Montag, 15. Mai 2023

Maria blickt aufs Buch

Vor kurzem musste ich im Dikasterium für die Institute des gottgeweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens (DIVCSVA) länger als gewöhnlich warten. Dabei schweifte mein Blick umher und mir fiel ein Gemälde auf, das sicher schon länger dort hängt, aber das ich bisher eben nicht wahrgenommen hatte. 


Und ich musste schmunzeln… Welch eine „moderne Mutter“, diese Maria. Also natürlich auch wieder nicht ganz so modern. Maria liest ein Buch und widmet diesem mehr Aufmerksamkeit als dem Kind, welches auf ihrem Schoß sitzt und dessen Händchen sich um ihren Hals legen. Mich ließ dieser Blick Mariens auf das Buch und nicht auf das Kind an so manche Szene der Gegenwart denken. Immer wieder erlebe ich Frauen und auch Männer, mit einer Hand einen Kinderwagen schiebend, dabei aber den Blick auf das Handy gerichtet, das sie in der anderen Hand halten. Oder da gibt es einen kleinen Spielplatz bei uns in der Nähe. Auch dort beobachte ich, wie Kinder auf der Schaukel sitzen und eine Mutter oder ein Vater auf einer Bank am Rand, den Blick auf das Handy gerichtet. Manchmal meldet sich ein Kind dann lautstark, so dass der Blick von Mama oder Papa sich kurzzeitig auf es richtet, bevor er wieder dem Handy gilt.

Worauf richtet sich mein Blick, wem gilt meine Aufmerksamkeit? So frage ich mich, der natürlich als Kinderloser nur bedingt „mitreden“ kann, was die oben beschriebenen Situationen angeht. Aber die Frage lässt sich ja ausweiten. Was hält meinen Blick gefangen, worum kreisen meine Gedanken?

Was Maria angeht, die auf dem Gemälde dargestellte Mutter, erinnere ich mich an eine andere Begebenheit. Ein Mitbruder fragte bei der Predigt im Rahmen einer Volksmission die versammelte Gemeinde: „was meinen Sie denn, was Maria in dem Moment gemacht hat, als der Engel bei ihr anklopfte und ihr verkündete, dass sie ein Kind empfangen und Mutter Gottes werden würde? Maria wird sich doch nicht mit Putzen oder anderen Hausarbeiten beschäftigt haben, sie war in diesem Moment ganz sicher im Gebet vertieft“. Die Ausführungen meines Mitbruders müssen wohl bei einigen der anwesenden Frauen Stirnrunzeln – um es einmal so höflich zu sagen – ausgelöst haben. Das schien ihnen doch etwas abgehoben und weltfremd, was der gute Pater da zum Besten gab.

Mir persönlich gefällt es, dass es in Nazareth zwei Stellen gibt, die mit der Verkündigung an Maria in Verbindung gebracht werden. Zum einen ihr Wohnhaus, dort steht heute die Verkündigungsbasilika, zum anderen aber ein Brunnen. Zu dem das Mädchen angeblich unterwegs war, um Wasser zu holen, als ihr der Engel begegnete.

Auch in der Malerei wird die Szene ja ganz unterschiedlich dargestellt: es gibt die ein Buch, natürlich die Bibel, lesende Maria, bei der der Engel eintritt. Es gibt aber auch die handarbeitende Maria, mit Strickzeug in der Hand oder am Spinnrad sitzend. Klar, auch für Maria gelten die oben gestellten Fragen: worauf richtet sich der Blick, wem oder was gilt die Aufmerksamkeit?

Seit Jahren begleitet mich ein Zitat von Simone Weil: „Das Gebet ist nichts anderes als die Aufmerksamkeit in ihrer reinsten Form“. Sie selbst hat diese Aufmerksamkeit richtiggehend trainiert, teilweise auch in Verbindung mit dem Gebet (des Vaterunser etwa). Ein anderes Zitat von ihr lautet: „Das Wesen des Gebets besteht in der Aufmerksamkeit…“

Und ganz am Schluss überlege ich mir, ob das Gemälde auch eine Botschaft enthalten könnte für diejenigen, die da im Dikasterium arbeiten: worauf richtet sich der Blick? Auf das Kirchenrecht und andere Regelwerke, oder – ohne das gegeneinander ausspielen zu wollen - auf die Personen, die da kommen?



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