Freitag, 15. August 2025

Merlini und der Wucher

Es heißt, er habe in der Nacht gebetet und studiert. Beim täglichen Arbeitsprogramm von Giovanni Merlini (1705-1873) ist das kaum anders vorstellbar. Ohne Zweifel war diese Gestalt für die Entwicklung der Gemeinschaft der Missionare vom Kostbaren Blut von gar nicht zu überschätzender Bedeutung. An dieser Stelle soll es um ein Detail seines Wirkens gehen, welches gleichzeitig verschiedene Charakterzüge Merlinis sowie Dinge aus der Anfangszeit der Missionare vom Kostbaren Blut deutlich werden lässt. 

Die Missionare waren nicht nur zum persönlichen, sondern auch zum gemeinschaftlichen Studium angehalten. Schließlich ging es ja unter anderem um die „Erneuerung des Klerus“. Hierfür waren in den Missionshäusern Studienkonferenzen vorgesehen, bzw. von der ersten Regel ausdrücklich vorgeschrieben, bis hin zur Festlegung, an welchen Tagen Bibel, Dogmatik, Moral oder Liturgie thematisch behandelt werden sollten. Zur Teilnahme an diesen Studienkonferenzen konnten auch Priester von außerhalb eingeladen und zugelassen werden. Und – ebenso typisch für die Missionare – sie konnten auch ausfallen, wenn die Missionare für ihren apostolischen Dienst unterwegs und deswegen anderweitig beschäftigt waren. Obwohl sich Zeit, Gesellschaft und Kultur geändert haben, finde ich diesen Ansatz, sich miteinander dem ein oder anderen Thema (wissenschaftlich) zu widmen, reizvoll. 

Ein gewisser Marco Mastrofini (1768-1845), angesehener, wenn auch nicht unumstrittener Theologe in Rom, hatte ein Buch zur Thematik des Wuchers geschrieben, welches den Missionaren vom Kostbaren Blut offensichtlich aufgefallen, wenn nicht „aufgestoßen“ war. Der Gründer und Leiter der jungen Gemeinschaft, Gaspare del Bufalo, bat daraufhin seinen fähig(st)en Mitarbeiter Giovanni Merlini, eine Entgegnung zu schreiben. Und Merlini kam dieser Bitte – wohl in einigen Nachtschichten – nach. Auch dieses Detail finde ich bemerkenswert: da sucht nicht einer akademischen Ruhm, sondern Merlini entspricht einer Bitte seines Oberen. 

Wie geht er das Vorhaben an? Er nimmt das Buch Mastrofinis und fügt zu den einzelnen Abschnitten seine Bemerkungen und Kommentare in kursiver Schrift an. So wird das Buch dann auch gedruckt! Der Leser kann also den Gedankengang gut und genau nachvollziehen, er könnte Mastrofini „pur“ lesen, oder er setzt sich mit Merlinis Kritik auseinander. Welch ein Respekt vor dem anderen wird hier deutlich! Da arbeitet nicht jemand mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten, sondern setzt sich wirklich mit dem Denken des anderen auseinander und lässt auch seine Leserschaft daran teilhaben. 

Ich gebe zu, dass ich erstens nicht das ganze Werk gelesen habe und zweitens auch in der Zusammenfassung nicht alles verstanden habe. Das mag sowohl an mangelnden Italienisch- als auch an unvollkommenen Kenntnissen der Moraltheologie liegen. 

Schmunzeln musste ich bei einem Detail, welches auch ein Licht auf das Ganze werfen mag. Mastrofini meint, wenn einer 100 Scudi (damalige Währung in Italien) raubt, dann muss er nach einem Jahr nicht nur die 100 Scudi zurückgeben, sondern auch eine Summe, die dem entspricht, was in einem Jahr mit 100 Scudi hätte erwirtschaftet werden können. Merlini hält dagegen und sagt, es seien nur die 100 Scudi zurückzugeben und eventuell natürlich der bei dem Einbruch entstandene Sachschaden wieder gut zu machen. Das, was eventuell hätte erwirtschaftet werden können, sei doch eine sehr hypothetische Größe und nicht er- und anrechenbar.

