Neulich abends im Zug von Memmingen
nach Mindelheim. Die Zugbegleiterin fragt einen jungen Mann nach
seiner Fahrkarte – er sucht sie, vergeblich. Mit dem Gerät, das
sie bei sich trägt, druckt sie ihm etwas aus, womit er innerhalb von
14 Tagen einen bestimmten Betrag überweisen kann. Er hat wohl nicht
genug Geld bei sich. Falls er nicht, so erklärt sie ihm freundlich,
seine Fahrkarte noch während der Fahrt findet und ihr zeigt. Dann
erübrigt sich das andere natürlich.
Der junge Mann saß schon in einem
anderen Zug, vor dem Umsteigen in Memmingen, in meiner Nähe. Und auf
dem Bahnsteig in Memmingen sah ich ihn mit anderen jungen Männern,
die seine Hosentaschen untersuchten. Und ich war skeptisch, ob er
überhaupt eine Fahrkarte hatte. Die Freundlichkeit und Höflichkeit
der Zugbegleiterin erzeugten von daher fast ein wenig Gewissensbisse
in mir.
Danach sah ich, wie die Zugbegleiterin
im Zug Abfall aufzuräumen anfing. Nanu! Muss sie das überhaupt?
Andere würden das vielleicht dem Räum- und Putzpersonal überlassen.
Nein, sie findet etwas auf dem Boden und wirft es in den
Abfallbehälter. Dann eine Zeitung, die sie in den Altpapierbehälter
gibt. Und schließlich eine auf dem Boden herum rollende Bierflasche.
Sie hebt sie hoch, hält sie gegen das Licht. Offenbar ist noch ein
Rest Bier drin. So geht sie mit der Flasche zur Toilette, gießt den
Rest aus und wirft die Bierflasche in den Altglasbehälter.
Allerhand!
Als sie mit der Bierflasche an mir
vorbei geht, sage ich zu ihr: „Sie sind wahrscheinlich froh, dass
die schlimme Zeit vorbei ist?“ „Oktoberfest?“ fragt sie und ich
nicke. Worauf sie etwas mit den Augen rollt und dann sagt: „aber
die Trachten waren schön!“ Und dabei bekommen ihre Augen ein
Leuchten. „Wirklich?“ frage ich, weil ich in den vergangenen
Wochen auch allerhand Menschen in Lederhose oder Dirndl auf dem Weg
zum oder vom Oktoberfest in München gesehen habe und nicht immer so
von der „Schönheit der Tracht“ überzeugt war. „Doch“, sagt
sie, „wenn sich die Leute nicht nur schon am Morgen voll laufen
lassen würden!“
Die Begegnung mit dieser Zugbegleiterin
geht mir nach. Manchmal steht ja hinter meinem Namen als
Berufsbezeichnung „Exerzitienbegleiter“. Sie begleitet Züge und
ich Exerzitien. Besser: sie begleitet Menschen in Zügen und ich in
Exerzitien.
Und da finde ich die Fähigkeit der
Frau beachtlich, sich nicht über die Besoffenen zu ärgern, sondern
sich über deren Trachten zu freuen. Nicht weil ich es in Exerzitien
mit Besoffenen zu tun hätte. Nein, wegen der Blickrichtung. Mit
denjenigen, die Exerzitien machen, blicke ich auf ihre Wirklichkeit.
Und es geht beileibe nicht darum, diese irgendwie zu verklären. Aber
eventuell sieht sie aus einem anderen Blickwinkel auch noch einmal
anders aus. Vielleicht lässt sich eben außer dem Bier auch die
Tracht entdecken.
Das Gespräch mit der Zugbegleiterin
ging an der Stelle nicht weiter. Als ich in Mindelheim ausstieg,
sagte sie mir: „kommen Sie gut nach Hause!“. Worauf ich mich bei
ihr verabschiedete: „und ich wünsche Ihnen noch einen guten
Rest-Dienst und dann einen guten Feierabend!“.
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