Freitag, 31. Dezember 2021

Familie des Blutes Christi

Lange hatten wir vorbereitet, am 18. Dezember war es dann soweit: eine internationale Konferenz von Frauen und Männern, die irgendwie mit der Spiritualität des Blutes Christi verbunden sind. Natürlich online, am Bildschirm. Wir waren ca. 60 Teilnehmende, es gab Übersetzungen in verschiedene Sprachen. Was die Technik angeht, hatten wir Sr. Therese Raad engagiert. Die aus dem Libanon gebürtige Ordensfrau arbeitet sonst für die Vereinigung der Generaloberinnen in Rom und hat Erfahrung mit solch internationalen Konferenzen. Sie beriet uns auch schon beim Zusammenstellen des Tagungsprogramms, z.B. ein paar Minuten für den Übergang von einem Programmpunkt zum nächsten einzuplanen.

Worum ging es bei diesem Treffen? Bei der vatikanischen Kongregation für Laien, Familien und Leben wird unter den „Vereinigungen von Gläubigen“ auch die „Unione Sanguis Christi“ gelistet. Und zwar mit den 1988 anerkannten Statuten. Wobei dieselbe Kongregation uns auch gesagt hat, dass die Statuten überarbeitet werden müssen. Was unserem eigenen Empfinden entspricht. Und was nicht so einfach ist...

Die „Unione Sanguis Christi“ war ursprünglich wie eine Art „Dachverband“ gedacht, zu dem eben tatsächlich alle gehören können, die sich irgendwie mit einer Spiritualität des Blutes Christi verbunden fühlen: Laien, Ordensleute, Priester, Gemeinschaften, etc. Von Anfang an waren jedoch z.B. nicht alle damit glücklich, dass automatisch der jeweilige Generalobere der Kongregation der Missionare vom Kostbaren Blut der Präsident (auch) der Unione Sanguis Christi sein sollte. Die Ordensfrauen fragten, wieso das nicht auch eine Frau sein könne. Und wir (Missionare) fragen uns, wieso das nicht auch eine Laie/eine Laiin sein könnte. Seit der Anerkennung sind ja auch einige Jahre ins Land gezogen, das Gesicht der Kirche ändert sich.

Außer den eben schon genannten „Befindlichkeiten“ gibt es noch andere, die bedacht und gewürdigt werden wollen. Internationalität und Multikulturalität erfordern Offenheit füreinander. Und natürlich gibt es auch verschiedene Ansätze des Lebens einer Spiritualität. Die einen scheinen einen Schwerpunkt eher auf das Gebet und (gemeinsame) Frömmigkeitsübungen zu legen. Andere betonen eher den (sozialen) Einsatz. Im Idealfall könnten sich solch verschiedene Ansätze gegenseitig bereichern bzw. könnte eine gesunde Infragestellung der eigenen Haltung damit verbunden sein. Weil wir es jedoch nicht nur mit dem Idealfall zu tun haben, gibt es Vorbehalte und Misstrauen der einen gegen die anderen. Wobei ich da jetzt nicht allzu schwarz malen möchte. Auf der einen Seite entdecke ich beim Zuhören viele Ähnlichkeiten bei solchen, die scheinbar sehr verschiedene Positionen vertreten. Auf der anderen Seite sind „Kostbar-Blut-Menschen“ wie ein Mikrokosmos im großen Ganzen der Kirche, wo wir Ähnliches ja ständig erleben.

Was mir selbst in all den „Annäherungsversuchen“ manchmal etwas fehlt und was ich gelegentlich einzubringen versuche, das ist eine geistliche Sicht. Natürlich will ich diese keinem und keiner absprechen. Allerdings sind wir immer gefährdet, „nur oder vor allem Politik“ zu betreiben. Ich sage das mit Vorsicht, denn Politik kann ja (nicht nur laut verschiedenen Päpsten) höchster Ausdruck der Nächstenliebe sein. Es bedarf wohl auch der Politik, um verschiedene Menschen und Gruppierungen zusammen zu bringen, zumal, wenn das noch irgendeinen offiziellen, rechtlichen Charakter bekommen soll. Wenn wir jedoch dabei vor allem auf das eigene schauen, darauf, dass wir unsere eigenen Schäfchen ins Trockene bringen, ohne den Versuch, hellhörig zu sein für die Pläne Gottes selbst, dann werden wir nicht weiter kommen. Deswegen brauchen wir absichtsloses „vor Gott sein“, als einzelne und miteinander, als Grundlage für geistliche Unterscheidungsprozesse. Womit sich wieder die „Mikrokosmos-Situation“ zeigt: in der Gesamtkirche ist das im Hinblick auf synodale Prozesse und Wege nötig und wird mehr oder weniger erfolgreich geübt.

Damit das Ganze jetzt nicht nur anstrengend klingt: manches Zeugnis von Frauen und Männern bewegt mich und lässt mich dankbar sein. Da kann ich „Berufschrist“ noch viel lernen... Und so hoffe ich auf fruchtbare weitere Schritte. Mitte Januar wird es eine Fortführung unseres Prozesses mit einer kleineren Gruppe geben...

Mittwoch, 15. Dezember 2021

Subotica

Den zweiten Advent verbrachte ich in der serbischen Stadt Subotica. Abends feierten wir in der Kathedrale die heilige Messe mit der Gemeinde. Nach der Kommunion sangen Chor und Gemeinde ein Lied, das mir bekannt vorkam, es erinnerte mich an den Advent. Und doch dauerte es eine ganze Weile, bis ich drauf kam: tatsächlich handelte es sich um eine Variante von „Tauet, Himmel, den Gerechten“. Im Lauf meines Lebens habe ich verschiedene Melodien für dieses Lied kennen gelernt, hier jetzt eine weitere. Und ein wenig wurde mir dabei warm ums Herz. Denn in Rom hatte ich diese Melodie im vergangenen Jahr nicht gehört, also waren es zwei Jahre her seit dem letzten „Tauet, Himmel, den Gerechten“.

Die Predigt hielt der Guardian (Obere) des Franziskanerklosters von Subotica. Vor der Messe hatten wir uns kennen gelernt und kurz unterhalten. Er hat in Jerusalem studiert und spricht Italienisch. Außer ihm gibt es einen weiteren Pater und einen Bruder im Franziskanerkloster. Wir bekamen mit, dass sich die Begeisterung bei kroatischen Franziskanern in Grenzen hält, wenn sie gefragt werden, ob sie in Serbien leben und arbeiten wollen.

Am Ende der Messe gab es die Verkündigungen, der Dompfarrer gab die Gottesdienste bzw. Veranstaltungen der kommenden Woche bekannt. Und er tat dies zunächst auf Kroatisch und dann auf Ungarisch. Die Grenze zu Ungarn ist nur zehn Kilometer entfernt. Von den etwa 100 Priestern im Bistum wird erwartet, dass sie in beiden Sprachen zurecht kommen. Kroatisch Sprechende werden nach der Weihe für zwei Jahre in eine ungarisch sprechende Gemeinde gesandt und umgekehrt. Daneben zählen aber auch Slowakisch und Deutsch zu den im Bistum gesprochenen Sprachen. Im Diözesangebiet gab es die Donauschwaben, welche nach dem zweiten Weltkrieg vertrieben wurden. Deren Kirchen stehen noch und verkommen mehr und mehr. Scheinbar versucht das Bistum, die Kirchen als Ruinen zu sichern, um gleichsam „steinerne Zeugen“ der katholischen Vergangenheit in einer immer stärker orthodox werdenden Umgebung zu erhalten.

Auf jeden Fall musste ich bei den Verkündigungen schmunzeln, weil wir früher oft stöhnten, wenn sie uns zu lange vorkamen („das merkt sich doch sowieso keiner!“). In Subotica musste dieses Ritual sogar in zwei Sprachen ertragen werden.

Nach der Abendmesse gingen wir zurück ins Bildungshaus neben der Kathedrale, wo wir während unseres zweitägigen Aufenthalts untergebracht waren. Zu den Mahlzeiten trafen wir uns mit einigen Priestern der Diözese, die ebenfalls dort oder in der Nähe wohnen. An diesem Abend erschien auch ein kleinerer Herr im schwarzen Trainings-Anzug und Sandalen. Nachdem ich zuvor in der Sakristei sein Foto gesehen hatte, wusste ich: das ist der Bischof. Er schmunzelte entwaffnend: „wenn ich geahnt hätte, dass hoher Besuch zum Abendessen da ist, dann hätte ich mich mehr in Schale geworfen“. Und er erzählte von seinem Tag. Er war zu einem Pfarreibesuch und der Pfarrer hatte vergessen, seine Gemeinde auf den Bischofsbesuch hinzuweisen. So blieb der für die Kirchenmusik zuständigen Person vor Schreck der Mund offen stehen, als sie den Bischof sah. Dieser wiederum ließ sich nicht aus der Fassung bringen, sondern erzählte, wie er nach der Messe bei Kaffee und Tee mit den etwa 30 (!) Gottesdienstbesuchern gut ins Gespräch gekommen war und diese sich über seine Anwesenheit gefreut hatten.

Noch einmal zurück zur Kathedrale: sie ist der hl. Teresia von Avila geweiht, was mit der österreichischen Kaiserin Maria – Theresia zusammenhängt, zu deren Ehren die Stadt auch einmal umbenannt worden war: „Maria-Theresien-Stadt“. Bis heute ist die hl. Teresia von Avila im Stadtwappen von Subotica zu sehen. Wobei Ivo, der uns während unseres Aufenthalts als Gastgeber und Reiseführer zur Seite stand, meinte, dass sich das wohl auch einmal ändern könnte. Ivo hat in Rom Kirchenrecht studiert. Bei der Prüfung im internationalen Recht war er zunächst durchgefallen. Der Professor hatte ihn gefragt: „woher kommst Du?“ „Aus Subotica in Serbien“. Und zu welchem Volk gehörst du?“ „Ich bin Kroate“. „Im internationalen Recht“, so grinste Ivo, „gilt die Nation und nicht die Ethnie“.

Vermutlich geben diese kurzen Eindrücke ganz gut wieder, in welche Welt wir da auf dem Balkan eingetaucht sind, ein spannendes Abenteuer. Es gab noch einen Moment, der mich bewegte: zum ersten Mal hörte ich unser traditionelles Gebet „Ewiger Vater“ auf Ungarisch.

Für jeden Menschen, egal welcher Sprache, ist Gott Mensch geworfen – frohe Weihnachten!

 

Dienstag, 30. November 2021

Advent

Am vergangenen Wochenende habe ich mich mit einigen Ordensmännern in Albano „leibhaftig“ getroffen. Oder anders gesagt: in Präsenz. Wir treffen uns fast wöchentlich via Zoom, eine Gruppe von neun Ordensmännern, die meisten Italiener, einer aus Kenia (aber Kaplan in Rom), einer in Spanien und ich Deutscher, auch in Rom. Wir kannten uns also gegenseitig alle vom Bildschirm her, aber nicht „leibhaftig“. Wenigstens nicht jeder jeden.

So hörte ich z.B. von Luca aus Assisi, als er zur Tür herein kam und mich sah: „Mensch, bist Du groß!“. Tatsächlich hatten wir uns eben immer sitzend am Bildschirm gesehen, sozusagen nur ein Brustbild. Mir ging es dann so mit Daniel, dem Mann aus Kenia: „Mensch, bist Du groß!“ Hätte ich einfach nicht gedacht, als ich Daniel am Bildschirm sah.

Mir gefallen solche Erfahrungen „veränderter Wahrnehmung“. Ähnliches geschieht ja manchmal auch, wenn ich jemanden besser, näher kennen lerne, etwas von seiner oder ihrer Geschichte erfahre und so die Person anders verstehen kann. Oder auch das Gegenteil: die Überraschung, wenn jemand ganz anders handelt, als ich es vorhergesagt, von ihm/ihr erwartet hätte.

Solche den engen Horizont fixer Vorstellungen aufreißende Erfahrungen haben es für mich immer schon ein wenig mit Gott zu tun. Den wir nie „erfassen“ können, der immer ganz anders ist.

Womit ich ein wenig beim Advent bin, der aktuellen Zeit im Jahr. Vielleicht hat gerade jemand schon an das Lied „O Heiland reiß den Himmel auf...“ gedacht, bei meiner Formulierung eben.

So sehr uns das Bild eines uns anlächelnden Jesuskindes erfreut – hoffentlich! (Das ist gut so!), so wenig ist das schon „alles“. Die Äbtissin von Mariendonk, Christiana Reemts, hat das am 28. November in ihrem Blog so formuliert:

Die Adventszeit, wie sie in unserer Gesellschaft begangen wird, unterstützt es nicht, sie als Vorbereitungszeit auf Weihnachten zu nutzen oder wenn dann nur im materiellen Sinn. Wir brauchen aber eine geistige Vorbereitung, um als Christen wirklich die „Heilige Nacht“ zu feiern, um wirklich zu verstehen, dass wir etwas feiern, was es nie zuvor gab, ein völlig einzigartiges Ereignis, das die Weltgeschichte für immer verändert hat: Gott wurde Mensch. Denn Jesus war nicht nur ein besonders frommer Mann, ein Religionsstifter und Prophet, den Gott durch die Auferstehung zu sich holte, sondern er war bei Gott schon vor der Erschaffung der Welt und er ist und bleibt Gott.
Gott aber ist der ganz Andere, Gott ist das, was wir nicht sind und niemals sein werden, Gott ist der, zu dem es von uns aus auch mit allen Meditationstechniken keinen Weg gibt - und dieser unendliche Gott soll vor 2000 Jahren in einem entlegenen Winkel der Welt geboren worden sein. Das ist menschlich gesehen völlig absurd, kein Mensch hätte von sich aus auf eine so verrückte Idee kommen können. Man muss sehr lange über die Worte „Gott“ und „Mensch“ und die absolute Unmöglichkeit sie miteinander zu verbinden nachgedacht haben, um wirklich zu begreifen, wie groß das ist, was wir an Weihnachten feiern.