 

 

Donnerstag, 31. Juli 2025

Museo Manzú

Giacomo Manzú war mir von Salzburg her bekannt: er hat eines der dortigen Domportale geschaffen und auch einer seiner berühmten „Kardinäle“ ist außen am Dom zu sehen. Irgendwie hatte ich vom „Museo Giacomo Manzú“ in Ardea, unweit von Rom, erfahren und wollte gerne einmal dorthin. Da am Wochenende weniger Busse fahren, unternahm ich die Reise an einem Freitag im Juli. „An welcher Haltestelle muss ich denn aussteigen, wenn ich zum museo Manzú will?“, fragte ich den Busfahrer. „Setz dich hier vorn hin, damit ich dich nicht vergesse“, antwortete er. Bei einer Haltestelle am Ortseingang von Ardea sagte er: „hier ist es, aber von der nächsten Haltestelle aus ist es wohl näher zu Fuß“. Und dann ließ er mich direkt vor dem Museumseingang, zwischen den Haltestellen, aussteigen, weil er aufgrund des Verkehrs sowieso gerade stehen geblieben war. Nett!

Ich näherte mich dem großen weißen Gebäude und ein Herr hielt mir die Tür auf. Nanu, welch ein Empfang! Freundlich erklärte mir der Mann, es sah eigentlich egal, wo ich mit der Besichtigung begänne, es gäbe verschiedene Sektionen in den beiden Ausstellungssälen (links und rechts vom Eingang), die unabhängig voneinander angeschaut werden können.

So ging ich nach links und kam nach der Sektion „Theater“ gleich danach zur sakralen Kunst. Dort gibt es Entwürfe sowohl des Salzburger als auch eines Rotterdamer Kathedral-Tores. Auch für den römischen Petersdom hat Manzú ein Tor gemacht. Und ebenfalls im museo Manzú findet sich der ein oder andere Kardinal, neben allerhand, was an Papst Johannes XXIII. erinnert, sowohl als Plastik als auch als Bild. Papst und Künstler waren freundschaftlich verbunden.

Im anderen Saal dann verschiedene Bronzeskulpturen, mehrere davon „amanti“ genannt, eine Frau und ein Mann eng umschlungen. Oder eine Kinderfigur auf einem Stuhl sitzend, bzw. zwei Kinder (Manzús eigene) auf einer Art Leiterwagen ohne Geländer.

Ich war (und bin) beeindruckt vom Können des Künstlers. Ein Schwerpunkt seines Schaffens sind sicher die Bronzeskulpturen, aber er hat ebenso aus Ebenholz und Alabaster Figuren hergestellt. Und wie die Bilder im Museum zeigen, konnte er auch malen, und zwar in verschiedenen Techniken, da ist ein Ölbild neben einer Farbstiftzeichnung.

Ein weiterer kennzeichnender Zug seiner Kunst scheint mir zu sein, wie diese mit seinem Leben und seiner Zeit zu tun hat. Es gibt einige Bilder aus der zweiten Hälfte der 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, auf denen der Gekreuzigte als Gehenkter, teilweise auch mit dem Kopf nach unten, an den Füßen aufgehängt, zu sehen ist – in aller Brutalität. Muss einen das zu dieser Zeit wundern?

Die 60er Jahre hingegen, in denen er mit seiner zweiten Frau Inge zusammenlebte, mit der zusammen er die beiden bereits erwähnten Kinder hatte, waren, wie er selbst sagt, eine glückliche Zeit für ihn. Das ist ebenfalls zu sehen.

Manches wirkt fast ein wenig verspielt. Da sind zum Beispiel zwei kleine Skulpturen „Schildkröte mit Schlange“, aber auch die „amanti“(Liebenden).

Verschiedene Büsten von mit ihm befreundeten Personen erinnern wiederum an antike römische Kunstwerke. Darunter übrigens eine Büste von Oskar Kokoschka, mit dem Manzú befreundet war und in der Salzburger Sommerakademie zusammenarbeitete. 

Wenn ich mich nicht täusche, dann war ich während rund 90 Minuten der einzige Museumsbesucher, wohingegen ich fünf Angestellte, drei Männer und zwei Frauen zählte. Das italienische Kulturministerium, welchem das Museum untersteht, lässt sich das Ganze offensichtlich etwas kosten. Wobei mir einer der Angestellten erklärte, das in naher Zukunft Eintritt verlangt werden würde. Ich sah bereits die Maschine mit dem Scanner, welcher den Code auf den Eintrittskarten ablesen wird. Ich durfte noch umsonst Manzús Kunst genießen und mich daran freuen. Abgesehen davon bemühten sich zwei der Angestellten darum, die Abfahrtszeit des Busses für die Rückfahrt nach Rom für mich heraus zu finden. Und einer meinte voller Mitleid: „Ich hoffe, Sie finden einen, mit dem Taxi würde es doch teuer“. Es gab einen Bus!

