Sonntag, 31. Januar 2021

Entdeckungen in einer Litanei

In unserer Gemeinschaft gibt es eine Reihe von Gebeten, die irgendwie „zu uns“ gehören. Ob sie dann auch von einzelnen oder von mehreren miteinander gebetet werden, das ist eine andere Frage.

Eines dieser Gebete ist die Kostbar-Blut-Litanei. Nicht erschrecken! „Litanei“ mag für manche/n zunächst negativ klingen, es hat mit Wiederholung zu tun und das kann oberflächlich betrachtet mit Langeweile einher gehen. Ein vielleicht der einen oder dem anderen bekanntes Beispiel ist die Allerheiligen-Litanei, die etwa in der Osternacht gebetet oder gesungen wird. Ich habe sie zuletzt bei einer Priesterweihe gesungen gehört und hatte tatsächlich den Eindruck, dass die Weihekandidaten etwas übertrieben haben mit der Anzahl der angerufenen Heiligen – es schien kein Ende zu nehmen.

Bei einer Litanei gibt es sich verändernde Anrufungen und eine gleich bleibende Antwort. Die heißt meistens „bitte für uns“. Eben: „heilige Maria“ oder „heiliger Josef“: bitte für uns. In der Kostbar-Blut-Litanei heißt die gleich bleibende Antwort: „rette uns“. Was einem angesichts einer weltweiten Pandemie ja durchaus über die Lippen kommen kann.

Wobei – und damit komme ich zum Bereich meiner Entdeckungen bezüglich der Kostbar-Blut-Litanei – das lateinische Original aussagekräftiger ist: „salva nos“ steht da für „rette uns“. Und „salva nos“ könnte auch mit „heile uns“ oder „mach uns gesund“ übersetzt werden. Im Italienischen steht „salvaci“. Und wo die deutsche Katholikin vor der Kommunion betet: „... dann wird meine Seele gesund“, betet der italienische Katholik: „... ed io sarò salvato“. Da ist es wieder, das salva-re.

Bei dem einen noch der alte deutsche Jesus-Name „Heil-and“ in den Sinn kommen könnte, oder auch der Name „Jesus“ (Gott schafft Heil) selbst.

Ich gebe zu, dass ich an sich nicht unbedingt eine Neigung zu Litaneien habe. Auf der anderen Seite reizt mich durchaus das Ausprobieren und Experimentieren. Also habe ich vor geraumer Zeit angefangen, die Kostbar-Blut-Litanei regelmäßig zu beten. Auf deutsch kann ich sie mittlerweile auswendig. In Italien wollte ich aber jetzt auch auf Italienisch beten.

In dem Gebetsheft der italienischen Mitbrüder fand ich die Litanei auf Lateinisch und Italienisch. (In unserem deutschen „Lob des Kostbaren Blutes“ steht nur die deutsche Version). Beim Beten und Vergleichen und dann Nachzählen fiel mir auf, dass es im Deutschen eine Anrufung mehr gibt als im Italienischen. „Blut Christi, Lebensquell der Jungfrauen – rette uns“ ist im Italienischen durch den Rost gefallen, das heißt beim Druck übersehen worden. Vielleicht hatte da ein Mitbruder irgendwelche Bedenken. Auch der ein oder andere deutsche Mitbruder weiß mit dieser Anrufung nicht unbedingt etwas anzufangen. Oder einfach Schlamperei? Sei´s drum. Es gibt ein Projekt, an unserem Gebetsschatz zu arbeiten, da können wir noch einmal darüber reden.

Der Sprachvergleich verhalf mir jedoch noch zu einer weiteren Entdeckung: wo wir im Deutschen beten: „Blut Christi – einzige Vergebung der Sünden, rette uns“, da steht im Italienischen: „sangue di Cristo, senza il quale non vi è perdono, salvaci“, was eine durchaus wörtlichere Übersetzung des Lateinischen: „sanguis Christi, sine quo non fit remissio, salva nos“ ist. Hier finde ich den Übersetzungsvergleich regelrecht spannend. „Remissio“ kann Verschiedenes bedeuten und wird wohl tatsächlich häufig mit „Sündenvergebung“ in Verbindung gebracht. Es kann aber auch schlicht „Nachsicht“ heißen. Das italienische „perdono“ dagegen würde ich zunächst einmal mit „Vergebung, Verzeihung“ übersetzen. Und das kann mit Sündenvergebung zu tun haben, ist aber zunächst ja noch einmal weiter. Das Wort „Sünde“ kommt im italienischen und lateinischen Text so nicht vor.

Stoße ich nicht als Mensch gerade dort an meine Grenzen, wo mir Unrecht widerfahren ist und ich mich mit der Vergebung schwer tue? Ich gebe zu: mir persönlich geht es so. Und da empfinde ich es als durchaus hilfreich, mit der Nase auf das „Blut Christi“ gestoßen zu werden und damit auf Jesu Lebensstil. Und da hilft mir zusätzlich das italienische „senza“ bzw. das lateinische „sine“ (auf deutsch: „ohne“), welches mir kräftiger vorkommt als das inhaltlich wohl richtig übersetzte: „einzige“ im Deutschen. „Ohne das Blut Jesu Christi“ tut sich nichts... Da bleibt meine Anstrengung und mein guter Wille oft vergeblich...