Und dann geht mit mir ein Text, den mir Sr. Brigitte geschickt hat und für den ich sehr dankbar bin:

Die Erschütterung, das Aufwachen: damit fängt das Leben ja erst an, des

Advents fähig zu werden. Gerade in der Herbheit des Erwachens, in der

Hilflosigkeit des Zu-sich-selbst-Kommens, in der Erbärmlichkeit des Grenz-

erlebnisses erreichen den Menschen die goldenen Fäden, die in diesen

Zeiten zwischen Himmel und Erde gehen und der Welt eine Ahnung von

der Fülle geben, zu der sie gerufen und fähig ist.

Alfred Delp (1907-1945; Jesuit und Mitglied des Kreisauer Kreises im Widerstand)

 

Montag, 15. November 2021

Selbstoptimierung und Gelassenheit

Mit wachsender Begeisterung lese ich die Briefe von Giovanni Merlini an Maria De Mattias. Wer waren die beiden? Merlini war Missionar vom Kostbaren Blut, einer der wichtigsten Mitarbeiter des Gründers der Gemeinschaft, Kaspar del Bufalo, und auch sein übernächster Nachfolger in der Leitung derselben. Kaspar plante neben der Gründung der Männer- auch eine Frauengemeinschaft. Dafür hielt er Ausschau nach einer geeigneten Leitungs- bzw. Gründungspersönlichkeit und fand diese schließlich in Maria De Mattias. Die konkrete Begleitung der De Mattias beim Aufbau der Frauengemeinschaft der Anbeterinnen des Blutes Christi übergab Kaspar dann Merlini. Und von daher rührt ein uns erhaltener Briefwechsel. Ich lese seit Monaten immer wieder einmal in einem Band, der (nur) Merlinis Briefe enthält. Und bin erstaunt, mit welcher Feinfühligkeit und mit welchem Geschick Merlini die junge Frau begleitet. Einerseits ermutigt er sie und stärkt ihr den Rücken, andererseits fordert er sie aber durchaus zur Eigenverantwortung und erklärt ihr, dass sie gewisse Entscheidungen doch selbst treffen solle, ohne lange bei ihm nachzufragen.

Eine Passage aus dem Brief vom 3. September 1859 von Merlini an De Mattias möchte ich hier (in meiner Übersetzung) wiedergeben. Vielleicht als Vorbemerkung: die Anbeterinnen des Blutes Christi waren, anders als ihr Ordensname das vermuten ließe, zunächst einmal Lehrerinnen. Sie errichteten eine Schule nach der anderen und in Verbindung damit praktisch auch immer eine Ordensniederlassung, wo die Schwestern – Lehrerinnen lebten. Um an einem konkreten Ort solch ein Unternehmen zu beginnen, brauchte es außer der materiellen Grundlage (ein Haus, die Schwestern mussten verdienen, der Lebensunterhalt gesichert sein...) auch die Zustimmung des zuständigen Bischofs, es ging ja auch um eine klösterliche Niederlassung. Und die Verhandlungen mit dem ein oder anderen Bischof gestalteten sich aus verschiedenen Gründen schwierig. Soweit zum Hintergrund der folgenden Zeilen:

Wenn der Bischof Fehler findet, sollten wir uns daran erinnern, dass nur Gott allein keine Fehler macht. Auch die herausragendsten Menschen irren: sollten wir also beunruhigt sein? Nein, aber achten Sie darauf, Gott nicht zu beleidigen. Wenn wir zum Beispiel in einer Angelegenheit einen Fehler machen, ohne böse Absicht, wo ist also die Schuld? Der (unser) Wille ist durch die Gnade Gottes gut und aufrecht. Wir machen Fehler, weil wir erbärmliche Geschöpfe sind, und das ist der Grund, dass wir uns vor Gott immer mehr erniedrigen. Ich komme zu dem Schluss, dass Gott es manchmal zulässt, dass wir einen Fehler machen, zum Beispiel bei einem Vertrag. Und warum hat Gott das zugelassen? Es ermutigt und gibt Frieden; es lässt uns Zuflucht zu Gott und größeres Vertrauen üben...

Keinen Fehler zu begehen, das wäre eine Versuchung, die, wenn sie überwiegen würde, uns vom Willen Gottes entfernen würde, der will, dass wir durch Leiden wirken...

Welch eine Kultur im Umgang mit Fehlern und Niederlagen! Wie heilsam für unsere „Selbstoptimierungsgesellschaft“, die ja andererseits an ihre Grenzen stößt. Sehr schön fand ich das neulich in einem Vortrag von Prof. Dr. Ursula Nothelle-Wildfeuer (Univ. Freiburg) Anfragen an das durchoptimierte Selbst aus der Perspektive christlicher Anthropologie erläutert.

Der November bietet sich durchaus an, sich darüber Gedanken zu machen, z.B. bei einem Friedhofsbesuch. Auch das Verfolgen der Corona-Berichterstattung kann helfen. Bei Paul M. Zulehner habe ich einmal den Gedanken gefunden, dass die Menschen heute zwar länger leben als früher, aber gleichzeitig auch kürzer, weil – ohne den Glauben an ein ewiges Leben – alles in die kurzen Erdenjahre hinein gepackt werden muss. (Ich meine, Zulehner bezog sich konkret auf Marianne Gronemeyers Buch „Das Leben als letzte Gelegenheit“.) Menschen, die an ein ewiges Leben glauben, haben diese Schwierigkeit nicht. Wobei es auch da eine Versuchung geben könnte, vor der Merlini im selben Brief an Maria De Mattias warnt:

halten Sie die Versuchung fern, einfach alles schleifen zu lassen...“ Der Glaube an ein ewiges Leben schenkt einerseits Gelassenheit, aber recht verstanden und gelebt, lässt er mich meine Erdenjahre als mit Verantwortung zu lebendes Geschenk verstehen.

Sonntag, 31. Oktober 2021

Wollsocken und Klimagipfel

Was haben meine Wollsocken mit dem Klimagipfel COP 26 in Glasgow zu tun?

Während meiner Studienzeit habe ich manchmal die Mitstudentinnen beneidet, die in langweiligen Vorlesungen am stricken waren: „wenigstens etwas kommt bei diesem Sitzen heraus!“ Später habe ich auch junge Männer stricken gesehen, ich selbst habe diese Fähigkeit nie erworben. Aber immer wieder habe ich selbstgestrickte Socken geschenkt bekommen, tatsächlich viele Paare.

In diesem Jahr bin ich in Rom direkt vom sommerlichen Barfuß auf herbstlich-winterliche Wollsocken umgestiegen, ohne Zwischenphase mit dünner Fußbekleidung. Da hier grundsätzlich die Heizung erst im November eingeschaltet wird, obwohl man sie bisweilen im Oktober auch schon gut vertragen könnte, bin ich umso dankbarer um die warmen Füße. Mit einigen Exemplaren der Wollsocken verbinde ich Erinnerungen an die Damen, von denen ich sie geschenkt bekam. Einige habe ich sogar bei ihrer Tätigkeit gesehen: Frau G., die auf ihrem Balkon gegenüber der Pfarrkirche in Salzburg saß oder, während eines Urlaubsaufenthaltes, Frau T., auf dem „Bänkli“ vor ihrem Haus in Amden, hoch über dem Schweizer Walensee. Ich erinnere mich an die Geschichte der Frau, die sich bei ihrem geistlichen Begleiter darüber beklagte, nicht beten zu können, immer abgelenkt zu sein. „Was macht Ihnen denn Freude?“, fragt der Begleiter. „Stricken“, antwortet nach einigem Zögern die Frau. Und der Begleiter rät ihr, sie solle sich doch vorstellen, dass Gott ihr beim Stricken zuschaue. Gesagt, getan, und die Frau findet ihre Weise, sich mit Gott zu verbinden, gleichsam ihn ihm versunken zu sein, mit den Stricknadeln in der Hand...

Manche meinen, dass angesichts des Klimawandels, der kritischen Phase, die wir da inzwischen erreicht haben, individuelle Veränderungen gar nicht mehr helfen. Es brauche größere Maßnahmen in Landwirtschaft und Industrie. Als passionierter Wollsocken-Träger ziehe ich aber trotzdem auch einen Pullover an, anstatt die Heizung einzuschalten oder das Ventil weiter aufzudrehen.

Wobei ich bezüglich Klima(schutz) bestimmt kein Vorbild bin, eher zu den Theoretikern gehöre. Spöttisch schmunzle ich über mich selbst, wenn ich im Internet an einer Veranstaltung zum Thema teilgenommen habe, etwa vom weltweiten Netzwerk „Laudato si“, und danach in den Garten gehe, wo Patrice am arbeiten ist. Der aus Madagaskar stammende Missionar von der heiligen Familie ist der Praktiker. Mit großer Freude arbeitet er viele Stunden im Garten. Gerade hat er Kiwis geerntet. Ich hatte sie zwischendurch betastet und befunden, dass sie noch hart seien. Patrice weiß, dass sie durchaus in diesem Zustand geerntet und dann noch ein wenig gelagert werden, bevor sie gut genießbar sind.

Freude bereitet mir, wenn ich auf einer Zugfahrkarte lesen kann, wie viel CO2 ich durch die Wahl dieses Verkehrsmittels eingespart habe. Mögen mich ruhig manche belächeln, wenn ich für die Strecke Rom-München die Bahn anstatt das Flugzeug wähle. Als sparsamer Schwabe ist das ja auch für mich bisweilen eine Herausforderung, wenn das Flugticket billiger wäre als es die Bahnkarte ist. Aber vielleicht gerade deswegen will ich diese Politik nicht unterstützen.

Gerade eben nahm ich an einer Zoom-Konferenz zur Vorbereitung des COP26-Gipfels in Glasgow teil und ich freue mich über die Leidenschaft der jungen Leute und ihren Einsatz. „We all are leaders“, „wir alle sind Anführer/Leiter“, sagte da eine junge Dame sehr selbstbewusst. Es geht ja nicht nur darum, vorne auf der Bühne zu stehen oder zu sitzen. Und sie ermutigte dazu, sich zu informieren, Gelegenheiten dazu zu suchen und zu nutzen. Was unter Umständen auch herausfordernd sein kann. Z.B. versuchte ich mich bezüglich Aluminium schlau zu machen, weil bei uns im Haus viele Cola-Dosen getrunken bzw. die leeren dann weg geworfen werden. Recycling schön und gut. Ich meinte mich zu erinnern, dass allein die Produktion von Aluminium nicht sehr umweltfreundlich sei. Die Seiten im Internet, die ich jetzt dazu fand, verwirrten mich etwas. Dort wurde Alu mit Glas und Plastik verglichen und schnitt dann gar nicht so schlecht ab. Ob die Aluminium-Industrie hinter solchen Auskünften steckt? Nicht entmutigen lassen, weiter forschen. Und – wie ich persönlich – das Leitungswasser bevorzugen (dank Filter auch bei uns im Haus trinkbar)... Guten COP26-Gipfel!

Freitag, 15. Oktober 2021

Weihe-Diplomatie

 Seit 1997 sind Missionare vom Kostbaren Blut auch in Vietnam vertreten. Wenn ich es recht verstehe, dann sind vietnamesisch-stämmige Männer, welche als boat-people in den 70er-Jahren in den USA gelandet waren, damals noch Kinder, dort bei den Missionaren vom Kostbaren Blut eingetreten und eben später als solche in ihr Ursprungsland zurück gekehrt. Wobei es für Christen – vorsichtig ausgedrückt – im kommunistischen Vietnam alles andere als einfach ist. Im Gegensatz zu schon lange im Land ansässigen Ordensgemeinschaften wie den Franziskanern oder den Jesuiten fehlt den Missionaren vom Kostbaren Blut außerdem eine formelle staatliche Anerkennung. Teilweise üben die Missionare deswegen offiziell einen anderen Beruf aus, z.B. als Englisch- oder Informatik-Lehrer. Dann gibt es wohl auch andere Restriktionen, welche die Möglichkeiten für ein Glaubensleben im Alltag stark einschränken. Unklar ist, wie und ob hinter manchem auch China steckt...

Mir wurde berichtet, dass bei einem Treffen der mit uns verbundenen Laien aus aller Welt ein vietnamesischer Missionar erklärte, dass es in diesem Land unter anderem eben nicht so einfach sei, eine katholische Gruppe mit Laien aufzubauen. Am Ende seines Berichtes, der viel unterstützenden Applaus erhielt, seien die polnischen Vertreter aufgestanden und hätten erklärt: „wir verstehen das sehr gut, wir kennen so etwas aus unserer Geschichte“.

Nichtsdestotrotz gibt es unter diesen schwierigen Umständen ein paar Missionare vom Kostbaren Blut und junge Männer, die sich für diese Gemeinschaft interessieren und – auf teilweise verschlungenen Wegen – ihre Ausbildung durchlaufen. An deren Ende gewöhnlich die Diakonen- und Priesterweihe steht. Diese braucht – im Land - eine staatliche Erlaubnis - und die gibt es nicht. Deswegen sind vor zwei Jahren zwei vietnamesische Missionare vom Kostbaren Blut in Rom zu Diakonen geweiht worden. Und – normalerweise beträgt die Diakonenzeit zwischen einem halben und einem Jahr – es steht längst die Priesterweihe für die beiden an.

Der zuständige Provinzial in den USA fragte bei uns an, weil es wohl für die Vietnamesen unkomplizierter ist nach Rom als in die USA zu reisen, ob die Priesterweihe hier stattfinden könnte. Und das beschäftigt uns jetzt. Z.B. werde ich mich wohl um die Vorbereitungen von Visa kümmern, zur Kongregation für die Institute gottgeweihten Lebens und Gesellschaften des apostolischen Lebens (kurz: Ordenskongregation) und anschließend zum vatikanischen Staatssekretariat marschieren, um Stempel für ein Dokument zu bekommen, mit dem die beiden um ein Visum ansuchen können.

