Montag, 30. September 2024

Kulturerbe

Seit 1985 gibt es – jeweils im September – die europäischen Tage des Kulturerbes. Vergangenes Wochenende war ich „kulturell unterwegs“ bei zwei Veranstaltungen, die mir beide gut gefielen. Erleichtert wurde mir das Ganze noch dadurch, dass ich eine MIC (Musei in comune) – Card habe. Menschen mit einem römischen Wohnsitz können mit dieser Karte für einen Jahresbeitrag von fünf Euro alle städtischen Museen besuchen. Junge Römerinnen und Römer bekommen die MIC-Card sogar zu ihrem 18. Geburtstag geschenkt, wenn sie diese beantragen.

Am Samstag wurde in der Gemäldesammlung der Kapitolinischen Museen das Gemälde „Das Begräbnis der heiligen Petronilla“ vorgestellt und der junge Kunsthistoriker machte seine Sache ausgezeichnet. Eine halbe Stunde standen wir vor dem Bild und erfuhren interessante Einzelheiten dazu. Zu Petronilla habe ich eine Beziehung, weil sie die Patronin der Pfarrkirche der Gemeinde in Westfalen ist, in welcher meine Großeltern nach ihrer Vertreibung aus Schlesien eine neue Heimat fanden. Aber ich hatte mich nie näher für die Geschichte dieser Frau interessiert. Der Legende nach soll sie die Tochter des hl. Petrus gewesen sein und sich der Heirat mit einem gewissen Flacco dadurch entzogen haben, dass sie sich zu Tode fastete. „Eigentlich müsste sie als Tochter des hl. Petrus `Petrilla´ heißen, `Petronilla´ wäre die Tochter des Petronius“ wusste unser Kunsthistoriker. Auf jeden Fall gibt es im Petersdom einen Petronilla-Altar und für eben diesen malte Guercino dieses Riesenbild, mehr als vier Meter breit und mehr als sieben Meter hoch – Petersdom-Maße eben. Dem Riesengemälde geschah dasselbe wie anderen Gemälden im Petersdom auch: da aufgrund der Feuchtigkeit im Gebäude Schäden befürchtet wurden, brachte man es an einen Ort mit günstigeren Klima- bzw. Luftfeuchtigkeitsbedingungen und ersetzte es durch eine Mosaik-Kopie. Die ja in sich auch wieder ein Kunstwerk ist. Es soll Menschen geben, die allein wegen der verschiedenen Mosaike nach Rom reisen. Beim Petersdom gibt es dazu eine eigene Werkstatt, die Mosaike herstellt und vor allem auch restauriert. Zurzeit diejenigen der Reliquienkapellen unter den Säulen(-Heiligen), welche die berühmte Bernini-Kuppel (derzeit ebenfalls in Restaurierung befindlich) einrahmen. Während der napoleonischen Herrschaft wurde das Riesen-Petronilla -Ölbild nach Frankreich gebracht. Petronilla, die „Tochter des ersten Hauptes der Kirche ist Patronin Frankreichs, der ersten Tochter der Kirche“. Dies trägt wohl auch – so unser Führer am Samstag – zu ihrer Verehrung bei, trotz der eher unsicheren (wenn nicht fragwürdigen) geschichtlichen Ausgangslage. Vor dem Riesengemälde zu stehen und sich seine diversen „Reisen“ im Lauf der Geschichte vorzustellen, das allein nötigt ja schon Respekt ab. Soviel zu Petronilla und meinem Samstagsprogramm.

Am Sonntag dagegen nahm ich an einer Führung in der „Centrale Montemartini“ teil, in gewisser Weise eine „Außenstation“ der Kapitolinischen Museen und noch näher bei unserem Haus als diese. Dort war ich schon ein paar Mal und bin jedes Mal neu fasziniert. Denn bei der Centrale Montemartini handelt es ich um ein ehemaliges Heizwerk, es ging um Energieerzeugung. Bis in die 60er-Jahre unseres Jahrhunderts funktionierte das Gebäude als solches, dann waren die Maschinen in die Jahre gekommen und der römische Energieversorgungsbetrieb überlegte, eine Art „Museum der Energieerzeugung“ daraus zu machen. Ein paar Jahre später hatten die Kapitolinischen Museen Platznot und wollten einige ihrer Exponate auslagern. Es gab Gespräche und jetzt stehen römische (und auch ein paar griechische) Statuen vor den riesigen alten Dieselmotoren. Schon beim ersten Mal war ich von diesem Kontrast begeistert. Und das geht wohl auch anderen so, obwohl unsere Führerin am Sonntag erwähnte, dass es auch Kritik an dieser Form der Präsentation gäbe.

