Der „Meraner Höhenweg“ in Südtirol
war angesagt. Eine fünftägige Wanderung rund um die Texelgruppe
herum. Ausgangs- und Zielpunkt das Dorf Tirol bei Meran. Zu viert
wollten wir gehen. Michael, der im Vorfeld die Quartiere unterwegs
reserviert hatte, entschied sich, aufgrund einer Schulterzerrung
nicht mit zu gehen: „fünf Tage den schweren Rucksack auf den
Schultern – besser nicht“!
Also zogen wir zu dritt los und
genossen bei herrlichem Wetter die wunderbaren Ausblicke in die
Landschaft hinein. Welche Anstrengung und Leistung der Bauern, die
steilen Hänge zu bewirtschaften! Von oben sahen wir unten im Tal
weite Apfelplantagen, riesig große Flächen.
Und auch das Gehen selbst machte
Freude: mal waren wir im Gespräch miteinander, mal ging jeder für
sich, seinen Gedanken nachhängend. Mein rechtes Knie, das die
letzten Wochen hin und wieder einmal weh getan hatte, spürte ich nur
in der Nacht, gehen selbst konnte ich ohne Beschwerden.
Unvergesslich unser Quartier am zweiten
Abend: ein alter Bergbauernhof, die Jahreszahl 1593 war außen auf
einem Balken zu sehen. Aber die Bäuerin meinte, die erste
urkundliche Erwähnung des Hofes sei im 13. Jahrhundert gewesen. In
dem Zimmer, in dem die Betten standen, konnte ich nicht aufrecht
stehen. Mit der Bäuerin, ihrer Enkelin und ihrer Schwägerin, einer
Ordensschwester aus Rom, beide auf Besuch, und einem weiteren Mann
feierten wir drei abends die Messe in der alten Küche mit der
rauchgeschwärzten Decke.
Am nächsten Tag ging es weiter,
ziemlich in die Höhe. Der Himmel verfinsterte sich und entgegen der
Auskunft zweier Einheimischer „heute kommt kein Gewitter“ kam
dann eines. Und zwar nicht nur mit Blitz und Donner, sondern auch mit
Hagel. Weil wir uns in der Nähe der Hütte wussten, gingen wir nicht
vorschriftsmäßig in die Hocke, den Rucksack und die Wanderstöcke
auf die Seite legend, sondern gingen weiter, über die weißen
Hagelkörner hinweg. Innerhalb weniger Minuten war es empfindlich
kalt geworden. Als wir bei der Hütte ankamen, auf 2875 Meter
Seehöhe, schien bereits wieder die Sonne, und wir konnten die nassen
Sachen noch ein wenig darin trocknen.
Und dann: die Nacht! Ebenfalls
unvergesslich. Bauchschmerzen, Durchfall, Brechreiz... Klugerweise
hatte ich meine Taschenlampe zu Hause vergessen und tastete mich vier
mal in der Nacht im Dunkeln an den Stockbetten und Rucksäcken vorbei
über die Treppe zur Toilette ein Stockwerk tiefer. Gott sei Dank
immerhin im Haus und kein „Häuschen“ in einiger Entfernung vom
Haus!
Das Erbrechen kam dann erst am nächsten
Morgen, aber auch danach fühlte ich mich nicht wesentlich besser.
Und es galt, zunächst einmal 1000 Meter abzusteigen. Dort half dann
auch kein Cola, um die Verdauung zu regulieren. Hans war es ähnlich
ergangen, nicht ganz so heftig. Auf jeden Fall schloss er sich meinem
Plan an, die Aktion abzubrechen. Und so ließen wir einen allein den
Rundweg vollenden, der ohnehin noch zwei Tage länger in Südtirol
bleiben wollte.
Hans und ich nahmen im ersten Ort den
Bus, fuhren nach Meran und von dort nach Innsbruck zurück.
Was bleibt? Es bleiben schöne
Eindrücke von unterwegs, vom Miteinander, der Schönheit der Natur.
Und es bleibt auch die Erkenntnis, wie nah Stärke und Schwäche
einander sind. Drei Tage lang mit einigen Kilos auf dem Rücken,
Kilometer und Höhenmeter hinter sich zurück lassend. Klar, andere
„schaffen“ noch mehr – aber eine gewisse Leistung ist es... Und
dann: fliegt dich etwas an, ein Virus, oder ein Keim im Wasser, was
es auch immer gewesen sein mag – und innerhalb weniger Stunden ist
es vorbei mit deiner Leistungsfähigkeit und der Freude am Gehen. Und
auch diese Erfahrung ein Grund zur Dankbarkeit!