Freitag, 30. April 2021

Übersetzen

In unserer kleinen Dreier-Hausgemeinschaft ist Juan der Technik-Freak. Wobei er viel Geduld und Verständnis für Menschen hat, die technisch nicht „so fit“ sind. Ja, er hilft wo er kann.

Neulich beim Frühstück führte er mir seine „Übersetzungs-App“ vor. Schon beeindruckend. Er richtet das Handy auf die Milchtüte, die auf dem Tisch steht. Auf der ist fett aufgedruckt: „Consilia“ Eine Zeile darunter: „Latte“ und wieder eine Zeile darunter: „100% italiano“. Und schwupp-di-wupp sehe ich auf dem Handy-Display: „Rat“, darunter „Milch“, darunter „100% italienisch“. Gut, dafür hätte man jetzt wohl nicht unbedingt eine Übersetzungs-App gebraucht. Und man könnte sogar darüber streiten, ob die Übersetzung von „consilia“ stimmt. „Rat“ heißt eigentlich „consiglio“. „Consilia“ ist die Eigenmarke unseres Supermarktes „Castoro“, was übersetzt übrigens „Biber“ heißt. Aber die Sache funktioniert halt sonst auch. Als ich Juan fragte, ob er das denn schon eingesetzt habe, zögert er zunächst. Aber dann erinnert er sich an unsere vergangene Generalversammlung in Polen, wo er sich wohl die ein oder andere Aufschrift dank technischer Hilfe erschließen konnte. Und das Ganze funktioniert nicht nur mit Bild, sondern auch mit Ton. So erklärte Juan einem australischen Gast mit spärlichen Italienisch-Kenntnissen, wie er mit Hilfe seiner Handy-App die Predigt verstehen könne.

Mir fiel das erwähnte Frühstück wieder ein, als ich den Artikel eines Millennials „Das Sakrament des bronzenen Huthakens“ las. Millennials sind Menschen, die um die Jahrtausendwende „groß“ geworden sind, also so in den 80er-Jahren geboren wurden. Das sind zum großen Teil Menschen, die schon aufgrund ihres Alters ähnliche Technik-Fähigkeiten wie Juan haben, der altersmäßig nicht mehr zu den Millennials gehört. Der besagte Millennial, Matthias Alexander Schmidt, Chefredakteur von kath.de, beschreibt seine Gottesdienst-Erfahrungen, bzw. -empfindungen. Klar treffen da Welten aufeinander. Es hilft, mir dessen bewusst zu werden. Wobei die Frage bleibt, ob Gottesdienst nicht in gewisser Weise auch „anders“ sein darf, bzw. sein muss, angesichts der Verschiedenartigkeit der Teilnehmenden. Wenn es die denn so überhaupt noch gibt. Gut auf jeden Fall, auch Millennials im Blick zu haben, die den „bronzenen Huthaken“ an der Kirchenbank nicht brauchen, weil sie im Normalfall solch eine Kopfbedeckung nicht tragen, sondern sich höchstens über die Höhe dieses Kleiderhakens an der Kirchenbank wundern. Ich muss schmunzeln, weil ich in meiner Zeit als Pfarrer einem Mann, der sich praktisch in der Pfarrei einbringen wollte, vorgeschlagen habe, besagte Haken bei den Kirchenbänken festzuschrauben, bzw. verloren gegangene zu ersetzen, was er dann auch gemacht hat.

Aber die tolle Übersetzungs-App brachte mich noch auf einen anderen Gedanken. Bezüglich der Art und Weise, wie ich die Wirklichkeit wahrnehme. Kann ich nicht auch so eine Art Handy drauf halten, um eine Übersetzung geliefert zu bekommen? Bzw. habe ich vielleicht eine Art Filter eingebaut, den ich aktivieren kann? Damit ich nicht nur die „schnöde Wirklichkeit“ sehe, sondern sie auf eine andere Weise verstehe, bzw. womöglich überhaupt erst verstehe.

Es gibt die Geschichte von dem Esel, der das (alte) Heu nicht fressen wollte. Als ihm der Bauer eine Brille mit grünen Gläsern aufsetzte, hat der Esel zu fressen angefangen. Abgesehen davon, dass ich mich nicht mit Eselhaltern anlegen möchte, wenn ich mich scheinbar über die Intelligenz dieser Tiere lustig mache... Abgesehen davon geht es mir nicht darum, schlicht eine rosa Brille aufzusetzen. Nein, nicht Selbsttäuschung, Banalisierung, sondern hinter die Kulissen schauen, das ist mein Anliegen.

So wie Christen auf das Hinrichtungs-Instrument Kreuz schauen, weil sie daran glauben, dass derjenige, der elend daran gestorben ist, nicht im Tod blieb, sondern auferstand. Und wie deswegen Leid und Schmerzen im eigenen Leben einen (anderen) Sinn bekommen. Nicht unbedingt als „Durchgangsphase“, das könnte ein billiger, gefährlicher Trost sein. Nein, als Ort der Begegnung mit einem, der Schlimmes, Tödliches durchgemacht hat....

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