Auch in der Centrale Montemartini sind einige Mosaike – aus römischer Zeit – zu sehen, wahre Kunstwerke, mit teilweise wirklich „Mini-Steinchen“….

 

Sonntag, 15. September 2024

Karriere

Fünf Wochen war ich weg von Rom. Und nehme jetzt die Arbeit und Aktivitäten wieder auf. Dazu gehört auch der Freiwilligendienst in dem von den Schwestern Mutter Teresas geführten Männerwohnheim. Als ich am Mittwoch dort eintreffe und wie gewohnt in die Küche gehe, lächelt mich Sr. Mary Vicuña an: „es gibt allerhand Veränderungen“. Ich erwarte, dass sie mir jetzt erzählen wird, welche Schwestern versetzt wurden oder neu hier sind. „Sie wollen dich im zweiten Stock“ fährt Sr. Mary fort und ich verstehe, dass die Veränderung mich betrifft. Ein wenig bin ich traurig, denn die Küchenarbeit hatte mir Spaß gemacht. Zum einen eine gute Alternative zum Sitzen am Schreibtisch, zum anderen gefiel mir auch das Freiwilligenteam dort in der Küche: feine Leute mit Humor…

Aber ich ergebe mich in mein Schicksal (mit etwas mulmigem Gefühl: „was wird mich dort erwarten?“) und lasse mich von Sr. Olivetta vom Erdgeschoss in den zweiten Stock – Karriere! - begleiten. Zumal ich ja zugegebenermaßen auch schon länger neugierig war, noch etwas mehr von diesem großen Haus zu sehen. Oben angekommen bittet mich Sr. Olivetta, den Gang, der Belag sind Steinfliesen, zu kehren. Dieser ist bestimmt 25, wenn nicht 30 Meter lang und etwa 2 ½ Meter breit. Als Arbeitsgerät bekomme ich dafür einen Besen, der keine 30 Zentimeter breit ist und eine Kehrschaufel mit langer Stange. Ich denke etwas wehmütig an große Besen zurück, mit denen ich an anderen Orten schon gekehrt habe, und mache mich mit dem kleinen Besen ans Werk. Als ich das erste Drittel der Fläche gekehrt habe, bringt mir einer der Männer einen Eimer Wasser und einen Wischmopp: „das ist für Dich!“. „Aha, danke“, sage ich und verstehe, dass es nicht nur um „besenrein“ geht, sondern mehr erwartet wird. Nachdem ich das zweite Drittel fertig gekehrt habe, merke ich leichte Rückenschmerzen und muss seltsamerweise darüber lächeln: „nicht ganz in Form, Herr Pater? Nichts mehr gewohnt!“. Oder hatte ich schlicht eine falsche Haltung eingenommen? Sei`s drum! Ich kehre fertig und mache mich ans Wischen. Auch da kommen Erinnerungen hoch. Als Pfarrer in Salzburg war Samstag mein Putztag. Und beim Ausschütten des schmutzigen Wassers dachte ich mir bisweilen mit einem Anflug von Selbstironie: „hier siehst du einen Erfolg deiner Arbeit – das ist sonst nicht immer so!“ Irgendwann war der Gang gekehrt und gewischt. Was nun? Es galt, Bettwäsche zusammen zu legen. Der Haken (oder Reiz) dabei: die Betttücher sind – mit schwarzem Stift -  „beschriftet“, z.B. „II p / 15“, für „2. Stock, Zimmer 15“. Und diese Schrift muss beim zusammengelegten Betttuch natürlich oben und zu lesen sein. Es kommt ein weiterer Freiwilliger zu Hilfe, Angelo. Wobei ich den Eindruck habe, dass dieser einen großen Gesprächsbedarf hat, womit „der Deutsche“, der gern effektiv arbeiten möchte, erst einmal zurechtkommen muss. Schlussendlich entscheide ich mich, Angelo nicht vor den Kopf zu stoßen, sondern ihm zuzuhören. Hin und wieder bekommen wir auch ein Betttuch gefaltet, mit der Schrift oben. Angelo war, soweit ich verstanden habe, einmal im Priesterseminar und hat dieses verlassen. Später hat er in einer Telekommunikationsfirma gearbeitet. Er wohnt in einer Sozialwohnung, die vermutlich verkauft werden soll. Deswegen hat er Sorge, dass er umziehen muss, womöglich in eines der gefährlicheren Quartiere Roms, wo die Mieter auch einen Tribut an die Mafia entrichten müssen. „Ich habe sicherheitshalber schon einmal die Schwester gefragt, ob hier im Haus ein Bett frei wäre“, lächelt er. Während ich ihm zuhöre, steigt mein Respekt vor ihm bzw. merke ich wieder einmal, in welch komfortablen Verhältnissen ich leben darf. Völlig unverdient, ich weiß.

