingegen sehe ich die Türen offen, bei der Scala Santa, der Heiligen Stiege. Es sind Jahrzehnte her, dass ich dort war. Soll ich? Also überquere ich die Straße, nachdem das Auto vorbei ist, das noch durchfuhr, obwohl die Fußgängerampel bereits „Grün“ gezeigt hat.

Ein wenig neugierig gehe ich durch die offene Tür. Und sofort kommt die geschäftstüchtige und wenig beschäftigte (Corona!) Eintrittskartenverkäuferin auf mich zu und fragt mich, ob ich die Heilige Stiege zu Fuß oder kniend hinauf möchte. Einen kurzen Moment überlege ich: ich habe es als eine ziemliche Tortur in Erinnerung, als ich damals kniend hinauf bin. Und inzwischen bin ich ein paar Jahr(zehnt)e älter. Andererseits: heute ist Freitag, wir stehen in der österlichen Bußzeit, ein wenig Buße kann nicht schaden. Also antworte ich: „kniend“. Und ob ich nicht noch die Kapelle „Sancta Sanctorum“ sehen möchte, sie wolle gerade aufsperren, sagt die junge Frau. Außerdem stehen ohnehin noch ein paar Leute unten an der Treppe, so dass die Wartezeit sinnvoll genutzt wäre. Ich lasse mich überreden, bezahle € 3,50 Eintritt und gehe (zu Fuß!) die Steinstufen der rechten Treppe hinauf in die alte Papstkapelle, im Mittelalter als „heiligster Ort Roms“ bezeichnet.

„Non est in toto sanctior orbe locus“ - es gibt keinen heiligeren Ort auf der Welt – steht sogar über dem Altar. Eine Weile bleibe ich an diesem besonderen Ort und schaue und betrachte. Danach gehe ich die linke Steintreppe wieder hinunter. Ob die „Verkehrsregelung“ wegen Covid eingeführt wurde oder auch schon vorher zum Lenken der Besucherströme nötig war? Ich weiß es nicht.

Unten angekommen kann ich mich jetzt also an die Bußübung machen. Tatsächlich muss ich jetzt nicht warten, es sind lediglich einige Menschen auf der mittleren Treppe vor mir. Bei dieser sind die Steinstufen (insgesamt 28 – habe ich nicht gezählt, sondern hinterher gelesen!) mit Holz bedeckt.

Ich ziehe die Plastikhandschuhe aus der Jackentasche, die ich zu Beginn am Eintrittskartenstand mit genommen habe. Die Stufen sind so breit, dass sich beim Hinauf-Knien der Hand-Einsatz nahe legt. Man rutscht jeweils ein Stück auf der Stufe nach vorn, bevor man zur nächsten hinauf kniet. Ich kann mich erinnern, einmal gehört zu haben, dass die Heilige Stiege auch ein beliebter Ort für Taschendiebe sei. Die Armen! Bei den jetzigen Abstandsregelungen müssen sie sich schwer tun, an die Taschen von Vorderfrau oder – mann zu kommen.

Eine Frau und ein Mann sind vor mir. Die Frau ist langsam. Bleibt lange auf jeder Stufe knien und beugt sich zwischendurch nach unten, um bestimmte Stellen zu küssen. Dort sind kleine, mit Glas bedeckte, „Gucklöcher“, um den Stein unter der Holzabdeckung zu sehen. Ich will nicht hetzen, aber die Frau ist mir zu langsam, die muss ich überholen. Was mir gelingt, wobei in diesem Moment der Mindestabstand nicht eingehalten werden kann. Auch der Mann lässt sich Zeit, aber ich finde, er hat einen guten Rhythmus. Dem passe ich mich an. So bete ich auf jeder Stufe ein wenig. Bei der Hälfte angekommen, nehme ich dafür auf jeder Stufe eine Station des Kreuzwegs. Zwischendurch höre ich das Geräusch der anderen, die inzwischen hinter mir auf Knien unterwegs sind. Und ich denke mir: selbst wenn die Überlieferung nicht stimmen sollte, dass die Kaiserin Helena diese Treppe aus dem Jerusalemer Prätorium des Pilatus nach Rom gebracht hat, das macht ja die Heiligkeit der Stiege aus, dass Jesus im Verlauf seines Prozesses mehrmals die Stufen der Stiege hinauf und hinunter gegangen ist, selbst wenn also die Überlieferung nicht stimmen sollte: die Stiege ist bestimmt „heilig“ aufgrund der vielen Gebete, die von hier aus schon zum Himmel aufgestiegen sind. Und ich weiß mich verbunden mit all den vielen Menschen aus aller Welt, die hier schon betend hinauf gekniet sind und die das nach mir tun werden.

Auf der letzten Stufe angekommen, erhebe ich mich und spüre, dass ich keine schmerzenden Knie habe. Komisch! Ich habe das doch anders in Erinnerung, wie war das denn damals? Kann es sein, dass zu „normalen Zeiten“ (ohne Pandemie) der Andrang damals so groß war, dass wir seinerzeit relativ schnell die Treppe hinauf mussten, fast geschoben von denen hinter uns? Ich werfe die Plastikhandschuhe in den bereit stehenden Eimer und gehe dankbar die linke Treppe wieder nach unten.