Dienstag, 15. Juli 2025

Genau hinschauen

Anlässlich eines ihm in Rom vor einem Monat verliehenen Preises hielt der deutsche Regisseur Wim Wenders eine Rede, in der er vor allem der Bedeutung von Wörtern auf den Grund zu gehen scheint. „Moving pictures“ – was steckt hinter bzw. in „moving“, was in „pictures”? Er greift dazu auf das Lateinische, woanders auch auf das Griechische zurück. Mir gefällt seine Rede ähnlich wie die beiden Filme, die ich von ihm kenne: „Papst Franziskus – ein Mann seines Wortes“ und „Perfect days“. Diesen Filmen gingen andere voraus, die sehr bekannt wurden. Genau hinsehen: was der Regisseur in seiner Rede tut, das zeichnet auch sein filmisches Schaffen aus. 

Zu unserem Fest am 1. Juli (Hochfest des Kostbaren Blutes Jesu Christi) hatten wir Gäste im Haus. Mit zweien davon stand ich in unserem Hauseingang vor einem Holzrelief, welches P. Emanuele vor zwei Jahren aus Tansania mitgebracht hat. Wir haben das Relief, eine Weihnachts- bzw. Krippenszene, „vorübergehend“ auf einen Ständer im Eingangsbereich gestellt und bisher blieb es dort stehen. P. Angelo sah sich das Relief an und entdeckte, dass Josef seine Hand auf die Schulter Marias legt und dass das Jesuskind in der Krippe offensichtlich an seinem Daumen lutscht. Ich muss zugeben, dass mir beides noch nicht aufgefallen war. Schließlich fragte Angelo auch, aus welchem Holz das Relief geschnitzt sei. Der zweite Gast, mit dem wir dort standen, war P. Chesco aus Tansania. Er konnte uns sagen, dass es sich um Holz vom Mninga-, bzw. Muninga-Baum handelt. Natürlich suchten wir im Internet ein Foto dieses afrikanischen Baumes. Genau hinschauen!

 Tatsächlich gefallen mir im Normalfall auch Predigten, die genau hinschauen, die ein Detail aufgreifen, evtl. einer Kleinigkeit nachspüren oder irgendwie „an der Oberfläche kratzen“ und dadurch etwas tiefer gehen.

Und wie wohltuend sind Menschen, denen der Schatten auf dem Gesicht eines anderen auffällt und die sich vorsichtig nachzufragen trauen. Genau hinschauen! 

Mit Sr. Bakhita war ich beim Einkaufen. Zwar dauerte es etwas, aber gleichzeitig freute ich mich darüber, wie sie das ein oder andere in die Hand nahm und sehr genau anschaute, evtl. auch noch einmal das Kleingedruckte auf der Rückseite des Produktes las. Und auf dem Heimweg sagte sie mir, wie schwierig es zurzeit (und bei diesen Temperaturen!) sei, einigermaßen frischen Salat zu finden. Genau hinschauen! 

Benötigen wir diese Fähigkeit nicht in unseren Tagen in besonderer Weise? Wenn „alternative Wahrheiten“ und „fake news“ verbreitet werden. Mich schmerzt etwa, wenn kurz nach dem Tod von Papst Franziskus angebliche Informationen dazu benutzt werden, ihm Dinge zu unterstellen. Genau hinschauen!

Montag, 30. Juni 2025

Emotionale Intelligenz

Er trägt eine Smartwatch! Während manche eher auf die Art der Bekleidung achte(te)n, Papst Leo trug bei seinem ersten Auftritt die rote Mozzetta, im Gegensatz zu Papst Franziskus, der im schlichten Weiß auf der Benediktionsloggia erschienen war, fiel einigen das kleine Accessoire auf: die Smartwatch. Aha: technisch aufgeschlossen! Und einige der bisherigen Äußerungen von Papst Leo bestätigen das. Wobei er gleichzeitig die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz lobt und vor ihren Gefahren warnt. 

