Samstag, 31. Oktober 2015

Anfragen und Fragen

„Pater Alois, könnten Sie nicht bei uns die Kindermette halten?“ So fragt mich die Frau, die mit ihrem Sohn, einem Erstkommunionkind, vorbei gekommen war. Spontan ermutige ich sie, wie in den vergangenen Jahren auch, einen Wortgottesdienst zu feiern, bei dem nicht unbedingt ein Priester gebraucht wird. Und ich versuche ihr gleichzeitig Mut zu machen: „Sie können das!“ „Aber die Kinder hören bei Ihnen halt doch besser zu“. Natürlich fühle ich mich ein wenig geschmeichelt, lasse mich aber nicht überreden.

Ein paar Tage später eine andere Frau aus einer anderen Gemeinde am Telefon: „Haben Sie im Advent viel Stress, P. Alois?“ „Was heißt Stress?“ „Ich wollte Sie fragen, ob Sie nicht eine Adventsandacht mit den Firmlingen bei uns im Käppele halten könnten“. Auch hier habe ich ohne langes Überlegen der Frau gesagt, dass es gar nicht schlecht ist, wenn die Kinder die Erfahrung machen, dass es auch einen Gottesdienst ohne Priester geben kann, dass sich Menschen auch einfach so zum Gebet versammeln können.

Das Überlegen begann dann hinterher... Warum habe ich so und nicht anders reagiert?

Es war nicht aus Sorge, dem Pfarrer ins Gehege zu kommen. Wir verstehen uns gut und ich meine, er hätte nichts dagegen, wenn ich zu den Anfragen ja gesagt hätte. Über die erste habe ich auch im Nachhinein mit ihm gesprochen. Außerdem hat er mit seinen sechs Pfarreien ja ohnehin genug Termine.

Abgesehen davon, dass ich mich über solche Anfragen freue, sind sie fast eine Versuchung für mich. Da ich einfach gerne mit Kindern und Jugendlichen zusammen bin und versuche, mich in ihre Welt hinein zu versetzen und sie auf dieser Basis anzusprechen. Wobei ich stets am lernen und für solche Gelegenheiten dankbar bin.

Und was ist besser? Klar finde ich es wichtig, wenn Kinder und Jugendliche mit einem Priester zusammen kommen. Das ist ja inzwischen alles andere als selbstverständlich. Wie oft habe ich die Klage über die fehlenden (jungen) Kapläne in den Pfarreien gehört, die früher dort Jugendarbeit gemacht haben und begeistern, mitreißen konnten. Jetzt bekäme ich die Chance zu der ein oder anderen Begegnung und nehme sie nicht wahr...

Terminlich bin ich zwar insgesamt recht gut eingedeckt, aber natürlich ließe sich etwas arrangieren.

Und doch habe ich abgelehnt... Richtig?

Hat es mit Erfahrungen aus meiner Zeit in Madrid zu tun? Bei der Reflexion unserer Arbeit mit Immigranten haben wir viel über „Paternalismus“ einerseits und „empowerment“ andererseits nachgedacht. Unser Einsatz, unsere Hilfe sollte keine Abhängigkeiten erzeugen, sondern im Gegenteil den anderen zur Selbständigkeit helfen. Nach wie vor bin ich von diesem Ansatz überzeugt. Manchmal erfordert er ein „inneres Loslassen“: es täte ja so gut, gelobt und gebraucht zu werden. Auf der anderen Seite ist es aber nicht so, dass diese Art und Weise des Einsatzes „unbelohnt“ bliebe. Wie schön ist es, wenn Menschen lernen, eigene Wege zu gehen.

Und wie viel Potential ist in unseren Gemeinden da. Immer neu gerate ich ins Staunen darüber und bin dankbar. Und voller Hoffnung im Blick auf die Zukunft.

Und ich meine, dass damit nicht Berufungen vermischt werden. Vielleicht sind gerade Anfragen wie die oben erwähnten ein Indiz dafür. Und als Brüder und Schwestern im Volk Gottes suchen wir gemeinsam, wie wir einander in unserer je eigenen Berufung, mit den uns von Gott geschenkten Charismen dienen können.

