Dienstag, 31. März 2020

Fastenspaziergang

Auch in diesem Jahr habe ich eine Woche gefastet. Mayr-Kur, mit Milch und Semmeln. Tat gut! Zum Fastenprogramm gehörte auch der tägliche Spaziergang, wobei ich dabei etwas langsamer ging als ich es normalerweise tue. Und ich freute mich über die Buschwindröschen und die ersten Schmetterlinge, Zitronenfalter, einmal gleich vier nebeneinander. An zwei oder drei Stellen hörte ich einen Specht klopfen. Und ein Entenpärchen schreckte mich auf: sie schwammen in einer großen Pfütze neben dem Weg (im Normalfall ist dort trocken!) und waren wohl ihrerseits durch mich erschreckt worden... Jetzt flatterten sie davon in die Luft...

Weniger schön sind die Hinterlassenschaften der Menschen am Straßenrand, vermutlich „einfach so“ aus dem Auto geworfen. Irritiert war ich dabei über eine „Süddeutsche Zeitung“ - weil ich vom Leser einer solchen doch mehr Kultur erwartet hätte. Aber nein, da lag sie am Straßenrand, offensichtlich eine aktuelle Ausgabe, die Graphik des Corona-Virus auf der Titelseite. An leere Zigarettenpackungen, Bierflaschen oder die Einwegbecher des Fast-Food-Restaurants bin ich eher gewohnt. Vielleicht sollte ich es doch so machen, wie früher P. Hugo. Von ihm erzählen die Leute hier in Baumgärtle, dass er mit einer leeren Plastiktüte spazieren ging und das einsammelte, was andere „einfach so“ weg geworfen hatten.

Mir fällt dabei eine der Missionserinnerungen von Don Giuseppe Montenegro ein, ein italienischer Mitbruder, der zuerst als Missionar in Tansania und später in Indien gearbeitet hat. Verschiedene Erinnerungen an diese Zeit schrieb er für eine Zeitschrift der italienischen Mitbrüder auf, und vor zwei Jahren erschien ein Büchlein, in dem diese Erzählungen gesammelt sind. An einer Stelle beschreibt Don Giuseppe, wie er in Bangalore (Indien) dazu kam, als in der Stadt an einem bestimmten Platz ein Lastwagen seine Fracht, nämlich Müll, ablud. In Windeseile waren Menschen, Frauen, Männer, Kinder zur Stelle, die den abgeladenen Müll sortierten, offenbar mit System und Arbeitsteilung. Don Giuseppe schreibt, dass der Platz, auf dem der LKW seine Fracht ablud, nach einer Viertelstunde leer war. Diesen Umgang mit Abfall stellt der alte Missionar als vorbildhaft, in gewisser Weise nachahmenswert hin, eben die Wiederverwertung, das Recycling.

Was mich an einen anderen Missionar erinnert, von dem ich vor drei Jahren schon einmal in diesem Blog erzählt habe. Nach dem Pfarr-Flohmarkt in Salzburg-Parsch warfen wir das übrig Gebliebene in einen Container. Der Brasilien-Missionar Fritz Tschol konnte es überhaupt nicht fassen, was die Leute alles weg gaben bzw. weg warfen. „Bei uns würden sich sofort Menschen darauf stürzen und diese Sachen holen und etwas mit ihnen machen“, so sagte er.

Für das in der Welt grassierende Corona-Virus gibt es verschiedene Deutungen und Erklärungen. Der Befreiungstheologe Leonardo Boff etwa schrieb darüber „Mutter Erde rächt sich“. Auch wenn man diesbezüglich geteilter Meinung sein kann, geht mir diese Deutung nach, wenn ich beim Spaziergang sehe, was die Menschen so weg werfen. Außer den oben erwähnten Kleinigkeiten begegnet mir seit ein paar Tagen ein Staubsauger, den jemand im Wald „entsorgt“ hat.

Und ich komme an den Baumriesen vorbei, welche vor einigen Wochen der Sturm „Sabine“ entwurzelt und flach gelegt hat. Bisweilen kommen mir diese Bäume wie ein Symbol vor, mit ihren flachen Wurzeln, wie sie nun umgekippt daliegen.
Ich wünsche mir und uns tief reichende Wurzeln, um den Stürmen Widerstand leisten zu können. 


