„Gott umarmt uns durch die
Wirklichkeit“. So lautet ein von P. Willi Lambert SJ formulierter
Satz, der für viele Menschen hilfreich geworden ist. Gott ist nicht
jenseits meines normalen Lebens zu finden. Und er ist auch nicht das
„Opium“, welches mir hilft, meinen normalen Alltag irgendwie zu
bestehen, bzw. hinter mir zurück zu lassen. Nein: Gott umarmt uns
genau durch die Wirklichkeit unseres Lebens.
Wobei... Manche Menschen möchten Gott
dabei sicher gerne sagen: „drück nicht so fest zu, wenn Du mich
umarmst!“ Ich denke an die Frau, Anfang 50, der irgendein Enzym
fehlt, was dazu führt, dass sich ihre Lunge selbst angreift. Sie
braucht jetzt nicht nur Sauerstoff, sondern auch das Enzym, welches
sie sich womöglich selbst spritzen kann. Mit einer Thrombose im Bein
wurde sie aus der Uni-Klinik entlassen: die hatten die
Lungenspezialisten übersehen... Und die Patientin muss sich Gedanken
bezüglich ihrer Zukunft machen. Ob Sie ihren Beruf als Lehrerin
weiter ausüben kann? Die angeschlagene Lunge muss vor Keimen so gut
als möglich geschützt werden...
P. Ferdinand erzählte von einem Mann
im Altenheim, der früher Ringer war, das war sein Sport.
Jetzt im Alter dement geworden, umarmte
er seine Frau manchmal so fest – der ehemalige Ringer! - dass
dieser fast die Luft weg blieb und sie sich vor Rippenbrüchen zu
fürchten begann. Sie musste sich irgendwie in Sicherheit bringen,
bzw. den Mann ins Altenheim.
Und doch: Gott umarmt uns durch die
Wirklichkeit!
Mir gefällt, was Verantwortliche der
Fokolarbewegung in den deutschsprachigen Ländern im vergangenen
Herbst als Schwerpunkte benannten:
„1. Wir möchten der Wirklichkeit ins
Auge schauen und bereit sein, Schlüsse daraus zu ziehen.“
Und „2. Wir möchten Neues wagen“.
Gerade die Kombination von Schritt 1 und 2 finde ich reizvoll.
Und vermisse sie manchmal in anderen
(kirchlichen) Kontexten, durchaus auch in der eigenen Gemeinschaft.
Weil wir – ich schließe mich selbst mit ein – so sehr geprägt
sind vom „Bisher“ oder vom „es war immer so“, dass wir
Schritt 2 kaum in den Blick nehmen. Und aufgrund dessen meinen, das
Bisherige unter (völlig) anderen Bedingungen immer weiter fortführen
zu können. Wir bräuchten mehr Männer wie den zweiten Nachfolger
des Gründers unserer Gemeinschaft, Johannes Merlini, über den es
heißt: „Der spoletische (d.h. aus der Stadt Spoleto stammend)
Missionar richtet sein Denken auf die gegebene Wirklichkeit“.
Und so kommt es dazu, dass merkwürdige
Konstrukte (wie etwa große Seelsorgeräume) entstehen, die entlasten
sollen, aber kaum lebbar scheinen. Und die dadurch bei den
Betroffenen schon wieder Druck erzeugen.
Klar hat in unserer schnelllebigen Zeit
auch die Beständigkeit ihren Wert. Verlässlichkeit als Gegengewicht
zu Twitter-Botschaften mit täglich Neuem.
Aber die Schlüsse aus der aufrichtigen
Wirklichkeitsanalyse müssen gezogen werden! Wir können uns davor
nicht drücken, ohne dass uns die Folgen auf den Kopf fallen werden.
Wer mag, der kann auch noch einmal bei Papst Franziskus in der
Enzyklika Evangelii Gaudium den Abschnitt „Die Wirklichkeit ist
wichtiger als die Idee“ nachlesen.
Dabei wehre ich mich gegen die Idee,
mir die Wirklichkeit „zurecht beten zu sollen“. Ohne Wunder
auszuschließen scheint mich das Gebet doch eben dazu befähigen zu
wollen, meine Wirklichkeit anzusehen, so wie sie ist und daraus
Konsequenzen zu ziehen. Zugegebenermaßen: manchmal ist das deswegen
mühsam, weil sich „das Neue“ noch nicht zeigt und wir schlicht
nicht darauf vorbereitet sind. Das könnte noch eine weitere Fährte
für das Gebet sein: um die Offenheit zu beten für das Neue, um die
Bereitschaft, Vertrautes aufzugeben.
Hilfreich bei all dem ist ein
gemeinsamer Weg. Unerlässlich sogar. Damit nicht das berühmte „Kind
mit dem Bad ausgeschüttet“ wird und Bewährtes aus Jux und
Tollerei auf der Strecke bleibt. Wer weiß, wie schön es werden
wird, das Neue...
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