Freitag, 31. Dezember 2021

Familie des Blutes Christi

Lange hatten wir vorbereitet, am 18. Dezember war es dann soweit: eine internationale Konferenz von Frauen und Männern, die irgendwie mit der Spiritualität des Blutes Christi verbunden sind. Natürlich online, am Bildschirm. Wir waren ca. 60 Teilnehmende, es gab Übersetzungen in verschiedene Sprachen. Was die Technik angeht, hatten wir Sr. Therese Raad engagiert. Die aus dem Libanon gebürtige Ordensfrau arbeitet sonst für die Vereinigung der Generaloberinnen in Rom und hat Erfahrung mit solch internationalen Konferenzen. Sie beriet uns auch schon beim Zusammenstellen des Tagungsprogramms, z.B. ein paar Minuten für den Übergang von einem Programmpunkt zum nächsten einzuplanen.

Worum ging es bei diesem Treffen? Bei der vatikanischen Kongregation für Laien, Familien und Leben wird unter den „Vereinigungen von Gläubigen“ auch die „Unione Sanguis Christi“ gelistet. Und zwar mit den 1988 anerkannten Statuten. Wobei dieselbe Kongregation uns auch gesagt hat, dass die Statuten überarbeitet werden müssen. Was unserem eigenen Empfinden entspricht. Und was nicht so einfach ist...

Die „Unione Sanguis Christi“ war ursprünglich wie eine Art „Dachverband“ gedacht, zu dem eben tatsächlich alle gehören können, die sich irgendwie mit einer Spiritualität des Blutes Christi verbunden fühlen: Laien, Ordensleute, Priester, Gemeinschaften, etc. Von Anfang an waren jedoch z.B. nicht alle damit glücklich, dass automatisch der jeweilige Generalobere der Kongregation der Missionare vom Kostbaren Blut der Präsident (auch) der Unione Sanguis Christi sein sollte. Die Ordensfrauen fragten, wieso das nicht auch eine Frau sein könne. Und wir (Missionare) fragen uns, wieso das nicht auch eine Laie/eine Laiin sein könnte. Seit der Anerkennung sind ja auch einige Jahre ins Land gezogen, das Gesicht der Kirche ändert sich.

Außer den eben schon genannten „Befindlichkeiten“ gibt es noch andere, die bedacht und gewürdigt werden wollen. Internationalität und Multikulturalität erfordern Offenheit füreinander. Und natürlich gibt es auch verschiedene Ansätze des Lebens einer Spiritualität. Die einen scheinen einen Schwerpunkt eher auf das Gebet und (gemeinsame) Frömmigkeitsübungen zu legen. Andere betonen eher den (sozialen) Einsatz. Im Idealfall könnten sich solch verschiedene Ansätze gegenseitig bereichern bzw. könnte eine gesunde Infragestellung der eigenen Haltung damit verbunden sein. Weil wir es jedoch nicht nur mit dem Idealfall zu tun haben, gibt es Vorbehalte und Misstrauen der einen gegen die anderen. Wobei ich da jetzt nicht allzu schwarz malen möchte. Auf der einen Seite entdecke ich beim Zuhören viele Ähnlichkeiten bei solchen, die scheinbar sehr verschiedene Positionen vertreten. Auf der anderen Seite sind „Kostbar-Blut-Menschen“ wie ein Mikrokosmos im großen Ganzen der Kirche, wo wir Ähnliches ja ständig erleben.

Was mir selbst in all den „Annäherungsversuchen“ manchmal etwas fehlt und was ich gelegentlich einzubringen versuche, das ist eine geistliche Sicht. Natürlich will ich diese keinem und keiner absprechen. Allerdings sind wir immer gefährdet, „nur oder vor allem Politik“ zu betreiben. Ich sage das mit Vorsicht, denn Politik kann ja (nicht nur laut verschiedenen Päpsten) höchster Ausdruck der Nächstenliebe sein. Es bedarf wohl auch der Politik, um verschiedene Menschen und Gruppierungen zusammen zu bringen, zumal, wenn das noch irgendeinen offiziellen, rechtlichen Charakter bekommen soll. Wenn wir jedoch dabei vor allem auf das eigene schauen, darauf, dass wir unsere eigenen Schäfchen ins Trockene bringen, ohne den Versuch, hellhörig zu sein für die Pläne Gottes selbst, dann werden wir nicht weiter kommen. Deswegen brauchen wir absichtsloses „vor Gott sein“, als einzelne und miteinander, als Grundlage für geistliche Unterscheidungsprozesse. Womit sich wieder die „Mikrokosmos-Situation“ zeigt: in der Gesamtkirche ist das im Hinblick auf synodale Prozesse und Wege nötig und wird mehr oder weniger erfolgreich geübt.

Damit das Ganze jetzt nicht nur anstrengend klingt: manches Zeugnis von Frauen und Männern bewegt mich und lässt mich dankbar sein. Da kann ich „Berufschrist“ noch viel lernen... Und so hoffe ich auf fruchtbare weitere Schritte. Mitte Januar wird es eine Fortführung unseres Prozesses mit einer kleineren Gruppe geben...

