Montag, 30. April 2018

Sehen

Nach Ostern feierte ich an einem Werktag in einem Altenheim hier in der Nähe die heilige Messe mit den Bewohnern, Ordensfrauen und Leuten aus dem Ort. Weil im Evangelium des Tages erzählt wurde, dass Maria von Magdala den auferstandenen Jesus für den Gärtner hielt (Joh 20,11-18), erzählte ich von einer Statue, die Jesus als Gärtner zeigt. Mir war diese Darstellung von Jesus mit einem Spaten in der Hand in Erinnerung geblieben.

Nach der Messe sprach mich dann ein Mann an, der als Pensionär dort im Altenheim lebt. Er ist Priester und war lange Jahre als Missionar in Zululand – Südafrika. „Ich möchte Ihnen etwas zeigen“, sagte er mir. Und ich warf meinen Terminplan über den Haufen, um mit dem alten Mann langsam zu seinem Zimmer zu gehen. Gleich beim Eintreten in das Zimmer sah ich auf einem Sideboard verschiedene Statuen und kommentierte das. „Oh, welche Kunstwerke haben Sie hier! Eine Kopie der Johannesminne,“ (deren Original sich in Heiligkreuztal befindet) - ich mag diese Darstellung sehr! - „eine Kopie des Geißelheilandes von der Wies und eine Statue des hl. Antonius, der ist ja Ihr Namenspatron!“. „Ja, aber es gibt noch etwas“, sagte der alte Priester. Neben den drei großen Statuen stand eine kleinere, in schwarzem Holz, aus Afrika. Und diese hatte mir der Pensionär zeigen gewollt. Wenn ich ihn recht verstanden habe, dann hat ein Schnitzer, der später ermordet wurde, nach den Vorgaben des Priesters und eigener Intuition eine Statue von Maria und Jesus geschaffen, die – wie mir dann auffiel – wirklich ausdrucksstark ist. Und ich entschuldigte mich, dass ich ausgerechnet diese Statue übersehen hatte.

Mir ging diese Begegnung nach. Ob sie nicht allerhand verrät über die Begegnung von Kulturen einerseits und die Wahrnehmung überhaupt andererseits? Mir waren auf jeden Fall sofort die bekannten Darstellungen aufgefallen und das Fremde, Unbekannte, hatte ich übersehen. Wer möchte, kann da noch kolonialistische Muster und Gefährdungen entdecken! Was sehe ich, was sticht mir ins Auge, was nehme ich wahr?

Ein paar Wochen später war ich wieder einmal in der Moritzkirche in Augsburg. Bei jedem Augsburg-Besuch versuche ich, in diese Kirche zu kommen und wenigstens ein paar Minuten dort zu sein. Sie ist schon in sich ein beeindruckender und mich immer neu berührender Bau.

Vor kurzem hatte ich gelesen, dass es in dieser Kirche eine Installation mit vielen Fäden geben soll. Und jetzt saß ich da in einer Kirchenbank und sah die Kirche wie immer – ohne Fäden. Bis... bis ich meinen Blick nach oben schweifen ließ und sie sah! Ein Abschnitt ganz vieler feiner Fäden, durch das Licht aus einem Seitenfenster eben genau in diesem Abschnitt sichtbar. Wow!
Nachdem ich diesen Abschnitt gesehen hatte, ging ich noch ein wenig in der Kirche auf und ab und sah weitere Teile der Fäden, auch das Gerüst auf der Orgel, wo das eine Ende der Fäden fest gemacht ist.

Wie ist das mit dem Sehen? Was sehe ich? Oder mag es sein, dass ich auch sonst manches nicht sehe, was da ist? Es ist da und ich nehme es nicht wahr.

Ostern hat mit einem neuen Sehen zu tun. Wie schrieb mir neulich jemand, einen Studentenseelsorger zitierend: „der Auferstehungsglaube ist der begründete Zweifel an der Hoffnungslosigkeit“. Also erst noch einmal genau hin schauen. Und mit der Bereitschaft, Ungewohntes, Neues zu entdecken...

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