Freitag, 15. Januar 2021

Glaube, Kirche, Corona

Einigen Brautpaaren musste ich absagen, als sie mich vor einem Jahr oder noch davor fragten, ob ich sie trauen würde. Denn ich wusste, dass ich umziehen und nicht mal schnell für eine Trauung aus Rom nach Bayern reisen werde. Von wenigstens zwei dieser Paare weiß ich, dass sie immer noch nicht kirchlich getraut sind, Corona machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Einer der beiden Bräute hatte ich vorgeschlagen, doch „im Kleinen“, eben unter Corona-Bedingungen zu heiraten und das große Fest nachzuholen, wenn es denn dann möglich ist. Die Braut wies meinen Vorschlag ab, ihr gutes Recht.

An diesem Beispiel zeigt sich etwas, was für andere (Lebens-, Glaubens-)Bereiche auch gilt: Corona macht Dinge deutlicher, die schon vor der Pandemie existierten und galten. Im konkreten Fall die unterschiedliche Sicht auf die kirchliche Feier der Trauung. So sehr ich als Priester dem jungen Paar ein großes Fest wünsche und meinen Beitrag dazu leisten will, so sehr würde ich mir andererseits wünschen, dass das junge Paar sich das Sakrament spendet, auch wenn die äußeren Bedingungen keine große Feier zulassen. Das junge Paar denkt anders! Und das galt eben schon vor Corona. Die kirchliche Trauung ist – ich formuliere das jetzt etwas ungeschützt – für die Brautleute ein Bestandteil ihres Hochzeitstages, vielleicht nicht ein unwichtiger, nicht nur ein austauschbares Accessoire, aber keinesfalls das Zentrum, mit dem alles steht und fällt. So ist das eben. Und das war vor Corona klar und tritt nun deutlich ans Tageslicht.

Ähnlich wie das junge Paar sich entscheiden muss, wie es mit der geplanten Trauung umgeht, so müssen sich viele Menschen entscheiden, wie sie es mit der Mitfeier des Sonntagsgottesdienstes halten. Falls denn einer stattfindet. Da gibt es die Rücksichtnahme auf die eigene Gesundheit, Regelungen im Kirchenraum (Abstand, Mund-Nasen-Bedeckung, evtl. beschränkte Plätze, Anmeldevorschriften etc.) usw. Und von nicht nur einer Pfarrgemeinde war zu hören, dass an Weihnachten keinesfalls alle (reduzierten) Plätze in Anspruch genommen wurden, es gab kein Gerangel bei der Anmeldung.

Die Erfahrungen bei gestreamten Gottesdiensten sind sehr verschieden. „Es ist halt doch nicht dasselbe“, sagen viele. Manchmal lässt die Qualität zu wünschen übrig, auf der anderen Seite machen aber auch Menschen Entdeckungen, freuen sich an gestreamten Gottesdiensten, guten Predigten, kreativen Ideen. Und werden dadurch in ihrem Glauben bereichert.

Etwas enttäuscht, fast ein wenig verärgert, war ich, als ich am Ende einer gestreamten Eucharistiefeier den (von mir sehr geschätzten!) Bischof sagen hörte: „Sie sind nicht allein, die Kirche betet für Sie!“. Klar, er hat es „gut gemeint“, wollte die Zusehenden trösten, aufbauen, aber mit welcher Formulierung! Die Kirche ist doch nicht nur im Dom beim bischöflichen Hochamt, sondern auch beim alten Ehepaar, das zu Hause vor dem Fernseher sitzt. Aber eben: glauben wir wirklich daran? Das scheint mir so der Knackpunkt oder die Kernfrage im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen zu sein. Schon früher hat es mich befremdet, wenn Radio Vatikan von den „Besuchern eines Papstgottesdienstes“ gesprochen hat. Vielleicht bin ich da zu empfindlich. Aber für mich schwingt der Gedanke an einen Konzertbesucher mit, der sich etwas bieten lässt. Gottesdienstteilnahme ist und will etwas anderes, da bin ich nicht nur Empfangende/r.

„Die Kirche“ gibt kein gutes Bild ab zur Zeit. Und das muss und darf gesagt werden. Aber sage ich es über „die Kirche“ oder über „meine Kirche“? Wobei ich Verständnis dafür habe, wenn jemand nicht mehr „meine Kirche“ sagen mag – oder kann.

Was ich mir wünschte ist, dass Glaubende einerseits traurig sein können, weil sie merken, dass die Gemeinschaft der Glaubenden zu wünschen übrig lässt, dass sie sich andererseits davon aber nicht in ihrem persönlichen Glauben durcheinander bringen lassen, sondern im Gegenteil im persönlichen Glauben wachsen, weil sie erkennen, dass dieser sich nicht abstützen kann auf Menschen. Dass wir immer mehr hinein wachsen in eine persönliche Beziehung zu Jesus, die uns dann auch wieder neu und vertieft miteinander glauben lässt, und – im Idealfall – auch Halt und Hoffnung auf persönlich schweren Wegetappen gibt.