Etwas anderes ist die Feier selbst: wer (Bischof), wann und wo? Auf der Suche nach einer vietnamesisch-katholischen Gemeinde stießen wir auf zwei vietnamesische Trinitarier-Patres, Pfarrer und Kaplan in einer Gemeinde in Vatikan-Nähe. Und diese boten bereitwillig ihre Mithilfe an. Die äußeren Bedingungen werden ja völlig anders sein, als bei Priesterweihen, wie wir sie kennen (oder kannten?), zu denen Busse aus den Heimat- und Praktikumsgemeinden der Weihekandidaten kommen. Unsere beiden Kandidaten werden vermutlich „mutterseelenallein“ nach Rom reisen. So versprachen die beiden Trinitarier, ihre vietnamesischen Landsleute in Rom zu informieren, dass eine gewisse Feiergemeinde entstehen kann. „Wir werden versuchen, den Weihekandidaten ein wenig Familie zu sein!“ Bis hin zu etwas „vietnamesischer Kost“ im Anschluss an die Feier. Für die Weihe muss schließlich auch noch ein Bischof gefunden werden. An solchen ist in Rom kein Mangel. Und die Liturgiesprache wird wohl ohnehin Italienisch sein – die Weihekandidaten müssen die Antworten vorher lernen. Wobei wir hoffen, dass die vietnamesische Gemeinde die liturgischen Gesänge in der Muttersprache singen wird und auch die Schriftlesungen auf Vietnamesisch gelesen werden können.

Momentan peilen wir einen Samstag im Januar an und hoffen darauf, dass alles klappt...

Donnerstag, 30. September 2021

Papstaudienz

Juan hatte die Nachricht erhalten: am 18. September gibt es eine Papstaudienz für die Diözese Rom. Eingeladen sind die Pfarrer und Vertreter aus den Pfarrgemeinden, die Oberen der in Rom ansässigen Ordensgemeinschaften, sowie Vertreter von Bewegungen. Eintrittskarten für die Audienz seien zwischen 13. und 17.9. bei der Pforte des Lateranpalastes (Sitz der Diözese Rom) abzuholen. Juan schlug mir vor, dort ein paar Karten für uns zu besorgen. Also machte ich mich auf den Weg, gleich am 13.9. nachmittags. Und erfuhr, dass die Kartenausgabe sehr beschränkt sei: nur eine Eintrittskarte pro Gemeinschaft. Tatsächlich lag da ein Verzeichnis (annähernd im Buchformat) der Ordensgemeinschaften Roms und ich unterschrieb bei „Missionari del Prez. Sangue“ und unserer Adresse, um eine Karte zu erhalten. Tapfer fragte ich, wie das denn mit den Schwestern sei. „Ja, wenn wir sie hier im Verzeichnis stehen haben“, meinte der freundliche Pförtner. Also bekam ich gegen eine Unterschrift bei „Missionarie della sacra famiglia“ unter unserer Adresse noch eine weitere Karte. Mit diesen beiden Karten trat ich den Heimweg an, gab die eine den Schwestern und erklärte meinen Hausgenoss/inn/en, dass wir halt jetzt entscheiden müssten, welche beiden von uns zur Audienz am Samstag gingen. Die Schwestern hatten kein Interesse (hört, hört!) und so bekamen „wir Männer“ deren Karte. Juan und Gaspar wollten gehen – der Fall schien schon klar. Ich hatte zunächst auch Lust, da ich aber am Tag nach der Audienz für eine Woche verreisen wollte, war ich froh, vorher noch ein wenig „Luft“ zu haben. Doch dann trat auch für Juan eine „Programmänderung“ ein: er hatte für den chilenischen Unabhängigkeitstag Gäste eingeladen, und zwar für 19.9. Und die Gästeliste wurden immer lännger! „Wenn ich den einlade, dann muss ich doch die anderen aus der Gemeinschaft auch einladen...“ Der arme Kerl geriet in Stress. Und bat darum, weil er noch so viel vorzubereiten habe, nicht zur Audienz zu gehen. Da Gaspar nicht alleine los wollte, lag der Ball wieder bei mir. Lustigerweise bekam Juan am 17.9. eine weitere Nachricht, dass noch weitere Karten für die Papstaudienz bei der Pforte des Lateran erhältlich seien. Jetzt auf einmal...

Und so machten Gaspar und ich uns am Samstag, den 18.9. um 8.00 Uhr auf den Weg. Audienz um 11.30 Uhr, Einlass ab 8.00 Uhr. Um 9.00 Uhr betraten wir die Aula Nervi beim Vatikan. Oh je, was machen wir denn jetzt so lange? Ein paar Schlaue hatten ein Buch mit genommen. Aber dann kam es wieder anders: es gab ein „Vorprogramm“. Das mit einer „Singprobe“ begann. Marco Frisina, Musiker, Komponist und Priester, übte mit den Anwesenden die Lieder im Feierheft. Und er tat das auf eine sehr erfrischende, humorvolle Art und Weise, das machte wirklich Freude. Im Gegensatz zum Singen mit Maske – das kommt mir doch ein wenig wie Autofahren mit angezogener Handbremse vor. Auf jeden Fall übten wir - und 2500 Menschen ergeben, trotz Masken, einen gewissen Klangkörper. Frisinas Lieder sind in Rom und Italien sehr bekannt, einige sind richtig gehende „Schlager“, eingängige, schöne Melodien.

Um 10.30 Uhr begann dann das eigentliche Vorprogramm, mit Schriftlesungen, Gebet, Liedern und Zeugnissen. Vorgesehen waren drei Themenblöcke: „Synode, Zuhören und Kerygma“. Aber siehe da: nach dem ersten Block wurde es auf einmal unruhig auf der Bühne, Menschen wurden zurück auf ihre Plätze geschickt. Und der Papst kam, eine halbe Stunde früher als angekündigt. Die Menschen standen auf und klatschten. Der Papst blieb auf seinem Weg vom Rand der Bühne bis in die Mitte zu seinem Platz dreimal stehen, nahm jeweils die rechte Hand zur Brust und verneigte sich zu den Menschen im Saal hin, vor ihnen. Für mich eine Geste, die mich an seinen Amtsantritt erinnerte, als er sich auf der Loggia zu den Menschen hin verbeugte und um ihr Gebet, ihren Segen bat. Ein demütiger Mann, „Bruder Papst“. Was ihn jedoch nicht daran hinderte, danach eine 45minütige Ansprache zu halten, die mir nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich einigermaßen herausfordernd vorkam. Da schenkt er seinen Zuhörern nichts, das ist kein „Show-Programm“. Es war vor allem eine große Einladung zum „Sich-Gegenseitig-Zuhören“, welches letztlich dann das Hören auf den Heiligen Geist möglich macht. Und das gilt für alle, auch für die Bischöfe: nicht nur, so der Papst, mit dem Hirtenstab in Händen und der Mitra auf dem Kopf lehren, sondern zuhören.

Ich dachte mir: eigentlich wäre es schön gewesen, wenn der Papst auch beim Vorprogramm im Saal gewesen wäre und wir gemeinsam den Zeugnissen zugehört hätten, von denen jetzt zwei Drittel nicht zu hören waren...

Mittwoch, 15. September 2021

Green Garden

Ein neues Foto! Anlässlich der italienischen G 20 – Ratspräsidentschaft ist im Valle della Caffarella, welches regelmäßigen Leser/inne/n dieses Blogs als mein „Naherholungsgebiet vor der Haustür“ bekannt ist, ein – gut italienisch - „green garden“ errichtet worden.

Dort finden sich 17 Würfel mit den 17 Nachhaltigkeitszielen, welche 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedet wurden und die bis 2030 erreicht werden sollen. Die Würfel sind verschieden farbig, haben jeweils fünf offene Seiten und auf der sechsten ins Metall eingefräst mit wenigen Worten und einem Symbol das jeweilige Ziel. Auf dem Foto rechts hinten kann man beim Würfel mit dem Ziel Nummer 12 die Struktur erkennen. (Dahinter, verschwommen am Horizont , übrigens ein wenig von den Albaner Bergen...) Und es sieht wirklich so aus, als wäre da gerade gewürfelt worden und die Würfel noch in Bewegung. Nachdem ich die Würfel aus der Ferne schon öfter gesehen habe, bin ich am ersten Septembersonntag einmal hin spaziert.

Sonntags sind jeweils recht viele Menschen dort im Park unterwegs: entweder am joggen oder mit Hunden und auch recht viele Mountainbiker. Ein paar von denen, drei Männer, fragten mich denn auch, ob ich ein Foto von ihnen machen könnte. Und sie stellten sich passend neben den grünen Würfel mit dem dritten Nachhaltigkeitsziel: Good Health and Well-being.

Mehrere Einrichtungen haben diesen Garten im Park miteinander angelegt: außer der Stadt Rom und der Region Latium etwa auch die FAO, also die Welternährungsorganisation, welche ja hier in Rom, gar nicht weit weg von unserem Haus, ihren Sitz hat.

Die 17 Würfel mit den Nachhaltigkeitszielen befinden sich an einem auch mit dem Auto erreichbaren Zugang zum Park in der Nähe der alten Kirche Sant´Urbano, welche wohl über einem heidnischen Heiligtum errichtet wurde, so etwas gibt es in Rom ja öfter. Auch bei dieser Kirche, leider habe ich sie noch nie geöffnet erlebt, gibt es eine Installation mit den Fahnen der EU - Mitgliedsländer und einem dort gepflanzten Olivenbaum. Dieser Baum ist nicht der einzige, welcher im Rahmen des Green Garden – Projekts gepflanzt wurde. Nicht weit entfernt von den Würfeln und der Kirche gibt es den „heiligen Wald“, eine alte römische Tradition aufgreifend. Dort wird – Schautafeln erläutern alles auf italienisch und englisch – an die „lex spolentina“ erinnert, das erste Gesetz zum Schutz des Waldes aus dem dritten Jahrhundert vor Christus. Es berührt eigenartig, gerade in diesem Jahr, in dem so viele Wälder gebrannt haben, an diesem Ort zu stehen und die Informationen zu lesen.

Mir gefällt die kreative Weise, wie Menschen sehr ungezwungen zum Nachdenken angeregt werden, das Ganze kommt überhaupt nicht „schulmeisterlich“ daher. Wobei natürlich gerade die 17 Nachhaltigkeitsziele eine eingehende Auseinandersetzung nötig machen. Wenn etwa unter dem dritten Ziel „Gesundheit und Wohlergehen“ auch verstanden wird, dass Abtreibung selbstverständlicher Bestandteil der Gesundheitsvorsorge sein soll, dann tue ich mich schwer. Um welches Konzept von Gesundheit und Wohlergehen geht es schließlich auch am Ende menschlichen Lebens? Ist nicht gesundes, krankes, Leben – und wer stirbt schon gesund? - nicht „lebenswert“?

Ein weiteres Reizthema ist auch das fünfte: „Gender Equality“. Zwar wird manchmal in katholischen Kreisen das Kind mit dem Bad ausgeschüttet, wenn Gender-Theorien schlichtweg abgelehnt werden, ohne sich ernsthaft damit auseinander zu setzen. Auch ich sehe aber nicht ein, wieso Frauen und Männer für die gleiche Arbeit manchmal unterschiedlich bezahlt werden. Das ist ungerecht! Und ich nehme wahr, dass viele Menschen dies auch im Hinblick auf den Zugang zu Ämtern in der Kirche so empfinden. Hier tue ich mich mit einer eindeutigen Positionierung schwer, ich gebe es zu. Egal wie die Entwicklung weiter geht: es müsste deutlich werden, dass es einen Unterschied zwischen Frau und Mann gibt, sie nicht einfach „gleich“ sind. Auf diesem leider etwas „verminten“ Gelände müssen wir uns als Frauen und Männer miteinander bewegen und im Gespräch voran kommen...

Dienstag, 31. August 2021

Archiv

In den vergangenen beiden Wochen habe ich einige Stunden in unserem Archiv verbracht. Weil wegen der dort lagernden Dokumente die Klimaanlage immer angeschaltet bleibt, ist das bei römischen Sommertemperaturen mit teilweise knapp 40 Grad ein durchaus angenehmer Aufenthaltsort. Das Archiv enthält einen historischen Teil, wo sich zum Beispiel die von unserem Gründer geschriebenen Briefe befinden, welche uns erhalten geblieben sind. Daneben gibt es den aktuellen Teil, wo Nachrichten über Mitbrüder bzw. aus den einzelnen (regionalen) Einheiten unserer Gemeinschaft gesammelt werden.

Mit der Ordnung dieses Archivs ist das so eine Sache. Die Amtszeit einer Generalleitung in unserer Gemeinschaft beträgt sechs Jahre, danach wechselt die Administration und das Personal, auch wenn manchmal eine Wiederwahl längere Verweildauern möglich macht. Mitbrüder aus verschiedenen Ländern und mit unterschiedlichen Hintergründen bringen andere Konzepte mit, was sich auch im Bereich des Archivs bemerkbar macht.

So hatten wir uns im Frühjahr entschlossen, zwei professionelle Archivarinnen zu beauftragen, wenigstens in einen Teilbereich (die aktuell lebenden Mitbrüder) Ordnung zu bringen. Eine der beiden hatte vorher einmal das Archiv einer italienischen Bierbrauerei geordnet – wie passend! - aber auch dasjenige der jüdischen Gemeinde in Rom. Zur Arbeit der beiden Damen gehörte auch die digitale Datenerfassung – die gab es bis dahin schlicht nicht. Jetzt sind wir mit einem System der italienischen Bischofskonferenz verbunden und können die entsprechende Software nutzen. Nachdem die Archivarinnen ihren Auftrag beendet hatten, liegt es jetzt an uns, „dran zu bleiben“.

Ganz konkret beschäftige ich mich mit einem großen Stapel Papier, welcher Material zu inzwischen verstorbenen oder aus der Gemeinschaft ausgetretenen Mitbrüdern enthält. Auch das muss ja irgendwie geordnet und archiviert werden. Ich freue mich darüber, die Geschichte des ein oder anderen Mitbruders etwas näher kennen zu lernen. Wir hier im Generalatshaus unserer Gemeinschaft beten jeden Morgen für die Mitbrüder, welche am jeweiligen Tag Geburtstag haben und für die Mitbrüder, deren Todestag ist. So bin ich dem ein oder anderen Namen schon einmal begegnet. Darüber hinaus gab es aber in den gut 40 Jahren, die ich selbst Mitglied der Gemeinschaft bin, auch reale Begegnungen mit dem ein oder anderen, zu dem ich jetzt Dokumente und Unterlagen hier finde.

