Mittwoch, 31. August 2011

Zwei mal Theo und das Geben…


Mit dem Regionalexpress war ich unterwegs nach München. In Bad Endorf stieg eine junge Familie zu, Frau, Mann und Kind. Und sie mussten sich beeilen beim Einsteigen, denn sie waren mit den Fahrrädern unterwegs und für das noch kleine Kind hatten sie einen Fahrradanhänger, der auch in den Zug musste.
Nachdem sie es geschafft hatten, setzten sie sich mir gegenüber und der Kleine fing sofort an, sich für seine Umgebung zu interessieren. „Eise“ sagte er und die Mutter erklärte ich, dass das „Eisenbahn“ bedeute. „Bagge“ (für Bagger) und „Raan“ (für „Kran“) waren weitere Gegenstände, die er, aus dem Fenster hinaus sehend kommentierte.
Über das Nachfragen zweier älterer Damen, die auch da saßen, bekam ich mit, dass der Kleine Theo heißt und anderthalb Jahre alt ist. Er hatte eine braune Cordhose an, ein helles T-Shirt mit der Aufschrift „je vais a la campagne“ und Sandalen mit Klettverschluss an den Füßen. Mit denen stieß er bei seinen Kletterübungen vom Boden auf die Sitzbank hin und wieder an meinen Knien an.
Irgendwann holte die Mutter einen Apfel aus dem Gepäck, biss hinein und ließ dann den Kleinen beißen – so hatte er nicht mit der harten Schale zu kämpfen. Später bekam Theo noch zu trinken und schließlich zauberten die Eltern ein Pixi – Buch (kennen Sie: klein, quadratisch, wenige Seiten, viele Bilder, wenig Text) hervor. Titel „Der Lokomotivführer“.
Eine Zeit lang beschäftigte sich der Kleine mit dem Büchlein, blätterte um und sah sich die Bilder an. Dann hielt er mir das Büchlein hin, Freude strahlend. Ich nahm es zunächst einmal an. Weil Theo nicht zu mir kam, war es wohl keine Einladung, mit ihm gemeinsam das Büchlein anzuschauen. Ob er es mir deswegen gegeben hatte, weil ich langweiliger Mann die ganze Zeit am Lesen meines Buches war? Das heißt, eben nicht die ganze Zeit, weil ja auch Theo meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Aber natürlich hatte ich immer mein Buch in der Hand. Vielleicht wollte er aber auch einfach etwas geben, teilen. Natürlich gab ich Theo sein Büchlein wieder zurück und er nahm es auch gerne wieder.

In München traf ich mich mit Bekannten und genoss abends noch ein Orgelkonzert im Münchner Dom. An der Orgel war Theo. Nicht der Kleine aus dem Zug, sondern einer Jahrgang 1955, P. Theo Flury OSB, der Stiftsorganist der Abtei Einsiedeln in der Schweiz. Er spielte Werke von Franz Liszt (klar, Jubiläumsjahr, 200. Geburtstag), Marcel Dupry und Eigenkompositionen. Voller Orgelklang erfüllte den für das Konzert recht gut besuchten Münchner Dom.
Nach dem letzten Stück setzte lang anhaltender Applaus ein. Mehrmals kam P. Theo vom Spieltisch nach vorne an die Brüstung der Empore und lächelte den applaudierenden Zuhörerinnen und Zuhörern von oben entgegen. Beim zweiten oder dritten Mal dieses von hinten nach vorne Kommens breitete er die Arme aus und führte sie in einer sanften Bewegung nach oben. Und das hatte nichts Hoheits- oder Huldvolles, Gönnerhaftes, sondern schien mir eher sein Versuch, den Applaus „umzuleiten“, Richtung oben eben.
Theo Flury hatte gegeben, uns an seiner Kunst teilhaben lassen. Und was wir ihm gaben, den Applaus, hat er gleichsam nach oben weiter gegeben.
So ähnlich wie der kleine Theo im Zug und ich uns ein Büchlein hin und her gegeben hatten.
Geben, leben Sie schon?

Montag, 15. August 2011

noch eine Woche "Pfarrer"...

„Was macht ein Pfarrer, was tust du den ganzen Tag?“ Nicht nur eine Kinderfrage. Und das halb scherzhafte: „wenn der in der Früh seine Messe gelesen hat, dann ist der Tag ja schon gelaufen“ ist eben auch nur halb scherzhaft.
Im Folgenden beschreibe ich einen halben Tag, einen Dienstag Nachmittag im Mai. Nicht, um mich zu rechtfertigen. Ich hoffe, es scheint auch etwas durch von dem „warum, wozu“ hinter dem „was“.

