Sonntag, 15. Dezember 2019

Adventsbegegnungen

„Ich bin Branko“, sagte der Fahrer des LKW, der uns die Xingu-Briefe lieferte, welche wir jetzt vor Weihnachten an Menschen versenden, die uns auf die ein oder andere Weise unterstützen. „Branko aus Kroatien. Ich bin erst seit einem Jahr in Deutschland“. Miteinander beförderten wir die zwei Paletten voller Pakete ins Haus hinein. Er meinte zuerst, dass sein kleiner Hubwagen zu breit für die Eingangstür sei, aber ich konnte ihn davon überzeugen, es doch zu versuchen, nachdem ich schon öfter ähnliche Lieferungen in Empfang genommen hatte. Und es ging dann auch.
Nachdem ich den Erhalt der Sendung durch meine Unterschrift quittiert hatte, wollte ich Branko ein Trinkgeld geben. Er lehnte ab, zeigte mit dem Finger nach oben: „der da oben zahlt!“. So wünschte ich ihm, meine spärlichen Kroatisch-Kenntnisse zusammen klaubend, „Sretan Bozic“ (Frohe Weihnachten) und freudig lächelnd erwiderte er: „Sretan Bozic vama“ (Frohe Weihnachten Ihnen). Und dann bat er mich noch um ein „Oce nas“ (Vater unser), „wissen Sie, was das ist?“. „Ja, weiß ich“, sagte ich. Ein „Oce nas“ für seine kranke Frau. Er erzählte mir, er benötige monatlich mehr als € 700.- für die Medikamente für seine Frau. Und ich hatte den Eindruck, dass er vor einem Jahr nach Deutschland gekommen war, das hat genau damit zu tun: Geld verdienen zu können, um seiner Frau zu helfen.

Tags darauf – ich hatte den Pfortendienst bei uns im Haus übernommen – läutete es an der Tür. Davor stand ein Mann in Gummistiefeln und mit einem dünnen blauen Arbeitsmantel über Pullover und Hose. Das weiße Haar und der Bart wirkten wie die ganze Erscheinung nicht sehr gepflegt. „Ich möchte gerne ein paar Messen zahlen“, so sagte er mir und ich lud ihn ins Haus. Langsam, auf seine Krücke gestützt, kam er näher. Und gab mir einen Briefumschlag, auf dessen Rückseite er die Namen derjenigen geschrieben hatte, für die Messen gefeiert werden sollen. Ich übertrug diese Namen auf unser Datenblatt. „Ich glaube da halt noch dran“, sagte mir der Mann. „Ich verstehe gar nicht, dass manche überhaupt nichts mehr glauben“, fügte er kopfschüttelnd hinzu. Eine kleine Medaille wollte er dann noch, für seinen Geldbeutel. Und beim Hinausgehen erzählte er mir: „ich bin ja im Krankenhaus gewesen. Mein Gott, was man da alles sieht!“ Und ich dachte mir: Respekt! Der Mann, der da, auf seine Krücke gestützt, mühsam daher kommt, jammert nicht über sein Elend, sondern ist fähig, das Elend anderer wahr zu nehmen und sein eigenes dabei zu relativieren.

Ähnlich erging es mir einen Tag später. Rita hatte mich gebeten, ihrer Mutter die Krankensalbung zu spenden und ihr die Kommunion zu bringen. Also machte ich mich auf den Weg, etwas unsicher, in welchem Zustand ich die Frau wohl antreffen würde. War doch vor 14 Tagen eine ihrer Töchter beerdigt worden, mein Jahrgang. Aber nein: die alte Dame empfing mich eher – mir scheint das Wort zu passen – munter, freute sich über meinen Besuch und war dankbar dafür. Aufgrund ihrer Schwerhörigkeit kam zwar kein Gespräch zustande, aber ich hörte ihr zu und war selbst dankbar dabei.

Und dann noch Frau F., die ich oberflächlich kenne. Von jemand anderem hatte ich gehört, dass der Mann von Frau F. gestorben sei. Also wollte ich ihr bei einer Begegnung meine Anteilnahme ausdrücken und sagte: „dann sind Sie jetzt allein!“. „Ich bin schon 27 Jahre allein“, antwortete sie, „wir waren geschieden“. Das hatte ich nicht gewusst. Und dann erzählte sie mir, dass sie den an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankten Mann drei der letzten Wochen seines Lebens bei sich gehabt hatte, weil er sich auch mit der Familie versöhnen wollte. Und als er dann im Krankenhaus war, habe sie ihm geraten, sich doch die Krankensalbung geben zu lassen und zu beichten. Was ihr Mann wohl tatsächlich getan hat.

Keine Kommentare: