Montag, 28. Februar 2022

essere il fiume - der Fluss sein

Eine interessante, um nicht zu sagen merkwürdige Gruppe von Menschen stand bzw. saß da zusammen vor dem „mattatoio“, dem ehemaligen Schlachthof Roms, heute eines der bedeutenden jüngeren Architekturdenkmäler der Stadt. Hier soll heute die Auftaktveranstaltung zum Projekt „essere il fiume“ (der Fluss sein) stattfinden. Im Italienisch-Kurs waren wir zur Teilnahme eingeladen worden. Es gehe um die Auseinandersetzung mit dem durch Rom fließenden Tiber, Geschichten dazu, Mitwirkung von Künstlern, Einbezogen-Werden...

Das klingt gut. Also ging ich hin. Vormittags hatten wir noch Unterricht im Italienisch-Kurs, von 10.30 bis 12.00 Uhr in der Bibliothek, ausgerechnet heute haben wir fünf Minuten überzogen. Dann schnell heim, ca. 20 Minuten zu Fuß. Mittagessen, heute mit einem Gast: Bruder Patrick ist ein aus New York stammender Maristenbruder und seit kurzem der Hausobere der Gemeinschaft der Maristen in deren Generalatshaus, ein sympathischer Mensch. Wir unterhalten uns mit ihm und auch mit Gaspar, der vormittags bei der Papstaudienz in der Aula Paul VI. war und Papst Franziskus grüßen konnte. 15 Minuten Siesta sind noch drin und danach wieder auf den Weg, jetzt zum Mattatoio, nicht so weit weg von der Bibliothek, wo ich kurz vorher zum Italienisch-Kurs war. Um 14.00 Uhr soll es beginnen.

Und da sehe ich zunächst die besagte Gruppe von Menschen. Nanu! Ob die mit dem Projekt zu tun haben, für das ich hier bin? Einer kommt auf mich zu und spricht mich an. Er ist in Rocker-Kleidung und als er mir die Hand zum Gruß entgegenstreckt, will ich zunächst „Corona-konform“ grüßen, also Faust trifft Faust. Er schlägt mir allerdings den klassischen Handschlag vor. Angesichts der Ringe mit Stacheln, die er trägt, sei das „Faust auf Faust“ nicht ratsam. Okay, akzeptiert, macht Sinn! Und dann fragt Andres, so heißt er, mich, ob ich gekommen sei, das Schauspiel anzuschauen. Unsicher, ob es sich dabei um die Veranstaltung handelt, für die ich gekommen bin, erkläre ich ihm das. Die Art und Weise, wie Andres sich bewegt und spricht, lassen mich an entweder Drogenkonsum oder mentale Störung denken. Auch die anderen Menschen, die dort sind, machen einen etwas „komischen Eindruck“ auf mich, sowohl von ihrer Kleidung als auch von ihren Bewegungsabläufen her. Nach einigen Minuten treffen andere aus meiner Italienisch-Kurs-Gruppe ein und wir warten gemeinsam. Es wird 14.30 Uhr – oh Mann, und ich hatte mir beinahe Stress gemacht. Dabei habe ich immerhin gegessen, im Gegensatz zu Ana etwa, die wie zwei weitere in der Bibliothek geblieben war, weil die Zeit für den Weg nach Hause zu kurz gewesen wäre.

Endlich geht es los und wir werden eingeladen, das Mattatoio-Gelände zu betreten. Dort gibt es einen offenen Platz im Eingangsbereich, von welchem aus die Gebäude zugänglich sind. Ein Mann meines Alters begrüßt uns – und das sind außer uns von verschiedenen Italienisch-Kursen tatsächlich auch die Menschen, die ich davor schon betrachtet hatte. Und er erklärt uns, dass es „bei der Aktion“ darum gehe, sich miteinander auf diesem Platz zu bewegen, dass jede/r jederzeit dazu stoßen und auch gehen könne und jetzt die erste Aktion beginne. Wer wolle, solle sich an einer Seite des Geländes (vor einem Metallgitter-Zaun) aufstellen und dann auf sein Kommando hin sich zur anderen Seite des Geländes bewegen. Allerdings nicht einfach so, sondern zum einen so schnell wie möglich und zum anderen miteinander. Es gehe um eine gemeinsame Bewegung, so wie bei einem Bienenschwarm etwa.

Wir von den Italienisch-Kursen waren zunächst am Rand gestanden, in einer Zuschauer-Position, abwartend. Aber nach der Einführung des Herrn hatte ich den Eindruck, es gehe tatsächlich ums Mitmachen und diesen Eindruck teilte ich mit Ana (Ecuador), Ewelyna (Polen) und Ljuba (Moldawien) aus meiner Kursgruppe. Und so stellten wir uns zu den anderen Menschen. „Quando volete!“ (wann ihr wollt!) war das Kommando des Regisseurs und wir bewegten uns zügig gehend, bzw. laufend von einer Seite des Platzes zur anderen, etwa 30 Menschen. Wobei einer mit zwei Krücken und einem einbadagierten bzw. -gegipsten Fuß dabei war. Der bewegte sich jedoch erstaunlich schnell. Irgendwann ging es darum, zwei Gruppen zu bilden und sich von zwei Seiten kommend wieder als Gesamtgruppe in der Mitte zu treffen. Mit derlei Aktionen verbrachten wir eine Stunde. Nicht, was ich erwartet hatte, aber eine spannende Erfahrung mit Unterhaltungswert.

