Sonntag, 30. April 2017

Sylvest

Als am Mittwoch in der Karwoche abends Pfarrer Endres anrief, um mir Sylvests Tod mit zu teilen, konnte und wollte ich es nicht glauben. Später am Abend kam P. Ferdinand mit derselben Nachricht, die er von jemand anderem gehört hatte. Und wieder: ich höre die Nachricht, aber es kann nicht sein! Nicht Sylvest! Nicht durch einen solchen Unfall. Er, den ich immer als so umsichtig erlebt habe.

In den folgenden Tagen, also ab Gründonnerstag, hatte ich meist den Eindruck, irgendwie neben mir zu stehen. Das „Programm“ musste laufen und lief. Und wahrscheinlich habe ich mich noch nie am Karfreitag so gerne zu Beginn der Liturgie auf dem Boden ausgestreckt. In diesem Jahr entsprach die Haltung mehr als je zuvor meinem Inneren.

Dann am Samstag die Todesanzeige in der Zeitung. Es stimmt doch! Irgendwie schien mir, eine „offizielle Bestätigung“ nötig zu haben.
In der Predigt der Osternacht erzählte ich von Sylvest und dem Eindruck, dass das Halleluja im Hals stecken bleiben kann.

Am Dienstag nach Ostern die Beerdigung. Sylvests Sarg in der Kirche. Wie aufmerksam geplant vom Pfarrer, der bei seiner Predigt auch mit sich zu kämpfen hatte. Und bei allem Schmerz ein heilsamer Abschied.

Wie viele Stunden waren wir mit Sylvest zusammen. Der Pfarrer noch mehr als ich. Sylvest war Kirchenpfleger der Pfarrei Bedernau. Wo in den vergangenen Jahren die Pfarrkirche renoviert wurde. Die nicht das einzige Gebäude der Pfarrei ist. Und jetzt gehört zu dieser Pfarrei noch die Wallfahrtskirche – auch diese wurde renoviert, wieder war der Kirchenpfleger gefragt. Und er kam, war immer zur Stelle. Mit einem Lächeln und großem Sachverstand. Dachte mit und legte selbst Hand an.

Wenn ich mit einer eher provisorischen Lösung zufrieden gewesen wäre, dann achtete er auf die bessere Variante. Sylvest hatte nicht ein Ehrenamt inne, sondern sorgte sich um seine Kirchen.

Eine Szene kam mir noch einmal beim Zurück-Denken. Das Außengerüst stand noch um die Kirche und der Boden war aufgeweicht und nass. Und da rutschten vom Kirchendach größere Mengen Schnee herunter und platschten auf die nasse Wiese. So dass der Dreck von dort zurück an die gerade frisch gestrichene Außenwand der Kirche spritzte. Zufällig gab es an selbigem Tag eine Baubesprechung und wir standen bei der Kirche. Der Architekt wies auf die Dreckflecken an der Wand hin und meinte, der Maler müsse halt noch einmal nach streichen. Sylvest schlug vor, eine Gießkanne zu holen und den Dreck ab zu waschen. Was dann auch geschah und funktionierte!

Wir haben, soweit ich mich erinnere, nie ein ausdrückliches Glaubensgespräch geführt. Außer bei der Arbeit am Kirchenbau – wie oft sind mir miteinander auf dem Gerüst innen und außen herum gestiegen – haben wir immer wieder auch Gottesdienst miteinander gefeiert. Er war dabei gerne auf der ersten Empore. Ohne den Glauben ausdrücklich zu thematisieren war dieser als Basis da und verband uns.

Und außer der persönlichen Freude am neuen Altar der Wallfahrtskirche freute ich mich auch an Sylvests anerkennend-freudigem Blick auf denselben. Miteinander waren wir vorher einmal in die Werkstatt des Steinmetz nach Augsburg gefahren, er hatte Pfarrer, mich und andere Kirchenverwaltungsmitglieder in sein Auto geladen.
Auf dem einzigen Foto, das ich von ihm habe, da ist er kaum zu erkennen. Er sitzt auf dem Traktor am Abschluss einer Baumfäll – Aktion im Garten des Baumgärtler Missionshauses.


