Mehrmals in den letzten Wochen ging es um die Auswirkungen von Stoff – in Form einer bestimmten Fahne oder Flagge. Interessant, wie bedeutsam ein Stück Stoff sein kann in unserer ach so aufgeklärten Welt. Soll ich darüber spöttisch lächeln? Oder ist es ein Grund zur Freude, weil da vielleicht ein Anknüpfungspunkt besteht zu einer anderen Wirklichkeit, die hinter dem vordergründig Sichtbaren liegt?
Anfang Mai war es die Antifa-Flagge auf dem Seawatch-Schiff, welches zur Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer unterwegs ist. Unter anderem mit finanziert von der evangelischen Kirche in Deutschland. Bischof Bedford-Strohm meinte dann auch, er würde es ausdrücklich begrüßen, wenn die Flagge eingeholt würde. Andere äußerten sich ärgerlicher.
Zwei Wochen später war es die Fahne Israels auf dem österreichischen Bundeskanzleramt, welche einigen die Neutralität Österreichs zu verraten schien. Arabische Staaten äußerten sich fassungslos über die in ihren Augen eindeutige Parteinahme.
Wieder zwei Wochen später war es dann die Regenbogenfahne auf US-Botschaften in mehreren Ländern. Dieses Zeichen der Unterstützung von LGBTQI+ Menschen, gerade auch auf der US-Botschaft beim Vatikan, führte zu hitzigen Diskussionen. Zumal kurz nach dem Erscheinen einer vatikanischen Erklärung, welche sich gegen die Segnung homosexueller Paare ausspricht.
Vor dem Hintergrund dieser Fahnen und der durch sie ausgelösten Diskussionen scheint mir das von manchen belächelte bayrisch-österreichische Brauchtum durchaus „zeitgemäß“, wenn Fahnenabordnungen örtlicher Vereine bei Festgottesdiensten aufmarschieren und nacheinander die Fahne vor dem Altar in der Kirche schwenken. Irgendwie scheinen wir Menschen doch auf verschiedene Art und Weise Symbole zu brauchen. Bzw. auch beim aufgeklärten Menschen des 21. Jahrhunderts lösen sie etwas aus.
In der Salzburger Pfarre, in der ich drei Jahre lang Pfarrer sein durfte, hatten wir eine Figur des auferstandenen Christus, welche in der Osterzeit vor den Altar gestellt wurde. Der schönen, aus Holz geschnitzten, Figur fehlte allerdings etwas: die Siegesfahne. Es war offensichtlich, dass es eine solche einmal gegeben hatte, aber sie schien im Lauf der Jahre abhanden gekommen zu sein. Nachdem ich in meiner Kufsteiner Zeit einen Schreiner kennen gelernt hatte, der sich auch aufs Schnitzen verstand, bat ich diesen, ob er nicht für unsere Figur des Auferstandenen eine neue Fahne schnitzen könnte. Josef erklärte sich bereit dazu und bat mich um die Maße der Figur. Als die Fahne fertig war, freute ich mich und erschrak gleichzeitig ein wenig: sie ist in sich gelungen, im Verhältnis zur Figur schien sie mir aber etwas groß geraten. Auf jeden Fall hatte der Auferstandene jetzt wieder die Fahne als Zeichen seines Sieges über den Tod in der Hand. Und ich erinnere mich an Kirchenführungen mit Erstkommunionkindern in dieser Zeit, bei welchen ich auf dieses Detail zu sprechen kam. „Was fällt Euch auf bei dieser Figur?“ „Die Fahne“. „Wo seht Ihr denn sonst Fahnen?“ Manchmal half ich ein wenig nach... „Wenn beim Autorennen Ferrari gewonnen hat, dann hängen Fans die Fahne aus dem Fenster. Oder wenn ein bestimmter Fußball-Club gesiegt hat, auch dann sind die Fahnen an Autos, an Fahnenmasten in Schrebergärten und an Häusern zu sehen“. Die Freude über den Sieg will sich Ausdruck verschaffen, so wie bei der Fahne des Auferstandenen...
Und ich schließe mit einer „Fahnen-Geschichte“, die mir unvergesslich bleibt. Ende der 90er-Jahre begleitete ich ein paar Mal Gruppen von Buben bei geistlichen Ferienwochen in unserem Missionshaus in Schellenberg im Fürstentum Liechtenstein. Wenigstens einmal half mir dabei als weiterer Begleiter Benjamin, ein junger Mann, den ich während einer Gemeindemission in Dortmund kennen gelernt hatte.
Und im Haus unterstützte uns nach Kräften P. Anton, der damalige Pfarrer und frühere Generalobere unserer Gemeinschaft. Der auch Freude am Leben im Haus zu haben schien.
Auf vielfältige Weise half P. Anton, dass wir uns wirklich zu Hause fühlten. Ein Detail, welches mir in Erinnerung blieb. Benjamin, mein Helfer – heute würde man vielleicht Teamer sagen – sammelte Fahnen, Länderflaggen. Und er sagte mir, wie gerne er eine Liechtensteiner Fahne hätte. Als ich
P. Anton davon erzählte, machte der sich auf den Weg und besorgte eine, große, für den – überglücklichen – Benjamin.
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