Als bei der Beerdigung des
französischen Jesuiten Michel de Certeau am 13. Januar 1986 am
Schluss Edith Piafs Lied Je ne regrette rien gespielt wurde,
geschah das auf Wunsch des Verstorbenen. Und es wurde gesagt, dass
Michel de Certeau das Lied sehr liebte und über die Sängerin
angemerkt hatte: „Sie singt nicht...sie ist ganz und gar in ihrer
Stimme – so wie ein Tropfen Wasser im Ozean“1
Vielleicht kennen Sie Ähnliches als
Zu-Hörende: dass Sie plötzlich ein Lied nicht mehr einfach hören,
sondern den Eindruck haben, „im Lied zu sein“? Ein Ohrwurm, der
einen nicht mehr los lässt. Ich erinnere mich an „Eres tu“ von
den Mocedades, das ich während meines Jahres in Spanien in einem
Kino-Film hörte. Manche würden es vielleicht als Schnulze
bezeichnen, mir ging es nicht mehr aus dem Ohr. Dieses Liebeslied,
dessen Bilder mich in manchem an die biblischen Psalmen erinnern.
Oder jetzt habe ich Katrin gebeten, bei
der Vesper anlässlich meines Abschieds in der Osterwoche mit ihrem
Chor „Resta qui con noi“ zu singen. Und sie sagte mir am Telefon:
„da hast Du was angerichtet: ich werde das Lied nicht mehr los, es
verfolgt mich noch beim Einschlafen“.
Ich erinnere mich aber auch an eine
Aussage von Chiara Lubich, an deren 100. Geburtstag in diesem Jahr
erinnert wird. Mindestens einmal sagte sie, jetzt mit meinen Worten:
„es kommt nicht darauf an, zu lieben, sondern Liebe zu sein“. Da
ist ein Unterschied! Oh ja...
Letztlich wünschte ich mir das auch
für alle Bemühungen um ein gutes Gebet: nicht nur „zu beten“,
Gebete zu sprechen, sondern „Gebet zu sein“. Ich denke, bei Jesus
lässt sich das ablesen. Sicher fordert er auch zum ausdrücklichen
Beten auf. Aber er selbst ist Gebet – ständig ausgerichtet auf den
Vater im Himmel, immer in Zwiesprache mit ihm.
Während meiner Baumgärtler Jahre war
ich öfter am Sonntag Abend in Mindelheim. Einmal im Monat treffen
sich dort Menschen zur sogenannten „Stille am Sonntag“. Wir
schweigen eine Stunde (aufgeteilt in zwei mal 25 Minuten)
miteinander. Und es ist genau diese Form, die mir hilft, „Gebet zu
sein“, nicht nur „zu beten“. Alle gesprochenen Gebete, die ich
ja durchaus auch pflege, haben für mich damit zu tun.
Nicht nur äußerlich etwas tun,
lieben, beten..., sondern ganz „drinnen sein“.
Mir kam auch noch einmal der etwas
„gefährliche Hinweis“ von Papst Franziskus in den Sinn, über
den sich Flugbegleiterinnen zu Recht beschweren könnten. Er fordert
zum Lächeln auf, aber – wieder mit meinen Worten - „nicht so wie
manche Stewardess, wo das Lächeln so eingefroren wirkt“. Also
nicht lächeln, sondern „Lächeln sein“. Immer wieder dasselbe...
Man kann es zusammenfassen mit dem
Motto, das ich bei den Jesuiten gelernt habe: „age, quod agis“ -
„was du tust, das tue ganz“. Wie oft gelingt mir das nicht... Und
doch, ja, ich möchte...
Da zieht es mich hin: ganz zu sein,
ganz drin zu sein im Tun, nicht oberflächlich zu leben.
Irgendwo las ich einmal, das biblische
Hauptgebot: „du sollst den Herrn deinen Gott lieben mit ganzem
Herzen“ (Dtn 6,5) könnte auch übersetzt werden: „mit geeintem
Herzen“. Gegen alles hin und her gerissen werden, sich „zerfransen“
lassen.
Und Jesu Aussage: „Wer das Reich
Gottes nicht annimmt wie ein Kind, der wird nicht hinein kommen“
(Mk 10,15) hat wohl damit zu tun. Ein Kind kann beim Spielen die Welt
um sich herum vergessen, ganz drin sein....
Die Wochen vor Ostern mögen uns, durch
das bewusste Weg-Lassen von dem einen oder anderen, dem entschiedenen
Verzicht auf dieses oder jenes, neu auf diese Fährte des gelingenden
und erfüllten Lebens helfen...
1Vgl.
Bauer, Christian, Verwundeter Wandersmann? Michel de Certeau –
eine biographische Spurensuche, in: ders./Sorace, Marco A. (Hgg.),
Gott anderswo? Theologie im Gespräch it Michel de Certeau,
Ostfildern 2019, S. 45.
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