Am vergangenen Samstag kam mir das Thema wieder in den Sinn. Wir feierten die Messe am Gedenktag des Unbefleckten Herzen Mariens und der für diesen Anlass vorgesehene Evangeliumsabschnitt ist die Geschichte der Suche der Eltern des zwölfjährigen Jesus nach ihrem Kind und sein Wiederfinden im Tempel. Am Ende der Geschichte (Lk 2,41-51), eines durchaus mühsam-schmerzhaften Dialoges zwischen dem Jugendlichen und seinen Eltern, heißt es über Maria, die Mutter Jesu: „Seine Mutter bewahrte all die Worte in ihrem Herzen“. Ähnlich steht es bereits vorher im selben Kapitel über Maria: „Maria aber bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen.“ (Lk 2,19). „Im Herzen bewahren“ ist anders als „auf der Festplatte oder in der Cloud speichern“. Wird es uns gelingen, die Möglichkeiten der Technik zu nutzen und gleichzeitig die Fähigkeit des „im Herzen Bewahrens“ zu entwickeln oder neu und besser zu entdecken? 

Neulich fand ich in einem Post von Johannes Hartl (https://www.herder.de/communio/kolumnen/hartl-aber-herzlich/daten-allein-bieten-keine-orientierung-die-wiederentdeckung-der-weisheit/) ein Zitat von T. S. Eliot aus dem Jahr 1934: "Where is the wisdom we have lost in knowledge? Where is the knowledge we have lost in information?"

Suchen wir Informationen, häufen wir Wissen an oder streben wir nach Weisheit? Im konkreten Lebensvollzug müssen sich diese Dinge ja gar nicht ausschließen. Gleichzeitig kann diese Frage aber doch Auswirkungen auf die Gestaltung unseres Lebens haben. In welchem Verhältnis etwa steht meine „Bildschirmzeit“ zur „Herzenszeit“? Was „speichere“ ich wo ab? 

Zu denken gibt mir auch ein Buch von Douglas Rushkoff, Survival of the Richest. Warum wir vor den Tech-Milliardären noch nicht einmal auf dem Mars sicher sind. Die amerikanische Originalausgabe erschien 2022, in diesem Jahr nun die deutsche Übersetzung.

In der Sendung „Sternstunde Philosophie“ des Schweizer Fernsehens hatte ich ein Gespräch mit Douglas Rushkoff gesehen und sowohl der Inhalt als auch seine Person interessierten mich, deswegen bin ich jetzt daran, sein Buch zu lesen. Immerhin zitiert der nach eigenen Aussagen nicht-religiöse Rushkoff darin auch „Fratelli tutti“ von Papst Franziskus. 

Ich trage (noch?) keine Smartwatch. Und manches befremdet mich: der Mitbruder, der an meiner Tür vorbei geht und mir eine halbe Stunde eine WhatsApp schickt: „bin zurück“. Wieso hat er nicht geklopft und einen Sprung hereingeschaut? Oder die letzte Zugfahrt von Salzburg nach Rom. Als ich heimkam, hatte ich wenigstens vier Mails der Deutschen Bahn im Posteingang, die mich auf Verspätungen und Gleisänderungen hinwiesen. Wie wäre es, anstatt in diese tollen Informationen mehr in die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit zu investieren? 

Wobei mir das „im Herzen bewahren“ durchaus als Wunsch und Aufgabe vor Augen steht und bleibt…

Sonntag, 15. Juni 2025

Kirchenraum

Vor einem Monat habe ich mich mit „kirchlichen Gebäuden“ befasst, diesmal soll es um die „Kirchbauten“ (im Sinn von Sakralräumen) selbst gehen. Es ist heiß und in der ein oder anderen Stadt kann einem die Idee kommen, etwas Abkühlung in einem solchen Kirchenraum zu suchen. Nicht nur, weil gerade kein Schwimmbad in der Nähe ist. 

Mit Staunen habe ich verschiedene Äußerungen im Zusammenhang des umstrittenen Umbaus der Berliner St. Hedwigs-Kathedrale gelesen. Die architektonische Umgestaltung fand und findet Befürworter und Gegner. Ich hoffe auf einen Berlin-Besuch und möchte dann den Raum auf mich wirken lassen. Der Eifer mancher Wortmeldung zur Umgestaltung der Kathedrale macht mich nachdenklich, eher im Sinn einer positiven Überraschung: Kirche und ihre Architektur haben nach wie vor eine Bedeutung für viele Menschen.

