Mittwoch, 15. Oktober 2014

Zugbegleiterin

Neulich abends im Zug von Memmingen nach Mindelheim. Die Zugbegleiterin fragt einen jungen Mann nach seiner Fahrkarte – er sucht sie, vergeblich. Mit dem Gerät, das sie bei sich trägt, druckt sie ihm etwas aus, womit er innerhalb von 14 Tagen einen bestimmten Betrag überweisen kann. Er hat wohl nicht genug Geld bei sich. Falls er nicht, so erklärt sie ihm freundlich, seine Fahrkarte noch während der Fahrt findet und ihr zeigt. Dann erübrigt sich das andere natürlich.
Der junge Mann saß schon in einem anderen Zug, vor dem Umsteigen in Memmingen, in meiner Nähe. Und auf dem Bahnsteig in Memmingen sah ich ihn mit anderen jungen Männern, die seine Hosentaschen untersuchten. Und ich war skeptisch, ob er überhaupt eine Fahrkarte hatte. Die Freundlichkeit und Höflichkeit der Zugbegleiterin erzeugten von daher fast ein wenig Gewissensbisse in mir.

Danach sah ich, wie die Zugbegleiterin im Zug Abfall aufzuräumen anfing. Nanu! Muss sie das überhaupt? Andere würden das vielleicht dem Räum- und Putzpersonal überlassen. Nein, sie findet etwas auf dem Boden und wirft es in den Abfallbehälter. Dann eine Zeitung, die sie in den Altpapierbehälter gibt. Und schließlich eine auf dem Boden herum rollende Bierflasche. Sie hebt sie hoch, hält sie gegen das Licht. Offenbar ist noch ein Rest Bier drin. So geht sie mit der Flasche zur Toilette, gießt den Rest aus und wirft die Bierflasche in den Altglasbehälter. Allerhand!

Als sie mit der Bierflasche an mir vorbei geht, sage ich zu ihr: „Sie sind wahrscheinlich froh, dass die schlimme Zeit vorbei ist?“ „Oktoberfest?“ fragt sie und ich nicke. Worauf sie etwas mit den Augen rollt und dann sagt: „aber die Trachten waren schön!“ Und dabei bekommen ihre Augen ein Leuchten. „Wirklich?“ frage ich, weil ich in den vergangenen Wochen auch allerhand Menschen in Lederhose oder Dirndl auf dem Weg zum oder vom Oktoberfest in München gesehen habe und nicht immer so von der „Schönheit der Tracht“ überzeugt war. „Doch“, sagt sie, „wenn sich die Leute nicht nur schon am Morgen voll laufen lassen würden!“

Die Begegnung mit dieser Zugbegleiterin geht mir nach. Manchmal steht ja hinter meinem Namen als Berufsbezeichnung „Exerzitienbegleiter“. Sie begleitet Züge und ich Exerzitien. Besser: sie begleitet Menschen in Zügen und ich in Exerzitien.
Und da finde ich die Fähigkeit der Frau beachtlich, sich nicht über die Besoffenen zu ärgern, sondern sich über deren Trachten zu freuen. Nicht weil ich es in Exerzitien mit Besoffenen zu tun hätte. Nein, wegen der Blickrichtung. Mit denjenigen, die Exerzitien machen, blicke ich auf ihre Wirklichkeit. Und es geht beileibe nicht darum, diese irgendwie zu verklären. Aber eventuell sieht sie aus einem anderen Blickwinkel auch noch einmal anders aus. Vielleicht lässt sich eben außer dem Bier auch die Tracht entdecken.

Das Gespräch mit der Zugbegleiterin ging an der Stelle nicht weiter. Als ich in Mindelheim ausstieg, sagte sie mir: „kommen Sie gut nach Hause!“. Worauf ich mich bei ihr verabschiedete: „und ich wünsche Ihnen noch einen guten Rest-Dienst und dann einen guten Feierabend!“.

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