Immer wieder gerate ich dabei ins Staunen und Danken. Was sind da für tolle Kerle drunter! Wie viel Gutes haben diese Missionare geleistet. Dass es auch die andere Seite gibt, soll nicht verschwiegen werden, auch unter uns gibt es Missbrauchstäter.

Aber da ist der eine, der seine Heimat USA verließ, um als Missionar in Chile zu arbeiten. Und der von dort aus nach Guatemala ging, weil er eine noch größere Not erlebte und bei den Menschen sein wollte. Seine Mitbrüder zu Hause in den USA waren alles andere als begeistert von diesem missionarischen Elan – und doch sind wir heute auch ganz offiziell in Guatemala vertreten.

Viele haben im Seelsorgs- und Erziehungsbereich Großartiges geleistet und wohl unzählig vielen jungen Menschen sehr viel für ihren Lebensweg mit gegeben. Bei mehreren wird ihre Musikalität erwähnt, mit der sie andere, vor allem Jugendliche, begeistert haben.

Bei vielen Familiennamen der US-amerikanischen Missionare bemerkt man ihre europäischen Wurzeln, manche lesen sich sehr deutsch. Bei einem entdeckte ich, dass er darauf stolz war, Plattdeutsch zu sprechen, wie er es in seiner Kindheit zu Hause getan hatte. Und er half anderen deutschstämmigen Amerikanern, welche ihre eigene Familiengeschichte erforschten.

Und dann ist der andere, der seine eigene Alkohol-Abhängigkeit in den Griff bekam, jahrelang Mitglied bei den anonymen Alkoholikern war und für viele dort ein Seelsorger.

Besonders beeindruckend für mich sind einige Brüdergestalten. Unsere Gemeinschaft besteht ja nicht nur aus Priestern, sondern eben auch aus Brüdern, die ohne Priesterweihe ihren Dienst tun. Zum Teil geriet diese Berufung etwas aus dem Blick, leider. Ich bin sehr froh, dass wir in der Generalleitung zum ersten Mal auch einen Bruder haben. Und in Italien hat nach vielen Jahren im vergangenen Juli wieder ein junger Mann sein definitives Treueversprechen abgelegt, der seine Berufung als Bruder leben möchte. Und der nach einem Jahr in Albanien jetzt in Tanzania im Krankenhaus der Missionare arbeitet und zusätzlich jungen Leuten Informatikunterricht gibt...

Sonntag, 15. August 2021

Augustsonntag in Rom

Nein, alleine wäre ich nicht hin gegangen, zum Mittagsgebet mit dem Papst an diesem Sonntag auf den Petersplatz. Bei dieser Hitze! Aber seit ein paar Tagen ist Gaspar bei uns im Haus, ein junger Mitbruder aus Tansania, der ab September einen einsemestrigen Kurs am Kinderschutzzentrum der Gregoriana hier mitmachen wird. Mit Gaspar mache ich mich also auf den Weg...

Nachdem ich – hoffentlich nicht überheblich – davon ausgehe, dass seine Geschwindigkeit beim Gehen geringer ist als die des langbeinigen Deutschen, und nachdem ich nicht sicher bin, wie oft die Busse sonntags fahren, schlage ich vor, bereits um 10.00 Uhr los zu marschieren. Als wir an der Bushaltestelle beim Bahnhof Ostiense ankommen, fährt gerade der Bus der Linie 280 vor. Wir steigen ein und warten noch ca. eine Viertelstunde bis zur Abfahrt. Wenigstens gibt es eine funktionierende Klimaanlage im Bus!

Als wir nach dem Aussteigen und einigen weiteren Metern zu Fuß von der Bushaltestelle bis zum Petersplatz dort ankommen, ist es gerade 11.00 Uhr. Die überschaubare Menschen-Schlange derjenigen, die in die Basilika wollen, lässt mich Gaspar vorschlagen, uns einzureihen, wir haben ja noch Zeit. Vor uns eine Familie, Eltern und zwei Buben, der Sprache nach aus Wien bzw. dem Osten Österreichs. Die Mutter sprüht und cremt sich mit Sonnenschutz ein und gibt das Spray dann an ihren Mann und die Söhne weiter. Der ältere der beiden reagiert etwas unwillig, gibt aber letztlich doch dem Drängen der Mutter nach.

Bei der letzten Kontrolle vor den Stufen zur Basilika hinauf diskutiert eine junge Dame mit dem „Wächter“, wieso sie nicht hinein darf – ihr Rock bedeckt nicht die Knie – ein Junge, dessen kurze Hosen ebenso die Knie frei lassen, aber schon.

Schließlich betreten wir, nachdem uns am Handgelenk die Körpertemperatur gemessen wurde, den Petersdom und Gaspar ist sichtlich beeindruckt von den Dimensionen. Langsam gehen wir im Dom nach vorne und dann auch noch hinunter in die Krypta zu den Papstgräbern. Ich staune darüber, wie viele Menschen hier sind. Im ganzen vergangenen Jahr sah ich nie so viele Menschen im Petersdom und auf dem Petersplatz, wenn ich bei der ein oder anderen Gelegenheit hier war.

Als wir aus der Krypta herauf zurück auf den Petersplatz kommen ist es 11.45 Uhr und wir suchen uns einen Platz im Schatten in der Nähe des Malteser-Stützpunkts. Die sehen wir dann auch einmal ausrücken, bei ihrer Rückkehr liegt eine junge Dame auf dem offenen Gefährt, die vermutlich die Sonne nicht gut ausgehalten hat.

Irgendwann kommt Tim vorbei, ein australischer Herz-Jesu-Missionar, der in deren Generalat arbeitet, begleitet von einem indischen Mitbruder. Nach ein wenig small-talk ziehen die beiden weiter. Wir werden uns nächstens bei uns im Haus wiedersehen...

Um 12.00 Uhr zeigt sich Papst Franziskus am Fenster und Beifall brandet auf. Wobei der Papst darauf keine Rücksicht nimmt, sondern sofort mit seiner kurzen Katechese zum Sonntagsevangelium beginnt: „Ich bin das Brot des Lebens“. Mir gefällt, was er sagt. Und ich bin dankbar, da auf dem Petersplatz zu stehen. Obwohl ich kein Problem habe, mit wenigen Leuten Gottesdienst zu feiern, im Haus sind wir derzeit nur zu viert zur morgendlichen Eucharistie und auch im Urlaub habe ich Eucharistiefeiern mit sehr wenig Mitfeiernden erlebt, so tut es doch gut, einmal „Masse“ bzw. „Fülle“ zu erleben und sich selbst als Teil davon. Vermutlich geht das anderen auf dem Petersplatz ähnlich. Es muss uns nicht darüber hinweg täuschen, dass wir Minderheit geworden sind oder immer mehr werden. Und auch die Aufmerksamkeit auf dem Petersplatz ist ja durchaus nicht nur auf den Papst und das, was er sagt, gerichtet. Da ist ein reges Kommen und Gehen – und vor allem Fotografieren. Das tut auch Gaspar. Hin und wieder drückt er mir sein Handy in die Hand, damit ich ihn fotografiere. Ich bin ganz erstaunt, als wir uns später über das Erlebte austauschen, wie viel er von den Worten des Papstes mit bekommen hat. Zumal er noch am Italienisch lernen ist.

Und die vielen Menschen auf dem Petersplatz sind mir ein Bild der Kirche. Kommen und Gehen, mehr oder wenige große Aufmerksamkeit - „pilgerndes Volk Gottes“. Da ist Platz für viele. Gott sei Dank!

Samstag, 31. Juli 2021

Rückfahrt nach Rom

Mittwoch, 28. Juli. Ich fahre nach Rom zurück. So meine ich. Auf dem Bahnsteig in Kufstein nehme ich das Display der Zuganzeige wahr. Dort steht: „Bitte die COVID-Einreisebestimmungen in Italien beachten“, aber ich denke mir nichts dabei. So steige ich ein und höre die Durchsage, dass die nach Italien Reisenden irgendein EU-Formular brauchen und zusätzlich einen negativen Covid-Test. Ich habe beides nicht. Soll ich´s riskieren? Mit meiner Bescheinigung der Erstimpfung? Die könnte ich vorweisen. Ich frage noch eine vorbei kommende Zugbegleiterin. „Wie ernst wird denn die Sache kontrolliert?“ „Fragen Sie mich nicht – ich mache nur die Durchsage.“ Okay! Bei der nächsten Station, in Wörgl steige ich wieder aus und kehre um. Bevor sie mich an der Grenze, am Brenner, aus dem Zug werfen...

In Kufstein zurück, mache ich mich im Internet über die Einreisebestimmungen schlau. Klar, ich hätte das vorher tun sollen. Br. Michael fährt mich zur Kufsteiner „Corona-Screening-Straße“, bei der es „eigentlich“ eine Anmeldung für einen Test bräuchte. Br. Michael hatte mich ermutigt, es einfach so zu versuchen. Und das klappte. Innerhalb weniger Minuten war der Test gemacht und mir zugesagt, das Ergebnis via SMS aufs Handy zu bekommen. Wow! In Rom stand ich für solch einen Test drei Stunden in der Warteschlange. Wieder zu Hause warte ich auf das Testergebnis, um die nächsten Schritte tun zu können. Und es kommt nicht. Nicht nach einer halben Stunde, nicht nach einer Stunde. Ich wähle die Hotline und erzähle der Dame am Apparat, dass ich testen war und kein Ergebnis kam. „Da muss ich sie mit unserem epidemiologischen Zentrum verbinden, ein Moment bitte“. Und dann bin ich 20 Minuten in der Warteschleife. Ich höre, wie ich von Platz 3 über Platz 2 auf Platz 1 vorrücke und endlich meldet sich jemand. Und erklärt mir, dass sie das Ergebnis nicht einsehen könne und ich mich doch bitte an das Testzentrum selbst wenden möge.

Nachdem es dort keine Telefonnummer (zu erfahren) gibt, fahre ich also noch einmal hin. Und die nette junge Frau vom Roten Kreuz erklärt mir, dass so etwas schon einmal vorkomme und sie mir das Testergebnis ausdrucken werde. Jetzt habe ich immerhin ein Papier in der Hand.

Damit mache ich mich auf den Weg in mein „Kufsteiner Urlaubsquartier“ und buche wieder Fahrkarten: bei der Österreichischen Bundesbahn von Kufstein bis Bologna, bei Trenitalia von Bologna bis Rom.

Und dann fülle ich noch das digitale Einreiseformular aus, nachdem ich mich zunächst einmal beim Portal registriert habe. Was die alles wissen wollen!

Die ganze Sache ist unangenehm, einmal ganz abgesehen von den Mehrkosten für die Bahn-Fahrkarten und zwei verpassten Zoom-Video-Konferenzen, die für den 29.7. vorgesehen waren.

Da sitze ich jetzt im Zug.

Andererseits ist der Tag meiner „geplatzten Reise“, der 28.7., der 70. Jahrestag der Verabschiedung der Genfer Flüchtlingskonvention. Was machen Menschen alles mit, die unterwegs sind. Meine „Probleme“, an die erforderlichen Dokumente für die Reise zu kommen, sind doch eher „Luxus-Probleme“, bzw. vernachlässigbar im Hinblick auf einen Menschen, der flüchten musste und unter Umständen seine Dokumente unterwegs verloren oder gestohlen bekommen hat.

Zweiter Anlauf also am 29.7., Donnerstag. Es ist anders als am Tag zuvor. Keine Durchsage gleich nach dem Einsteigen in Kufstein. Sondern nach dem Bahnhof Wörgl geht ein ÖBB-Mitarbeiter durch den Zug und fragt nach denjenigen, die nach Italien einreisen wollen. Denen erklärt er persönlich die dafür notwendigen Dokumente. Wobei ich dabei den Eindruck gewinne, dass niemand einfach so die Reise unterbrechen müsste. Was passieren kann, ist, dass jemand nach der Ankunft in Quarantäne geschickt wird. Das kenne ich ja schon und das hätte mir nicht einmal etwas ausgemacht. Zu meinem zweiten Impftermin kommenden Dienstag hätte ich mich irgendwie auf den Weg machen müssen. Außerdem scheint die EU-Einreiseerklärung für jemandem mit Wohnsitz im Land gar nicht unbedingt erforderlich. Aber wer kennt sich schon ganz genau aus?

Wir haben etwas Verspätung, nachdem der Zug am Brenner einige Minuten später startet und vor Verona aufgrund technischer Probleme etwas langsamer fahren muss. So verpasse ich den Anschlusszug in Bologna, erwische aber einen Folgezug eine halbe Stunde später und komme glücklich in Rom an.

Mittwoch, 30. Juni 2021

30 Jahre Priester

Vor 30 Jahren, am 29.Juni 1991, bin ich im Salzburger Dom zum Priester geweiht worden. Welch ein Fest war das damals, genauso wie dann eine Woche später die erste heilige Messe in der Heimatgemeinde. Die ganze kleine Stadt schien auf den Beinen und sich mit zu freuen.

Wie viel hat sich geändert seither! Junge Männer, die heute geweiht werden, erleben zum Teil völlig andere Begleitumstände. Womöglich sind am Tag der Priesterweihe Demonstrant/inn/en vor dem Dom mit Transparenten, die auf Missstände in der Kirche hinweisen. Und der Neugeweihte wird eventuell auch deutlich angefragt, wieso er durch seine Entscheidung und Berufswahl ein solches System noch stützt.

Meine Fotoalben sind in Umzugskartons auf dem Dachboden und ich packe sie jetzt nicht aus. Aber vor meinem geistigen Auge sehe ich das ein oder andere Motiv und vor allem Menschen, die mich in den vergangenen Jahrzehnten begleitet, die vor 30 Jahren mit gefeiert haben und zum Teil inzwischen verstorben sind. Diese Erinnerungen lassen mich dankbar sein und ganz existentiell erfahren, wozu Papst Franziskus hin und wieder Priester eingeladen hat: sie sollen ihre Herkunft nicht vergessen. Dabei geht es nicht nur darum, nicht „abzuheben“ und sich schlimmstenfalls als „Übermensch“ vorzukommen, sondern sich im positiven Sinn als ein Mitglied der Gemeinschaft der Glaubenden zu erfahren und zu wissen. Wie viel habe ich von glaubenden Frauen und Männern gelernt...

