Freitag, 28. Februar 2025

Michele

Am 17. Februar verstarb Michele (sprich: Mikele), den ich im Männerwohnheim der Schwestern Mutter Teresas hier in Rom kennengelernt hatte. Eigentlich wollte ich zuerst in diesem Post noch einmal an den ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler erinnern, der Staatsakt an seinem Begräbnistag geht mir nach. Weil aber eben an Horst Köhler schon anderweitig erinnert wurde, gebe ich hier gleichsam Michele „den Vorzug“. 

Wie gesagt, ich hatte ihn in der „casa di accoglienza delle missionarie della carità” kennengelernt, während meines Einsatzes in der Küche dort. Etwa eine Stunde vor dem Mittagessen tauchte Michele auf und fragte, ob er das Wasser auf den Tisch stellen solle. Das war wohl seine Aufgabe: mit Wasser gefüllte Krüge auf die Tische in den beiden Speisesälen zu stellen. Und es wiederholte sich jedes Mal dasselbe Ritual: Michele kam mit seiner Frage und die Schwester bat ihn, doch später wieder zu kommen, worauf noch etwas bezüglich der Zeit verhandelt wurde. Nachdem Michele aber nun schon einmal da war, gab es auch das ein oder andere Mal ein kurzes Gespräch. Wobei ich große Verständnisschwierigkeiten hatte, so war etwa das Gebiss Micheles nicht sehr vollständig. Einmal ging es um scharf gewürzte Speisen und – wenn ich ihn richtig verstanden habe – er rühmte sich, da allerhand auszuhalten, bzw. ausgehalten zu haben.

Nachdem ich meinen Arbeitsbereich geändert hatte und von der Küche (im Erdgeschoss) in den ersten Stock „befördert“ wurde, gehört seitdem ein kurzer Spaziergang, 30 bis 45 Minuten, mit einigen der Männer zu meinen Aktivitäten. Auch Michele ging ein paar Mal mit und war bei den Langsameren. Einmal schimpfte er, ob mit mir oder einfach laut vor sich hin, das war mir nicht ganz klar, weil die Wegstrecke zu lang war. Und er hängte sich bei mir ein, worauf ich nicht vorbereitet war, was ich aber dann zuließ und was ihm wirklich eine Hilfe schien. Ich war froh, als wir wieder beim Haus ankamen. „Ich habe Schwierigkeiten mit dem Herzen und bin über 70“, so hatte er mir einmal anvertraut.

Und an einem Mittwoch sagte mir eine der Schwestern, Michele sei ins Krankenhaus eingeliefert worden. Sie wusste auch, dass er Jahrzehnte auf der Straße gelebt hatte. An den folgenden Mittwochen erkundigte ich mich immer nach Michele, zwischendurch war wohl die Frage, ob er in eine Pflegeeinrichtung umziehen könne.

Und am 19.2. sagte mir Schwester Dina Jo, dass Michele gestorben sei, tags zuvor hatten sie die Messe für ihn gefeiert. Im Hinblick auf sein Begräbnis sei alles noch sehr schwierig, weil er keine Dokumente hatte. Ein Mann, ganz allein, dazu ohne jedes Dokument, aus dem z.B. ein Geburtsort ersichtlich ist. Ganz konkret stellt sich natürlich die Frage, wer die Beerdigungskosten übernimmt.

So möchte ich an dieser Stelle an Michele erinnern. Andere Männer im Wohnheim erzählten lächelnd von gemeinsamen Gymnastik-Übungen, welche von Freiwilligen dort hin und wieder angeleitet werden, wie Michele mit seinen Armen „Flugbewegungen“ gemacht hatte. Die Männer erzählten das aber nicht spöttisch, sondern mit einer gewissen Freundlichkeit, fast Zärtlichkeit...

Ich hoffe und bete und glaube, dass Michele jetzt ein Zuhause gefunden hat.

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