Was sich auch an Initiativen für den Erhalt von Kirchbauten zeigt, in welchen sich nicht nur „gläubige Kirchgänger“ engagieren. 

Wie muss oder soll sie denn aussehen, die „ideale Kirche“? Welche Möglichkeiten muss der Raum bieten? Mir scheint, auf diese Fragen gibt es nicht nur eine Antwort. Geschweige denn eine über längere Zeit hinweg gültige.

Immer noch angetan bin ich von der Idee eines Pfarrers einer westfälischen Stadt, der in seine Kirche ein großes Zelt, eine Jurte, hineinstellte, in dem er sich mit Jugendlichen trifft. Denen hat er damit eine Brücke gebaut, denn im klassischen Kirchenraum mit seinen unverrückbaren Bänken täten sich diese wohl eher schwer. Ich weiß nicht, wieviel Befremden, wenn nicht gar Widerstand die Idee des Pfarrers bei anderen ausgelöst hat.

Tatsächlich spüren wir unsere unterschiedlichen kulturellen Prägungen und Hintergründe nicht zuletzt im Empfinden eines Kirchenraums. Ich erinnere mich, wie ich Ordensfrauen einmal die für mich so faszinierende Kirche St. Moritz in Augsburg zeigte. Den Ordensfrauen war die Kirche viel zu leer, kahl und kalt. Ähnliches erlebte ich mit der Pfarrkirche in Salzburg-Parsch, dem für mich immer noch schönsten Kirchenraum, in welchem ich bisher Dienst tun durfte. Wobei das Besondere an dieser Kirche ist, dass sie verschiedene Möglichkeiten bietet. Während sich die einen unter dem Gewölbe der einen Seite geborgen fühlen, erscheint dies anderen eher als (be-)drückend und sie haben die Möglichkeit, auf der anderen Altarseite Platz zu nehmen, wo es viel Luft nach oben gibt. 

Unvergessen ist mir auch der Junge, dem entweder das Wort „Kapelle“ (im Sinn von kleinem Kirchenraum) fremd war oder der schlicht recht unbefangen gegenüber „Kirchlichem“ war. Bei Ferien für Jungen in einem unserer Missionshäuser fragte er, wann wir uns denn wieder im „Klavierzimmer“ treffen würden. Ich brauchte einen Moment, bis ich verstanden hatte, dass er von der Kapelle sprach, in der eine kleine elektronische Orgel stand…

 

 

 

 

 

 

Samstag, 31. Mai 2025

Tschenstochau

Die letzte Maiwoche verbrachte ich in Polen. Don Emanuele als Generalmoderator unserer Gemeinschaft befindet sich noch bis Mitte Juni zur Visitation unserer US-amerikanischen Provinz in den USA, so hat er mich gebeten, die Wahlversammlung der polnischen Mitbrüder am 26. und 27. Mai zu leiten.

Ich reiste am 24. nach Tschenstochau und ging gleich abends zum „Apel“, dem traditionellen Abendgebet, nach Jasna Góra. 1988 war ich zum ersten Mal dort und immer wieder berührt mich dieses Gebet. Ganz eng stehen die Menschen in der Kirche beieinander, wenn sie nicht zu den wenigeren gehören, die einen Platz in einer Kirchenbank gefunden haben. Interessanterweise schaffen es immer wieder einzelne, sich durch die eng stehenden Menschen noch weiter nach vorne zu drängen, was auch toleriert wird. 1988 erlebte ich den Ort und Anlass wie als „Raum der Freiheit“ in der kommunistisch geprägten Umwelt. Ähnlich wie Dietrich Bonhoeffer im Nazi-Gefängnis doch frei wirkte, so schien es mir hier eine kollektive Parallel-Erfahrung zu geben. Die Verhältnisse sind, wie sie eben sind, aber wir kommen hier zum Gebet bei der Mutter Gottes von Jasna Góra zusammen und das bestimmt uns letztlich und im Innersten.