Mittwoch, 15. Dezember 2021

Subotica

Den zweiten Advent verbrachte ich in der serbischen Stadt Subotica. Abends feierten wir in der Kathedrale die heilige Messe mit der Gemeinde. Nach der Kommunion sangen Chor und Gemeinde ein Lied, das mir bekannt vorkam, es erinnerte mich an den Advent. Und doch dauerte es eine ganze Weile, bis ich drauf kam: tatsächlich handelte es sich um eine Variante von „Tauet, Himmel, den Gerechten“. Im Lauf meines Lebens habe ich verschiedene Melodien für dieses Lied kennen gelernt, hier jetzt eine weitere. Und ein wenig wurde mir dabei warm ums Herz. Denn in Rom hatte ich diese Melodie im vergangenen Jahr nicht gehört, also waren es zwei Jahre her seit dem letzten „Tauet, Himmel, den Gerechten“.

Die Predigt hielt der Guardian (Obere) des Franziskanerklosters von Subotica. Vor der Messe hatten wir uns kennen gelernt und kurz unterhalten. Er hat in Jerusalem studiert und spricht Italienisch. Außer ihm gibt es einen weiteren Pater und einen Bruder im Franziskanerkloster. Wir bekamen mit, dass sich die Begeisterung bei kroatischen Franziskanern in Grenzen hält, wenn sie gefragt werden, ob sie in Serbien leben und arbeiten wollen.

Am Ende der Messe gab es die Verkündigungen, der Dompfarrer gab die Gottesdienste bzw. Veranstaltungen der kommenden Woche bekannt. Und er tat dies zunächst auf Kroatisch und dann auf Ungarisch. Die Grenze zu Ungarn ist nur zehn Kilometer entfernt. Von den etwa 100 Priestern im Bistum wird erwartet, dass sie in beiden Sprachen zurecht kommen. Kroatisch Sprechende werden nach der Weihe für zwei Jahre in eine ungarisch sprechende Gemeinde gesandt und umgekehrt. Daneben zählen aber auch Slowakisch und Deutsch zu den im Bistum gesprochenen Sprachen. Im Diözesangebiet gab es die Donauschwaben, welche nach dem zweiten Weltkrieg vertrieben wurden. Deren Kirchen stehen noch und verkommen mehr und mehr. Scheinbar versucht das Bistum, die Kirchen als Ruinen zu sichern, um gleichsam „steinerne Zeugen“ der katholischen Vergangenheit in einer immer stärker orthodox werdenden Umgebung zu erhalten.

Auf jeden Fall musste ich bei den Verkündigungen schmunzeln, weil wir früher oft stöhnten, wenn sie uns zu lange vorkamen („das merkt sich doch sowieso keiner!“). In Subotica musste dieses Ritual sogar in zwei Sprachen ertragen werden.

Nach der Abendmesse gingen wir zurück ins Bildungshaus neben der Kathedrale, wo wir während unseres zweitägigen Aufenthalts untergebracht waren. Zu den Mahlzeiten trafen wir uns mit einigen Priestern der Diözese, die ebenfalls dort oder in der Nähe wohnen. An diesem Abend erschien auch ein kleinerer Herr im schwarzen Trainings-Anzug und Sandalen. Nachdem ich zuvor in der Sakristei sein Foto gesehen hatte, wusste ich: das ist der Bischof. Er schmunzelte entwaffnend: „wenn ich geahnt hätte, dass hoher Besuch zum Abendessen da ist, dann hätte ich mich mehr in Schale geworfen“. Und er erzählte von seinem Tag. Er war zu einem Pfarreibesuch und der Pfarrer hatte vergessen, seine Gemeinde auf den Bischofsbesuch hinzuweisen. So blieb der für die Kirchenmusik zuständigen Person vor Schreck der Mund offen stehen, als sie den Bischof sah. Dieser wiederum ließ sich nicht aus der Fassung bringen, sondern erzählte, wie er nach der Messe bei Kaffee und Tee mit den etwa 30 (!) Gottesdienstbesuchern gut ins Gespräch gekommen war und diese sich über seine Anwesenheit gefreut hatten.

Noch einmal zurück zur Kathedrale: sie ist der hl. Teresia von Avila geweiht, was mit der österreichischen Kaiserin Maria – Theresia zusammenhängt, zu deren Ehren die Stadt auch einmal umbenannt worden war: „Maria-Theresien-Stadt“. Bis heute ist die hl. Teresia von Avila im Stadtwappen von Subotica zu sehen. Wobei Ivo, der uns während unseres Aufenthalts als Gastgeber und Reiseführer zur Seite stand, meinte, dass sich das wohl auch einmal ändern könnte. Ivo hat in Rom Kirchenrecht studiert. Bei der Prüfung im internationalen Recht war er zunächst durchgefallen. Der Professor hatte ihn gefragt: „woher kommst Du?“ „Aus Subotica in Serbien“. Und zu welchem Volk gehörst du?“ „Ich bin Kroate“. „Im internationalen Recht“, so grinste Ivo, „gilt die Nation und nicht die Ethnie“.

Vermutlich geben diese kurzen Eindrücke ganz gut wieder, in welche Welt wir da auf dem Balkan eingetaucht sind, ein spannendes Abenteuer. Es gab noch einen Moment, der mich bewegte: zum ersten Mal hörte ich unser traditionelles Gebet „Ewiger Vater“ auf Ungarisch.

Für jeden Menschen, egal welcher Sprache, ist Gott Mensch geworfen – frohe Weihnachten!