Als ich nach einer (nur dreijährigen) Zeit als Pfarrer in einer Pfarrgemeinde verabschiedet wurde, sagte mir jemand: „Du hast immer als Bruder gepredigt!“. Über dieses Kompliment freue ich mich bis heute und hoffe, dass die darin angesprochene Haltung lebendig bleibt. Mein Glaube wird genährt im gemeinsamen Leben mit anderen und durch das Teilen von Lebens- und Glaubenserfahrungen. Und vieles von dem, was ich dann sage und in der Verkündigung weiter gebe, hat sein Fundament darin. Es ist nicht meine Weisheit und ich erhebe auch nicht den Anspruch, der Lehrer schlechthin zu sein. Ab und zu mag es gelingen, Neugierde auf den Lehrer Jesus Christus zu erwecken, gerade auch im Teilen von eigenen Fragen.

Im Blick auf die heutige Kirchenlandschaft habe ich den Eindruck, ein „Auslaufmodell“ zu sein. Zumindest was die konkrete Ausprägung meines priesterlichen Dienstes angeht. Das stimmt mich nicht unbedingt traurig! Die Gestalt der Kirche wandelt sich und mit ihr die in ihr vorhandenen Dienste und Aufgaben. Ein wenig bewegt mich die Sorge, für das Neue einigermaßen offen zu bleiben. Wobei ich mich auch tröste mit dem Gedanken, dass es in der Kirche wie in der Gesellschaft immer „Ungleichzeitigkeit“ gibt.

Wenn auch die ein oder andere Veränderung in gewisser Weise mit Schmerz verbunden ist, so spüre ich vor allem Hoffnung. Ich hoffe, dass sich eine „Priesterkaste“ nicht auf Dauer halten wird. Dass wir noch viel mehr geschwisterlich glauben und leben, und auf dieser Basis priesterliche Dienste neu und anders geschätzt werden können. Die ein oder andere Diskussion im Zusammenhang des synodalen Weges in Deutschland kann da weiter führen.

Wofür ich weiter kämpfen möchte: dass das Evangelium nicht vergessen wird, bzw. wir noch viel mehr zu ihm zurück kehren. Manchmal beschleicht mich der Eindruck, dass wir vor lauter Überlebenskampf uns nicht mehr genug Zeit für diese Quelle unseres Lebens nehmen. Auf der Grundlage des Evangeliums lässt sich priesterliches Leben in vielfacher und sich ändernder Gestalt leben, wie ich es dankbar, wenn auch nicht immer ohne „Umstellungsschwierigkeiten“ in den vergangenen Jahrzehnten erfahren durfte: der Dienst als Gemeindepfarrer oder -missionar unterscheidet sich erheblich von dem des Jugend- oder Flüchtlingsseelsorgers.

Als Mitglied der Generalleitung unserer Gemeinschaft freue ich mich über eine Perspektiven-Erweiterung und stelle fest: „es gibt nichts, was es nicht gibt!“ Auch das tut manchmal weh, erfüllt aber andererseits auch mit Gelassenheit. Die Kirche und in ihr auch unsere Gemeinschaft sind Gottes Werk, wir sind Mitarbeitende...

Dienstag, 15. Juni 2021

Fahnen

Mehrmals in den letzten Wochen ging es um die Auswirkungen von Stoff – in Form einer bestimmten Fahne oder Flagge. Interessant, wie bedeutsam ein Stück Stoff sein kann in unserer ach so aufgeklärten Welt. Soll ich darüber spöttisch lächeln? Oder ist es ein Grund zur Freude, weil da vielleicht ein Anknüpfungspunkt besteht zu einer anderen Wirklichkeit, die hinter dem vordergründig Sichtbaren liegt?

Anfang Mai war es die Antifa-Flagge auf dem Seawatch-Schiff, welches zur Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer unterwegs ist. Unter anderem mit finanziert von der evangelischen Kirche in Deutschland. Bischof Bedford-Strohm meinte dann auch, er würde es ausdrücklich begrüßen, wenn die Flagge eingeholt würde. Andere äußerten sich ärgerlicher.

Zwei Wochen später war es die Fahne Israels auf dem österreichischen Bundeskanzleramt, welche einigen die Neutralität Österreichs zu verraten schien. Arabische Staaten äußerten sich fassungslos über die in ihren Augen eindeutige Parteinahme.

Wieder zwei Wochen später war es dann die Regenbogenfahne auf US-Botschaften in mehreren Ländern. Dieses Zeichen der Unterstützung von LGBTQI+ Menschen, gerade auch auf der US-Botschaft beim Vatikan, führte zu hitzigen Diskussionen. Zumal kurz nach dem Erscheinen einer vatikanischen Erklärung, welche sich gegen die Segnung homosexueller Paare ausspricht.

Vor dem Hintergrund dieser Fahnen und der durch sie ausgelösten Diskussionen scheint mir das von manchen belächelte bayrisch-österreichische Brauchtum durchaus „zeitgemäß“, wenn Fahnenabordnungen örtlicher Vereine bei Festgottesdiensten aufmarschieren und nacheinander die Fahne vor dem Altar in der Kirche schwenken. Irgendwie scheinen wir Menschen doch auf verschiedene Art und Weise Symbole zu brauchen. Bzw. auch beim aufgeklärten Menschen des 21. Jahrhunderts lösen sie etwas aus.

In der Salzburger Pfarre, in der ich drei Jahre lang Pfarrer sein durfte, hatten wir eine Figur des auferstandenen Christus, welche in der Osterzeit vor den Altar gestellt wurde. Der schönen, aus Holz geschnitzten, Figur fehlte allerdings etwas: die Siegesfahne. Es war offensichtlich, dass es eine solche einmal gegeben hatte, aber sie schien im Lauf der Jahre abhanden gekommen zu sein. Nachdem ich in meiner Kufsteiner Zeit einen Schreiner kennen gelernt hatte, der sich auch aufs Schnitzen verstand, bat ich diesen, ob er nicht für unsere Figur des Auferstandenen eine neue Fahne schnitzen könnte. Josef erklärte sich bereit dazu und bat mich um die Maße der Figur. Als die Fahne fertig war, freute ich mich und erschrak gleichzeitig ein wenig: sie ist in sich gelungen, im Verhältnis zur Figur schien sie mir aber etwas groß geraten. Auf jeden Fall hatte der Auferstandene jetzt wieder die Fahne als Zeichen seines Sieges über den Tod in der Hand. Und ich erinnere mich an Kirchenführungen mit Erstkommunionkindern in dieser Zeit, bei welchen ich auf dieses Detail zu sprechen kam. „Was fällt Euch auf bei dieser Figur?“ „Die Fahne“. „Wo seht Ihr denn sonst Fahnen?“ Manchmal half ich ein wenig nach... „Wenn beim Autorennen Ferrari gewonnen hat, dann hängen Fans die Fahne aus dem Fenster. Oder wenn ein bestimmter Fußball-Club gesiegt hat, auch dann sind die Fahnen an Autos, an Fahnenmasten in Schrebergärten und an Häusern zu sehen“. Die Freude über den Sieg will sich Ausdruck verschaffen, so wie bei der Fahne des Auferstandenen...

Und ich schließe mit einer „Fahnen-Geschichte“, die mir unvergesslich bleibt. Ende der 90er-Jahre begleitete ich ein paar Mal Gruppen von Buben bei geistlichen Ferienwochen in unserem Missionshaus in Schellenberg im Fürstentum Liechtenstein. Wenigstens einmal half mir dabei als weiterer Begleiter Benjamin, ein junger Mann, den ich während einer Gemeindemission in Dortmund kennen gelernt hatte.

Und im Haus unterstützte uns nach Kräften P. Anton, der damalige Pfarrer und frühere Generalobere unserer Gemeinschaft. Der auch Freude am Leben im Haus zu haben schien.

Auf vielfältige Weise half P. Anton, dass wir uns wirklich zu Hause fühlten. Ein Detail, welches mir in Erinnerung blieb. Benjamin, mein Helfer – heute würde man vielleicht Teamer sagen – sammelte Fahnen, Länderflaggen. Und er sagte mir, wie gerne er eine Liechtensteiner Fahne hätte. Als ich

P. Anton davon erzählte, machte der sich auf den Weg und besorgte eine, große, für den – überglücklichen – Benjamin.

Montag, 31. Mai 2021

Heilige in Rom (2)

 Durch unsere Kontakte und Zusammenarbeit mit den Anbeterinnen des Blutes Christi, dem „weiblichen Zweig“ unserer Ordensfamilie, war ich inzwischen einige Male zu Besuch im Generalat der Schwestern, das baulich mit einer Kirche verbunden ist, in welcher die hl. Maria De Mattias, die Gründerin der Schwesterngemeinschaft begraben liegt. Bei ihrer Heiligsprechung in Rom im Jahr 2003 war ich dabei. An ihrem Grab denke ich an viele Schwestern aus dieser Gemeinschaft, die ich kenne oder kannte und bete für sie.

Und einen letzten Ort möchte ich erwähnen, zu dem ich manchmal spaziere: die Basilika St. Paul vor den Mauern. Ich erinnere mich an meinen ersten Besuch dort als Schüler, der dabei war eine „Facharbeit“ in Latein zu schreiben, Titel: „Die Missionsreisen des Apostels Paulus unter dem Gesichtspunkt seiner römischen Staatsbürgerschaft“. Und dann die große Paulus-Statue vor der Kirche: „Doctori gentium – praedicatori veritatis“ - „dem Lehrer der Völker – dem Prediger der Wahrheit“, da hatte der Latein-Unterricht doch zu einer praktischen Anwendung geführt. Aufgrund von Corona kam es ein, zwei Mal vor, dass ich wohl der einzige oder einer von zwei Besuchern in der riesig großen Kirche war. Was einerseits fast unheimlich ist, andererseits aber sehr ungestört beten lässt, etwa bei den Ketten, die dort gezeigt werden, mit denen Paulus der Legende nach während seiner römischen Gefangenschaft angekettet gewesen sein soll...

In einer Seitenkapelle der Kirche gibt es ein besonderes Kreuz, welches einen verheerenden Brand – nicht ganz unbeschadet – überstanden hat. Vor ihm hat nicht nur Birgitta von Schweden gebetet (und eine Vision gehabt?), sondern auch Ignatius von Loyola und seine Gefährten. Die letzteren haben übrigens in dieser Kirche ihre Ordensgelübde abgelegt.

Neulich hatte ich „dienstlich“ im Vatikan zu tun, zuerst bei der Kleruskongregation und dann bei derjenigen für die Ordensleute. Und ehrlich gesagt mutet mich das manchmal auch etwas komisch an, so ein eigener Flair von „frommer Behörde“. Weil ich jedoch auf den zuständigen Monsignore warten musste, nahm ich eines der im „Wartezimmer“ bereit liegenden Bücher zur Hand: eine Beschreibung des Lebens von Märtyrern der Ukrainisch Griechisch-Katholischen Kirche – das Buch half mir aus meinen skeptischen Gedanken heraus. Weil ich früh dran war, hatte ich vor dem „Dienstlichen“ schon einen Besuch in der Kirche der Karmeliten in der Via della Conciliacione gemacht, S. Maria in Traspontina. Ich glaube, dort war ich früher nie, weil ich einfach immer zielstrebig auf den Petersdom zu bin. Beim Hineingehen fiel mir das Bild von Titus Brandsma auf, ein niederländischer Karmelit, der im KZ Dachau starb und selig gesprochen wurde.

Immer wieder sind es diese „Begegnungen“, die den Blick weiten, die eine Ahnung eröffnen von dem, worum es bzw. um wen es letztlich geht.

Deswegen ist für mich ein ganz besonderer Ort auch die Kirche St. Bartholomäus auf der Tiberinsel, welche den Märtyrern des 20. Jahrhunderts gewidmet ist. Verschiedene Bereiche der Kirche, Seitenkapellen, sind verschiedenen Gruppen von Märtyrern gewidmet, etwa denen des Kommunismus oder denen des Nationalsozialismus. Und es finden sich persönliche Gegenstände dieser Gestalten. Ein Ehrfurcht gebietender und inspirierender Ort.

Zwischendurch gibt es dann besondere Entdeckungen. Weil ich auf einem dienstlichen Weg in die Nähe von Raffael kam, einem spanischen Freund, den ich schon lange kenne, rief ich ihn an und er lud mich sofort ein: „komm doch vorbei!“ Bei Raffael, dem spanischen Trinitarier, war gerade auch noch Jorge, ein mexikanischer Josefsmissionar zu Gast. Und nachdem wir miteinander einen Kaffee getrunken hatten, gab uns Raffael eine Kirchen- und Klosterführung. Beides ist ein Werk des berühmten Borromini, Zeitgenosse und Konkurrent von Bernini. Und in der Kirche befindet sich das Grab von Elisabetta Canori Mora, einer selig gesprochenen Ehefrau und Mutter, die schier Unmögliches ertragen hat. Von ihr hatte ich vorher noch nie etwas gehört – jetzt kommt sie mir öfter in den Sinn...

Samstag, 15. Mai 2021

Heilige in Rom (1)

Zugegeben: meistens gehe ich stadtauswärts spazieren – ins Grüne. Das Valle della Caffarella ist ein großer Park und lässt mich Natur genießen. Weniger oft gehe ich in die Stadt hinein. Wenn aber, dann besuche ich gerne die ein oder andere Kirche, in Rom soll es an die 1000 (!) davon geben. Und in vielen davon finden sich die sterblichen Überreste von Heiligen.

Am 16. April ist der Gedenktag des hl. Benedikt Labre. Von ihm habe ich zum ersten Mal während meines Studiums gehört, als ich in München bei der Bahnhofsmission ein Praktikum machte. Eine der Obdachloseneinrichtungen, die ich dabei kennen lernte, heißt „Benedikt-Labre-Haus“. Auch Benedikt Labre war ein Obdachloser, ein Pilger durch Europa und die letzten Jahre seines Lebens in Rom. Hier starb er und ist beerdigt in Santa Maria ai Monti, wo er oft gebetet hatte. Als ich das jetzt las, fiel mir auf, dass ich wohl einmal in dieser Kirche gewesen war, ohne um das Grab des Heiligen zu wissen. Also ein anderes Mal...