Jetzt kommen die Spannbetttücher dran. Und wir scheitern. So ein Betttuch sorgfältig und schön zusammen zu legen, so dass gleichzeitig noch die Schrift oben zu lesen ist, wir sind überfordert. Zu unserer Ehrenrettung möchte ich erwähnen, dass auch Sr. Olivetta und Anna, eine weitere Freiwillige, nicht mit dieser Aufgabe zurechtkommen. Sie erinnern sich an einen ehemaligen Bewohner aus Bangladesch, der es perfekt konnte und der in seine Heimat zurückgekehrt ist.

Samstag, 31. August 2024

Rückbau, Umbau, Neubau

Es sieht lustig aus: auf der Fensterbank des riesigen Klostergebäudes (in T-Form, an einem Flügel zähle ich sechs Stockwerke, an einem Eingang steht: „Erbaut 1910 – 1911“) stehen Turnschuhe zum Lüften. Da ich auch noch ein buntes Kleid am Fenster hängen sehe, vermute ich einmal, dass es sich nicht um das Freizeitdress einer der Ordensfrauen handelt, die auch dort im Kloster leben. Das Gebäude des Schwesternklosters wird inzwischen von verschiedenen Menschen genutzt. Wie mir scheint, gilt das auch für den dazugehörigen großen Garten. Er ist teilweise in Parzellen eingeteilt, an denen Familiennamen stehen.

Gleich neben dem eben beschriebenen Kloster gibt es ein weiteres. Früher war dort eine Schule. Inzwischen halten noch zwei Ordensfrauen der Gemeinschaft die Stellung und auch ihr Gebäude, inclusive der großen landwirtschaftlichen Nutzfläche, wird von anderen genutzt.

Ähnliches wie das, was ich hier in Österreich sehe, habe ich kurz zuvor in der Schweiz zum Teil gesehen und auch von Ordensfrauen beschrieben bekommen. In einen leerstehenden Klostertrakt ziehen dort 100 Flüchtlinge ein – nicht nur zur Freude der Bevölkerung vor Ort.

Die Sozialgestalt der Kirche ändert sich. Es gibt viele Anzeichen dafür. Klostergebäude, welche leer stehen oder anders verwendet werden, sind ein Zeichen dafür. Veränderungen lösen gemischte Gefühle aus. Sie erzeugen Unsicherheit, manchmal Wehmut.

Beim Blick auf das eingangs beschriebene Kloster kann ich verstehen, dass früher manche/r Ordenschrist/in formulierte: „als ich noch in der Welt war“. Denn der Einzug in solch ein riesiges Gebäude, das Zusammenleben mit mehr als 100 Mitschwestern ist vermutlich zum Teil wirklich wie das Leben in einer eigenen, anderen Welt empfunden worden. Wenn sich das ändert, siehe die Sportschuhe zum Lüften am Fenster im Parterre des Klosters, dann mag das auf diesem Hintergrund eher positiv sein. Es mischen sich Lebenswelten. Und Menschen, die sich vielleicht irgendwie „aus der Welt“ zurück zu ziehen meinten, kommen auf einmal mit anderen Welten, Denk- und Lebensformen zusammen. Im Idealfall gibt es gegenseitige Neugier und bei Offenheit Erkenntnisgewinn auf allen Seiten. Las ich nicht neulich, dass eine im Vergleich zur Gesamtbevölkerung relativ hohe Lebenserwartung bei Ordensfrauen sich unter anderem auch mit einer festen Tagesstruktur (Gebets-, Essens-, Arbeitszeiten) und geregelten sozialen Beziehungen erklären ließe? Mag manchen überindividualisierten, atemlos hektischen Zeitgenoss/inn/en ein Denkanstoß sein.