Bei späteren Besuchen und auch jetzt wieder fragte ich mich bange und hoffnungsvoll gleichzeitig, ob dieses Freiheitsempfinden wie ehedem im Kommunismus jetzt auch im Kapitalismus trägt. Als ich am 27. abends noch einmal zum Apel ging, schien mir in den einleitenden Gedanken eines Priesters deutlich die Sorge angesichts der Präsidenten(stich)wahl am kommenden Sonntag und ihre möglichen Folgen, z.B. auf den schulischen Religionsunterricht, durchzuscheinen.

Gleichzeitig werden mir dabei auch unterschiedliche theologische Ansätze deutlich, wie sie sich z.B. bei der Weltsynode und nicht zuletzt bei der kontinentalen Synodalversammlung Europas in Prag gezeigt haben. Das Zusammenspiel von Kirche und Gesellschaft wird in den verschiedenen Ländern Europas sehr unterschiedlich gesehen. Und es ist zunächst einmal gut, sich dessen bewusst zu sein und in einem weiteren Schritt die „anderen“ zu verstehen zu versuchen.

Natürlich werde ich sehr gespannt den Ausgang der Präsidentenwahl in Polen verfolgen, zumal ich ja auf Schritt und Tritt, bzw. bei vielen Autokilometern den Wahlplakaten begegnet bin. Im Land schien mir die Sache nicht mehr ganz so einfach, wie ich zuvor gedacht hatte, ich gebe es zu.

Autokilometer: das hängt damit zusammen, dass ich Mariusz, einen wanderfreudigen polnischen Mitbruder gefragt hatte, ob wir nicht im Anschluss an die Wahlversammlung ein paar Tage gemeinsam wandern könnten. Er wollte mich stattdessen zum Kajak-Fahren überreden, aber dazu hatte ich nicht den Mut. So blieb es beim Wanderprojekt und wir fuhren von Tschenstochau aus in den Süden, an die tschechische Grenze, wo die Mitbrüder seit einigen Jahren eine Niederlassung haben und in einer Pfarrei tätig sind.

Das Wetter war uns in diesen Tagen nicht sehr gewogen. Am ersten Tag zogen wir los nach Czarna Góra und kamen ziemlich nass zurück. So dass wir uns am darauffolgenden Tag für Kultur entschieden und nach Kłodzko (früher Glatz) fuhren, wo es eine wunderschöne Altstadt mit einer beeindruckenden Festungsanlage zu sehen gibt. Auf der Rückfahrt besuchten wir noch die Goldmine in Złóty Stok (früher Reichenstein), ein Schaubergwerk, gemeinsam mit vielen anderen Menschen.

Am letzten Tag war noch einmal wandern angesagt, der śnieżnik, der Glatzer Schneeberg stand auf dem Programm. Zwar bekamen wir von der bei gutem Wetter wohl spektakulären Aussicht nichts mit, wir waren erneut in Wolken und Nieselregen, aber es war trotzdem schön.

 

Donnerstag, 15. Mai 2025

Päpste

„Warum schreiben Sie denn nichts zu dem, was sich momentan in Rom alles ereignet?“, so die Frage einer Leserin nach dem letzten Post.

Am Tag der Beerdigung von Papst Franziskus saß ich im Zug (Abfahrt in Rom um 10.00 Uhr, also exakt zur Zeit des Beginns der Beerdigungsmesse für Papst Franziskus), um in den Süden, nach Apulien, zu fahren. Leonardo, ein junger Mitbruder der italienischen Provinz der Missionare vom Kostbaren Blut hatte mich eingeladen, bei der Feier seiner Priesterweihe dabei zu sein. Keinen Moment dachte ich daran, mein Programm zu ändern, ich war mir sicher, dass der verstorbene Papst völlig einverstanden gewesen wäre. (Tatsächlich erzählte mir Leonardo von Kollegen, deren Bischof ihre Priesterweihe wegen des Papstbegräbnisses verschoben hatte…)

