Dienstag, 1. Dezember 2015

advent-ure

Morgenandacht, Deutschlandfunk 28.11.2015
von Maria-Anna Immerz aus Augsburg
Abenteuer Advent
Tage an Schnittstellen sind etwas Besonderes. An der Schnittstelle zwischen Abschluss und Neubeginn etwa. Heute ist ein solcher Tag. Der letzte Tag im Kirchenjahr. Heute Abend – mit dem Vespergebet zum 1. Advent – gehen Christen in ein neues Kirchenjahr; in vielen Gemeinden wird da der Adventskranz gesegnet.  Kein Feuerwerk zum neuen Jahr der Christen; aber das kleine Licht der Hoffnung, das wachsen wird.  
Schnittstellen-Tage sind Tage mit Spannung. Da gibt es Leute, die lassen den  Neuanfang schon Wochen vorher angehen, haben längst Tannenschmuck in den Zimmern, mehrere Adventskalender besorgt, Lebkuchen genossen. Und die anderen, die dehnen das „Alte“ bis zur Kante, um den Neubeginn stark zu fühlen. Doch auch sie werden heute den Adventskranz besorgen, Lichter herrichten, vielleicht ein Buch mit Texten und Geschichten für diese besondere Zeit.
Und dann bricht sie an, die Adventszeit mit ihren lieb gewonnenen Ritualen, Stimmungen, Gottesdiensten... Alle Jahre wieder. Und doch immer wieder ein bisschen anders. Heuer müssen wir gestehen: Advent beginnt für keinen erst heute Abend; er hat auch nicht mit den ersten Weihnachtsartikeln in Supermärkten begonnen – heuer war es nochfrüher. Advent, also „Ankunft“ war doch spätestens am 1. September, als unerwartet 1200 Asylsuchende am Münchener Hauptbahnhof ankamen. Advent, also „Ankunft“ war allenthalben, als sich Bustüren öffneten und Männer, Frauen, Kinder in Turnhallen traten. Advent, „Ankunft“ war auch, als Freiwillige am Starnberger Bahnhof, in Wegscheid, bei der Caritas ankamen und sich einteilen ließen, wo sie gebraucht wurden.
Ankunft – Advent: Das hatte nicht viel Trautes, nichts Heimeliges, nichts vom „alle Jahre wieder“. Dafür aber etwas von “adventure“ – von Abenteuer. Der Advent von mehreren Hunderttausend Menschen in unserem Land ist ein Abenteuer. Da hat man nicht alles gleich im Griff, da kann man nicht alles steuern – aber eben auch nicht alles abwehren. Weil das Abenteuer dieser Ankunft ja auch lockt: Werden wir es schaffen? Wir, die Deutschen? Wir, zusammen mit den neu Angekommenen? Immerhin hat der Advent der Asylsuchenden schon viel herausgelockt an Menschlichkeit aus unserer Gesellschaft; ja, dieser Advent hat schon das Beste aus vielen gelockt, was sie haben: ihr Herz.
Heute Abend beginnt der kalendarische Advent; der Advent im Ritus des Kirchenjahrs. Er wird uns Christen – und hoffentlich nicht nur uns – noch zu mehr locken: „Es kommt ein Schiff geladen, bis an sein höchsten Bord“ werden wir im beliebten alten Adventslied singen. Dabei werden heuer ungefragt die Bilder der Flüchtlingsboote mit vor Augen sein – die grausam gekenterten und die glücklich geretteten. Und wir werden in der Strophe weiter singen: „Trägt Gottes Sohn voll Gnaden, des Vaters ewigs Wort“.
Ja, dieser Advent wird uns unwillkürlich erinnern: Die da seit Monaten per Schiff oder auf dem Landweg bei uns ankommen, haben etwas zu tun mit dem Gottessohn, den wir erwarten. Nicht weil wir es uns fromm zurechtlegen, sondern weil Er, der Gottessohn, es uns selbst nahe gelegt hat: Mit denen, die nichts zu bieten haben, die fremd und obdachlos sind, hat Er etwas zu tun. Wer einen von ihnen aufnimmt, nimmt den Sohn Gottes selbst auf. Ehrenwort. Wem das auf Anhieb zu viel ist, dem möge der Adventkranz heute Abend ein erster Anker für das Abenteuer Advent 2015 sein: Er nährt die Hoffnung, dass es rund laufen und auf einen grünen Zweig kommen wird, was wir bei so viel Advent in unserem Land selbst noch nicht auf die Reihe bekommen. Gebe Gott selber, dass heute Abend Viele aus ganzem Herzen singen können: „Macht hoch die Tür; die Tor macht weit!“


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