In Verbindung damit bringe ich ein anderes Erlebnis der vergangenen Wochen. Seit vielen Jahren komme ich immer wieder an den römischen Hauptbahnhof Termini. Etwas für mich Typisches dort war für mich bisher, immer irgendwelche Priester oder Ordensleute in ihrer jeweiligen Tracht gesehen zu haben. Gehört/e einfach zum Erscheinungsbild von Termini dazu. Als ich Ende Juli von Rom abfuhr und noch eine halbe Stunde am Bahnhof stand, sah ich niemanden in Priestergewand oder Ordenstracht – es fiel mir tatsächlich auf. Natürlich war auch ich Priester in Zivil. (Beim Umsteigen in Mailand wurde ich dann versöhnt: dort waren nacheinander ein „frate“ und drei Ordensfrauen zu sehen.) Vielleicht geht es ja auch hier nicht nur um den Verlust eines offensichtlichen Zeugnisses, sondern um eine Vermischung von Welten, welche neue Denkanstöße mit sich bringt?

 

Donnerstag, 15. August 2024

Aldo und das Priester-Sein

Unter den Freiwilligen, die in dem Haus für Männer in schwierigen Lebenssituationen der Missionarinnen der Nächstenliebe Dienst tun, sind jetzt im Sommer auch Seminaristen aus einem Priesterseminar im Süden Italiens. Eine „Sozialwoche“ gehört für sie zum vierten Ausbildungsjahr. Mit einem von ihnen kam ich ein wenig ins Gespräch, ein fröhlicher junger Mann, der mich an manch andere Begegnungen mit Seminaristen an verschiedenen Orten erinnerte.

Natürlich unterscheiden sich angehende Priester voneinander: sie haben unterschiedliche familiäre, soziale und spirituelle Hintergründe, verschiedene theologische, politische und sonstige Ansichten. Auch ihre Priesterbilder bzw. ihre Vorstellungen vom priesterlichen Dienst sind unterschiedlich.

Aldo, der junge Mann aus Apulien, mit dem ich ein wenig plauderte, während ich Melanzane bearbeitete, scheint mir aus einer noch „heilen katholischen Welt“ zu stammen. Voller Freude erzählte er mir von seiner Heimatgemeinde, den Kontakten mit dem Pfarrer und mit anderen Priestern. Und in seiner Herkunftsfamilie ist kirchliches Engagement etwas zum Leben Gehörendes. Wie ernst seine Überlegungen waren, Kapuziner zu werden, weiß ich nicht. „Aber die Diözese ist halt doch die Diözese“, grinste er mich an.

Während ich mich auf der einen Seite über einen jungen Mann freue, der „unverkrampft katholisch“ scheint und offensichtlich mit Freude seinen Weg in Richtung Priesterweihe geht, hoffe ich auf der anderen Seite, dass sein Blick nicht zu eng wird. Die italienischen Nachrichten berichteten Ende Juli viel über die Konzerte von Taylor Swift in Mailand, die deutschen dann von denen in Hamburg und München. Vielleicht ist die Parallele unpassend, aber mir kam sie doch: wie manche jungen Fans ihrem Idol Taylor Swift nahe sein wollen, so gibt es (immer noch!) junge Leute, welche sich von der „Kirchen-Welt“ angezogen fühlen: der Erhabenheit der Liturgie und der Schönheit liturgischer Gewänder, dem Weihrauchduft, dem besonderen Platz im Altarraum, einem Leben im Pfarrhaus etc.

Schön und gut, warum auch nicht? Für viele Priester und Ordensleute gab es konkrete Bezugspersonen, welche entscheidend für den eigenen Weg waren, Vorbilder.

Im Rückblick auf meinen eigenen Weg bilde ich mir ein, dass es da noch eine andere Schiene gab. Als ich als Jugendlicher, fast noch Kind, lernte, mit dem Evangelium zu leben, da war genau dies das Faszinierende. Die Frage einer konkreten Berufung trat zunächst dahinter zurück. Das kristallisierte sich dann schon mit der Zeit auch heraus.

Von daher ist mir eine gewisse Skepsis gegen manche Maßnahmen der Berufungspastoral geblieben, wenn sie nicht tatsächlich bei der Berufung aller Getauften ansetzen. Und von daher bin ich so dankbar für die aktuelle Synode auf Weltebene, welche eben Kirche als Volk Gottes neu aufleuchten lässt, Gemeinschaft der Getauften auf dem Weg. Da mag es dann unter den Wandernden schon Wasserträger und Straßenkünstler geben, aber zunächst einmal alle auf dem Weg.