Ehrlich gesagt bin ich nicht unbedingt ein Freund von „Massenaufläufen“, auch Fußballstadien und Konzert-Arenen sind nicht „meine Welt“. Im Zusammenhang mit dem Papst, dem verstorbenen und dem soeben gewählten, stelle ich mir zusätzlich die ein oder andere Frage. Wir sind ja als Kirche – hoffentlich! – nicht ein „Verein von Papst-Fans“. Mit welchen Zahlen da operiert wird: einige betonten, dass jetzt nicht so viele Menschen in Rom waren wie damals, als Johannes Paul II. verstarb und beerdigt wurde. Die Zahl der akkreditierten Journalisten dagegen war wohl jetzt höher. Schon bei der Messe für den verstorbenen Papst Franziskus 4500, beim Konklave dann 5000. Klar leben wir im Zeitalter der (sozialen) Medien. Scheinbar beschäftigen sich Menschen auch damit, die Lautstärke des Beifalls bei Audienzen auf dem Petersplatz (in Dezibel!) zu messen und stellten fest, dass es seit Johannes Paul II. „leiser“ geworden ist. Wobei der Grund vermutlich im gestiegenen Handy-Gebrauch zu suchen ist: während früher Menschen die Hände noch zum Klatschen frei hatten, ist heute das Handy in der Hand, um Fotos zu machen. Na ja…

Bei den Bildern des Gratis-Konzerts von Lady Gaga an der Copacabana in Rio de Janeiro erinnerte ich mich an die Messe mit Papst Franziskus im Rahmen eines Weltjugendtages am selben Ort. Massen an Menschen! In Rom (und darüber hinaus) sagt man sehr nüchtern und lapidar: „morto un papa se ne fa un altro“ („ist ein Papst gestorben, dann wird eben ein neuer gewählt“), fast ein wenig wie „the show must go on!“. Meine Lieblingsautorin auf katholisch.de betonte am 5.5. die Notwendigkeit für jede/n Christen/in, selbst ein Gesicht der Kirche zu sein. Nicht nur der Papst…

Wobei ich durchaus ein Fan von Papst Franziskus war, bin und bleiben werde. Nach wie vor ist sein Foto (vor der Europa-Flagge) Bildschirmschoner auf meinem Laptop. Und ich erinnere mich daran, wie ich zu Pandemie-Zeiten, noch in Maria Baumgärtle, öfter am Morgen die Frühmesse aus Santa Marta eingeschaltet habe, um Franziskus Predigt zu hören. Danach musste ich ausschalten, um selbst zur Messe vor Ort zu gehen. Im Bücherregal steht ein Band mit Predigten von Jorge Mario Bergoglio aus seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires, in den ich regelmäßig hineinschaue. Besonders genossen habe ich stets die Aufzeichnungen der Begegnungen von Papst Franziskus mit seinen Mitbrüdern, den Jesuiten, für die er sich während seiner Reisen jeweils eigens Zeit nahm.

Als der soeben gewählte neue Papst Leo auf den Balkon trat, war ich nicht auf dem Petersplatz, sondern wie viele andere vor dem Bildschirm. Das lag daran, dass ich um 18.00 Uhr noch einen Webtalk mit Manfred Deselaers verfolgt hatte, der als Priester seit 30 Jahren in Auschwitz lebt. Immerhin war ja der 8. Mai, ein höchst passendes Datum für eine solche Veranstaltung. Als der Webtalk zu Ende ging, stellte ich fest, dass ich es wohl nicht mehr pünktlich auf den Petersplatz schaffen würde und setzte mich vor den Fernseher. „Wie wird der neue Papst grüßen? Buona sera, wie sein Vorgänger? Oder doch `Gelobt sei Jesus Christus´?“ Wunderbar dann sein Gruß: „der Friede sei mit Euch allen“. Da können alle zufrieden sein: der Gruß des Auferstandenen, der liturgische Gruß des Bischofs und ein Wunsch, gegen den wohl niemand etwas einwenden wird.

Am Sonntag bei der offiziellen Messe zur Amtseinführung des neuen Papstes möchte ich auf dem Petersplatz dabei sein…

 

Mittwoch, 30. April 2025

Kirchliche Gebäude

Neben der schlichten Pfarrkirche in Klagenfurt-Annabichl, dort begann ich nach der Priesterweihe 1991 meinen Dienst, wurde in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein Pfarrzentrum gebaut, darin ein Saal und verschiedene Räume für pfarrliche Aktivitäten.

Während meiner Zeit in Klagenfurt hörte ich, hoffentlich habe ich das richtig in Erinnerung behalten, dass der frühere Bischof Köstner bei der Einweihung des Pfarrzentrums den Menschen der Pfarre sagte: „aber vergesst nicht, dass die Kirche das eigentliche Zentrum der Pfarre ist!“.