Donnerstag, 15. Oktober 2015

Menschen auf der Flucht

Gerade bin ich in Freilassing in den Zug eingestiegen. Hedwig hatte mich dankenswerterweise mit dem Auto von Salzburg hierher gebracht. Hatte es die vergangenen Tage in der elektronischen Fahrplanauskunft der Bahn noch geheißen, der Meridian würde ab Salzburg Hauptbahnhof fahren, so las ich heute Morgen mit einem leichten Erschrecken: „Zug fährt erst ab Freilassing“.
Und am Bahnhof in Freilassing sah es auch anders aus, als ich es gewohnt bin. Auf einem Bahngleis Absperrgitter die halbe Bahngleislänge entlang. Direkt am Bahnhofsgebäude drei Zelte, neben jedem ein Ofen. An verschiedenen Stellen mobile ToiToi-Toiletten. An einem Gebäude dem Bahnhof gegenüber Plakate „Freilassing hilft den Flüchtlingen“. Heute aber kaum Menschen, ein paar Zugreisende. Und beim Einsteigen auch zwei Polizisten, der eine streift sich noch schnell Lederhandschuhe über.
„Wie schaffen wir das?“ - vielleicht wäre es hilfreich zu sagen, dass das keine und keiner so recht weiß. Und wir gleichzeitig nicht aufhören sollten, sehr entschieden Menschen zu sehen. Und nicht zuerst Probleme. Die gibt es auch, keine Frage!

Zum Beispiel Brandschutz-Vorschriften. Nachdem wir selbst gerade dabei sind, ein altes Haus zu adaptieren, bekomme ich ein wenig davon mit. Es fängt schon damit an, dass es kaum möglich scheint, mit dem zuständigen Mann vom Brandschutz einen Termin zu finden, weil er an verschiedenen Stellen gefordert ist. Und zweifelsohne sind die Brandschutzvorschriften wichtig. Zu viel ist in den letzten Jahren passiert. Wobei in den kommenden Wochen ein Dilemma entstehen wird, wenn Flüchtlinge in Zelten untergebracht sind, die nur mühsam oder gar nicht beheizt werden können. Weil in leer stehenden Gebäuden die Brandschutzvorschriften nicht erfüllt sind. Wie damit umgehen?

Mit der Änderung der Definition eines „sicheren Herkunftslandes“ scheinen sich manche da leichter zu tun und ändern notfalls einfach die Kriterien. Von jungen Senegalesen weiß ich, dass sie – weil ja angeblich aus einem „sicheren Herkunftland“ - abgeschoben werden sollen. Der eine hat schon in seiner Heimat als Bäcker gearbeitet und ist zur Zeit in einer bayrischen Bäckerei beschäftigt. Und sein Chef ist begeistert. „Der kommt pünktlich am Morgen und er packt zu – man merkt, dass er schon zu Hause als Bäcker gearbeitet hat“. Leider ist noch nicht sicher, ob der junge Mann eine dauerhafte Arbeitserlaubnis bekommen wird. Dabei ist er schon recht gut integriert.

Apropos Vorschriften: eine ältere Dame war von der Not der Flüchtenden angerührt und beschloss, ihre Hilfe, konkret ihr Haus anzubieten, in welchem sie ganz alleine lebt. Wieso sollte da nicht eine Familie einziehen können? Sie war ziemlich traurig, als ihr Angebot bei der Behörde nicht angenommen wurde. Grund: wenn, dann bräuchte es für die Familie eine eigene Küche. Die eine vorhandene Küche gemeinsam zu nutzen geht nicht.

Und eine letzte, abenteuerliche Geschichte, die zum genauen Hinsehen anregt, Hedwig hat sie auf dem Weg zum Bahnhof erzählt. Ein Mann vom Waldbauernverband holte Holz in Deutschland. Auf dem Rückweg hielt er bei einer Raststätte, um einen Kaffee zu trinken. Vermutlich kletterte genau in dieser Zeit ein Flüchtling auf seinen Anhänger, was der Fahrer nicht bemerkt hatte. Erst an der Grenze, als der Flüchtling herunter sprang. Pech für den Fahrer des Lastwagens: er bekommt jetzt Schwierigkeiten als vermeintlicher Schleuser.

In den vergangenen Tagen überlegten wir, wie wir als Ordensgemeinschaft dem Aufruf von Papst Franziskus nachkommen könnten, Flüchtlinge bei uns aufzunehmen. Ich bin sehr dankbar, dass in einem unserer Häuser über ein Projekt zur Aufnahme unbegleiteter Minderjähriger verhandelt wird. In anderen Häusern tun wir uns etwas schwerer, aber teilweise sind auch dort schon Flüchtlinge gewesen.
Von Italien lese ich, dass von den 95.000 aufgenommenen Flüchtlingen 22.000 in kirchlichen Einrichtungen untergebracht sind. Und auch hierzulande ist ja das Engagement groß. Gott sei Dank!