Ende Juni wurden zwei junge italienische Mitbrüder zu Diakonen geweiht. Sie hatten mich zur Feier eingeladen und ich überlegte, was ich ihnen schenken könnte. Ein Buch? Gefällt mir, aber jungen Männern heute? Ich fragte einen Mitbruder um Rat: „eine kleine Ikone“? Oh je, ob das besser ist? Ich erinnerte mich an den italienischen Bischof Tonino Bello, der von der Schürze als dem eigentlichen Diakonengewand sprach, nicht der Stola. Also kaufte ich zwei Schürzen (für Männer!) und fand dann in Nähe noch eine Schneiderei, wo sie mir „Lc (deutsch: Lk) 22,27“ auf die Schürze stickten…

Mittwoch, 31. Juli 2024

Sr. Malwina

Ende Juli brachten wir sie zum Flughafen. Nach fünf Jahren in Rom kehrt Sr. Malwina in ihre Heimat zurück und wird Ende August in Reszel, im Norden Polens, ihren Dienst als Sakristanin beginnen. Außer unserem Alter, sie ist einen Monat älter als ich, verbindet uns die Schwerhörigkeit. Wobei ich den Eindruck hatte, trotz meiner Taubheit auf einem Ohr (nach einem Hörsturz vor vier Jahren) noch besser als sie zu hören.

Hier im Haus hat Sr. Malwina gekocht - und dies mit Können und Leidenschaft. Und ich habe sie nie klagen oder sich beschweren gehört, was mich mehr als beeindruckte. Denn ich empfinde das Kochen bei uns im Haus als durchaus herausfordernde Aufgabe. Das fängt damit an, dass Essen in Italien grundsätzlich ein sehr wichtiges Thema ist. Was sich an unserem italienischen Mitbruder sehr gut beobachten lässt. Dieser versucht gleichzeitig, durch eine gewisse Diät nicht zu viele Kilos zuzulegen. Dann ist da der Chilene, der eine andere Diät macht (KETO, ohne Kohlenhydrate), morgens Rührei mit Speck, mittags ein Steak. Vermutlich bin ich der Unkomplizierteste, der einfach „isst, was auf den Tisch kommt“. Da sind also außer den beiden Mitschwestern Sr. Malwinas drei Männer und jeder isst etwas anderes – schon ein wenig kompliziert, oder nicht?

Und hin und wieder sind Gäste da, Mitbrüder auf Besuch oder Bekannte, Freunde. Dann sitzen also ein oder zwei Leute mehr am Tisch. Und Sr. Malwina, die als gute Polin die Gastfreundschaft hochhält, möchte sich natürlich nichts nachsagen lassen.

Natürlich wiederholen sich im Lauf der Zeit manche Gerichte, aber immer wieder hat Sr. Malwina auch Neues ausprobiert. Da geht sie durchaus mit der Zeit und nutzt etwa verschiedene Youtube-Kanäle. Das Handy auf der Küchenzeile und los geht´s. Die Kreativität beim Kochen setzt sich dann beim Garnieren bzw. Servieren fort. Ich staunte immer wieder, wie schön sie die Speisen serviert hat.

Im Sommer begann regelmäßig der Kampf mit bzw. gegen die Ameisen, die unser Esszimmer bzw. die Speisekammer überfielen. Klar ging das Sr. Malwina auf die Nerven, aber doch nicht so, dass sie sich letztlich aus der Fassung bringen ließ.

17 Jahre ihres Lebens verbrachte Sr. Malwina in den USA, wo sie ebenfalls in der Küche arbeitete, bei Kapuzinern. Sie gab dort aber auch Kommunionunterricht für Kinder polnisch-stämmiger Familien. Eines ihrer ehemaligen Kommunionkinder, inzwischen eine Studentin Anfang 20, war neulich mit ihrer jüngeren Schwester hier bei uns zu Besuch.

In den USA hat Sr. Malwina den Führerschein gemacht, in Rom wagte sie sich allerdings nicht ans Steuer. Also haben entweder Juan oder ich sie beim wöchentlichen Großeinkauf begleitet. Konkret sah das so aus, dass sie mir einen Einkaufszettel in die Hand drückte und ich mich mit einem Einkaufswaagen auf den Weg machte, während sie mit einem zweiten Einkaufswagen startete. Wir trafen uns am Ende in der Obst- und Gemüseabteilung, wo sie das Gemüse und ich das Obst auswählte. Zwischendurch drückte sie mir auch irgendein Gemüse in die Hand und bat mich, es auf die Waage zu legen. Dabei kam es vor, dass sie mir die entsprechende Nummer, die bei der Waage einzugeben ist (z.B. 156 für Fenchel), quer durch die Abteilung zurief, was durchaus zu erstaunten Blicken bei anderen Kunden führte. (Und mir etwas peinlich war – sei’s drum!)

