Am vergangenen Wochenende habe ich mich mit einigen Ordensmännern in Albano „leibhaftig“ getroffen. Oder anders gesagt: in Präsenz. Wir treffen uns fast wöchentlich via Zoom, eine Gruppe von neun Ordensmännern, die meisten Italiener, einer aus Kenia (aber Kaplan in Rom), einer in Spanien und ich Deutscher, auch in Rom. Wir kannten uns also gegenseitig alle vom Bildschirm her, aber nicht „leibhaftig“. Wenigstens nicht jeder jeden.
So hörte ich z.B. von Luca aus Assisi, als er zur Tür herein kam und mich sah: „Mensch, bist Du groß!“. Tatsächlich hatten wir uns eben immer sitzend am Bildschirm gesehen, sozusagen nur ein Brustbild. Mir ging es dann so mit Daniel, dem Mann aus Kenia: „Mensch, bist Du groß!“ Hätte ich einfach nicht gedacht, als ich Daniel am Bildschirm sah.
Mir gefallen solche Erfahrungen „veränderter Wahrnehmung“. Ähnliches geschieht ja manchmal auch, wenn ich jemanden besser, näher kennen lerne, etwas von seiner oder ihrer Geschichte erfahre und so die Person anders verstehen kann. Oder auch das Gegenteil: die Überraschung, wenn jemand ganz anders handelt, als ich es vorhergesagt, von ihm/ihr erwartet hätte.
Solche den engen Horizont fixer Vorstellungen aufreißende Erfahrungen haben es für mich immer schon ein wenig mit Gott zu tun. Den wir nie „erfassen“ können, der immer ganz anders ist.
Womit ich ein wenig beim Advent bin, der aktuellen Zeit im Jahr. Vielleicht hat gerade jemand schon an das Lied „O Heiland reiß den Himmel auf...“ gedacht, bei meiner Formulierung eben.
So sehr uns das Bild eines uns anlächelnden Jesuskindes erfreut – hoffentlich! (Das ist gut so!), so wenig ist das schon „alles“. Die Äbtissin von Mariendonk, Christiana Reemts, hat das am 28. November in ihrem Blog so formuliert:
Die Adventszeit, wie sie in unserer
Gesellschaft begangen wird, unterstützt es nicht, sie als
Vorbereitungszeit auf Weihnachten zu nutzen oder wenn dann nur im
materiellen Sinn. Wir brauchen aber eine geistige Vorbereitung, um
als Christen wirklich die „Heilige Nacht“ zu feiern, um wirklich
zu verstehen, dass wir etwas feiern, was es nie zuvor gab, ein völlig
einzigartiges Ereignis, das die Weltgeschichte für immer verändert
hat: Gott wurde Mensch. Denn Jesus war nicht nur ein besonders
frommer Mann, ein Religionsstifter und Prophet, den Gott durch die
Auferstehung zu sich holte, sondern er war bei Gott schon vor der
Erschaffung der Welt und er ist und bleibt Gott.
Gott aber ist der
ganz Andere, Gott ist das, was wir nicht sind und niemals sein
werden, Gott ist der, zu dem es von uns aus auch mit allen
Meditationstechniken keinen Weg gibt - und dieser unendliche Gott
soll vor 2000 Jahren in einem entlegenen Winkel der Welt geboren
worden sein. Das ist menschlich gesehen völlig absurd, kein Mensch
hätte von sich aus auf eine so verrückte Idee kommen können. Man
muss sehr lange über die Worte „Gott“ und „Mensch“ und die
absolute Unmöglichkeit sie miteinander zu verbinden nachgedacht
haben, um wirklich zu begreifen, wie groß das ist, was wir an
Weihnachten feiern.
Und dann geht mit mir ein Text, den mir Sr. Brigitte geschickt hat und für den ich sehr dankbar bin:
Die Erschütterung, das Aufwachen: damit fängt das Leben ja erst an, des
Advents fähig zu werden. Gerade in der Herbheit des Erwachens, in der
Hilflosigkeit des Zu-sich-selbst-Kommens, in der Erbärmlichkeit des Grenz-
erlebnisses erreichen den Menschen die goldenen Fäden, die in diesen
Zeiten zwischen Himmel und Erde gehen und der Welt eine Ahnung von
der Fülle geben, zu der sie gerufen und fähig ist.
Alfred Delp (1907-1945; Jesuit und Mitglied des Kreisauer Kreises im Widerstand)