In unseren Tagen, in welchen zumindest Diözesen im deutschsprachigen Raum kritisch ihren Immobilienbestand prüfen, fiel mir die Geschichte von damals wieder ein. Es gab eine Phase, in welcher viele Pfarr- und Gemeindezentren gebaut wurden. Sicherlich hängt das damit zusammen, dass „aus der Pfarrei eine Gemeinde werden“ sollte und der Kirchenraum als liturgischer Ort für diesen Zweck nicht genügend Möglichkeiten zu bieten schien. Heute werden viele kirchlichen Gebäude, seien es die Kirchen selbst oder eben die Pfarr- und Gemeindezentren schlicht nicht mehr gebraucht bzw. scheinen die finanziellen Möglichkeiten es nahezulegen, sich von dem ein oder anderen Bau zu trennen.

Das tut (vielen) weh und ich bin weit davon entfernt, diesbezüglich etwas schönreden zu wollen. Und doch: vielleicht hilft es uns, einen Schritt zurück zu treten und nachzudenken.

Könnte es sein, dass die Gemeinde- und Pfarrzentren in gewisser Weise ein „Schnellschuss“, ein Fehler, um nicht gar von „Sündenfall“ zu sprechen, waren? Klar: hinterher weiß man es immer besser. In „nachkonziliarer Euphorie“ konnten kaum Zweifel am Bau eines Gemeindezentrums aufkommen, im Gegenteil, es war geradezu Ausdruck eines neuen, gewandelten Selbstverständnisses der Gemeinde vor Ort.

Heute reden wir von „Kirche im Sozialraum“ und versuchen als Kirche mit verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren zusammen zu arbeiten, uns bestmöglich zu vernetzen, z.B. im Sozialbereich oder im Einsatz für ökologische Fragen. Vielleicht kann es in diesem Zusammenhang auch als Chance gesehen werden, wenn sich die ein oder andere kirchliche Gruppe für ihre Treffen auf „Raumsuche“ begeben muss. Das neue Miteinander sieht völlig anders aus als in den Jahren vor der Existenz von Pfarr- und Gemeindezentren, in welcher die Menschen (zumindest diejenigen männlichen Geschlechts) nach der Liturgiefeier zum Frühschoppen ins (Dorf-)Wirtshaus gingen. Diese Form von „Kirche im Sozialraum“, in welcher Kirche noch ein wichtiger „Player“ war, ist vorbei. Heute kann die Kontaktaufnahme mit „Nicht-Kirchgängern“ vielleicht in dem ein oder anderen Fall tatsächlich mit der Anfrage um einen Raum beginnen, bzw. eine sich für irgendein Anliegen gebildete Gruppe sucht gemeinsam danach.

Wo es allerdings noch kirchlichen Gebäudebestand gibt, sollte abgesehen von Verkaufsüberlegungen die Nutzung desselben kritisch hinterfragt werden. Wie zugänglich sind die Räume, wie verfügbar? Was ich immer wieder erlebt habe ist die Vermietung von Gemeinderäumen für z.B. Familienfeiern oder andere private Feste. Eine Win-Win-Situation: die Gruppe hat einen geeigneten Raum, die Pfarrei ein wenig Einkommen.

Ein anderes Projekt, das ich selbst erlebt habe: in unserer (Missionare vom Kostbaren Blut) ehemaligen Pfarrei Hl. Kreuz in Traunstein wohnte für einige Zeit ein ökologisch engagierter Priester, der auf unserem Grundstück einen „Schöpfungsgarten“ angelegt hat und mit ganz verschiedenen Menschen in diesem Garten arbeitete. Dieses Projekt geht weiter auch nach dem Wegzug des Priesters. Und die „Schöpfungsgärtner“ treffen sich für die ein oder andere Besprechung im Pfarrhaus, wo ihnen unser ehemaliges großes Esszimmer mit der Küche nebenan zur Verfügung steht.

Mich selbst schmerzte es, dass ich bei meinen Mitbewohner/innen keinen Rückhalt fand, um eine Anfrage einer Nachbarin positiv zu beantworten, die unseren Garten für die Feier eines Kindergeburtstags nutzen wollte. Viele Bedenken: „könnte ein Präzedenzfall werden. Und wenn etwas passiert, Versicherungsfragen…“, welche das Projekt letztlich nicht zustande kommen ließen.