Vielleicht klingt das Beschriebene für die eine oder den anderen befremdlich. Und tatsächlich habe auch ich meine Zweifel am bestehenden System in unserem Haus. Genährt durch Interventionen von Papst Franziskus, der hin und wieder meinte, Ordensfrauen seien nicht in erster Linie dazu da, Kardinälen, Bischöfen oder Priestern den Haushalt zu führen. Stimmt! Wobei wir hier wohl tatsächlich auch wie eine „aussterbende Art“ sind.

Bei allen Bedenken bleibt die Bewunderung für Sr. Malwinas Dienst.

Und ich meine, auch um ihre Kraftquelle zu wissen. Ich sah sie nicht nur hier öfter in der Kapelle, auch zum privaten Gebet. Einmal, als ich in die Lateranbasilika kam, kniete sie dort vor mir in der Anbetungskapelle. Eine mit Gott verbundene Frau.

Montag, 15. Juli 2024

EURO 2024

Die Fußballeuropameisterschaft ist vorbei. Noch nie in meinem Leben habe ich so viele Spiele einer Europameisterschaft gesehen wie bei dieser. Was mich über mich selbst staunen und mich nachdenklich werden lässt. Warum war/ist das denn so?

Zum einen hat es sicher damit zu tun, dass es zu den ersten drei Spielen mit Beteiligung der deutschen Nationalmannschaft Einladungen zum gemeinsamen Schauen gab. Der sehr sympathische Botschafter der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl ist Fußballfan. So gab es zum Eröffnungsspiel Deutschland – Schottland eine gemeinsame Einladung des deutschen und des schottischen Vatikan-Botschafters in die Residenz des deutschen Botschafters. Ich hatte den Eindruck, dass mehr Schotten als Deutsche gekommen waren. Beim Singen der Nationalhymnen – alle im Raum erhoben sich von ihren Plätzen – waren sie auf jeden Fall lauter. Natürlich war auch für Bewirtung gesorgt. Zugegebenermaßen freue ich mich bei verschiedenen Anlässen in der Deutschen Botschaft auf das Bier vom Fass, diesmal gab es dann auch noch schottischen Whisky. Einmal stand der schottische Botschafter während des Spiels auf und animierte lachend seine Landsleute, doch die eigene Mannschaft anzufeuern. Eine frohe, bisweilen fast ausgelassene Stimmung.

Zum zweiten Spiel hatten der deutsche und der ungarische Botschafter gemeinsam eingeladen und es gab unter anderem ein ungarisches süßes Gebäck. An einer Stelle des Spiels hatte ich mich wohl zu offensichtlich gefreut, so dass mich meine ungarische Nachbarn lächelnd ansprach: „wohl eine andere Migrationsgeschichte?“ Beide lachten wir.

Das dritte Spiel der deutschen Nationalmannschaft war schließlich noch einmal etwas Besonderes. Diesmal hatten der deutsche Botschafter gemeinsam mit dem Colonel der Schweizer Garde zum Schauen in die Kaserne der Schweizer Garde eingeladen. Vermutlich kamen allein wegen des Veranstaltungsortes noch mehr Leute. Im Innenhof der Kaserne der Garde waren eine Riesen-Leinwand und Bierzeltgarnituren aufgebaut und dieses (fast) „Public-Viewing“ an einem römischen Sommerabend war einfach schön. Ich freute mich auch an den Schweizer Gardisten: natürlich weiß ich, dass sie jung sind. Aber ohne ihre tolle Uniform, in ihren roten T-Shirts an diesem Abend, die eigene Mannschaft lautstark unterstützend, wirkten sie für mich fast wie Abiturienten bei irgendeiner Feier.

Da meine beiden Mitbrüder während dieser Zeit ausgeflogen waren, genoss ich es schlicht, mich mit anderen zum gemeinsamen Fußball-Schauen zu treffen. Und auch wenn einen ein beklemmendes Gefühl befallen kann, wenn in den Fernsehnachrichten Kriegsbilder und Fußballergebnisse nebeneinanderstehen, empfand ich die gemeinsamen Fußballabende irgendwie als völkerverbindend und damit im gewissen Sinn ja auch friedensfördernd. Trotz gewaltbereiter Fans, Hooligans – leider. Bei zwei der beschriebenen drei Abende sah ich übrigens auch den ukrainischen Botschafter beim Heiligen Stuhl als Gast. 

