„Ich bin Branko“, sagte der Fahrer
des LKW, der uns die Xingu-Briefe lieferte, welche wir jetzt vor
Weihnachten an Menschen versenden, die uns auf die ein oder andere
Weise unterstützen. „Branko aus Kroatien. Ich bin erst seit einem
Jahr in Deutschland“. Miteinander beförderten wir die zwei
Paletten voller Pakete ins Haus hinein. Er meinte zuerst, dass sein
kleiner Hubwagen zu breit für die Eingangstür sei, aber ich konnte
ihn davon überzeugen, es doch zu versuchen, nachdem ich schon öfter
ähnliche Lieferungen in Empfang genommen hatte. Und es ging dann
auch.
Nachdem ich den Erhalt der Sendung
durch meine Unterschrift quittiert hatte, wollte ich Branko ein
Trinkgeld geben. Er lehnte ab, zeigte mit dem Finger nach oben: „der
da oben zahlt!“. So wünschte ich ihm, meine spärlichen
Kroatisch-Kenntnisse zusammen klaubend, „Sretan Bozic“ (Frohe
Weihnachten) und freudig lächelnd erwiderte er: „Sretan Bozic
vama“ (Frohe Weihnachten Ihnen). Und dann bat er mich noch um ein
„Oce nas“ (Vater unser), „wissen Sie, was das ist?“. „Ja,
weiß ich“, sagte ich. Ein „Oce nas“ für seine kranke Frau. Er
erzählte mir, er benötige monatlich mehr als € 700.- für die
Medikamente für seine Frau. Und ich hatte den Eindruck, dass er vor
einem Jahr nach Deutschland gekommen war, das hat genau damit zu tun:
Geld verdienen zu können, um seiner Frau zu helfen.
Tags darauf – ich hatte den
Pfortendienst bei uns im Haus übernommen – läutete es an der Tür.
Davor stand ein Mann in Gummistiefeln und mit einem dünnen blauen
Arbeitsmantel über Pullover und Hose. Das weiße Haar und der Bart
wirkten wie die ganze Erscheinung nicht sehr gepflegt. „Ich möchte
gerne ein paar Messen zahlen“, so sagte er mir und ich lud ihn ins
Haus. Langsam, auf seine Krücke gestützt, kam er näher. Und gab
mir einen Briefumschlag, auf dessen Rückseite er die Namen
derjenigen geschrieben hatte, für die Messen gefeiert werden sollen.
Ich übertrug diese Namen auf unser Datenblatt. „Ich glaube da halt
noch dran“, sagte mir der Mann. „Ich verstehe gar nicht, dass
manche überhaupt nichts mehr glauben“, fügte er kopfschüttelnd
hinzu. Eine kleine Medaille wollte er dann noch, für seinen
Geldbeutel. Und beim Hinausgehen erzählte er mir: „ich bin ja im
Krankenhaus gewesen. Mein Gott, was man da alles sieht!“ Und ich
dachte mir: Respekt! Der Mann, der da, auf seine Krücke gestützt,
mühsam daher kommt, jammert nicht über sein Elend, sondern ist
fähig, das Elend anderer wahr zu nehmen und sein eigenes dabei zu
relativieren.
Ähnlich erging es mir einen Tag
später. Rita hatte mich gebeten, ihrer Mutter die Krankensalbung zu
spenden und ihr die Kommunion zu bringen. Also machte ich mich auf
den Weg, etwas unsicher, in welchem Zustand ich die Frau wohl
antreffen würde. War doch vor 14 Tagen eine ihrer Töchter beerdigt
worden, mein Jahrgang. Aber nein: die alte Dame empfing mich eher –
mir scheint das Wort zu passen – munter, freute sich über meinen
Besuch und war dankbar dafür. Aufgrund ihrer Schwerhörigkeit kam
zwar kein Gespräch zustande, aber ich hörte ihr zu und war selbst
dankbar dabei.
Und dann noch Frau F., die ich
oberflächlich kenne. Von jemand anderem hatte ich gehört, dass der
Mann von Frau F. gestorben sei. Also wollte ich ihr bei einer
Begegnung meine Anteilnahme ausdrücken und sagte: „dann sind Sie
jetzt allein!“. „Ich bin schon 27 Jahre allein“, antwortete
sie, „wir waren geschieden“. Das hatte ich nicht gewusst. Und
dann erzählte sie mir, dass sie den an Bauchspeicheldrüsenkrebs
erkrankten Mann drei der letzten Wochen seines Lebens bei sich gehabt
hatte, weil er sich auch mit der Familie versöhnen wollte. Und als
er dann im Krankenhaus war, habe sie ihm geraten, sich doch die
Krankensalbung geben zu lassen und zu beichten. Was ihr Mann wohl
tatsächlich getan hat.
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