Samstag, 15. April 2017

Ostern

Beim letzten Mal habe ich von der Rückfahrt von Augsburg erzählt. Aber auch der Aufenthalt in der Stadt ist aus mehreren Gründen berichtenswert. Einen Grund wähle ich für heute aus.

Am Hauptbahnhof angekommen, schlenderten wir von dort aus in Richtung Königsplatz. Und da stand an einer Hausecke der Harlekin. Schon öfter hatte ich ihn dort stehen gesehen auf einem Plastikschemel in seinem gelb-blau-grün-roten Gewand mit der passenden Mütze. Während ich ihn immer nur freundlich gegrüßt hatte, zog Sr. Ewa diesmal ihre Geldbörse und warf ihm etwas in seine Blechbüchse. Der Harlekin bedankte sich, tief verbeugend und winkend. Wir waren schon weiter gegangen, drehten uns noch einmal um, und da machte er auch noch ein Kreuzzeichen – wohl im Hinblick auf Sr. Ewa und Sr. Tatiana, die beiden Ordensfrauen in Tracht.

Ein wenig weiter kam dann ein etwas verwahrlost aussehender, bärtiger Mann im dicken Mantel humpelnd auf uns zu und hielt uns seinen Becher bettelnd unter die Nase. Sr. Ewa fragte ihn, ob er etwas zu essen wolle. Nachdem sie die Frage zweimal wiederholt hatte, nickte der Mann und Sr. Ewa bat Sr. Tatiana, den von zu Hause mitgenommenen Reiseproviant auszupacken. Der Mann bekam ein belegtes Brot und etwas Obst und zog weiter.

Eine weitere Begegnung mit einem ähnlich aussehenden Zeitgenossen gab es, als wir mittags im Frühlingssonnenschein bei einer Pizza im Freien saßen. Der Mann – ähnlich gekleidet wie der vorher Beschriebene, aber etwas jünger – näherte sich uns mit seinem Becher und bat, ihm dort etwas hinein zu werfen. Und wiederum fragte Sr. Ewa, ob er denn etwas zu essen wolle, wobei sie gleich auf die Pizza auf dem Teller vor sich deutete. Als der Mann bejahte, machte sich Sr. Ewa ans Werk und schnitt ein großes Teil ihrer Pizza ab, um es dem Mann zu geben.

Hatte ich mich bisher immer gefragt, wie Papst Franziskus das meint, wenn er sagt, man solle einem Bettler nicht nur etwas in seine Bettelbüchse werfen, sondern ihn auch anschauen, ihn vielleicht sogar berühren, so hatte ich das an diesem Tag ganz praktisch erlebt. Wobei das bei Sr. Ewa einen ganz natürlichen Eindruck machte, nicht etwa „das gute Werk einer Ordensfrau“, sondern das Teilen unter Geschwistern. Wohltuend!
Vor kurzem hatte ich sie schon einmal so erfahren, als wir miteinander einkaufen waren und eine junge Frau, wohl eine Rom oder Sinti, uns dabei bat, den Fisch zu bezahlen, den sie gerade aus der Tiefkühltruhe genommen hatte. Sr. Ewa verhandelte etwas mit der jungen Frau, fragte, ob wir nicht etwas anderes, weniger Teures, bezahlen könnten. Aber die junge Frau blieb beim Fisch und schließlich gab Sr. Ewa nach. Vermutlich wäre ich allein nicht so großzügig gewesen, aber ich freute mich an Sr. Ewa.

Und ich bringe das mit Ostern in Verbindung, dem neuen Leben, das der Auferstandene vom himmlischen Vater geschenkt bekommt und weiter schenkt. Immer gibt er sein Leben...

Vielleicht ist das so wie mit der Pflanze in unserem Wohnzimmer. Neulich kam ich hinein und sie sah ganz armselig aus: die Blätter hingen welk nach unten, völlig matt und kraftlos. Schnell wurde mir klar: Ines hatte eine Woche Urlaub, Sr. Yvonne ist in Reha und durch meinen Krimi-Verzicht in der Fastenzeit kam ich auch tagelang nicht in dieses Zimmer. Also nahm ich schnell die Pflanze zum Waschbecken und versorgte sie kräftig mit Wasser. Nachdem ich das zweimal getan hatte. fingen die Blätter an, sich aufzurichten, fast zuschauen konnte man dabei. Neues Leben!
Frohe Ostern!