Dienstag, 15. Februar 2022

P. Adolf Dürr

Vor einer Woche jährte sich der Todestag von P. Adolf zum 25. Mal. Anlass, an ihn zu erinnern. Er war einer der ersten Missionare vom Kostbaren Blut, die ich kennen lernte, in Schellenberg (Fürstentum Liechtenstein), wo er Pfarrer war. Zunächst bin ich ihm bei Exerzitien für Buben und später Jugendlichen im dortigen Missionshaus begegnet, dann lebte ich selbst ein Jahr der Einführung in die Gemeinschaft in diesem Haus.

Wir „Novizen“ hatten jeden Tag eine Stunde Unterricht beim Novizenmeister – und einmal in der Woche überließ dieser das seinem Vorgänger, P. Adolf eben. Der uns meist im Plauderton unterhielt. Regelmäßig erzählte er uns dabei von seiner eigenen Lektüre. Bis heute erinnere ich mich an ein Buch von Merlin Carothers, Ich suchte stets das Abenteuer, welches er las und auch uns zur Lektüre empfahl. P. Adolf war Pfarrer der Gemeinde in Schellenberg und erzählte auch in der Sonntagspredigt seiner Gemeinde immer wieder von diesem Buch – so hörten wir öfter Dinge doppelt: was er uns am Freitag oder Samstag im Noviziatsunterricht erzählte hatte, das kam auch in der Sonntagspredigt noch einmal vor.

Mit P. Adolfs Gesundheit stand es nicht zum Besten: sein Husten war manchmal im ganzen Haus zu hören und wer sah, wie sich sein Gesicht dabei rötete, der konnte es beinahe mit der Angst zu tun bekommen. Was den Mann allerdings nicht um seinen Humor brachte. Einmal entdeckte er während der Sonntagspredigt den ihn behandelnden Arzt unter den Mitfeiernden in einer Kirchenbank und brach schlagartig die Predigt ab, mit der launigen Bemerkung: „ich muss aufhören, ich stehe unter ärztlicher Aufsicht“. Weil ihm sein lästiger Husten oft auch den Schlaf raubte, hatte er sich angewöhnt, abends (mindestens) ein Glas Rotwein zu trinken. Mit Wein kannte sich P. Adolf aus.

P. Zemp, ein aus Brasilien zurück gekehrter Missionar hatte die Angewohnheit, den Wein in die Suppe zu gießen, ohne Rücksicht auf die Qualität des Weines. Für P. Adolf ein absolutes Gräuel, noch beim Erzählen dieses Vorgang war auf seinem Gesicht das Entsetzen bzw. der Schmerz ablesbar.

Was uns Novizen auf jeden Fall für ihn einnahm: hin und wieder brachte er uns vom Einkaufen Schokolade mit, gute Schweizer Schokolade. Und er konnte sich richtig aufregen, wenn wir diese „einfach so“ aßen. „Nicht beißen, schmelzen – Ihr müsst die Schokolade schmelzen“, so belehrte er uns. Unser verantwortlicher Noviziatsleiter P. Willi brachte uns dagegen von seinen Kroatien-Reisen Schokolade aus diesem Land mit – die war weniger willkommen. Inzwischen hat sich das geändert. Soweit ich weiß, wird heute Schweizer Schokolade auch in Kroatien produziert. Und auch kroatische Schokolade kann sich inzwischen sehen bzw. schmecken lassen.

Zurück zu P. Adolf: große Freude hatte er an seinem Wellensittich, der nicht nur pfeifen, sondern auch ein paar Worte sprechen konnte. Und Hansi durfte frei im Zimmer herum fliegen. Wobei er auch schon einmal die Finger eines Gekreuzigten an der Wand anknabberte...

Außer P. Adolf lebten damals mit uns im Haus noch weitere Senioren, der aus Brasilien zurück gekehrte Missionsbischof Erwin Kräutler und ein anderer Mitbruder, gemeinsam mit seiner erblindeten Schwester. Da wir „Jungen“ auch zu viert waren, ergab das eine bunte Mischung bei Tisch. Fräulein Gertrud, die erblindete Schwester des einen Mitbruders, bekam regelmäßig zum Mittagessen eine Haferschleimsuppe. Und wenn sie ihren Teller (fast) leer gegessen hatte, dann schöpfte ihr P. Adolf noch einmal nach, was sie durch die Kommentare ihres Bruders mit bekam. „Aber ich habe doch schon genug“, so wehrte sich Fräulein Gertrud. „Dann hast du eben noch genuger“, meinte P. Adolf daraufhin lakonisch. „Übergriffig“ würden wir heute sagen...

Über P. Adolf zu erzählen, ohne seine Leidenschaft für das Schifahren zu erwähnen, ist nicht möglich. Über Jahre hinweg fuhr er, als er noch nicht Pfarrer war, an den Wochenenden Richtung Arlberg und half dort dem Pfarrer von Lech bei Gottesdiensten aus. Und fuhr Schi.

Bei mancher längeren Liftfahrt im (damals) Zweier-Sessellift wurde ein Gespräch mit seinem Nachbarn im Lift zu einer Beichte.

Nachdem er selbst auch einmal geraucht hatte, legte er Zigarettenrauchern nahe, dieses ihr Laster doch auch „fromm“ zu gestalten und das Anzünden der Zigarette bzw. das Rauchen derselben mit einem Gebet zu verbinden, ein „persönliches Rauchopfer“ zu bringen.