Auf jeden Fall war ich nach den ersten drei Spielen auf den Geschmack gekommen und schaute mir viele weiteren, auch ohne „deutsche Beteiligung“, dann zu Hause vor dem Bildschirm an, an einem Tag sogar zwei hintereinander. Wie gesagt: so kannte ich mich selbst bisher nicht. Aber jetzt ist es auch gut, dass es vorbei ist.

Juan als Chilene war verständlicherweise gedanklich mehr mit der „Copa América“ beschäftigt, die zeitgleich stattfand.



Sonntag, 30. Juni 2024

Licht und Dunkel

Manchmal spüre ich etwas wie „Zerrissenheit“ in meiner Aufgabe hier in Rom. Als Mitglied der Generalleitung meiner Ordensgemeinschaft bekomme ich allerhand von Mitbrüdern aus verschiedenen Teilen der Welt mit und habe teilweise „in der Bearbeitung“ konkret damit zu tun. Sei es ein Missbrauchsvorwurf gegenüber einem Mitbruder, oder ein anderer, der seinen Dienst in der Pastoral scheinbar dazu benutzt, sich zu bereichern. Dieser Tage nun lese ich von einem Ordensmann einer anderen Gemeinschaft, den ich ein wenig kenne, dass er verhaftet wurde, weil er wohl Drogen ins Gefängnis hineingeschmuggelt hat. Und ich frage mich: „wie ist das möglich? Warum?“ Ich erinnere mich an ein Buch von Enzo Bianchi mit dem Titel „Wir sind nicht besser“ Untertitel: „Das Ordensleben in der Kirche und inmitten der Menschen“. Viele Situationen tun weh. Es geht nicht ums Dramatisieren, aber natürlich um das entschiedene Hin- und eben nicht Wegschauen. Das ist die eine Seite dessen, was mich umtreibt und bewegt.

Und dann begegne ich in Rom den Heiligen. Den schon bekannten, etwa meinem Namenspatron und dem Gründer meiner Ordensgemeinschaft, die beide in Rom begraben sind. Immer wieder lerne ich auch neue Heilige kennen, wenn ich z.B. eine Kirche betrete und an einem Seitenaltar das Grab einer solchen Gestalt bemerke. Und dann gibt es Mitmenschen, die etwas von Heiligkeit ausstrahlen. Sr. Maria Vicuna etwa, von den Schwestern Mutter Teresas, beeindruckt mich immer wieder. Sie ist die Küchenchefin in dem Haus für Männer in schwierigen Lebenssituationen, in dem ich regelmäßig helfe. Diese junge Frau schafft es nicht nur, mittags ein gutes Mittagessen für rund 40 Menschen auf den Tisch zu bringen. Sie hat nicht nur die Töpfe und Backrohre im Blick, sondern auch die Freiwilligen, die zur Mitarbeit da sind. Sie weiß jeder und jedem die ihr oder ihm entsprechende Arbeit zuzuteilen und interessiert sich dabei für die einzelnen, ihre Familien etc. Und das mit einer Prise echten, köstlichen Humors…

Da sind also auf der einen Seite die schwierigen Situationen („zum Davonlaufen!“) und auf der anderen Seite die anziehende Heiligkeit. Ich stehe dazwischen. Indem ich mir diese Situation bewusst mache, habe ich aber gleichzeitig den Eindruck, mich in gewisser Weise auch entscheiden zu können, wohin ich vor allem meinen Blick richte, auf welche Seite.

Sr. Klara Maria Breuer, welche die Texte der diesjährigen RENOVABIS-Pfingstnovene vorbereitet hat, erinnert an deren ersten Tag an die Aussage eines lutherischen Pfarrers ein Jahr nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine: „Als Christen sollten wir die Nachrichten nicht nur konsumieren, sondern kreieren.“ Vielleicht beginnt es ja schon bei der „Konsum-Auswahl“. Welche Nachrichten konsumiere ich?

Jede und jeder von uns erlebt vermutlich das Hin- und Hergerissen-Sein zwischen dem, was traurig und mutlos macht und dem, was uns Mut, Hoffnung und Kraft gibt. Ohne das Schwierige aus dem Blick (und oft aus dem Herzen) zu verlieren, möchte ich den Blick immer wieder auf das andere lenken. Wohl wissend, dass ja auch in mir beides da ist, Licht und Dunkel.