Dagegen bin ich am Festtag des hl. Laurentius (10. August) des vergangenen Jahres zu dessen Grab gepilgert. Eher modern: mit der Straßenbahn. Meine erste Straßenbahnfahrt in Rom. In der berühmten Kirche S. Lorenzo fuori le mura ist auch der heilige Papst Pius IX. beerdigt, was ich erst nachher erfuhr. Der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolff hat im vergangenen Jahr eine Biographie über ihn vorgelegt, Titel: „Der Unfehlbare“. Bei aller Kritik an ihm: er war ein Freund und Förderer der Missionare vom Kostbaren Blut. „Freunderlwirtschaft?“ Ich weiß und hoffe es nicht! Im November waren wir gemeinsam noch einmal in der Gegend, nicht in der Kirche, sondern auf dem Campo Verano, Roms größtem Friedhof, dessen Haupteingang direkt neben S. Lorenzo liegt.

Mehreren verstorbenen Päpsten lässt sich natürlich in St. Peter begegnen. An dieser Stelle war ich schon gerne, bevor ich mich zu den Einwohnern Roms zählen konnte. Und das ist natürlich etwas Besonderes jetzt, den Petersdom in einer knappen Stunde zu Fuß erreichen zu können. Mancher Papst ist dort auch nach seinem Tod noch einmal „umgezogen“. Während man zu den Gräbern der meisten Gräber hinab steigen muss, befinden sich einige auch ebenerdig. Johannes Paul II. etwa hat seinen Platz in einer Seitenkapelle des Petersdoms gefunden – und im Normalfall ist dort immer jemand am beten. Auch in Corona-Zeiten. Ich selbst bleibe gerne auch noch einen Moment bei Johannes XXIII. stehen. Keine Frage, dass es immer etwas Besonderes ist, in der Nähe des Petrusgrabes zu sein. Und ich freue mich auch darauf, wieder in die Krypta des Petersdoms hinunter gehen und beim Grab Paul VI. beten zu können. Wegen Corona geht das momentan nicht.

Von Madeleine Delbrel, einer „modernen Heiligen“ (ihr Seligsprechungsprozess ist eröffnet) wird übrigens berichtet, dass sie einmal eine „Blitzreise“ von Paris nach Rom unternahm. Nachdem sie die Nacht durch im Petersdom gebetet hatte, kehrte sie am nächsten Tag wieder zurück...

Ganz in Nähe des Trevi-Brunnens, den wohl fast alle Rom-Touristen besuchen, befindet sich in einer kleinen Kirche das Grab des hl. Kaspar del Bufalo. Er hat die Gemeinschaft gegründet, zu der ich gehöre und für die ich arbeite. Und ich freue mich, in „seiner Stadt“ und in „seiner Nähe“ zu leben. Den Besuch bei ihm kann ich mit einem Besuch bei meinem Namenspatron verbinden. In S. Ignazio liegt Aloisius von Gonzaga begraben. In derselben Kirche ihm „gegenüber“ Johannes Berchmans, zwei jung gestorbene Heilige aus dem Jesuitenorden. Und weil ich bei diesem angelangt bin: so wie der hl. Kaspar bereits als Kind von seiner Mutter zum Grab des hl. Franz Xaver getragen wurde und wie der Junge und der Erwachsene später gerne dorthin ging, so ist das – gerade deswegen – auch für mich ein besonderer Ort. Und keine Frage, dass ich in der Kirche Il Gesù dann auch den Gründer des Jesuitenordens besuche, den hl. Ignatius von Loyola. Dort denke ich an Jesuiten, die ich kennen und von denen ich lernen durfte. Für diese ist es übrigens ein besonderes Jahr: sie erinnern an die Bekehrung des hl. Ignatius vor genau 500 Jahren. Ausgelöst durch eine Kanonenkugel, die ihm das Bein zerschmetterte und ihn so auf das Krankenlager warf.

Heute (15. Mai 2021) findet übrigens in der römischen Lateranbasilika wieder eine Seligsprechung statt: Franziskus Jordan, der Gründer der Salvatorianer, ein Deutscher, sein Grab ist ebenfalls in Rom, wird heute selig gesprochen und Menschen in aller Welt freuen sich und feiern mit.



Freitag, 30. April 2021

Übersetzen

In unserer kleinen Dreier-Hausgemeinschaft ist Juan der Technik-Freak. Wobei er viel Geduld und Verständnis für Menschen hat, die technisch nicht „so fit“ sind. Ja, er hilft wo er kann.

Neulich beim Frühstück führte er mir seine „Übersetzungs-App“ vor. Schon beeindruckend. Er richtet das Handy auf die Milchtüte, die auf dem Tisch steht. Auf der ist fett aufgedruckt: „Consilia“ Eine Zeile darunter: „Latte“ und wieder eine Zeile darunter: „100% italiano“. Und schwupp-di-wupp sehe ich auf dem Handy-Display: „Rat“, darunter „Milch“, darunter „100% italienisch“. Gut, dafür hätte man jetzt wohl nicht unbedingt eine Übersetzungs-App gebraucht. Und man könnte sogar darüber streiten, ob die Übersetzung von „consilia“ stimmt. „Rat“ heißt eigentlich „consiglio“. „Consilia“ ist die Eigenmarke unseres Supermarktes „Castoro“, was übersetzt übrigens „Biber“ heißt. Aber die Sache funktioniert halt sonst auch. Als ich Juan fragte, ob er das denn schon eingesetzt habe, zögert er zunächst. Aber dann erinnert er sich an unsere vergangene Generalversammlung in Polen, wo er sich wohl die ein oder andere Aufschrift dank technischer Hilfe erschließen konnte. Und das Ganze funktioniert nicht nur mit Bild, sondern auch mit Ton. So erklärte Juan einem australischen Gast mit spärlichen Italienisch-Kenntnissen, wie er mit Hilfe seiner Handy-App die Predigt verstehen könne.

Mir fiel das erwähnte Frühstück wieder ein, als ich den Artikel eines Millennials „Das Sakrament des bronzenen Huthakens“ las. Millennials sind Menschen, die um die Jahrtausendwende „groß“ geworden sind, also so in den 80er-Jahren geboren wurden. Das sind zum großen Teil Menschen, die schon aufgrund ihres Alters ähnliche Technik-Fähigkeiten wie Juan haben, der altersmäßig nicht mehr zu den Millennials gehört. Der besagte Millennial, Matthias Alexander Schmidt, Chefredakteur von kath.de, beschreibt seine Gottesdienst-Erfahrungen, bzw. -empfindungen. Klar treffen da Welten aufeinander. Es hilft, mir dessen bewusst zu werden. Wobei die Frage bleibt, ob Gottesdienst nicht in gewisser Weise auch „anders“ sein darf, bzw. sein muss, angesichts der Verschiedenartigkeit der Teilnehmenden. Wenn es die denn so überhaupt noch gibt. Gut auf jeden Fall, auch Millennials im Blick zu haben, die den „bronzenen Huthaken“ an der Kirchenbank nicht brauchen, weil sie im Normalfall solch eine Kopfbedeckung nicht tragen, sondern sich höchstens über die Höhe dieses Kleiderhakens an der Kirchenbank wundern. Ich muss schmunzeln, weil ich in meiner Zeit als Pfarrer einem Mann, der sich praktisch in der Pfarrei einbringen wollte, vorgeschlagen habe, besagte Haken bei den Kirchenbänken festzuschrauben, bzw. verloren gegangene zu ersetzen, was er dann auch gemacht hat.

Aber die tolle Übersetzungs-App brachte mich noch auf einen anderen Gedanken. Bezüglich der Art und Weise, wie ich die Wirklichkeit wahrnehme. Kann ich nicht auch so eine Art Handy drauf halten, um eine Übersetzung geliefert zu bekommen? Bzw. habe ich vielleicht eine Art Filter eingebaut, den ich aktivieren kann? Damit ich nicht nur die „schnöde Wirklichkeit“ sehe, sondern sie auf eine andere Weise verstehe, bzw. womöglich überhaupt erst verstehe.

Es gibt die Geschichte von dem Esel, der das (alte) Heu nicht fressen wollte. Als ihm der Bauer eine Brille mit grünen Gläsern aufsetzte, hat der Esel zu fressen angefangen. Abgesehen davon, dass ich mich nicht mit Eselhaltern anlegen möchte, wenn ich mich scheinbar über die Intelligenz dieser Tiere lustig mache... Abgesehen davon geht es mir nicht darum, schlicht eine rosa Brille aufzusetzen. Nein, nicht Selbsttäuschung, Banalisierung, sondern hinter die Kulissen schauen, das ist mein Anliegen.

So wie Christen auf das Hinrichtungs-Instrument Kreuz schauen, weil sie daran glauben, dass derjenige, der elend daran gestorben ist, nicht im Tod blieb, sondern auferstand. Und wie deswegen Leid und Schmerzen im eigenen Leben einen (anderen) Sinn bekommen. Nicht unbedingt als „Durchgangsphase“, das könnte ein billiger, gefährlicher Trost sein. Nein, als Ort der Begegnung mit einem, der Schlimmes, Tödliches durchgemacht hat....

Donnerstag, 15. April 2021

Verschwendung

Wahrscheinlich weil ich regelmäßig morgens im Garten unterwegs bin, fallen mir dabei immer wieder neue Dinge auf. Nach den blühenden Obstbäumen sind es jetzt andere Blüten. Voller Staunen stehe ich vor einem Strauch und vor anderem, was sich an einem Klettergerüst hochrankt: welche Fülle! Üppig... Das sind ja nicht nur einfach einzelne Blüten, sondern ganz, ganz viele kleine Blütenblätter. Unzählbar viele. Welch ein Reichtum, welch eine – ja – Verschwendung. Übermaß!

Jetzt könnte ich dazu noch die Pinienzapfen nehmen, die mich schon seit Jahren beeindrucken. Immer wieder lässt eine Pinie „achtlos“ einen solchen Zapfen fallen und er liegt dann – wie Abfall – im Garten oder auf der Straße. Aus wie vielen Schuppen ist solch ein Zapfen zusammen gesetzt.

Wenn ich neben der Flora auf die Fauna schaue: wir haben eine sehr große Papageienpopulation im Garten. Momentan sind sie wohl am Nestbau. Die Nester sind keine besonderen Kunstwerke, andere Vögel machen das schöner. Aber wie viel Material tragen diese Vögel zusammen, damit solch ein Nest entsteht. Immer wieder einmal sehe ich einen Vogel mit einem kleinen Halm im Schnabel durch die Luft sausen. Natürlich ist auch das Federkleid eines solchen Tieres ein Wunder: wie viele Federn sind da kunstvoll zusammen und übereinander gesetzt...

Mit Blick auf die Menschen (und die Liturgie der vergangenen Wochen im Hinterkopf): ich habe den Eindruck, dass es eher die Frauen sind, die so „verschwenderisch“ geben, lieben. Ich möchte keine Klischees bedienen und bin ja ganz unsicher, ob ich das überhaupt so behaupten darf. Da ist zum Beispiel die Frau, die Jesus die Füße salbt (vgl. Joh 12,1-8): 300 Gramm kostbares Nardenöl – ein Vermögen. Zum Füße salben! In der Schilderung des Evangelisten Markus wird sogar das Alabastergefäß zerbrochen, in dem das Öl ist... Und der Ein-, Widerspruch aus der Männerwelt lässt nicht auf sich warten: wie viele Arme hätte man unterstützen können, wenn man dieses teure Öl verkauft hätte? (vgl. Joh 12,5). Immer neu beim Kreuzweg bewegt mich Veronika. Bei der fünften Station ist es Simon von Cyrene, der Jesus das Kreuz tragen hilft: der Mann packt zu und unterstützt dadurch. Veronika – sechste Station – wischt das blut- und schweißverschmierte Gesicht Jesu ab. Hat wahrscheinlich wenig Sinn: Jesus wird weiter schwitzen und bluten. Aber wie sehr mag ihm diese Geste auf seinem Weg zur Hinrichtung geholfen haben. Verschwenderische Liebe.

Jesus selbst liebt ebenso. Ich denke an die Brotvermehrung(en). Da wird nicht nur jeder satt, es bleiben zwölf Körbe Brot übrig (vgl. Joh 6,12) – Überfluss! Da wird etwas vom Himmel erfahrbar, vom himmlischen Gastmahl, wie es etwa beim Propheten Jesaja (25,6) angedeutet ist: Fülle! Da wird nicht geknausert... Apropos: auch bei der Hochzeit in Kana war Jesus nicht kleinlich: 600 Liter Wein dürften eine Weile gereicht haben.

Mittwoch, 31. März 2021

Heilige Stiege(n)

Die „Heilige Stiege“ geht mir noch nach. „Stiege“ bringe ich in Verbindung mit Wien – dort ist sie teilweise Bestandteil der Adresse, z.B. „1070 Wien, Kaiserstraße 53, Stiege 2, Tür 19“ (Wikipedia-Beispiel). Und es gibt berühmte Stiegen in Wien. Ob es da auch „Heilige Stiegen“ gibt? Heilige Stiegen nach dem Vorbild der römischen gibt es etwa in Bonn oder Bad Tölz. Aber gibt es nicht noch viel mehr „heilige Stiegen?“ Wenn ich im Folgenden anhand meiner Biographie ein paar davon aufzähle, dann will das vor allem eine Einladung an Dich/Sie sein, die Stiegen des eigenen Lebens zu erinnern, bzw. die aktuellen Stiegen bewusst(er) hinauf und hinab zu gehen.

Eine erste „heilige Stiege“ für mich war vielleicht diejenige in einem Haus der Löwenstraße in Lindenberg. Dort wohnte Ida Karg, im ersten Stock. Ida saß im Rollstuhl. Als Jugendlicher holte ich sie oft zur Feier der heiligen Messe ab und dazu musste Ida im Rollstuhl die Treppe hinab bzw. nach der Messe wieder hinauf.

In diese Zeit fällt auch die Begegnung mit der Wendeltreppe aus Metall, die in unserem Missionshaus in Schellenberg vom ersten Stock in die Mansarde führt, wo die Matratzenlager sind. Durch viele Exerzitien und Treffen für Jungen wurde dieser Ort für mich zu einem besonderen. Leider war die Schallisolierung der Treppe nicht gut gelungen. Wenn eine Horde von 15 bis 20 Jungen die Treppe hinauf oder hinunter stürmte, dann war das im ganzen Haus zu hören. Ältere Mitbrüder im Haus beschwerten sich diesbezüglich manchmal – aber richtig böse wurden sie nicht.