Sonntag, 15. März 2020

ganz da sein

Als bei der Beerdigung des französischen Jesuiten Michel de Certeau am 13. Januar 1986 am Schluss Edith Piafs Lied Je ne regrette rien gespielt wurde, geschah das auf Wunsch des Verstorbenen. Und es wurde gesagt, dass Michel de Certeau das Lied sehr liebte und über die Sängerin angemerkt hatte: „Sie singt nicht...sie ist ganz und gar in ihrer Stimme – so wie ein Tropfen Wasser im Ozean“1
Vielleicht kennen Sie Ähnliches als Zu-Hörende: dass Sie plötzlich ein Lied nicht mehr einfach hören, sondern den Eindruck haben, „im Lied zu sein“? Ein Ohrwurm, der einen nicht mehr los lässt. Ich erinnere mich an „Eres tu“ von den Mocedades, das ich während meines Jahres in Spanien in einem Kino-Film hörte. Manche würden es vielleicht als Schnulze bezeichnen, mir ging es nicht mehr aus dem Ohr. Dieses Liebeslied, dessen Bilder mich in manchem an die biblischen Psalmen erinnern.
Oder jetzt habe ich Katrin gebeten, bei der Vesper anlässlich meines Abschieds in der Osterwoche mit ihrem Chor „Resta qui con noi“ zu singen. Und sie sagte mir am Telefon: „da hast Du was angerichtet: ich werde das Lied nicht mehr los, es verfolgt mich noch beim Einschlafen“.

Ich erinnere mich aber auch an eine Aussage von Chiara Lubich, an deren 100. Geburtstag in diesem Jahr erinnert wird. Mindestens einmal sagte sie, jetzt mit meinen Worten: „es kommt nicht darauf an, zu lieben, sondern Liebe zu sein“. Da ist ein Unterschied! Oh ja...

Letztlich wünschte ich mir das auch für alle Bemühungen um ein gutes Gebet: nicht nur „zu beten“, Gebete zu sprechen, sondern „Gebet zu sein“. Ich denke, bei Jesus lässt sich das ablesen. Sicher fordert er auch zum ausdrücklichen Beten auf. Aber er selbst ist Gebet – ständig ausgerichtet auf den Vater im Himmel, immer in Zwiesprache mit ihm.

Während meiner Baumgärtler Jahre war ich öfter am Sonntag Abend in Mindelheim. Einmal im Monat treffen sich dort Menschen zur sogenannten „Stille am Sonntag“. Wir schweigen eine Stunde (aufgeteilt in zwei mal 25 Minuten) miteinander. Und es ist genau diese Form, die mir hilft, „Gebet zu sein“, nicht nur „zu beten“. Alle gesprochenen Gebete, die ich ja durchaus auch pflege, haben für mich damit zu tun.

Nicht nur äußerlich etwas tun, lieben, beten..., sondern ganz „drinnen sein“.

Mir kam auch noch einmal der etwas „gefährliche Hinweis“ von Papst Franziskus in den Sinn, über den sich Flugbegleiterinnen zu Recht beschweren könnten. Er fordert zum Lächeln auf, aber – wieder mit meinen Worten - „nicht so wie manche Stewardess, wo das Lächeln so eingefroren wirkt“. Also nicht lächeln, sondern „Lächeln sein“. Immer wieder dasselbe...

Man kann es zusammenfassen mit dem Motto, das ich bei den Jesuiten gelernt habe: „age, quod agis“ - „was du tust, das tue ganz“. Wie oft gelingt mir das nicht... Und doch, ja, ich möchte...
Da zieht es mich hin: ganz zu sein, ganz drin zu sein im Tun, nicht oberflächlich zu leben.

Irgendwo las ich einmal, das biblische Hauptgebot: „du sollst den Herrn deinen Gott lieben mit ganzem Herzen“ (Dtn 6,5) könnte auch übersetzt werden: „mit geeintem Herzen“. Gegen alles hin und her gerissen werden, sich „zerfransen“ lassen.

Und Jesu Aussage: „Wer das Reich Gottes nicht annimmt wie ein Kind, der wird nicht hinein kommen“ (Mk 10,15) hat wohl damit zu tun. Ein Kind kann beim Spielen die Welt um sich herum vergessen, ganz drin sein....

Die Wochen vor Ostern mögen uns, durch das bewusste Weg-Lassen von dem einen oder anderen, dem entschiedenen Verzicht auf dieses oder jenes, neu auf diese Fährte des gelingenden und erfüllten Lebens helfen...
1Vgl. Bauer, Christian, Verwundeter Wandersmann? Michel de Certeau – eine biographische Spurensuche, in: ders./Sorace, Marco A. (Hgg.), Gott anderswo? Theologie im Gespräch it Michel de Certeau, Ostfildern 2019, S. 45.