Immer wieder einmal höre ich es von verschiedenen Leuten. Vor allem von Menschen, die sich besorgt Gedanken machen über die rückläufigen Zahlen beim Kirchenbesuch, die Verdunstung des Religiösen oder die Verflachung des Glaubens. „Es geht uns zu gut. Wenn die Leute erst wieder einmal eine richtige Not spüren, dann werden sie auch wieder zu beten beginnen.“
Mir ist nie so ganz wohl, wenn ich so etwas höre. Müsste ich - konsequent weiter gedacht - mir und uns jetzt eine Not herbei wünschen, damit Glaube und Gott wieder interessant werden? Das will ich nicht! Entschieden nicht! Was wäre denn das für ein Glaube und was für ein Gott, die dann erst interessant werden oder sind, wenn es uns wirtschaftlich, materiell oder sonst irgendwie schlecht geht. Mit solch einem Gott möchte ich doch lieber nichts zu tun haben. Und ich verstehe sehr gut alle, denen es ebenso geht.
Abgesehen davon, dass die beschriebene Logik ja auch gar nicht unbedingt stimmt. Ich erinnere mich, wie uns ein Professor während des Studiums in einer Vorlesung sagte: „Not lehrt nicht nur beten, sie lehrt auch verzweifeln und fluchen!“ Also der Schuss mit der herbei gewünschten Not könnte auch nach hinten los gehen...
„Es geht uns zu gut“. In einem anderen Zusammenhang meine ich stimmt dieser Satz. In der ersten Maihälfte war es in den Zeitungen zu lesen: jeder Deutsche wirft durchschnittlich Lebensmittel im Wert von € 330.- pro Jahr weg. Lebensmittel in den Abfall. Weil sie verdorben sind, das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist, die Portion zu groß war oder... Okay, da geht es uns eindeutig zu gut. Wobei ich auch in Deutschland schon Menschen gesehen habe, die Mülltonnen bei Privathäusern oder auf Bahnhöfen nach Ess- und Trinkbarem absuchen. Es bleibt zunächst noch offen, wem es zu gut geht und wem eben nicht.
Ähnlich vorsichtig bewerte ich eine Power-Point-Präsentation über das „verschlossene Europa“, die ich vor kurzem aus Spanien zugesandt bekam. Auf einer Folie stand dabei als Text sinngemäß Folgendes: „anstatt die Flüchtlinge wieder abzuschieben, müssten wir sie aufnehmen und sie auf Knien um Verzeihung bitten für dasjenige, was wir ihnen in der Kolonialzeit angetan und aus ihren Ländern geraubt haben“. Obwohl hier natürlich präzisiert werden müsste, hat diese Logik schon etwas für sich. Und es ist irgendwie verständlich, dass sich Menschen aus anderen Teilen der Welt ihren Teil des Kuchens holen wollen. Und uns auf eine sehr deutliche und Europäern oft unangenehme Weise daran erinnern, dass es uns eben „zu gut geht“. Im Vergleich mit anderen und auf deren Kosten!
„Es geht uns zu gut!“ Christliches Engagement wird sich nicht darauf beschränken lassen, traurig über den Niedergang des Christentums zu sein. Es wird genau dort hinsehen, wo es Menschen eben nicht gut geht. Und deswegen werden sich Christinnen und Christen einsetzen dafür, dass es Menschen gut geht, rundum, ganzheitlich. Vermutlich ist es dann dieser Einsatz für Gerechtigkeit, der Christ – Sein auch (wieder) interessant macht. Das ist nicht das Ziel oder der Hintergedanke des Einsatzes, aber wohl ein nicht ausbleibender, damit verbundener Nebeneffekt. Kirche ist nicht eine Wohltätigkeitsagentur, aber wenn sie nicht die Armen im Blick und Herzen hat und gegen Armut kämpft, dann ist sie auch nicht Kirche.
„Es geht uns zu gut“ in einer Kirche, die sich vor allem damit beschäftigt, an ihrer inneren Struktur zu basteln, am Schaffen neuer pastoraler Räume, am Umverteilen von Aufgaben, damit letztlich möglichst alles so bleiben kann, wie es bisher war oder wenigstens so ähnlich weiter gehen kann. Wenn wir den Blick nicht noch viel mehr als bisher auf jene richten, denen es aus verschiedenen Gründen physisch, psychisch, materiell usw. wirklich nicht gut geht, dann geht es uns in der Kirche wirklich noch zu gut...
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