Donnerstag, 30. April 2020

Ewa

Wenn ich mich morgens zur Meditation auf den Schemel setze, dann stelle ich, nachdem ich eine Kerze angezündet habe, auf dem Handy die Weck-Zeit ein. Nach einer halben Stunde will ich die Gebetszeit beenden, ohne zwischendurch auf die Uhr schauen zu müssen. Lange Zeit habe ich das Smartphone hauptsächlich für diesen Zweck verwendet. Und im Zusammenhang damit auch „verschmutzt“. Denn wenn ich am Ende der Gebetszeit die Kerze ausblase, dann drücke ich – als ehemaliger Mesner und „Kerzenpfleger“ - den weichen Wachsrand ein, damit die Kerze schön herunter brennt. Manchmal passiert es dann, dass ich noch ein wenig Wachs an den Fingern habe, wenn ich die Weck-Zeit im Smartphone wieder lösche.

Nachdem ich das Smartphone nicht ständig bei mir trage, kommt es durchaus vor, dass ich beim Einschalten die ein oder andere WhatsApp-Nachricht angezeigt bekomme. Im Normalfall geht meine morgendliche Selbstdisziplin so weit, dass ich diese nicht lese, bevor ich mit dem Gebet beginne, sondern gegebenenfalls danach. Neulich sah ich jedoch, dass eine Nachricht von Sr. Ewa angekommen war, mit der ich am Abend zuvor noch „ge-whatsappt“ hatte. Und da hat die „Selbstdisziplin ausgesetzt“ und ich las... Und fühlte mich dadurch so in die Gegenwart Gottes versetzt, dass ich gleich mit Ewas Nachricht ins Gebet ging...

Was hatte Ewa geschrieben? Dazu muss ich kurz die Hintergründe erläutern. Ewa ist Regionaloberin ihrer Gemeinschaft (der Anbeterinnen des Blutes Christi) in Polen. Als solche reiste sie vor einigen Wochen noch nach Weißrussland, um ihre Mitschwestern dort zu besuchen. Das war gerade die Zeit, als Corona ausbrach. So gestaltete sich auch Ewas Rückweg schwierig. Ich meine, sie musste zunächst 48 Stunden am Moskauer Flughafen verbringen und danach war sie froh, irgendeinen Flug zurück nach Breslau zu bekommen. Dort angelangt, begannen für sie zwei Wochen strenge Quarantäne. Tatsächlich kam die Polizei jeden Tag kontrollieren und wollte die Schwester von der Straße aus am Fenster ihres Zimmers sehen, das sie nicht verlassen durfte. Wobei Ewa meinte: „die sind aber nett, die fragen mich auch, ob ich etwas brauche, das sie mir bringen können!“.

Nach Beendigung der Quarantäne-Zeit ging Ewas Corona-Geschichte in anderer Form weiter. Ein paar Schwestern der Gemeinschaft arbeiten in einem Seniorenheim in der Gegend von Warschau, welches – soweit ich richtig verstanden habe – eine Pfarreistiftung als Träger hat. Ziemlich das ganze Personal des Hauses war Corona-infiziert. So dass sich Ewa mit zwei Mitschwestern auf den Weg machte, um in diesem Haus zu helfen, einzuspringen: in der Pflege der alten Menschen. Ein Foto habe ich gesehen: Ewa mit Atemschutzmaske und Gummihandschuhen am Bett einer Seniorin.

Und so fragte ich sie, nachdem sie mir einen aufbauenden Musik-Video-Clip („Hosanna in the highest“) aufs Handy gesandt hatte, wie es ihr gehe, und ob sie noch im Altenheim sei. Und am Morgen darauf las ich dann ihre Antwort: „ja, ich bin noch dort. Das ist eine gute Erfahrung für mich. Diese Exerzitien sind noch besser als diejenigen in meinen zwei Wochen Quarantäne in Breslau. Das Personal ist gesundet und kehrt langsam in die Arbeit zurück, aber zwei Schwestern brauchen noch etwas Erholung. So bleibe ich noch bis zum 1. Mai“.

Das war Ewas Nachricht, die mich mit großer Dankbarkeit erfüllte und die ich ins Gebet nahm. Mit dem Wunsch, selbst auch so zu leben, dass andere Menschen dadurch womöglich eine Ahnung der Gegenwart Gottes bekommen. Die sich im Alltäglichen zeigt...

Und im Idealfall Gottes Gegenwart auch in anderen Umständen zu entdecken, wahr nehmen zu können.

Mittwoch, 15. April 2020

Einpacken

Ich bin am einpacken. Das kenne ich. Neu ist, dass ich noch nicht weiß, wann und wie ich umziehen werde. In Italien ist ja zumindest noch bis zum 3. Mai eine strenge Ausgangssperre. Die Mitbrüder im Generalat sind froh über den großen Garten, um sich dort wenigstens ein bisschen die Beine vertreten zu können.

Ich packe ein, weil mein Nachfolger zum Einziehen bereit ist. Er hat wohl schon das Meiste seiner Habseligkeiten in Schachteln hier und ich verstehe, dass er wieder auspacken und ankommen möchte. Also packe ich ein und ziehe vorübergehend in ein frei stehendes Zimmer hier im Haus.

Beim Einpacken geht mir natürlich allerhand durch den Kopf, je nachdem, was ich gerade in die Hand nehme. Werde ich es noch einmal brauchen? Soll ich es weg werfen? Auch um meinen Rücken mache ich mir ein wenig Sorgen. War ich doch zu Beginn des neuen Jahres einige Tage ziemlich außer Gefecht, nachdem ich mich, vermutlich beim Aufbau der großen Weihnachtskrippe, verhoben hatte. Was sich dann nur mit Spritzen und Schmerztabletten wieder in den Griff bekommen ließ. Hoffentlich nicht jetzt wieder...

Wobei: ich bin ja froh, dass überhaupt leere Umzugsschachteln im Haus sind. Sie stammen zum großen Teil von meinem Umzug hierher. Nachdem der Baummarkt geschlossen ist, komme ich momentan an keine kleineren Schachteln – für Bücher wären solche sicher geeigneter. Also befülle ich die großen Schachteln und bringe sie mit Hilfe einer Sackkarre und des Aufzugs in den Dachboden. Jetzt bin ich froh über den Aufzug. Die letzten Jahre habe ich mich eher geärgert, wenn horrende Summen für Service und Überprüfungsgebühren bezahlt werden mussten.

Aber es kommen noch andere Gedanken. Ich habe gerade eben ein Buch eines Luxemburger Ethnologen zu Ende gelesen: „Bittere Orangen. Ein neues Gesicht der Sklaverei in Europa“. Darin beschreibt er zum Teil detailliert die Lebens-, Arbeits- und eben auch Wohnbedingungen von Erntearbeitern vorwiegend im italienischen Kalabrien. Die Menschen leben teilweise in Slums. Und das wenige Hab und Gut ist bei dem einen oder anderen in einer Plastiktüte untergebracht.

Ich bräuchte allerhand Plastiktüten...