In der Hoffnung, hinter den „Kulissen des Dunklen“ irgendwann anderes, mehr, Funken des Lichts zu entdecken…

Samstag, 15. Juni 2024

Claritas

Nach vielen Jahren war ich Anfang dieses Monats wieder einmal dort, in Loppiano, einem kleinen Ort unweit von Florenz, malerisch gelegen auf den Hügeln der Toscana. Das „Grundgesetz“ der zwischen 700 und 800 Bewohner dieses Ortes ist das Evangelium. Besucher können einen Eindruck davon bekommen, wie das ist, wenn Menschen gemeinsam ihr Leben am Evangelium auszurichten versuchen.

Die Bevölkerung ist sehr international, jung und alt sind vertreten und auch verschiedene Lebensformen. Unter anderem befindet sich dort die CLARITAS, ein Spiritualitätszentrum für Ordensmänner. Dort wollte ich mich seinerzeit auf meine Priesterweihe vorbereiten und habe drei Monate verbracht. Eine für mein Leben und meinen Weg zweifelsohne entscheidende Zeit. Denn zunächst einmal geriet ich in eine Krise. Ich kam aus meinem Praktikum als Diakon in einer Pfarrei im oberbayerischen Traunstein (Heimat von Josef Ratzinger), wo mir große Sympathie entgegengebracht wurde. Ich hatte Erfolgserlebnisse in der Pastoral, die ersten Taufen, Menschen zeigten sich angetan von meinen Predigten. Und jetzt an der CLARITAS in Loppiano: ich hatte den Eindruck, ein „nobody“ geworden zu sein, keine Komplimente mehr, es gab ja auch keine Pastoral mehr in dem Sinn. Stattdessen ging ich fast täglich in einen Holz verarbeitenden Betrieb und schliff Holzteile ab, Grundlage für Kinderzimmerschmuck, moderne Schutzengelbilder und anderes. Irgendwie hatte ich mir das so nicht vorgestellt. Im April war es noch recht kalt und ich erkältete mich und hütete ein paar Tage das Bett, wobei an diesem Zustand wohl nicht nur die Temperaturen schuld waren. In dieser Phase der Niedergeschlagenheit fing ich an, mich neu zu orientieren: worum geht es mir? Um Lob und Ansehen, pastorale „Erfolge“? Ich hatte den Eindruck, eine bereits getroffene Entscheidung noch einmal erneuern zu müssen. Und nach einer gewissen Durststrecke gelang das dann auch, wobei ich das immer noch als Geschenk betrachte, das hatte nicht mit meiner „Willensstärke“ zu tun. Ab diesem Zeitpunkt genoss ich Loppiano und meinen Aufenthalt. Und hätte es wohl noch länger ausgehalten, wenn nicht die Priesterweihe angestanden wäre. Bis heute jedoch bin ich zutiefst dankbar für das, was ich wie eine Weichenstellung erlebt habe.

Anfang Juni also war ich wieder dort für ein Treffen mit anderen Ordensmännern und wir genossen die Gastfreundschaft der aktuellen Bewohner der Claritas, ein Italiener, zwei Philippinos und ein Belgier. Und – Phra Pittaya, ein buddhistischer Mönch aus Thailand, der ein Vierteljahr mit den katholischen Ordensmännern mit lebt. (https://www.loppiano.it/2024/05/31/phra-pittaya-si-puo-crescere-insieme-e-fiorire-insieme-qui-lho-sperimentato/ aufgerufen am 15.6.24) Ähnliches hatte es bereits in den 90er-Jahren schon einmal gegeben. Und es ist durchaus erstaunlich, wie das Zusammenleben von buddhistischen Mönchen und katholischen Ordensmännern funktioniert. Es gibt offensichtlich Verbindendes über die Konfessions- bzw. Religionsgrenzen hinweg.

P. Egidio, der italienische Franziskaner-Minorit erzählte, dass Phra Pittaya an jeder Gebetszeit und der Eucharistiefeier teilnähme. Obwohl er kein Italienisch kann. Phra Pittaya selbst erklärte, er achte sehr auf seinen Atem und nehme auf diese Weise die Gegenwart Gottes war. Er hat mich beeindruckt, dieser Mönch!

Nach unserer Abreise kamen weitere buddhistische Mönche zu einem Kurzbesuch an die CLARITAS nach Loppiano. Sie hatten an einer interreligiösen Begegnung in der Nähe Roms teilgenommen, inclusive Papstaudienz. Außer Hindus, Bahai und Sikh waren dort auch jüdische Rabbiner und muslimische Imame vertreten. Welch ein Zeichen in der Welt von heute!