„Heilige Stiegen“ sind für mich auch diejenigen im Kufsteiner Krankenhaus und im Salzburger Unfallkrankenhaus geworden. In beiden war ich hin und wieder als Seelsorger im Einsatz. Meistens fuhr ich mit dem Auto zum Krankenhaus, vermied aber dort dann den Lift und nahm die Treppe. Ein Erlebnis im Kufsteiner Krankenhaus bleibt mir in Erinnerung: ich war auf der Intensivstation, um einem Patienten die Krankensalbung zu spenden. Noch mit den Eindrücken dieser Feier im Kopf ging ich die Treppe hinunter und kam an der Entbindungsstation vorbei. Mit Window-Colours war dort ein Storch mit einem Baby in bunten Farben und auch „Entbindungsstation“ stand mit verschiedenfarbigen Buchstaben dort. Lebensbeginn und – ende ganz nah beieinander, ein paar Treppenstufen voneinander getrennt. Unser Leben eine Treppe, die wir hinauf (oder hinunter) gehen?

Zu den beiden Städten fallen mir noch andere Stiegen ein. Wenn ich mit Besuchern durch Salzburg ging, dann habe ich ihnen außer dem Mirabellgarten auch die Raphael-Donner-Stiege im Rathaus gezeigt, auf welcher Brautpaare aus aller Welt hinauf zu einem der berühmtesten Standesämter bzw. Trauungsräume der Welt gehen. In Kufstein dagegen erinnere ich mich an die Steinerne Stiege zum Hintersteiner See und auch an die Stufen auf dem Weg ins Kaisertal – wahrhaft „heilige Stiegen“ in der Begegnung mit der Schöpfung. Nicht weit von Kufstein entfernt gibt es eine weitere erwähnenswerte Stiege: im Schlossturm von Mariastein. Auch dort haben schon viele Paare geheiratet und die vielen Stufen zur Schlosskapelle erklommen. Bei der Goldenen Hochzeit schafft nicht mehr jedes Paar die 142 Treppenstufen hinauf zur Kapelle im Turm.

Aber gehört nicht auch die Treppe in dem Haus, in dem ich die ersten Jahre meines Lebens verbracht habe, zu den „Heiligen Stiegen“? Nicht weil ich da hinauf und hinunter bin. Viele Menschen haben die Stufen betreten. Das Treppengeländer wackelt an der ein oder anderen Stelle inzwischen etwas. Die verschiedenen Mietparteien im Haus wechseln sich mit dem Putzen der Treppe ab, was mehr oder weniger gut funktioniert. Wie oft hat meine Mutter die Stufen gewischt und tut es bis heute60 Jahre lang, fast schon ! „Heilige Stiege“...

Wo ist Deine heilige Stiege?

Vielleicht ergeht es uns ja wie Jakob, der eine Treppe bzw. Leiter im Traum sah und beim Aufwachen feststellte: „Wirklich, der HERR ist an diesem Ort und ich wusste es nicht.“ (.Gen 28,16).

Montag, 15. März 2021

Scala Santa

Vergangenen Freitag: nachmittags steht ein Webinar im Kalender („Schutz Minderjähriger“), veranstaltet von UISG und USG, den beiden Vereinigungen der Generaloberinnen und der Generaloberen der Ordensgemeinschaften. Also gehe ich gleich nach dem Frühstück los, um zu etwas Bewegung an der – mehr oder weniger frischen – Luft zu kommen. Im Valle della Caffarella war ich erst, also entscheide ich mich für den Weg zum Lateran. Dort angekommen, sehe ich, dass das Zelt am Eingang (für Temperaturmessung und Metalldetektor) noch zu ist, die Absperrgitter sind geschlossen. Aha: die öffnen erst später.

Auf der anderen Straßenseite hingegen sehe ich die Türen offen, bei der Scala Santa, der Heiligen Stiege. Es sind Jahrzehnte her, dass ich dort war. Soll ich? Also überquere ich die Straße, nachdem das Auto vorbei ist, das noch durchfuhr, obwohl die Fußgängerampel bereits „Grün“ gezeigt hat.

Ein wenig neugierig gehe ich durch die offene Tür. Und sofort kommt die geschäftstüchtige und wenig beschäftigte (Corona!) Eintrittskartenverkäuferin auf mich zu und fragt mich, ob ich die Heilige Stiege zu Fuß oder kniend hinauf möchte. Einen kurzen Moment überlege ich: ich habe es als eine ziemliche Tortur in Erinnerung, als ich damals kniend hinauf bin. Und inzwischen bin ich ein paar Jahr(zehnt)e älter. Andererseits: heute ist Freitag, wir stehen in der österlichen Bußzeit, ein wenig Buße kann nicht schaden. Also antworte ich: „kniend“. Und ob ich nicht noch die Kapelle „Sancta Sanctorum“ sehen möchte, sie wolle gerade aufsperren, sagt die junge Frau. Außerdem stehen ohnehin noch ein paar Leute unten an der Treppe, so dass die Wartezeit sinnvoll genutzt wäre. Ich lasse mich überreden, bezahle € 3,50 Eintritt und gehe (zu Fuß!) die Steinstufen der rechten Treppe hinauf in die alte Papstkapelle, im Mittelalter als „heiligster Ort Roms“ bezeichnet.

„Non est in toto sanctior orbe locus“ - es gibt keinen heiligeren Ort auf der Welt – steht sogar über dem Altar. Eine Weile bleibe ich an diesem besonderen Ort und schaue und betrachte. Danach gehe ich die linke Steintreppe wieder hinunter. Ob die „Verkehrsregelung“ wegen Covid eingeführt wurde oder auch schon vorher zum Lenken der Besucherströme nötig war? Ich weiß es nicht.

Unten angekommen kann ich mich jetzt also an die Bußübung machen. Tatsächlich muss ich jetzt nicht warten, es sind lediglich einige Menschen auf der mittleren Treppe vor mir. Bei dieser sind die Steinstufen (insgesamt 28 – habe ich nicht gezählt, sondern hinterher gelesen!) mit Holz bedeckt.

Ich ziehe die Plastikhandschuhe aus der Jackentasche, die ich zu Beginn am Eintrittskartenstand mit genommen habe. Die Stufen sind so breit, dass sich beim Hinauf-Knien der Hand-Einsatz nahe legt. Man rutscht jeweils ein Stück auf der Stufe nach vorn, bevor man zur nächsten hinauf kniet. Ich kann mich erinnern, einmal gehört zu haben, dass die Heilige Stiege auch ein beliebter Ort für Taschendiebe sei. Die Armen! Bei den jetzigen Abstandsregelungen müssen sie sich schwer tun, an die Taschen von Vorderfrau oder – mann zu kommen.

Eine Frau und ein Mann sind vor mir. Die Frau ist langsam. Bleibt lange auf jeder Stufe knien und beugt sich zwischendurch nach unten, um bestimmte Stellen zu küssen. Dort sind kleine, mit Glas bedeckte, „Gucklöcher“, um den Stein unter der Holzabdeckung zu sehen. Ich will nicht hetzen, aber die Frau ist mir zu langsam, die muss ich überholen. Was mir gelingt, wobei in diesem Moment der Mindestabstand nicht eingehalten werden kann. Auch der Mann lässt sich Zeit, aber ich finde, er hat einen guten Rhythmus. Dem passe ich mich an. So bete ich auf jeder Stufe ein wenig. Bei der Hälfte angekommen, nehme ich dafür auf jeder Stufe eine Station des Kreuzwegs. Zwischendurch höre ich das Geräusch der anderen, die inzwischen hinter mir auf Knien unterwegs sind. Und ich denke mir: selbst wenn die Überlieferung nicht stimmen sollte, dass die Kaiserin Helena diese Treppe aus dem Jerusalemer Prätorium des Pilatus nach Rom gebracht hat, das macht ja die Heiligkeit der Stiege aus, dass Jesus im Verlauf seines Prozesses mehrmals die Stufen der Stiege hinauf und hinunter gegangen ist, selbst wenn also die Überlieferung nicht stimmen sollte: die Stiege ist bestimmt „heilig“ aufgrund der vielen Gebete, die von hier aus schon zum Himmel aufgestiegen sind. Und ich weiß mich verbunden mit all den vielen Menschen aus aller Welt, die hier schon betend hinauf gekniet sind und die das nach mir tun werden.

Auf der letzten Stufe angekommen, erhebe ich mich und spüre, dass ich keine schmerzenden Knie habe. Komisch! Ich habe das doch anders in Erinnerung, wie war das denn damals? Kann es sein, dass zu „normalen Zeiten“ (ohne Pandemie) der Andrang damals so groß war, dass wir seinerzeit relativ schnell die Treppe hinauf mussten, fast geschoben von denen hinter uns? Ich werfe die Plastikhandschuhe in den bereit stehenden Eimer und gehe dankbar die linke Treppe wieder nach unten.

Sonntag, 28. Februar 2021

Fasten und Freiheit

„Da kamen die Jünger des Johannes zu ihm und sagten: Warum fasten deine Jünger nicht, während wir und die Pharisäer fasten? Jesus antwortete ihnen: Können denn die Hochzeitsgäste trauern, solange der Bräutigam bei ihnen ist? Es werden aber Tage kommen, da wird ihnen der Bräutigam weggenommen sein; dann werden sie fasten.“ (Mt 9,14f.) Als wir am Freitag nach dem Aschermittwoch dieses Geschichte aus dem Evangelium hörten, fiel mir eine andere Geschichte wieder ein.

Vor einigen Jahren feierten wir den 77. Geburtstag von P. Bruno. Er fiel in besagtem Jahr auf den Karfreitag. Scherzhaft sagte ich: „77 ist eine Schnapszahl. Wir müssten eigentlich einen Schnaps auf Deinen Geburtstag trinken!“ Wobei ich nicht im Ernst daran gedacht hätte, das dann auch zu tun! Aber siehe da: kaum hatte ich es ausgesprochen, ging P. Hermann – ausgerechnet Hermann! - zum Schrank und holte eine Flasche Hochprozentigen heraus – und wir stießen an. Hoffentlich stößt sich jetzt kein frommer Mensch daran. Ich selbst wollte ja zunächst auch nicht glauben, was da geschah: Schnaps am strengen „Fast- und Abstinenztag“. Aber dann staunte und freute ich mich über die Freiheit meiner Mitbrüder, einfach beeindruckend. Freiheit! Um die geht es...

Noch weiter zurück liegt die Geschichte mit Alfred, einem wunderbaren Menschen in der Pfarrei, in der ich als Kaplan gearbeitet habe. Völlig zerknirscht kam er an einem Karfreitag-Abend zu mir und sagte: „stell Dir vor, was mir passiert ist. Ich war mit Sabine (seine kleine Tochter) in der Stadt und habe ihr eine Leberkässemmel gekauft! Ich hatte total vergessen, dass Karfreitag ist“. In Österreich sind die Geschäfte geöffnet, also konnte dieser Vorfall sich ereignen. Einigermaßen gelang es mir, Alfred zu beruhigen.

Fasten und Freiheit. Fasten will nicht Freiheit einschränken, sondern (neu) möglich machen.

Unvergessen bleibt für mich, wie der 2011 verstorbene Elmar Gruber, Priester und Schriftsteller, erzählte, was er wiederholt jungen Eltern empfohlen hatte. Er arbeitete im Fachbereich Religionspädagogik der Erzdiözese München, hielt unter anderem Fortbildungen für Erzieherinnen. „Gehen Sie“, so Gruber zu den jungen Eltern, „gehen Sie mit ihrem Kind in den Supermarkt, ohne etwas einzukaufen!“ Wahrscheinlich hat die eine oder der andere von Euch und Ihnen schon ein quengelndes Kind (und seine genervte Mutter/seinen genervten Vater) im Geschäft erlebt, das unbedingt dieses und jenes möchte. Irgendwo schreibt Gruber: „wohl dem Kind, dem nicht alle Wünsche sofort erfüllt werden!“. Freiheitstraining. Okay, vielleicht rümpft jetzt mancher auch die Nase! Man muss ja nicht extra in den Supermarkt gehen, um nichts zu kaufen, einverstanden.

Wie schrieb Dietrich Bonhoeffer – und das im Gefängnis: „Es gibt erfülltes Leben trotz unerfüllter Wünsche“.

Schon der alte Sokrates (oder war es Aristoteles?) soll beim Schlendern über den Markt gestaunt und gesagt haben: „was gibt es nicht alles, das ich nicht brauche!“

Ich schreibe diese Zeilen am Ende meiner diesjährigen Fastenwoche, langjährige Blog-Leser/innen kennen das ja schon. Fasten nach Mayr, mit Milch und Semmeln. Lustig waren die sich abwechselnden Reaktionen meiner Mitbrüder. Zuerst waren sie besorgt um mich und es beruhigte sie eigentlich vor allem meine Bestätigung, dass ich eine derartige Fastenwoche schon öfter praktiziert habe. Sie ließen mir auch einen gewissen Freiraum. Der Bitte des einen, ihn beim wöchentlichen Einkauf zu vertreten, konnte ich am Mittwoch schon gut nachkommen, da war der schwierige Anfang (Kopfschmerzen am ersten Tag) hinter mir. So fuhr ich mit Sr. Malwina zum Einkaufen und wir beluden zwei große Einkaufswagen mit Lebensmitteln... Gegen Ende der Woche wurde aus der anfänglichen Sorge meiner Mitbrüder fast so etwas wie Staunen oder Anerkennung. Und ich merke, dass sie das Fastenerlebnis wohl in Zukunft mir mir verbinden werden. Auch wichtig! Oft einmal achte ich sehr auf das Gemeinsame und passe mich an. Hin und wieder fördert jedoch gerade das Betonen des Eigenen die Gemeinschaft. Ein Lernprozess... Fasten und Freiheit!

Montag, 15. Februar 2021

Zum Mitlachen am Rosenmontag (und danach)...

Oh nein! Wenn der Tag (ein Tag im Januar) schon so anfängt...

