Es heißt, er habe in der Nacht gebetet und studiert. Beim täglichen Arbeitsprogramm von Giovanni Merlini (1705-1873) ist das kaum anders vorstellbar. Ohne Zweifel war diese Gestalt für die Entwicklung der Gemeinschaft der Missionare vom Kostbaren Blut von gar nicht zu überschätzender Bedeutung. An dieser Stelle soll es um ein Detail seines Wirkens gehen, welches gleichzeitig verschiedene Charakterzüge Merlinis sowie Dinge aus der Anfangszeit der Missionare vom Kostbaren Blut deutlich werden lässt.
Die Missionare waren nicht nur zum persönlichen, sondern auch zum gemeinschaftlichen Studium angehalten. Schließlich ging es ja unter anderem um die „Erneuerung des Klerus“. Hierfür waren in den Missionshäusern Studienkonferenzen vorgesehen, bzw. von der ersten Regel ausdrücklich vorgeschrieben, bis hin zur Festlegung, an welchen Tagen Bibel, Dogmatik, Moral oder Liturgie thematisch behandelt werden sollten. Zur Teilnahme an diesen Studienkonferenzen konnten auch Priester von außerhalb eingeladen und zugelassen werden. Und – ebenso typisch für die Missionare – sie konnten auch ausfallen, wenn die Missionare für ihren apostolischen Dienst unterwegs und deswegen anderweitig beschäftigt waren. Obwohl sich Zeit, Gesellschaft und Kultur geändert haben, finde ich diesen Ansatz, sich miteinander dem ein oder anderen Thema (wissenschaftlich) zu widmen, reizvoll.
Ein gewisser Marco Mastrofini (1768-1845), angesehener, wenn auch nicht unumstrittener Theologe in Rom, hatte ein Buch zur Thematik des Wuchers geschrieben, welches den Missionaren vom Kostbaren Blut offensichtlich aufgefallen, wenn nicht „aufgestoßen“ war. Der Gründer und Leiter der jungen Gemeinschaft, Gaspare del Bufalo, bat daraufhin seinen fähig(st)en Mitarbeiter Giovanni Merlini, eine Entgegnung zu schreiben. Und Merlini kam dieser Bitte – wohl in einigen Nachtschichten – nach. Auch dieses Detail finde ich bemerkenswert: da sucht nicht einer akademischen Ruhm, sondern Merlini entspricht einer Bitte seines Oberen.
Wie geht er das Vorhaben an? Er nimmt das Buch Mastrofinis und fügt zu den einzelnen Abschnitten seine Bemerkungen und Kommentare in kursiver Schrift an. So wird das Buch dann auch gedruckt! Der Leser kann also den Gedankengang gut und genau nachvollziehen, er könnte Mastrofini „pur“ lesen, oder er setzt sich mit Merlinis Kritik auseinander. Welch ein Respekt vor dem anderen wird hier deutlich! Da arbeitet nicht jemand mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten, sondern setzt sich wirklich mit dem Denken des anderen auseinander und lässt auch seine Leserschaft daran teilhaben.
Ich gebe zu, dass ich erstens nicht das ganze Werk gelesen habe und zweitens auch in der Zusammenfassung nicht alles verstanden habe. Das mag sowohl an mangelnden Italienisch- als auch an unvollkommenen Kenntnissen der Moraltheologie liegen.
Schmunzeln musste ich bei einem Detail, welches auch ein Licht auf das Ganze werfen mag. Mastrofini meint, wenn einer 100 Scudi (damalige Währung in Italien) raubt, dann muss er nach einem Jahr nicht nur die 100 Scudi zurückgeben, sondern auch eine Summe, die dem entspricht, was in einem Jahr mit 100 Scudi hätte erwirtschaftet werden können. Merlini hält dagegen und sagt, es seien nur die 100 Scudi zurückzugeben und eventuell natürlich der bei dem Einbruch entstandene Sachschaden wieder gut zu machen. Das, was eventuell hätte erwirtschaftet werden können, sei doch eine sehr hypothetische Größe und nicht er- und anrechenbar.
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