Donnerstag, 31. Januar 2019

Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit

„Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit“. So lautet ein von P. Willi Lambert SJ formulierter Satz, der für viele Menschen hilfreich geworden ist. Gott ist nicht jenseits meines normalen Lebens zu finden. Und er ist auch nicht das „Opium“, welches mir hilft, meinen normalen Alltag irgendwie zu bestehen, bzw. hinter mir zurück zu lassen. Nein: Gott umarmt uns genau durch die Wirklichkeit unseres Lebens.

Wobei... Manche Menschen möchten Gott dabei sicher gerne sagen: „drück nicht so fest zu, wenn Du mich umarmst!“ Ich denke an die Frau, Anfang 50, der irgendein Enzym fehlt, was dazu führt, dass sich ihre Lunge selbst angreift. Sie braucht jetzt nicht nur Sauerstoff, sondern auch das Enzym, welches sie sich womöglich selbst spritzen kann. Mit einer Thrombose im Bein wurde sie aus der Uni-Klinik entlassen: die hatten die Lungenspezialisten übersehen... Und die Patientin muss sich Gedanken bezüglich ihrer Zukunft machen. Ob Sie ihren Beruf als Lehrerin weiter ausüben kann? Die angeschlagene Lunge muss vor Keimen so gut als möglich geschützt werden...

P. Ferdinand erzählte von einem Mann im Altenheim, der früher Ringer war, das war sein Sport.
Jetzt im Alter dement geworden, umarmte er seine Frau manchmal so fest – der ehemalige Ringer! - dass dieser fast die Luft weg blieb und sie sich vor Rippenbrüchen zu fürchten begann. Sie musste sich irgendwie in Sicherheit bringen, bzw. den Mann ins Altenheim.

Und doch: Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit!

Mir gefällt, was Verantwortliche der Fokolarbewegung in den deutschsprachigen Ländern im vergangenen Herbst als Schwerpunkte benannten:
„1. Wir möchten der Wirklichkeit ins Auge schauen und bereit sein, Schlüsse daraus zu ziehen.“
Und „2. Wir möchten Neues wagen“. Gerade die Kombination von Schritt 1 und 2 finde ich reizvoll.

Und vermisse sie manchmal in anderen (kirchlichen) Kontexten, durchaus auch in der eigenen Gemeinschaft. Weil wir – ich schließe mich selbst mit ein – so sehr geprägt sind vom „Bisher“ oder vom „es war immer so“, dass wir Schritt 2 kaum in den Blick nehmen. Und aufgrund dessen meinen, das Bisherige unter (völlig) anderen Bedingungen immer weiter fortführen zu können. Wir bräuchten mehr Männer wie den zweiten Nachfolger des Gründers unserer Gemeinschaft, Johannes Merlini, über den es heißt: „Der spoletische (d.h. aus der Stadt Spoleto stammend) Missionar richtet sein Denken auf die gegebene Wirklichkeit“.

Und so kommt es dazu, dass merkwürdige Konstrukte (wie etwa große Seelsorgeräume) entstehen, die entlasten sollen, aber kaum lebbar scheinen. Und die dadurch bei den Betroffenen schon wieder Druck erzeugen.

Klar hat in unserer schnelllebigen Zeit auch die Beständigkeit ihren Wert. Verlässlichkeit als Gegengewicht zu Twitter-Botschaften mit täglich Neuem.

Aber die Schlüsse aus der aufrichtigen Wirklichkeitsanalyse müssen gezogen werden! Wir können uns davor nicht drücken, ohne dass uns die Folgen auf den Kopf fallen werden. Wer mag, der kann auch noch einmal bei Papst Franziskus in der Enzyklika Evangelii Gaudium den Abschnitt „Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee“ nachlesen.

Dabei wehre ich mich gegen die Idee, mir die Wirklichkeit „zurecht beten zu sollen“. Ohne Wunder auszuschließen scheint mich das Gebet doch eben dazu befähigen zu wollen, meine Wirklichkeit anzusehen, so wie sie ist und daraus Konsequenzen zu ziehen. Zugegebenermaßen: manchmal ist das deswegen mühsam, weil sich „das Neue“ noch nicht zeigt und wir schlicht nicht darauf vorbereitet sind. Das könnte noch eine weitere Fährte für das Gebet sein: um die Offenheit zu beten für das Neue, um die Bereitschaft, Vertrautes aufzugeben.

Hilfreich bei all dem ist ein gemeinsamer Weg. Unerlässlich sogar. Damit nicht das berühmte „Kind mit dem Bad ausgeschüttet“ wird und Bewährtes aus Jux und Tollerei auf der Strecke bleibt. Wer weiß, wie schön es werden wird, das Neue...

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