Am 29. Juli 2013 wurde der italienische Jesuit Paolo dall’Oglio in Syrien entführt – seitdem gibt es kein Lebenszeichen und auch keine Todesnachricht von ihm. Anlässlich des zehnten Jahrestages seiner Entführung gab es in Rom zwei Veranstaltungen, jeweils auch Buchpräsentationen.
Am 24.Juli fand in der Europa-Bibliothek, direkt neben dem römischen Goethe-Institut gelegen, die Präsentation des Buches „Una mano da sola non applaude“ („Eine Hand allein applaudiert nicht“; es handelt sich dabei um ein arabisches Sprichwort) von Riccardo Cristiano statt. Cristiano ist auch der Vorsitzende der „Vereinigung der mit Pater dall’Oglio befreundeten Journalisten“.
Auf dem Podium saßen an diesem Abend zwei Jesuiten, der Erzbischof von Homs (ein Mitglied der in Syrien von Paolo dall’Oglio gegründeten Gemeinschaft), der Imam der großen Moschee von Rom und zwei leibliche Schwestern von Paolo dall’Oglio. Am Schluss wurde der anwesende Autor um ein Wort gebeten. Seine sehr persönlichen Worte machten mich nachdenklich. Er erzählte, Schüler an einer „Schule von Priestern“ gewesen zu sein. Was in ihm wohl eher Widerstand ausgelöst hat. Jahrelang war ihm alles Religiöse suspekt, egal ob das mit Christentum, Islam oder Judentum zu tun hatte. Und dann lernte er Paolo dall’Oglio kennen und – fühlte sich angenommen. So gebe ich das jetzt in meinen Worten wieder.
Zum einen entspricht das tatsächlich der Haltung von Paolo dall’Oglio: er wollte niemanden ausschließen, z.B. auch seine syrische Gemeinschaft für alle offen halten.
Zum anderen lässt mich die Begegnung mit Riccardo Cristiano über das Christ-Sein und -Werden nachdenken. Bekannt sind drastische Bekehrungsgeschichten, bei denen ein Mensch eine 180-Grad-Wendung in seinem Leben zu vollziehen scheint. Auf der anderen Seite dann das Empfinden eines Riccardo Cristiano: „ich darf (so) sein (wie ich bin)“. Ich meine, der US-amerikanische Franziskaner Richard Rohr sprach in diesem Zusammenhang einmal von „Transformation“. Nicht Konversion, sondern Transformation.
Dieses Konzept ließe sich zum Beispiel bei Paulus zeigen, dessen „Bekehrung“ am 25. Januar eines jeden Jahres gefeiert wird. In Salzburg gibt es eine Pfarrei mit ebendiesem Titel „Pauli Bekehrung“. Wobei ich dort auch den Wunsch gehört habe, doch besser von „Pauli Berufung“ zu sprechen.
Viele derjenigen, die am 24. Juli in der Europa-Bibliothek zusammen waren, kamen dann am 29. Juli, eben dem Jahrestag der Entführung von Paolo dall’Oglio, in der Kirche Sant Ignazio zusammen. Dort wurde das Buch „Il mio testamento“ vorgestellt, zu dem Papst Franziskus ein Vorwort geschrieben hat. Pater dall’Oglio hielt für seine Gemeinschaft in Syrien Vorträge, um ihm Wichtiges weiter zu geben. Diese wurden aufgezeichnet. Ein syrischer Mann, er war am 29. Juli in Sant Ignazio, hat diese Tonaufzeichnungen verschriftlicht, 600 Seiten. Und eine Italienerin, auch sie war an dem Abend dabei, hat diese Seiten vom Arabischen ins Italienische übersetzt. Und der erste Teil dieser Übersetzung wurde eben jetzt mit dem Titel „Il mio testamento“ veröffentlicht, es sollen zwei weitere Bände folgen.
Nach der Buchpräsentation feierten wir mit Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin die Messe in der Kirche. Spätestens dann wurde Paolo dall’Oglios Schicksal mit dem so vieler anderer in Syrien verschwundener Menschen (schätzungsweise 120.000) in Verbindung gebracht und an die Situation in diesem Land erinnert.
Und am Ende der Messe erzählte ein Jesuit aus Syrien, wie er vor vielen Jahren einmal Paolo dall’Oglio angetroffen habe, als dieser zwei Hirten die Kirche der Gemeinschaft erklärt habe, die alten Fresken… Und er habe das getan mit einer zum Teil dem Koran entliehenen Sprache. So war Paolo dall’Oglio, der sich ganz auf sein Gegenüber eingelassen hat. Kein Wunder, dass manche ihn auch als „Freigeist“ bezeichnen. Wie dringend brauchen wir sie!