Donnerstag, 31. Oktober 2019

Nähe

In der Früh läutet das Telefon. Frau W. bittet mich, vorbei zu kommen: „meine Schwiegermutter ist heute Nacht gestorben. Können Sie bitte kommen und ihr die Sterbesakramente spenden?“ Ich erkläre ihr ruhig, dass ich nicht die Sterbesakramente spenden, aber kommen werde, um für die Verstorbene zu beten. Keinen Moment kommt mir in den Sinn, die Anruferin auf das zuständige Pfarramt zu verweisen, ihr Haus liegt im Nachbarweiler. Und ich habe auch keinen Zweifel daran, dass ich mit der Zustimmung des Pfarrers rechnen kann. In einer solchen Situation kann es nicht darum gehen, zunächst pastorale Zuständigkeiten zu klären.

So mache ich mich auf den Weg, Frau W. steht draußen und erwartet mich. Miteinander betreten wir die Wohnung, in der die Verstorbene im Bett liegt. Die beiden Söhne sind da. Wir beten gemeinsam, ich segne die Verstorbene und lade auch die Angehörigen ein, ihrer Mutter bzw. Schwiegermutter ein Kreuz auf die Stirn zu zeichnen. Nach dem gesprochenen Gebet stehen wir noch einen Moment im Schweigen zusammen und ich verabschiede mich.

Dankbar bin ich, diesen heiligen Moment erlebt zu haben. Eingeladen worden zu sein in ein Haus, in dem ich vorher noch nie gewesen war. Die Schwiegertochter hatte ich ein wenig kennen gelernt, weil sie einen Besuch der Erstkommunionkinder ihrer Gemeinde bei uns vorbereitet und organisiert hatte. Gerne denke ich daran zurück, wir mit mit den Kommunionkindern den Kreuzweg „entdeckt“ und gebetet hatten.
Und jetzt das gemeinsame Gebet für die Verstorbene: eine Atmosphäre des Friedens, natürlich auch der Trauer, beides teile ich mit den Angehörigen.

Eine Woche später beten wir in der kleinen Kapelle am Ort den Rosenkranz für die Verstorbene. Ich gehe hin, weil ich eben noch am Bett der Verstorbenen stand und dadurch eine Beziehung spüre. Die kleine Kapelle ist voller Menschen, alle Bänke besetzt und hinten stehen noch weitere. Momentan wird renoviert. Die Heiligenstatuen, die sonst an der Wand hängen, stehen auf dem Boden im kleinen Chorraum. Es riecht nach frischer Farbe.

Auf dem Weg zur Kapelle kam G., eine Frau aus dem Weiler und sagte, als sie mich sah „ah, dann muss ich ja nicht vorlesen!“. „Doch, doch“, antwortete ich, ging vor ihr in die Kapelle und suchte mir einen Platz in einer Bank. Nach dem Rosenkranz, welchen die Mesnerin zu beten anfing, betete G. noch die Litanei für die Verstorbene aus dem Gotteslob vor.

In der Bank vor mir sitzen A. mit ihrer kleinen Tochter V. Ob sie schon in die Schule geht? Eher nicht, vielleicht ist sie ein Vorschulkind. Sie ist unruhig während des Rosenkranzes, dreht und schaut sich um und wechselt zwischendurch auf den Schoß der Mama. Die mit bewundernswerter Ruhe mal ihre Tochter an sich zieht, mal ihr etwas ins Ohr flüstert. Ich freue mich an den beiden.

Und auf dem Heimweg – ich bin die 20 Minuten zu Fuß gegangen – bin ich dankbar für die Kultur des Lebens und Sterbens in diesem kleinen Weiler. Wie die Menschen damit umgehen und dass sie mit ihrer kleinen Kapelle, auf die sie sehr gut achten, tatsächlich ein Zentrum haben, um ihr Leben miteinander und mit Gott zu teilen. Ein wenig spüre ich auch die Sorge, ob die „Jungen“ am Ort diese Traditionen weiter tragen. Ob sie weiter in der Lage sein werden, die Kapelle in der Form zu nutzen, wie das momentan geschieht? Bzw. ob auch etwas getan werden müsste oder könnte, um den Glauben noch mehr zu verlebendigen?

Und mir kommt Papst Franziskus in den Sinn, der als Bischof in Argentinien Priestern geraten hatte, im (groß-)städtischen Bereich Garagen als Kapellenräume anzumieten, und Menschen zu beauftragen, dort miteinander zu beten...

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