Sonntag, 15. September 2024

Karriere

Fünf Wochen war ich weg von Rom. Und nehme jetzt die Arbeit und Aktivitäten wieder auf. Dazu gehört auch der Freiwilligendienst in dem von den Schwestern Mutter Teresas geführten Männerwohnheim. Als ich am Mittwoch dort eintreffe und wie gewohnt in die Küche gehe, lächelt mich Sr. Mary Vicuña an: „es gibt allerhand Veränderungen“. Ich erwarte, dass sie mir jetzt erzählen wird, welche Schwestern versetzt wurden oder neu hier sind. „Sie wollen dich im zweiten Stock“ fährt Sr. Mary fort und ich verstehe, dass die Veränderung mich betrifft. Ein wenig bin ich traurig, denn die Küchenarbeit hatte mir Spaß gemacht. Zum einen eine gute Alternative zum Sitzen am Schreibtisch, zum anderen gefiel mir auch das Freiwilligenteam dort in der Küche: feine Leute mit Humor…

Aber ich ergebe mich in mein Schicksal (mit etwas mulmigem Gefühl: „was wird mich dort erwarten?“) und lasse mich von Sr. Olivetta vom Erdgeschoss in den zweiten Stock – Karriere! - begleiten. Zumal ich ja zugegebenermaßen auch schon länger neugierig war, noch etwas mehr von diesem großen Haus zu sehen. Oben angekommen bittet mich Sr. Olivetta, den Gang, der Belag sind Steinfliesen, zu kehren. Dieser ist bestimmt 25, wenn nicht 30 Meter lang und etwa 2 ½ Meter breit. Als Arbeitsgerät bekomme ich dafür einen Besen, der keine 30 Zentimeter breit ist und eine Kehrschaufel mit langer Stange. Ich denke etwas wehmütig an große Besen zurück, mit denen ich an anderen Orten schon gekehrt habe, und mache mich mit dem kleinen Besen ans Werk. Als ich das erste Drittel der Fläche gekehrt habe, bringt mir einer der Männer einen Eimer Wasser und einen Wischmopp: „das ist für Dich!“. „Aha, danke“, sage ich und verstehe, dass es nicht nur um „besenrein“ geht, sondern mehr erwartet wird. Nachdem ich das zweite Drittel fertig gekehrt habe, merke ich leichte Rückenschmerzen und muss seltsamerweise darüber lächeln: „nicht ganz in Form, Herr Pater? Nichts mehr gewohnt!“. Oder hatte ich schlicht eine falsche Haltung eingenommen? Sei`s drum! Ich kehre fertig und mache mich ans Wischen. Auch da kommen Erinnerungen hoch. Als Pfarrer in Salzburg war Samstag mein Putztag. Und beim Ausschütten des schmutzigen Wassers dachte ich mir bisweilen mit einem Anflug von Selbstironie: „hier siehst du einen Erfolg deiner Arbeit – das ist sonst nicht immer so!“ Irgendwann war der Gang gekehrt und gewischt. Was nun? Es galt, Bettwäsche zusammen zu legen. Der Haken (oder Reiz) dabei: die Betttücher sind – mit schwarzem Stift -  „beschriftet“, z.B. „II p / 15“, für „2. Stock, Zimmer 15“. Und diese Schrift muss beim zusammengelegten Betttuch natürlich oben und zu lesen sein. Es kommt ein weiterer Freiwilliger zu Hilfe, Angelo. Wobei ich den Eindruck habe, dass dieser einen großen Gesprächsbedarf hat, womit „der Deutsche“, der gern effektiv arbeiten möchte, erst einmal zurechtkommen muss. Schlussendlich entscheide ich mich, Angelo nicht vor den Kopf zu stoßen, sondern ihm zuzuhören. Hin und wieder bekommen wir auch ein Betttuch gefaltet, mit der Schrift oben. Angelo war, soweit ich verstanden habe, einmal im Priesterseminar und hat dieses verlassen. Später hat er in einer Telekommunikationsfirma gearbeitet. Er wohnt in einer Sozialwohnung, die vermutlich verkauft werden soll. Deswegen hat er Sorge, dass er umziehen muss, womöglich in eines der gefährlicheren Quartiere Roms, wo die Mieter auch einen Tribut an die Mafia entrichten müssen. „Ich habe sicherheitshalber schon einmal die Schwester gefragt, ob hier im Haus ein Bett frei wäre“, lächelt er. Während ich ihm zuhöre, steigt mein Respekt vor ihm bzw. merke ich wieder einmal, in welch komfortablen Verhältnissen ich leben darf. Völlig unverdient, ich weiß.

Jetzt kommen die Spannbetttücher dran. Und wir scheitern. So ein Betttuch sorgfältig und schön zusammen zu legen, so dass gleichzeitig noch die Schrift oben zu lesen ist, wir sind überfordert. Zu unserer Ehrenrettung möchte ich erwähnen, dass auch Sr. Olivetta und Anna, eine weitere Freiwillige, nicht mit dieser Aufgabe zurechtkommen. Sie erinnern sich an einen ehemaligen Bewohner aus Bangladesch, der es perfekt konnte und der in seine Heimat zurückgekehrt ist.

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