Um 14.00 Uhr habe ich einen Termin mit einem Mann, der vor 15 Jahren aus der Kirche ausgetreten ist und nun wieder eintreten möchte. Äußerer Anlass dafür ist, dass seine Schwester ihn gebeten hat,  für seinen Neffen Firmpate zu sein. Er stammt aus einer anderen Pfarrei und es ist ihm wohl ein wenig peinlich, dorthin zu gehen und um Wiederaufnahme zu bitten.
14.45 Uhr: der Kaplan hat vom Mittagessen im Kindergarten Kuchen mitgebracht, die Sekretärin kocht Kaffee und wir plaudern ein wenig im Pfarrbüro.
Danach setze ich mich ans Telefon. Es geht nicht nur um Terminabsprachen mit meinem Chef, dem Provinzial. Auch eine Religionslehrerin erreiche ich, um Näheres im Hinblick auf einen Schulbesuch in der kommenden Woche zu vereinbaren. Der Kaplan hatte mich gebeten, einen der beiden Erstkommuniongottesdienste zu feiern und ich suche Gelegenheiten, im Vorfeld die Kinder ein wenig kennen zu lernen. Zum einen scheint das bei den Erstbeichten in den kommenden Wochen möglich zu sein, zum anderen möchte ich aber doch auch einmal in die Schule gehen. Die Kinder treffen und ein wenig „Witterung aufnehmen“ von der Luft, welche die Kinder dort atmen...
Ein Brautpaar versuche ich noch zu erreichen, bevor um 16.00 Uhr ein anderes Brautpaar zu mir kommt. Mit diesem haben wir schon das Ehevorbereitungsprotokoll ausgefüllt. Bei unserem heutigen Treffen geht es vor allem um die inhaltliche Gestaltung der Feier. „Sind wir frei in der Musikauswahl?“ fragen sie mich. Und ich erkläre ihnen, dass die gewählte Musik in die Kirche, zum Gottesdienst passen muss. Sie haben sich eine Gospelgruppe angehört und Sorge, das könnte zu modern sein. Ich sage ihnen, dass es nicht so sehr um „modern“ oder „klassisch“, „ruhig“ oder „lebhaft“ geht, aber einfach keine Schlager in die Kirche passen. Und die Lesung, kann die der 12 jährige Sohn der Braut lesen? Ist „der Altar“ - die Brautleute meinen „das Ambo“ (Lesepult) – nicht zu hoch für ihn? Ich bin ganz dankbar, dass mir die Idee kommt, den beiden vorzuschlagen, dass der Sohn ja die Fürbitten lesen könnte und sie sich für die Lesung doch jemand von den erwachsenen Gästen aussuchen sollen. Es geht um Gottes Wort!
Nachdem das Brautpaar gegangen ist, mache ich mich auf den Weg zu einem Besuch bei einem Firmbewerber. Im Rahmen der pfarrlichen Firmvorbereitung habe ich eine Firmgruppe, sechs 14jährige Jungen. Und ich hatte mir vorgenommen, bei jedem einmal zu Hause einen Besuch zu machen. Damit die Eltern mich kennen lernen können und ich etwas vom Zuhause der Firmlinge mit bekomme. Heute steht der letzte dieser Besuche an. Als ich vor dem Haus stehe, sehe ich ein mir von der Kirche her bekanntes älteres Ehepaar im Garten, die sich wundern bzw. freuen, dass ich auf Besuch komme. Ich verspreche, ein anderes Mal zu kommen und sage, zu wem ich heute möchte. K., der Firmling, ist mit seinem Vater zu Hause, später kommt auch die Mutter von der Arbeit heim. Die Eltern stammen aus Rumänien und wir kommen schnell und gut ins Gespräch über das Land und die Sprache, am Rand geht es auch um Glauben, Ökumene. Der Vater ist orthodoxen Bekenntnisses und erzählt, wie seinem Sohn aufgefallen sei, dass er das Kreuzzeichen anders mache.
Nach fast 45 Minuten verabschiede ich mich, hole noch etwas aus dem Pfarrhaus und gehe Richtung Bus. Unterwegs treffe ich noch den Vater des kleinen Mädchens, welches ich vor 10 Tagen getauft habe. Fast tut es mir leid, dass ich unter Hinweis auf den Bus unsere kurze Plauderei abbrechen muss. Wir sind uns wohl gegenseitig sympathisch. Und ein wenig regt sich wie manchmal die Frage in mir, ob ich neben dem „menschenfreundlichen Gesicht Gottes“ auch genug zum Ausdruck bringe, welche Herausforderungen das Leben mit diesem Gott in sich birgt. Doch, ich meine, beim Taufgespräch und bei der Feier selbst davon gesprochen zu haben...
Auf dem Weg zur Bushaltestelle noch schnell in die Bäckerei, um ein Brot zu kaufen. Heute trage ich ein schwarzes Hemd mit Priesterkragen. „Neu bei uns?“ fragt mich die Verkäuferin. „Das kommt darauf an, was `neu´ heißt“ sage ich, „seit Januar bin ich hier“. „Oh, so oft wie ich gehe!“ sagt sie und ich sage ihr: „wenn Sie mich noch erleben wollen, bis August bin ich noch hier“. „Dann muss ich mich schicken“ grinst sie mich an.
Mit dem Reichtum vieler Begegnungen im Herzen lasse ich auf dem Heimweg im Bus diesen Nachmittag vor meinem inneren Auge Revue passieren...