Bei einem Empfang fragt mich die Frau eines Diakons, wo ich zu Hause sei. Ich erkläre ihr, dass mein Wohnsitz in Traunstein ist, aber ich nicht sehr oft dort bin. „Ja, aber, wo ist denn Ihr Nest?“ hakt sie nach. Die Frage geht mit mir mit. Wo ist mein „Nest“? Brauche ich eines, will ich eines? Klar fällt mir die Aussage Jesu ein: „Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann“ (Lk 9,58). Aber weder der Frau gegenüber noch mir selbst antworte ich vorschnell mit diesem Bibelvers. Irgendwo daheim sein, dazu gehören, das möchte ich schon...
Und zurück blickend sehe ich, dass ich immer Wert darauf gelegt habe, in Gemeinschaft zu leben. Nicht nur, weil ich das „brauche“, sondern weil ich auch die Sorge hätte, allein lebend „komisch“ zu werden, von anderen unbemerkt und unkontrolliert irgendwelche sonderbaren Eigenheiten anzunehmen, eigenbrötlerisch zu werden. „Nest“ ist das freilich noch keines...
Wobei sich wohl das Missionshaus im Sinn des hl. Kaspar, des Gründers der Missionare vom Kostbaren Blut, zu denen ich gehöre, schlecht mit dem Wort „Nest“ beschreiben ließe, denn das Konzept ist eher anspruchsvoll. Da geht es nicht um den Rückzugsort zum Wohlfühlen. Er ist auch mehr als Absteige. Missionshaus steht im Dienst der Mission und die hört nicht auf, hat keine Pause, wenn einer eine Zeit dort verbringt, sie hat lediglich eine andere Form. Wobei wir Missionare wohl den Ideen unseres Gründers immer nach hinken und ihnen oft genug nicht gerecht werden.
Wenige Wochen später fahre ich zur Vorabendmesse in eine Gemeinde und treffe vor der Kirche noch den Pfarrer, der um Aushilfe gebeten hatte. Er ist eben dabei, weg zu fahren. Wir plaudern ein wenig miteinander, er erklärt mir, wieso er selbst die Messe nicht halten kann. Und im Gespräch bekomme ich mit, dass er für vier Pfarreien zuständig ist. „Vier ein Viertel oder drei Viertel“ scherzt er, da ist noch irgendein kleiner Wallfahrtsort dabei.
Vom vergangenen Wochenende erzählt er mir noch, an dem auch jemand bei ihm ausgeholfen hatte, weil er neben den normalen Gottesdiensten am Wochenende noch vier Taufen und zwei Hochzeiten hatte, natürlich auch wieder verteilt auf seine vier Gemeinden.
Mir kommt wieder die Frage nach dem „Nest“ in den Sinn. Wo mag er „zu Hause“ sein, dieser Pfarrer? Von einem Mitbruder weiß ich, dass er scherzhaft sagt: „hinter dem Lenkrad ist mein Kloster“.
Bisweilen führt die „Nestsuche“ auch zu „Kuckucks-Existenzen“: Menschen richten sich im fremden Nest ein, fühlen sich dort wohler als zu Hause. Was klarerweise zu allerhand Spannungen führen kann.
Und mancher lässt sich dabei wohl auch von einem Nest anlocken, welches ihm scheinbar Geborgenheit vorgaukelt und tatsächlich Freiheit nimmt. Vorschnelles Verurteilen ist wenig hilfreich – eher geht es darum, Hinter- und Beweggründe zu verstehen.
Wieso sucht der Mitbrüder die Nähe und Gemeinschaft von bestimmten Menschen? Hat das nur mit seiner Persönlichkeitsstruktur zu tun, wo eventuell Defizite vorhanden sind? Oder gibt es da auch tatsächlich berechtigte Ansprüche und er hält mir, uns einen Spiegel vor, weil wir das nicht miteinander leben, wozu wir gerufen sind?
Skeptisch werde ich, wenn jemand sich allzu sehr im „Nest Kirche“ einzurichten versucht, ohne den Blick und das Herz offen zu haben für Menschen, die sich mit kirchlicher Binnensprache und Glaubensvorstellungen zunächst einmal schwer tun. Derartigen „Nesthockern“ wünsche ich, dass jemand sie aus dem Nest stößt und zum Fliegen zwingt, bei dabei eventuell vorkommenden Bruchlandungen ermutigt, nicht aufzugeben, und die Lust auf den Flug aufrecht und lebendig hält.