Mittwoch, 15. Juni 2016

Wandern und Fliehen

Urlaub! Wandernd bin ich unterwegs. Jeden Tag mindestens dreißig Kilometer, an einzelnen Tagen sind es wohl eher vierzig. Ziel bzw. ein erwünschter Neben-Effekt ist, den Kopf frei zu bekommen. Eben den Alltag hinter mir zu lassen, im „Schritt für Schritt“ und im Blick in die Landschaft hinein. Und zwischendurch oder immer wieder bete ich, und dabei kommen auch konkrete Anliegen vor. Eine Frau etwa, bei der ein Lungentumor diagnostiziert wurde und die sich gegen eine Chemo-Therapie entschieden hat. Schon früher hat sie mich in ihrer Art beeindruckt...

Und dann bin ich mir bewusst, dass ich ein Privileg habe, freiwillig tagelang durch eine wunderschöne Landschaft gehen zu dürfen. Ich bin nicht gezwungen, durch eine Wüste gehen zu müssen. Was ich in meinem Rucksack (wie immer etwas zu voll gepackt!) mit schleppe ist mehr, als was mancher von denen, die ihre Heimat verlassen haben, bei sich trägt.

Am ersten Wandertag – nach einigen voraus gehenden Regentagen war ich gar nicht darauf vorbereitet – hat mich ein kräftiger Sonnenbrand erwischt. Vor allem in den Kniekehlen ist er unangenehm und raubt mir zum Teil den Schlaf. Kinkerlitzchen zu dem, was Menschen auf der Flucht erfahren.

Nachdem ich alleine unterwegs bin, riskiere ich es, ohne Voranmeldung abends nach einem Zimmer zu suchen. Was letztlich immer geklappt hat. Auch wenn ich einmal vorwurfsvoll zu hören bekam: „wir haben gerade noch ein Zimmer. Wir mussten auch schon Leute weg schicken. Und das ist dann peinlich, wenn man zu Fuß unterwegs ist“. Er hat ja Recht, der Wirt.

In Linz war es dramatischer. Im ersten Hotel: „kein Zimmer – versuchen Sie es beim `Schwarzen Bären´“. Dort dieselbe Auskunft mit dem Zusatz: „es gibt kein freies Zimmer in Linz, Sie können sich das noch bei der Tourist-Information am Hauptplatz bestätigen lassen. Sie können ja mit dem Zug nach Wels fahren, vielleicht finden Sie dort etwas.“ Also bitte! Da komme ich ja zu Fuß her, von wegen zurück fahren. Also gehe ich zur Tourist-Information und bekomme tatsächlich dieselbe Auskunft: „es gibt kein freies Zimmer in Linz“. Toll! Also beschließe ich nach Kirchtürmen Ausschau zu halten, in der Hoffnung, daneben einen Pfarrhof mit einem verständnisvollen Menschen zu finden. Irgendwie bin ich ja ein Pilger, auch wenn ich den Santiago-Weg in die umgekehrte Richtung gehe. Schon bei der ersten Kirche habe ich Glück: die Jesuiten-Gemeinschaft gewährt mir Gastfreundschaft. Was bin ich dankbar und erleichtert. Und wieder gehen meine Gedanken zu den Flüchtlingen, die keine Gastfreundschaft erleben.

Zwei Tage später dann plötzlich nach der Mittagspause auf einer Bank an der Donau heftige Schmerzen im linken Schienbein. Ich muss weiter, die Schmerzen lassen etwas nach, aber sind da. Grundsatzentscheidung fällig: pausieren oder zurück fahren. Erst einmal die Nacht vergehen lassen. Am nächsten Morgen kann ich zwar gehen, aber über 30 Kilometer traue ich mich nicht. Und ich hätte wohl noch fünf weitere Tage. Also schweren Herzens den Zug zurück nehmen.

Und wiederum: was machen Menschen auf der Flucht in einer solchen Situation? Da ist das mit der Um- bzw. Rückkehr nicht so einfach. Sie müssen irgendwie weiter...

Wann bringt endlich ein europäischer Politiker deutlich zum Ausdruck, dass nicht „die Flüchtlinge“ das Problem sind, die bei uns ankommen, sondern diejenigen, die nicht angekommen, sondern im Mittelmeer ertrunken sind. Dieses „Problem“ bedarf vorrangig einer Lösung. Heißt nicht, dass ich Migration undifferenziert betrachten möchte – aber die Perspektiven müssen stimmen.

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