Ich wohne zur Zeit nicht in meinem Zimmer im ersten Stock, da hat´s nämlich von oben getropft, also genauer im Badezimmer aus einem von oben kommenden Rohr. Als die Tropfen Spuren auf der Wand hinterließen, schien es Zeit für die Handwerker. Und die sind jetzt am arbeiten, im zweiten und im ersten Stock. Um ihnen und mir das Leben zu erleichtern, bin ich in ein Zimmer im Erdgeschoss umgezogen. Aber eben: auch dort hat das Bad eigene Tücken! Schon gleich zu Beginn bemerkte ich, dass die Tür des Spiegelschranks über dem Waschbecken sich nur schwer öffnen lässt. Und heute morgen: ich zog etwas fester und der ganze Spiegelschrank kam mir entgegen. Offensichtlich doch schon einigermaßen wach fing ich zwei Dinge auf, die aus der geöffneten Tür heraus mir entgegen fielen, eine Cremetube und eine Rolle Klopapier, um genau zu sein, und drückte gleichzeitig den Schrank gegen die Wand. Wow! Gar nicht schlecht für diese Morgenstunde. Aber was jetzt? Ich nehme den an zwei Haken (einer davon sitzt eben sehr locker!) aufgehängten Schrank von der Wand und stelle ihn aufs Fensterbrett. Nach dem Frühstück werde ich mich darum kümmern.

Nach diesem ersten morgendlichen Geschicklichkeits-Test begebe ich mich Richtung Kühlschrank, hole die Milch heraus und marschiere zum Esszimmer. Wie jeden Morgen will ich in der Mikrowelle eine Tasse Milch erhitzen, um diese dann über das Müsli zu gießen. Damit das bis nach der Messe „ziehen“ kann. Aber was ist heute los? Irgendwie schaffe ich es, die Tasse so zu halten, dass die sich öffnende Tür der Mikrowelle dagegen schlägt. Zwar halte ich die Tasse so, dass sie nicht herunter fällt. Aber die Hälfte der Milch schwappt eben doch heraus, in die Mikrowelle hinein und auf das Schränkchen darunter und den Fußboden. Oh nein! Also: Milch auffüllen und aufwischen, bevor die Aktion richtig starten kann.

Noch ein paar Hintergrund-Infos zu unserem Haus gefällig?

Es wurde vor ca. 70 Jahren gebaut und danach relativ wenig daran getan. Eigentlich müssten alle Wasserleitungen erneuert werden. Woran wir momentan denken, das ist das Austauschen der Fenster. Auch das eine größere Maßnahme, aber wir hoffen auf staatliche Zuschüsse („Öko-Bonus“). Unsere Fenster sind so dicht, dass sich bei geschlossenen Fenstern manchmal die Vorhänge bewegen, wenn draußen ein wenig der Wind weht. Und man spürt schon auch den Luftzug.

Dass ich unter den Heizkörper in meinem Arbeitszimmer einen kleinen Blumentopfunterteller stellen musste, weil es beim Ventil ein wenig tropft, das kenne ich hingegen schon aus Baumgärtle. Dort habe ich das auf Empfehlung des Installateurs getan, den ich auf das Problem aufmerksam machte.

Apropos Heizung: die fällt auch hin und wieder aus.

Auch an einem der Tage, die ich im Erdgeschosszimmer verbrachte. Ich suchte und fand eine zweite Decke für die Nacht und hoffte, dass am nächsten Morgen die Heizung wieder „anspringen“ würde. Dem war aber nicht so und so entschied ich mich, meine Meditation „aus Gesundheitsgründen“ im Bett liegend zu machen. Und stellte sicherheitshalber den Wecker eine halbe Stunde später. Eingeschlafen bin ich zwar nicht mehr, Meditation habe ich aber auch keine zustande gebracht.

Also aufgestanden und nach ein wenig Gymnastik ins Badezimmer – wo sich dann die anfangs geschilderten Erlebnisse ereigneten...

Mit welchem Bibelwort wollte ich diesen Monat noch einmal unterwegs sein: „Bleibt in meiner Liebe... (Joh 15,5) – okay, das passt. Auch wenn alles daneben geht! Was wird noch alles kommen heute?

 

Sonntag, 31. Januar 2021

Entdeckungen in einer Litanei

In unserer Gemeinschaft gibt es eine Reihe von Gebeten, die irgendwie „zu uns“ gehören. Ob sie dann auch von einzelnen oder von mehreren miteinander gebetet werden, das ist eine andere Frage.

Eines dieser Gebete ist die Kostbar-Blut-Litanei. Nicht erschrecken! „Litanei“ mag für manche/n zunächst negativ klingen, es hat mit Wiederholung zu tun und das kann oberflächlich betrachtet mit Langeweile einher gehen. Ein vielleicht der einen oder dem anderen bekanntes Beispiel ist die Allerheiligen-Litanei, die etwa in der Osternacht gebetet oder gesungen wird. Ich habe sie zuletzt bei einer Priesterweihe gesungen gehört und hatte tatsächlich den Eindruck, dass die Weihekandidaten etwas übertrieben haben mit der Anzahl der angerufenen Heiligen – es schien kein Ende zu nehmen.

Bei einer Litanei gibt es sich verändernde Anrufungen und eine gleich bleibende Antwort. Die heißt meistens „bitte für uns“. Eben: „heilige Maria“ oder „heiliger Josef“: bitte für uns. In der Kostbar-Blut-Litanei heißt die gleich bleibende Antwort: „rette uns“. Was einem angesichts einer weltweiten Pandemie ja durchaus über die Lippen kommen kann.

Wobei – und damit komme ich zum Bereich meiner Entdeckungen bezüglich der Kostbar-Blut-Litanei – das lateinische Original aussagekräftiger ist: „salva nos“ steht da für „rette uns“. Und „salva nos“ könnte auch mit „heile uns“ oder „mach uns gesund“ übersetzt werden. Im Italienischen steht „salvaci“. Und wo die deutsche Katholikin vor der Kommunion betet: „... dann wird meine Seele gesund“, betet der italienische Katholik: „... ed io sarò salvato“. Da ist es wieder, das salva-re.

Bei dem einen noch der alte deutsche Jesus-Name „Heil-and“ in den Sinn kommen könnte, oder auch der Name „Jesus“ (Gott schafft Heil) selbst.

Ich gebe zu, dass ich an sich nicht unbedingt eine Neigung zu Litaneien habe. Auf der anderen Seite reizt mich durchaus das Ausprobieren und Experimentieren. Also habe ich vor geraumer Zeit angefangen, die Kostbar-Blut-Litanei regelmäßig zu beten. Auf deutsch kann ich sie mittlerweile auswendig. In Italien wollte ich aber jetzt auch auf Italienisch beten.

In dem Gebetsheft der italienischen Mitbrüder fand ich die Litanei auf Lateinisch und Italienisch. (In unserem deutschen „Lob des Kostbaren Blutes“ steht nur die deutsche Version). Beim Beten und Vergleichen und dann Nachzählen fiel mir auf, dass es im Deutschen eine Anrufung mehr gibt als im Italienischen. „Blut Christi, Lebensquell der Jungfrauen – rette uns“ ist im Italienischen durch den Rost gefallen, das heißt beim Druck übersehen worden. Vielleicht hatte da ein Mitbruder irgendwelche Bedenken. Auch der ein oder andere deutsche Mitbruder weiß mit dieser Anrufung nicht unbedingt etwas anzufangen. Oder einfach Schlamperei? Sei´s drum. Es gibt ein Projekt, an unserem Gebetsschatz zu arbeiten, da können wir noch einmal darüber reden.

Der Sprachvergleich verhalf mir jedoch noch zu einer weiteren Entdeckung: wo wir im Deutschen beten: „Blut Christi – einzige Vergebung der Sünden, rette uns“, da steht im Italienischen: „sangue di Cristo, senza il quale non vi è perdono, salvaci“, was eine durchaus wörtlichere Übersetzung des Lateinischen: „sanguis Christi, sine quo non fit remissio, salva nos“ ist. Hier finde ich den Übersetzungsvergleich regelrecht spannend. „Remissio“ kann Verschiedenes bedeuten und wird wohl tatsächlich häufig mit „Sündenvergebung“ in Verbindung gebracht. Es kann aber auch schlicht „Nachsicht“ heißen. Das italienische „perdono“ dagegen würde ich zunächst einmal mit „Vergebung, Verzeihung“ übersetzen. Und das kann mit Sündenvergebung zu tun haben, ist aber zunächst ja noch einmal weiter. Das Wort „Sünde“ kommt im italienischen und lateinischen Text so nicht vor.

Stoße ich nicht als Mensch gerade dort an meine Grenzen, wo mir Unrecht widerfahren ist und ich mich mit der Vergebung schwer tue? Ich gebe zu: mir persönlich geht es so. Und da empfinde ich es als durchaus hilfreich, mit der Nase auf das „Blut Christi“ gestoßen zu werden und damit auf Jesu Lebensstil. Und da hilft mir zusätzlich das italienische „senza“ bzw. das lateinische „sine“ (auf deutsch: „ohne“), welches mir kräftiger vorkommt als das inhaltlich wohl richtig übersetzte: „einzige“ im Deutschen. „Ohne das Blut Jesu Christi“ tut sich nichts... Da bleibt meine Anstrengung und mein guter Wille oft vergeblich...

Freitag, 15. Januar 2021

Glaube, Kirche, Corona

Einigen Brautpaaren musste ich absagen, als sie mich vor einem Jahr oder noch davor fragten, ob ich sie trauen würde. Denn ich wusste, dass ich umziehen und nicht mal schnell für eine Trauung aus Rom nach Bayern reisen werde. Von wenigstens zwei dieser Paare weiß ich, dass sie immer noch nicht kirchlich getraut sind, Corona machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Einer der beiden Bräute hatte ich vorgeschlagen, doch „im Kleinen“, eben unter Corona-Bedingungen zu heiraten und das große Fest nachzuholen, wenn es denn dann möglich ist. Die Braut wies meinen Vorschlag ab, ihr gutes Recht.

An diesem Beispiel zeigt sich etwas, was für andere (Lebens-, Glaubens-)Bereiche auch gilt: Corona macht Dinge deutlicher, die schon vor der Pandemie existierten und galten. Im konkreten Fall die unterschiedliche Sicht auf die kirchliche Feier der Trauung. So sehr ich als Priester dem jungen Paar ein großes Fest wünsche und meinen Beitrag dazu leisten will, so sehr würde ich mir andererseits wünschen, dass das junge Paar sich das Sakrament spendet, auch wenn die äußeren Bedingungen keine große Feier zulassen. Das junge Paar denkt anders! Und das galt eben schon vor Corona. Die kirchliche Trauung ist – ich formuliere das jetzt etwas ungeschützt – für die Brautleute ein Bestandteil ihres Hochzeitstages, vielleicht nicht ein unwichtiger, nicht nur ein austauschbares Accessoire, aber keinesfalls das Zentrum, mit dem alles steht und fällt. So ist das eben. Und das war vor Corona klar und tritt nun deutlich ans Tageslicht.

Ähnlich wie das junge Paar sich entscheiden muss, wie es mit der geplanten Trauung umgeht, so müssen sich viele Menschen entscheiden, wie sie es mit der Mitfeier des Sonntagsgottesdienstes halten. Falls denn einer stattfindet. Da gibt es die Rücksichtnahme auf die eigene Gesundheit, Regelungen im Kirchenraum (Abstand, Mund-Nasen-Bedeckung, evtl. beschränkte Plätze, Anmeldevorschriften etc.) usw. Und von nicht nur einer Pfarrgemeinde war zu hören, dass an Weihnachten keinesfalls alle (reduzierten) Plätze in Anspruch genommen wurden, es gab kein Gerangel bei der Anmeldung.

Die Erfahrungen bei gestreamten Gottesdiensten sind sehr verschieden. „Es ist halt doch nicht dasselbe“, sagen viele. Manchmal lässt die Qualität zu wünschen übrig, auf der anderen Seite machen aber auch Menschen Entdeckungen, freuen sich an gestreamten Gottesdiensten, guten Predigten, kreativen Ideen. Und werden dadurch in ihrem Glauben bereichert.

Etwas enttäuscht, fast ein wenig verärgert, war ich, als ich am Ende einer gestreamten Eucharistiefeier den (von mir sehr geschätzten!) Bischof sagen hörte: „Sie sind nicht allein, die Kirche betet für Sie!“. Klar, er hat es „gut gemeint“, wollte die Zusehenden trösten, aufbauen, aber mit welcher Formulierung! Die Kirche ist doch nicht nur im Dom beim bischöflichen Hochamt, sondern auch beim alten Ehepaar, das zu Hause vor dem Fernseher sitzt. Aber eben: glauben wir wirklich daran? Das scheint mir so der Knackpunkt oder die Kernfrage im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen zu sein. Schon früher hat es mich befremdet, wenn Radio Vatikan von den „Besuchern eines Papstgottesdienstes“ gesprochen hat. Vielleicht bin ich da zu empfindlich. Aber für mich schwingt der Gedanke an einen Konzertbesucher mit, der sich etwas bieten lässt. Gottesdienstteilnahme ist und will etwas anderes, da bin ich nicht nur Empfangende/r.

„Die Kirche“ gibt kein gutes Bild ab zur Zeit. Und das muss und darf gesagt werden. Aber sage ich es über „die Kirche“ oder über „meine Kirche“? Wobei ich Verständnis dafür habe, wenn jemand nicht mehr „meine Kirche“ sagen mag – oder kann.

Was ich mir wünschte ist, dass Glaubende einerseits traurig sein können, weil sie merken, dass die Gemeinschaft der Glaubenden zu wünschen übrig lässt, dass sie sich andererseits davon aber nicht in ihrem persönlichen Glauben durcheinander bringen lassen, sondern im Gegenteil im persönlichen Glauben wachsen, weil sie erkennen, dass dieser sich nicht abstützen kann auf Menschen. Dass wir immer mehr hinein wachsen in eine persönliche Beziehung zu Jesus, die uns dann auch wieder neu und vertieft miteinander glauben lässt, und – im Idealfall – auch Halt und Hoffnung auf persönlich schweren Wegetappen gibt.